Ausgabe 9 · Oktober 2009
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Erste Europäische Messe handgebauter Fahrräder
Am 9. und 10. Mai fand in Schwäbisch Gmünd die erste europäische Messe handgebauter Fahrräder, die 1st european handbuilt bicycle Expo statt. Nach dem amerikanischen Vorbild, wo diese Messe seit 5 Jahren eine immer größere Zahl von Ausstellern und Besuchern anzieht, hat der kleine BMX-Hersteller 2soulcycles dieses Experiment gewagt.
Schon die Zahl der angemeldeten Aussteller überraschte. Während die Organisatoren noch bangten, ob sie wenigstens 40 Aussteller zur Deckung der Kosten zusammen bekommen würden, meldeten sich 70 an. Leider wurde dann doch nicht genug die Werbetrommel für das Publikum gerührt, sodass der Großteil der Besucher Fahrrad-Freaks waren, die über das Internet von dieser sehr spannenden Messe erfahren hatten.
Durch ein Missverständnis in der Organisation waren viele davon aus gegangen, dass die Messe bereits am 8. Mai eröffnet wird, so wie es auf der Internetseite am Anfang noch verkündet wurde. Tatsächlich traf man am Freitag die Aussteller beim Aufbauen an und dieser Tag wurde dann großzügig als »Presse und Fachbesuchertag« deklariert. Aber genau dieser Tag entwickelte sich zu einem Segen für die Beteiligten, denn die Aussteller, die meistens nichts voneinander wussten, konnten sich entspannt und ungestresst kennen lernen.
Handbuilt ist mehr als Custom-made
Handbuilt Bicycles steht für Fahrräder, bei denen der Rahmen noch von Hand gelötet wird und Maßanfertigung fast das Normale ist. Custom made, also die Ausstattung nach Kundenwunsch, ist sowieso obligatorisch.
Den größten Anteil stellten Renn- und Reiseräder aus Stahl, aber auch maßgefertigte Karbonrahmen und das altbekannte Pedersen-Rad waren mit von der Partie. Neben Fahrradbau Stolz aus der Schweiz und dem »Giganten« De Rosa aus Italien konnte man kleine Newcommer wie Ulrich Vogel aus Bamberg mit seinen wunderschönen Randonneurs und die zierlichen Renner von Thomas Veidt bewundern, der sich auf kleine Maßrahmen spezialisiert hat. Messebesucher, die größer als 166 cm sind, hat er scherzhaft vom Stand geschickt.
Eine unübersehbare Nische füllte die Firma Fixies, Inc. Sie feiert mit Leidenschaft den einen wahren Gang, der möglichst in einem starren Antrieb verbaut wird. Der Prototyp eines Rades mit unlackiertem, absichtlich angerostetem Rahmen und dem neuen Riemenantrieb von Glide war für die Meisten das »schönste« Rad auf der ganzen Messe.
Von Bambus bis Karbon
Ein Bambusrad mit Karbonverbindungen zeigte den Werkstoffmix mit der größten »Entwicklungs-Spanne«. Während die Bambusräder, die Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut wurden, unter den viel zu starren Metallverbindungen litten und dadurch zu schnell kaputt gingen, wurde hier mit sehr wenig Karbon die optimale Verbindung von sehr altem und sehr neuem »organischen« Werkstoff gefunden. Ein T-Shirt mit der Warnung »Beware of hungry Pandas« warnt den stolzen Bambusrad-Besitzer, sich mit seinem Rad nicht zu dicht an bambusfressende Pandabären heran zu wagen.
Der Eindruck, dass viele Räder im Retro-Look gebaut werden, wich nach genauerem Hinsehen der Erkenntnis, dass es sich hier eher um zeitlose Eleganz handelt, die sich unaufgeregt mit neuester Technik präsentierte.
