Fahrradzukunft

Ausgabe 39 · Dezember 2024

Wer liest die Fahrradzukunft – Alltagsradler oder Auchradfahrer?

Ergebnisse der Leserumfrage – Teil 1

von Markus Hippeli

Vorgeschichte

»Was können wir besser machen?« »Wo stehen wir und wohin wollen wir?« – mit diesen Leitfragen begab sich die Redaktion der Fahrradzukunft im September 2023 auf Klausur in einen Workshop. Schwierige Fragen – eine ehrenamtliche Zeitschrift folgt anderen Gesetzmäßigkeiten als eine kommerzielle. Das ist oft gut, weil es Freiheiten ermöglicht, manchmal aber auch mühsam, denn alles hängt am freiwilligen Engagement, und um das zu erhalten, braucht es Konsens. Auch und gerade, wenn es um Veränderungen geht.

Fast 20 Jahre gibt es die Fahrradzukunft schon und ihr Ziel ist es, Alltagsradeln zu befördern. Da ist sich die Redaktion einig. Darüber, was das aber im Detail bedeutet, nicht immer. Und natürlich schleift sich im jahrelangen Redaktionsalltag vieles ein, manches wird übersehen und manche Frage nicht gestellt.

»Für wen schreibt ihr eigentlich?« »Wer sind eure Leser?« Wenn man was verbessern will, ist es ja hilfreich zu wissen, für wen eigentlich. Wenig überraschend zeigte sich: So genau weiß das keiner. Annahmen gibt es viele – validierte Daten keine. Die Fahrradzukunft arbeitet sehr datensparsam – man kann viel vermuten, tatsächlich wissen weiß man kaum was. Doch es herrschte Einigkeit, dass es sehr nützlich wäre, mehr über die Leser und ihre Interessen zu wissen, um zielgerichtet über Verbesserungen nachdenken zu können.

So entstand die Idee für eine Leserbefragung: herauszufinden, wie die Annahmen eigentlich mit der Realität übereinstimmen:

  • Wer sind die Leser?
  • Wie nutzen sie das Fahrrad?
  • Was schätzen sie an der Fahrradzukunft?
  • Was vielleicht nicht so sehr?
  • Was vermissen sie?

Die Befragung lief über zwei Monate, von Mitte Juni bis Mitte August 2024, und insgesamt 2.088 Leute haben teilgenommen. Hier nun die Ergebnisse. Von »so, wie gedacht« bis »überraschend« ist alles dabei …

Nebenbei: Wie in fast jeder Umfrage gab es auch bei dieser einige wenige »Spaßvögel«, die vorsätzlich durch offensichtliche Falschangaben die Ergebnisse zu vergiften suchten – was auch immer die destruktive Motivation dahinter sein mag. Ein Alter von weit über 100 Jahren oder eines von 4 ist wohl ebenso unplausibel wie eine Wohnungsgröße von 0 Personen, ein Wohnort auf einer sehr kleinen Pazifikinsel oder an anderen unerwarteten Orten. Die Anzahl der Fahrradzukunft-Leser in San Marino und im Vatikan ist überraschend hoch ... Solche Antworten haben wir, wo erkennbar, ausgefiltert – außer Mehrarbeit für die Auswertenden bringt das den Manipulatoren also nichts.

Leserstruktur

Das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel hat in den letzten grob zehn Jahren einen gewaltigen Aufschwung bekommen. Seit dem Beginn der Massenmotorisierung in den 1950er Jahren nutzten wohl kaum je auch nur annähernd so viele Leute das Rad als umfängliches Alltagstransportmittel wie heute, quer durch alle Altersklassen, Geschlechter und Bevölkerungsschichten. Spiegelt die Leserschaft der Fahrradzukunft das wider?

Die Altersverteilung zeigt eine breite Verteilung mit einem gewaltigen Berg: Von Anfang 20 bis über 80 ist alles dabei – die Majorität ist jedoch klar zwischen 40 und 70 Jahre alt:

Bild 1: Geburtsjahrgänge der Leser

Von den Geburtsjahrgängen gibt es eine klar überdurchschnittliche Leserschaft zwischen den Jahrgängen 1955 und 1985, der Peak liegt bei 1960.

Älter als gedacht und erhofft, aber noch nicht allzu überraschend. Überraschend hingegen (und zwar negativ) war die Geschlechterverteilung: 94 % der Leser sind männlichen, nur gut 3 % weiblichen Geschlechts.

Bild 2: Geschlechterverteilung

Dass im weitesten Sinne technische Medien einen Männerüberschuss unter den Lesern haben, ist gängig und war daher auch bei der Fahrradzukunft zu erwarten – das dramatische Ausmaß überraschte dann aber doch.

