Ausgabe 9 · Oktober 2009
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Selbstversuch mit Elektrorad: Mehr Erfahrung als Spaß
Riese&Müller »Delite Hybrid HT« im Testwochenende
Das Frankfurter VSF-Fahrradgeschäft Per Pedale, das schon sehr lange Elektroräder führt und insofern quasi zu den Pionieren zählt, hat zwei Leih-Testräder für Kaufinteressenten zur Auswahl: ein Biketec Flyer, den »Klassiker« aus der Schweiz mit »Tretlagermotor« in der Mitte, und ein Riese&Müller Delite Hybrid HT (vollgefedertes Trekking- und Reiserad) mit Hinterradnabenmotor.
Meine Wahl für das Test-Wochenende fällt auf das Delite. Einerseits, weil ich mit seinen unmotorisierten Versionen bereits Fahreindrücke gesammelt habe, die sich vergleichen lassen und andererseits, weil meine Taunus-Teststrecke zum Teil aus unebenen Waldwegen besteht.
Beim Abholen denke ich dummerweise nicht daran, nach der Bedienungsanleitung zu fragen. Das war für mich nicht naheliegend, schließlich brauche ich sonst ja auch keine Anleitung zum Radfahren. Später habe ich es bereut, weil sich vieles an dem Hilfsantrieb als nicht selbsterklärend herausstellte.

Antrieb und Ausstattung
Das Antriebssystem stammt von der kanadischen Firma BionX, die zu den
Marktführern bei »besseren« Fachhandelsrädern zählt. Es gibt eine Reihe
von Varianten, u. a. führerscheinpflichtige. BionX-Antriebe werden von
verschiedenen Fahrradherstellern verbaut und sind auch als Nachrüst-Kits
erhältlich. Das System ist in der Tat nicht ganz billig: Beim
Versender kostet es, mit
komplettem Hinterrad, immerhin
Der 250-W-Motor (der Gerüchten zufolge getunt auch


Nanu, hat man denn nicht längst 9-fach? Laut Auskunft des Fachgeschäfts ist der Grund für die ungewöhnliche 8-fach-Schaltung, dass es bisher keine 9-fach-Schraubkränze (extra für Pedelecs, denn der Rest der Welt fährt bekanntlich in der 9-fach-Zeit längst Kassetten) in brauchbarer Qualität gibt.
Noch ungewöhnlicher ist der vordere Teil des Muskelantriebs: zwei
Rennkettenblätter mit 39/53 Zähnen, geschaltet mit Shimano 105.
Die schräge Kombination Rennabstufung vorn mit Trekking ergibt hohe,
»sportliche« Berggänge, die ich gerade an einem Pedelec nicht erwartet
hätte. Wie soll denn ein typischer Pedelecfahrer (eher bescheidene
Kondition) das schwere Fahrzeug (von mir gewogen:
Ich weiß nicht, was Riese&Müller zu dieser seltsamen Abstufung bewogen
hat. Womöglich ging man einfach davon aus, dass die Nutzer keine
Kriechgänge brauchen, weil sie ihre Akkus nie leerfahren?
Der BionX-Akku (Lithium-Mangan,

Die Steuereinheit, im folgenden im BionX-Speak »Konsole« genannt, ist wie ein Fahrradcomputer am Lenker befestigt. Dort wird mittels Drucktasten der Betriebsmodus eingestellt (Unterstützungsstufen null und 1 bis 4 oder Generatormodus). Ein Display zeigt diverse Informationen an, u. a. den gewählten Unterstützungsgrad, die momentane, auch tretkraftabhängige tatsächliche Unterstützung, den Akku-Ladezustand, die Momentangeschwindigkeit und die Tageskilometer. Hier wird das System auch kalibriert (bzw. manipuliert).
Was gibt es zur Maschine und ihrer Ausstattung noch zu sagen?
Rahmenhöhe
Der ganze Spaß kostet nur
Erste Fahrten
Ich bekomme die Maschine am Samstagnachmittag mit frisch geladenem Akku – und nehme, sicher ist sicher, das Ladegerät für den Wochenendtest mit.
Heute fahre ich damit nur
Fast alles auf Stufe vier: Unterstützung sagenhafte

