Ausgabe 34 · Mai 2022
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Per Lastenrad von Weimar nach Athen
»Ist das bio?« werde ich von zwei Männern auf ihren Tourenrädern irgendwo zwischen Regensburg und Passau gefragt, sie blicken dabei auf mein Rad. Ich brauche einen Moment, dann weiß ich, worauf sie hinauswollen: Ja, ich bin ohne E-Unterstützung unterwegs und in gut sechs Wochen will ich in Athen ankommen. Die Männer staunen – vor allem, weil ich solo unterwegs bin und kein klassisches Tourenrad fahre, sondern meine Radreise mit meinem Omnium Cargo bestreite.
Mit ca. 3.000 km und 35.000 Höhenmetern sollte die Reise von Weimar nach Athen für mich die erste Radtour dieser Größenordnung werden, meine bisher längste Tour bin ich von Aachen nach Wien mit klassischem Tourenrad gefahren. Da ich nun im Besitz eines Lastenrads war, das sich super fährt und auch so »leicht« (20 kg) ist, dass Treppen keine Hürde darstellen, war klar: Bikepacking mit dem Gravelbike kann ja jede:r, ich fahr Omnium Cargo.
Von längeren Ausfahrten mit dem Omnium wusste ich, dass es sich auch auf Langstrecken komfortabel und angenehm fahren lässt. Im ersten Lockdown knackte ich damit z. B. erstmals die 300-km-Marke an einem Tag. Bei der sogenannten Schokofahrt, bei der gesegelter Kakao in Amsterdam mit Wind- und Solarenergie zu Schokolade verarbeitet und dann von Freiwilligen mit dem Fahrrad in deutsche Läden transportiert wird, erwies sich das Omnium auch mit schwerer Ladung als treuer Begleiter.
Ende September 2021 startete ich von Weimar, wo ich soeben mein Masterstudium erfolgreich beendet hatte, Richtung Griechenland. Dabei hatte ich einen wasserfesten Packsack auf der Ladefläche und eine extra für das Omnium entwickelte Tasche, die mit Klettverschlüssen unterhalb der Ladefläche befestigt wird, mit allem, was ich unterwegs brauchen würde. Dazu gehörten im Wesentlichen Schlafsack, Luftmatratze, Biwaksack, Tarp, Wechselkleidung, Gaskocher, Werkzeug, Kettenöl, Erste-Hilfe-Packerl und Ladekabel. Obwohl meine Ladefläche viel Platz bietet, versuchte ich, mein Gepäck auf die wichtigsten Dinge zu reduzieren. Die Routenplanung stand grob fest, letztendlich entschied ich aber erst während des Fahrens selbst, welche Wege ich tatsächlich nahm, und nach Übernachtungen hielt ich meist ab dem frühen Nachmittag Ausschau. Warmshowers, 1Nite Tent, Wildcamping, Campingplätze, Hostels und Apartments: Es war von allem was dabei. Wenn ich nachts mein Tarp brauchte, nutzte ich mein Lastenrad zum Aufspannen, so war ich unabhängig von Bäumen o. Ä. und ging sicher, dass niemand mein Rad während des Schlafens entwendete – ich hatte das Tarp als Regenschutz mitgenommen und nutzte es am Ende vor allem zum Schutz vor Wind und Kälte.
Schon an den ersten zwei Tagen fuhr ich jeweils über 1.000 bzw. 1.500 Höhenmeter und dank meiner geländetauglichen Übersetzung (vorne 36|22, hinten 11–36) kam ich auch gut über alle weiteren Berge und Hügel. Am härtesten war der Wurzenpass zwischen Österreich und Slowenien, mit Steigungen über 18 % über mehrere Hundert Meter lange Strecken. Bei der Abfahrt war an Mittreten dann nicht mehr zu denken, ich erreichte mit meinem Omnium Cargo eine neue Höchstgeschwindigkeit von 76 km/h. Ein geniales Gefühl, weil das Rad weiter fahrstabil und sicher rollte.