Ähnlich inhomogen sind die Ergebnisse beim höchsten Bildungsabschluss: 66 % der Leser haben ein abgeschlossenes Studium, lediglich 13 % kein Abitur bzw. keine Fachhochschulreife.

Bild 3: Höchster Bildungsabschluss

Die berufliche Beschäftigung spiegelt die Alterspyramide wider: Knapp 50 % der Leser arbeiten als Angestellte, knapp 6 % sind Beamte, 11 % selbstständig und knapp 30 % im Ruhestand. Lediglich gut 1 % ist in Ausbildung, Schüler oder Student.

Bild 4: Beschäftigungsstatus

Die Frage zum Wohnumfeld zeigte wiederum überraschende Ergebnisse: Über 45 % der Leser wohnen in einer Großstadt, lediglich gut 30 % in einer Kleinstadt oder auf dem Land. Von denen, die nicht in einer Großstadt leben, gaben ganze 67 % an, im Einzugsgebiet einer Großstadt zu wohnen, lediglich 32 % verneinten das für sich.

Bild 5: Wohnumfeld

Die Mehrheit der Fahrradzukunft-Leser wohnt zu zweit (48 %) oder allein (20 %). Wenn es Kinder im Haushalt gibt, sind sie eher kleiner, d. h. unter 6 Jahre – insgesamt leben aber nur bei vergleichsweise wenigen Lesern Kinder im Haushalt – erklärbar durch die Alterspyramide.

Gut 90 % der Leser leben in Deutschland, knapp 3 % in Österreich und rund 2,5 % in der Schweiz. 4,5 % wohnen in einem anderen Land – von wenigen Ausnahmen abgesehen in Belgien, den Niederlanden und Frankreich.

Bild 6: Land, in dem die Leser wohnen

Die Verteilung der deutschen Leser auf die Bundesländer entspricht im Großen und Ganzen grob der Bevölkerungsverteilung, mit zwei Auffälligkeiten:

  1. Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sind leicht überproportional vertreten (angesichts der hohen Quote an Großstadtbewohnern unter den Lesern verwundert das nicht).
  2. Die ostdeutschen Bundesländer sind sämtlich leicht bis deutlich unterproportional vertreten. Von den ehemals westdeutschen Bundesländern sind das nur das Saarland und Bayern und beide nicht sehr stark.
Bild 7: Verteilung auf die deutschen Bundesländer

Gut 34 % der Leser sind Mitglied im ADFC, die meisten sind jedoch in keinem Verkehrsverband Mitglied.

Bild 8: Verbandsmitgliedschaften

Verkehrsnutzung der Leser

90 % der Leser haben Zugriff auf einen Pkw, angesichts des hohen Anteils an Großstadtbewohnern eine hohe bis sehr hohe Quote. 67 % haben einen Nahverkehrsbahnhof in der Nähe und 45 % einen Fernverkehrsbahnhof. 50 % haben ein gutes und 28 % ein schlechtes lokales bzw. regionales Busnetz und immerhin 42 % U- oder S-Bahn zur Verfügung. Auch hier dürfte der hohe Anteil an Großstadtbewohnern Einfluss haben.

Bild 9: Verfügbare Verkehrsmittel abseits des Fahrrads

Eine Bahncard hat aber nur eine Minderheit der Leser: 36 %. Noch weniger, nämlich 30 %, haben das Deutschlandticket und nur gut 7 % ein regionales Nahverkehrsabo.

Bild 10: Verbreitung Bahncard

Das meistgenutzte Verkehrsmittel ist das eigene Fahrrad: 83 % nutzen es mehrmals die Woche oder häufiger. Bei eigenem Pkw liegt dieser Wert nur bei 21,5 %, die anderen Verkehrsmittel liegen noch deutlich darunter:

Bild 11: Häufigkeit der Verkehrsmittelnutzung

Das weist darauf hin, dass die Leser der Fahrradzukunft wohl zu einem hohen Anteil tatsächlich zur Gruppe der Alltagsradler gehören.

Tatsächlich ordnen sich 53 % selbst der Gruppe der Alltagsradler zu und weitere 26 % der der Bike-Nerds – zusammen 79 % der Leser. Demgegenüber fallen Freizeitradler (11,5 %), Sportler (5,4 %) und »Auchradfahrer« (3,74 %) deutlich ab.