Der Rahmen ist nicht alles
Was einen guten Rahmen ausmacht zeigten die Aussteller, die als Zulieferer eher im Hintergrund operieren und höchstens bei den Rahmenbauern selber bekannt sind. Nobert Koehn war mit einer Auswahl an Muffen und Anlötteilen anwesend, was unter Hobby-Lötern gerne als die »Quengelware« des Fahrradbaus betrachtet wird, denn wer hätte nicht gerne diese formschönen filigranen Teile, die dem Stahlrahmen diese leichte Eleganz geben. Die Rohrhersteller Columbus und Reynolds waren in dem unerschütterlichen Bewusstsein vertreten, dass sowieso nichts länger lebt, als ein guter Stahlrahmen. Wilfried Schmidt (Schmidt Maschinenbau, SON-Scheinwerfer) hatte sich als Schutz vor Langeweile eine Kiste Schaltringe mitgenommen, an denen er seelenruhig Magneten montierte, um seinem immer noch herrschenden Produktionsrückstand Herr zu werden. Seine Edelux-Scheinwerfer waren an fast jedem straßentauglichen Rad montiert.
Um Farbe zu bekennen, konnte man bei Brandes und Speckesser ein paar Quadratmeter bunter Rahmenrohre bewundern.
Für den deutschen Rahmenbau im größeren Sinne stand Rudolf Pallesen, Norwid, mit einer kleinen Auswahl bereit und präsentierte unter anderem einen mattgrauen Stahlrahmen, der soweit wie möglich mit rot eloxierten Teilen bestückt war. Ein ästhetischer Genuss, der mit seinem leichten Rahmen und der hochwertigen Ausstattung zum sofortigen Losfahren animierte.
In dem Zusammenhang erstaunte, dass weder Achim Nöll noch Thomas Bernds anwesend waren, obwohl gerade erstgenannter den individuellen Rahmenbau in Deutschland vor gut 20 Jahren für das »gemeine Volk« erschwinglich und möglich gemacht hat.
Fließender Übergang zur Kunst
Die Ein-Mann-Firma Cycloholic präsentierte »handmade Bicycles« als Kunstwerk. Neben einem atemberaubenden und fahrbaren Chopper waren bewegliche Skulpturen in den Ausstellungsräumen verteilt, die gelegentlich in Betrieb gesetzt wurden und mit ordentlichem Getöse kleine Kugeln auf abenteuerliche Weise durch unheimlich anmutende Schrott-Gebilde aus Fahrradteilen schickten.
Was in Schwäbisch Gmünd zu sehen war, war wohl möglich die Spitze eines Eisberges. Dies sowohl was die Aussteller, als auch die Besucherzahl angeht. Wer die Szene kennt, hätte noch viel mehr erwartet, denn die Zahl der kleinen Schmieden für individuelle BMX- und MTB-Räder dürfte noch größer sein.
Hoffnung auf 2010
Alle Aussteller lobten die gute Stimmung während des Wochenendes und die offenen Gespräche am gemeinsamen »Barbecue-Abend« am Samstag. Es ist zu hoffen, dass eine Wiederholung der Veranstaltung im nächsten Jahr möglich ist und dass sie noch spannender wird, wenn sich die Palette der Aussteller noch erweitert. Auf jeden Fall könnte sie ein Publikumsmagnet werden, denn die Sehnsucht nach dem eigenen, individuellen Rad, maßgeschneidert und custom made ausgestattet, ist schon lange kein unerfüllbarer Traum mehr. Eine erstaunliche Anzahl Rahmenbauer steht in den Startlöchern, um Kundenwünsche zu erfüllen, auch wenn das eine oder andere Bankkonto dabei in die Knie gehen wird.
Um die Entwicklung dieser Messe verfolgen zu können, wird frameforum.org eine eigene Seite dafür einrichten.
Zur Autorin
Juliane Neuß, von Beruf Technische Assistentin für Metallographie und Werkstoffkunde. Ihre Berufung: Fahrradergonomie. Betreibt seit 1998 nebenberuflich die Firma Junik- Spezialfahrräder und Zubehör, hat 6 Jahre lang die Filiale eines Fahrradladens in Hamburg geleitet und schreibt regelmäßig die »Tech Talks« für die Radwelt (ADFC). Lebt autofrei mit 8 bis 12 Fahrrädern und 8.000 bis 10.000 km pro Jahr.