Ich bin zu faul, einen Fahrradcomputer zu installieren und zu kalibrieren.
Eine Testfahrt mit einem Helfer, der mit meinem Alltagsrad neben mir
herfährt, ergibt einen Messfehler von etwa plus
Eine Eigenschaft des Elektroantriebs irritiert mich stark, auch bis zum Schluss des Kurztests kann ich mich nicht daran gewöhnen: die enorme Zeitverzögerung von mehreren Sekunden bei Laständerungen am Muskelantrieb. Der Hilfsantrieb soll sich ja anpassen: Beginnt der Fahrer zu treten (z. B. beim Anfahren), soll die Unterstützung einsetzen – und bei einer Tretunterbrechnung wieder abschalten. Anfahren mit dem Testrad bedeutet, erstmal ein paar Meter nur mit Muskeln fahren zu müssen, bis der Motor endlich »anspringt« – was er auf Stufe 4 dann sehr unvermittelt und heftig tut.

temporär auf Generatorbetrieb um (dieser ist aber auch manuell einstellbar).
Ich entwickelte gleich spontan eine »Standard-Spaßübung«: Anfahren
(gezwungenermaßen) nur mit Muskeln, also ein paar Sekunden richtig schwer
treten, bis etwa
Eine Umfrage im Bekanntenkreis unter Leuten, die schon mal BionX-Antriebe
testgefahren haben, ergab, dass diese extreme Zeitverzögerung nicht normal
ist. Es dürfte sich also um einen individuellen, z. B. durch Fehlmontage
oder Fehlprogrammierung verursachten Mangel handeln.
Bei der Abholung stand die balkenförmige Akku-Ladeanzeige noch auf

Vor der für morgen geplanten, »langen« Tour sollte ich jedenfalls den Akku nachladen. Gesagt, getan – große Überraschung: Die Kontroll-LEDs des Ladegeräts zeigen an, dass es nicht lädt. Entweder ist etwas defekt – oder die Spannung des Akkus ist noch so hoch, dass das Ladegerät ihn für voll hält. Später zeigte sich, dass letzteres richtig geraten war. Das finde ich ärgerlich: Der (angeblich?) schon fast halb entladene Akku kann (noch) nicht nachgeladen werden. Das heißt, ich kann nach Teilentladung die Akkukapazität auch dann nicht ausnutzen, wenn ich über die Mittel zum Nachladen (Ladegerät, Steckdose und Zeit) verfüge.
Ebenfalls nicht glücklich bin ich mit der Konsole, die ziemlich unergonomisch gestaltet ist: Um die Tasten zu bedienen, muss ich die Hand vom Lenker nehmen und mit mehr oder weniger gestreckten Fingern von oben draufdrücken. Und das leicht gewölbte Schutzglas des Displays spiegelt ohne Ende. Hier hat der Konstrukteur seine Hausaufgaben noch nicht gemacht. Diese Konsole macht sich vielleicht gut bei Kunstlicht auf dem Labortisch, aber nicht mehr gut an einem Fahrzeuglenker draußen auf freier Wildbahn. Erfahrene Fahrradteile-Konstrukteure (z. B. bei Shimano) hätten das mit wenig Aufwand wesentlich besser gestalten können.
Die »lange« Testfahrt: 29 km , 700 Höhenmeter
Heute, Sonntag, fahre ich vom Frankfurter Osten wieder quer durch die
Stadt (
Wie ich den Berg trotz Elektrounterstützung hochkam
Ich schenke mir die Beschreibung von Details. Unterm Strich: Ich stellte
überrascht fest, dass die Fahrzeit meiner sonstigen glich. Die gefühlte
Anstrengung ist aber schwer vergleichbar, weil es völlig anders war als
sonst: Nachdem ich im Flachland und dem moderaten Teil der Steigung Strom
gespart hatte (Stufe 1, auf den ersten etwa
Meine Beinmuskulatur habe ich dabei offenbar eher weniger angestrengt als
sonst – zumindest merkte ich am nächsten Tag überhaupt nichts in den
Beinen (sonst fühle ich (meistens) die Andeutung eines Andeutung eines
Muskelkaters (Muskelkätzchen? ;o). Aber ich hatte am nächsten Tag
Rückenschmerzen wie schon seit Jahren nicht mehr. Meine Lendenwirbelsäule
ist anfällig bei Fehlhaltung und Fehlbelastung. Letztere bestand hier
offenbar in dem Wiegetritt, zu dem mich die Rennkettenblätter zwangen, um
das Elektrorad noch irgendwie fahrend den Berg hochzuwürgen – eine für
mich völlig ungewohnte Bewegung, weil alle meine Fahrräder im Unterschied
zum Testrad bergtaugliche Schaltungen haben.
Zu den Testbedingungen erwähne ich noch die Gewichte: Ich wog damals
ziemlich genau
… und Flasche leer