Bild 12: Nutzertypen

Für fast die Hälfte der Leser ist das Fahrrad das Haupttransportmittel: 49,4 % sagen das von sich. Weitere 31 % nutzen ein anderes Transportmittel ungefähr gleich oft, bevorzugen aber das Rad, wo möglich:

Bild 13: Fahrrad als Hauptfortbewegungsmittel

Die Fahrräder, die bei der Leserschaft im Einsatz sind, spiegeln entsprechend das Portfolio des Möglichen wider:

Bild 14: Genutzte Fahrradtypen

Dass City- und Trekkingräder mit 68 % am verbreitetsten sind, ist keine Überraschung. Der hohe Reiseradanteil (45 %) überrascht schon eher etwas, passt aber gut ins Bild. Was auffällt, ist der überraschend hohe Anteil an Falträdern (26 %) – von den »unüblicheren« Rädern der höchste Wert und weit über dem Marktanteil bei Neurädern. Auch Lastenanhänger, Lastenräder, Liegeräder und andere Sonderformen sind deutlich verbreiteter als ihre Marktanteile in Deutschland. Das spricht klar für die Fahrradaffinität der Leser.

Überraschend für die Redaktion: In über 50 % der Haushalte der Leser gibt es Fahrräder mit Elektromotor.

Bild 15: Verbreitung von Pedelecs und E-Bikes in den Haushalten der Leser

Wenig überraschend sind S-Pedelecs kaum vertreten – in der Schweiz gängig, in Deutschland aufgrund der deutlich eingeschränkten Nutzbarkeit die Ausnahme.

Die Positionierung der Leser als Alltagsradler zeigt sich auch bei der Frage, für welche Zwecke das Fahrrad genutzt wird:

Bild 16: Nutzungsszenarien beim Fahrradeinsatz

Knapp 59 % fahren damit zur Arbeit, 84 % zum Einkaufen, gleichfalls rund 84 % nutzen es für Sport und Freizeit und knapp 77 % für sonstige Alltagswege. Rund 57 % Nutzung für Reisen dürften vermutlich weit über dem Durchschnitt liegen, ebenso 40 % für Lastentransport. Die »lediglich« knapp 11 % Kindertransport sind wohl auch eine Folge des vergleichsweise hohen Altersdurchschnitts der Leser mit entsprechend vergleichsweise geringem Kinderanteil im Haushalt.

Interessant und überraschend waren die Antworten zum Thema multimodale Nutzung – insbesondere angesichts des verhältnismäßig hohen Anteils an Falträdern bei den Lesern.

37,5 % sind nie multimodal unterwegs, 44 % nehmen ihr Rad ab und an in einem anderen Verkehrsmittel mit. Lediglich etwas über 4 % nehmen ihr Rad fast täglich in Bus oder Bahn mit. Anzunehmen ist, dass es sich hier zum überwiegenden Teil um Pendelfahrten zur Arbeit in Kombination mit einem etwas längeren Arbeitsweg handeln dürfte. Dieser Wert erscheint auch unter Berücksichtigung des Anteils von rund 30 % Rentnern und Pensionären unter den Lesern recht niedrig – immerhin nutzen ja fast 59 % der Leser ihr Rad für den Arbeitsweg. Ob der Arbeitsweg bei den meisten kurz genug ist, um ohne Multimodalität auszukommen, oder der ÖPNV zu schlecht, um diesen Weg zu wählen, bleibt offen.

Interessant ist, dass im Gegensatz dazu 17 % ihr Rad auch auf längeren Strecken in der Bahn dabeihaben – das ist wiederum ein verblüffend hoher Anteil. Regelmäßig im Auto fährt das Rad wiederum nur bei 11 % mit.

Bild 17: Multimodale Nutzung

Ebenfalls sehr aufschlussreich waren die Antworten auf die Frage, was eine umfänglichere Nutzung des Rades im Alltag der Leser verhindert.

Wenig überraschend waren hier die Punkte »Entfernung« mit knapp 42 % und »Regenwetter« mit knapp 32 % führend. »Kälte« wird hingegen nur von knapp 16 % genannt, »zu anstrengend« ist mit unter 4 % gar weit abgeschlagen – »Bequemlichkeit« mit gut 18 % aber sympathisch ehrlich vertreten.

Erschreckend hingegen die Auswirkungen der Infrastruktur und das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer: Man kann aufgrund der bisherigen Antworten der Leser durchaus validiert davon ausgehen, dass sie sowohl routiniertere als auch motiviertere Radfahrer sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. Dennoch sehen gute 10 % das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer als Hemmnis zur häufigeren Nutzung des Fahrrades an. Und die drei möglichen Infrastrukturkategorien »Gefährdung«, »Komfort« und »Wegführung« kommen zusammengerechnet auf 50,81 % – Infrastruktur ist also noch vor Entfernung das deutlichste Hindernis für umfänglichere Fahrradnutzung der Leser. Eine sehr klare Aussage.

Bild 18: Nutzungshemmnisse: Was hält dich ab, dein Rad noch umfänglicher zu nutzen?