Ladestand zeigt Flasche gaaanz leer (die symbolische AA-Batterie hat sogar schon
ein Loch im Boden ;o)
Die Akku-Ladeanzeige begann sich schon früh bei der Bergauffahrt dem
Nullpunkt zu nähern. Etwa
Ladezeit
Zu Hause stöpsele ich das Ladegerät wieder an – und siehe da, diesmal lädt
es den Akku. Allerdings dauerte es unerwartet lange, bis er voll war: Erst
irgendwann zwischen viereinhalb und fünf Stunden (genauer: 4:35 und 5:05)
Ladezeit schaltete das Gerät ab. Ausgehend von meinen Erfahrungen mit
Li-Akkus vermute ich, dass der maximale Ladestrom des Geräts kleiner ist
als notwendig. Jedenfalls brauchen alle bisher von mir mit Strombegrenzung
Damit liegen die auf der Werbetafel eines Tübinger Händlers behaupteten

Von: Andreas Oehler

Fahrradspezifische Performance
Für Leser, die sich für dieses oder ein anderes (z. B. unmotorisiertes, ähnlich ausgestattetes) Delite interessieren: Die simple Eingelenk-Hinterradfederung mit Stahlfederbein arbeitete nach Einstellung der Zugstufe auf unebenem Boden erstaunlich gut. Die Feder ist für mein Gewicht eher auf der komfortablen Seite, der Hinterbau schien mir aber trotzdem eine zügige Gangart im Gelände zuzulassen (beim Test nicht ausgereizt, weil Steinschlag am Unterrohr einer geliehenen Maschine dieser Art keinen guten Eindruck hinterlässt ;o).
Die Federgabel spricht wesentlich schlechter an, als ich das von Marzocchi gewöhnt bin – nämlich fast gar nicht, und das liegt wohl kaum an der Abstimmung: Zuviel Reibung, zumindest an just diesem Exemplar stimmt etwas nicht.
Die XT-Vorderradbremse mit 160er Scheibe war für mich (
Fazit
Dieses Pedelec zu fahren ist ganz anders als Radfahren. Ich praktiziere lieber Letzteres und möchte nicht tauschen. Den vielen Nachteilen (teure Anschaffung, teure Wartung, schwer, geringe Reichweite, Lade-Leerlaufzeiten und ganz konkret die Angst davor, den schweren Panzer mit leerem Akku den Berg hochwuchten zu müssen) steht aus meiner Sicht kein substantieller Vorteil gegenüber. Mal abgesehen vom Spaß an der Beschleunigung, aber den kann ich mit richtigen Kraftfahrzeugen um Längen besser ausleben, wenn mich denn wirklich mal dieser Hafer stacheln sollte. Ansonsten macht mir Radfahren und die Freude an der Bewegung und der eigenen Leistung einfach viel mehr Spaß – der sofort verschwindet, wenn ein Motor ins Spiel kommt.
Das ist der bisherige Stand. Vielleicht bin ich ja doch irgendwann mal auf
so eine Krücke angewiesen, die dann aber hoffentlich leichter ist. Fragt
mich mal in
Zum Autor
Rainer Mai ist
Fahrrad-Sachverständiger in Frankfurt am Main, Maschinenbauingenieur,
Alltags- und Reiseradler, Mitgründer und Betreuer einer
Selbsthilfewerkstatt, Mitinitiator der »AG Verflixtes Schutzblech«.