In den ergänzenden Kommentaren wird entsprechend häufig der schlechte bauliche Zustand der Infrastruktur, insbesondere in Städten, und die Absenz von Infrastruktur auf dem Land genannt. In einem Fall erwähnt wurde auch das Fehlen von sicheren Abstellmöglichkeiten für hochwertige Räder.

Wesentlich häufiger als die Infrastruktur wird in den Einzelkommentaren jedoch das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer thematisiert – und das auch sehr viel frustrierter und emotionaler. Gehäuft erwähnt wird gefährdende Fahrweise von Autofahrern z. B. durch Nahüberholen, dichtes Auffahren sowie allgemein gefährdendes Verhalten von Kfz-Fahrenden und Rücksichtslosigkeit des Kfz-Verkehrs bis hin zur vorsätzlichen Gefährdung. Auch wird die Verkehrsdichte als Hinderungsgrund benannt. Aber auch gedanken- und rücksichtslose Fußgänger und andere Radfahrer werden mehrfach als gefährdender Faktor genannt, mehrfach spezifisch Pedelec-Fahrer – in einem Fall z. B. »mental und sensorisch gehandicapte E-Bike-Fahrende«.

Psychologisch und emotional scheint also der Faktor »Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer« sehr stark als Störfaktor zu wirken, trotz zahlenmäßig deutlich geringerer Nennung als der Faktor Infrastruktur.

Der typische Fahrradzukunft-Leser kommt derzeit aus Deutschland (90 %), ist männlich (93 %), zwischen 53 und 71 Jahre alt (61 %), hat ein abgeschlossenes Studium (66 %) und arbeitet als Angestellter (49 %) oder ist im Ruhestand (29 %). Er wohnt in einer Großstadt (45 %) oder in deren Einzugsgebiet (67 % derer, die nicht in einer Großstadt wohnen). Knapp die Hälfte (47 %) lebt in einem 2-Personen-Haushalt. Er lebt in Bayern, Baden-Württemberg, NRW oder Niedersachsen und ziemlich sicher nicht in einem der östlichen Bundesländer.

Wahrscheinlich ist er in keinem Verband Mitglied (49 %), falls aber doch, dann im ADFC (34 %). Er hat einen eigenen Pkw im Haushalt (71 %) und wahrscheinlich keine Bahncard (63 %), auch kein Deutschlandticket (69 %) und kein regionales Nahverkehrsabo (92 %).

Das eigene Rad nutzt er täglich oder fast täglich (62 %), den Pkw lediglich wöchentlich (32 %). Wahrscheinlich besitzt und benutzt er ein City- oder Trekkingrad (68 %). Und natürlich gibt es außer diesem prototypischen Leser ein sehr großes Spektrum an anderen.

Welche Schlüsse lassen sich nun daraus ziehen?

Das Vorstellen der Umfrageergebnisse führte – nicht unerwartet – zu intensiven Diskussionen in der Redaktion. Einig ist sich die Redaktion, dass der Frauenanteil unter den Lesern höher werden soll. Die aktuelle Marke von 3 % ist, man kann es nicht anders sagen, peinlich und lässt den Schluss zu, dass ein sehr relevanter Anteil der Zielgruppe sich nicht angesprochen fühlt, nämlich fast alle Alltagsradlerinnen.

Sinnvoll wäre eine Verjüngung der Leserschaft. Viele jüngere Radler scheinen die Fahrradzukunft entweder nicht zu kennen oder nicht attraktiv zu finden.

Klar ist ebenfalls: Auch bei der Leserschaft der Fahrradzukunft sind Räder mit elektrischer Unterstützung längst im Alltag angekommen. Kein Grund für die Fahrradzukunft, zur E-Bike-Zeitschrift zu mutieren. Die bisherige radikale Ignoranz bis Ablehnung von elektrisch unterstützten Fahrrädern entspricht aber weder der Lebenswirklichkeit der Leser noch der Zielgruppe Alltagsradler: Die Realität auf den Straßen zeigt genau wie wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema, dass Pedelecs die Nutzung des Fahrrads als Verkehrsmittel im Alltag drastisch erhöhen können. Das anzuerkennen und in adäquater Weise zu berücksichtigen ist die logische Folge.

Was Leser an der Fahrradzukunft schätzen, was ihnen fehlt und welche Ideen und Vorschläge sie haben, darum geht es im zweiten Teil der Umfrageauswertung, der in der nächsten Ausgabe der Fahrradzukunft erscheint.

Zum Autor

Markus Hippeli ist engagierter Alltagsradler und Unternehmensberater für Organisationsentwicklung in Berlin. Er hat für die Fahrradzukunft die beiden Redaktionsworkshops 2023 und 2024 moderiert und die Leserumfrage mitgestaltet und ausgewertet.