Das erste Mal zum Schieben zwang mich erst die Bora, ein Fallwind, in Kroatien, die an zwei Tagen meiner Radtour mit Windgeschwindigkeiten bis zu 200 km/h so stark war, dass ich selbst bergab schieben musste und Mühe hatte, überhaupt voranzukommen. Vor einem kurzen Tunnel erwischte mich eine heftige Böe von der Seite, sodass ich vom Fahrrad geweht wurde. Es blieb mein einziger Sturz auf der Reise und zum Glück passierte mir nichts. Am ersten Sturmtag traf ich erst auf einen weiteren Radfahrer, klassisch mit Packtaschen unterwegs, und wenig später begegneten wir einem Wanderer. Und da wir nach meinem Sturz ohnehin überwiegend geschoben hatten, kämpften wir dann einfach zu dritt gegen den Wind. Am zweiten Sturmtag war Radeln um die Mittagszeit herum phasenweise möglich. Hier kam mein Lastenrad erneut zum Einsatz: Ich nahm Thom den 20 kg schweren Wanderrucksack ab und er joggte neben uns her. So schafften wir es in die 40 km entfernte nächste Stadt.
In Albanien traf ich erneut auf einen Radreisenden, der in eine ähnliche Richtung wie ich unterwegs war. Zum Spaß tauschten wir für wenige Kilometer unsere Räder. Erst durch den direkten Vergleich wurde mir bewusst, wie angenehm es war, dass ich das Gewicht meines Gepäcks nicht mitlenken musste, und ich war froh, das Omnium für die Tour gewählt zu haben. Auch in Anbetracht der Gastfreundschaft, die ich insbesondere in Albanien und Nordmazedonien erlebte, war mein Lastenrad von Vorteil: So konnte ich problemlos mal 2 kg Kakis oder Getränke und Gebäck transportieren, die mir geschenkt wurden.
So kam ich reibungslos und happy mit meinem Rad in Athen an. Dort traf ich mich mit einem Freund, wir verbrachten zwei entspannte Wochen auf einer Insel der Kykladen. Hier setzte ich mich dann erstmals ernsthaft mit meiner Rückreise auseinander. Da mein neuer Job im Dezember startete, war klar, dass Radeln keine Option ist, und fliegen wollte ich aus Prinzip nicht. In Kroatien war ich gefragt worden, ob ich mein Rad am Ende der Reise in Athen verkaufen würde, um eine unkompliziertere Rückreise zu haben – eine komplett abwegige Idee, auf die ich niemals selbst gekommen wäre.
Mein Plan war stattdessen, die Fähre nach Piräus zu nehmen, von dort die 230 km nach Patras zu radeln, um dann mit der nächsten Fähre bis nach Venedig zu fahren und den Rest der Strecke zurück nach Thüringen mit Zügen zurückzulegen. Fähre fahren war unproblematisch, Fahrräder kosteten nicht einmal extra. Komplizierter wurde es bei der Bahnfahrt: Die Deutsche Bahn schließt im Fernverkehr die Beförderung von Lastenrädern explizit aus, die Österreichischen Bundesbahnen beschränken die Fahrradbeförderung auf Räder mit einer Länge von 185 cm.
Da die Buchung von Fahrradtickets bei der Deutschen Bahn über Ländergrenzen hinweg nur am Schalter oder telefonisch geht, hängte ich mich in die Warteschlange, wurde noch einmal intern weitergeleitet und erhielt am Ende knapp 50 Minuten später Ticket und Reservierungen für den EC von Venedig nach München, einen ICE nach Nürnberg und einen IC nach Erfurt – im Original per Post nach Erfurt geschickt. Per Expressversand schickte mir mein Mitbewohner das Ticket und alle Reservierungen dann an einen Paketshop in Venedig – aus einer 55-Euro-Rückreise wurde so eine 95-Euro-Rückreise.
Dass ich ein Lastenrad hatte, verschwieg ich bei der Ticketbuchung, um nicht direkt abgewiesen zu werden. Stattdessen hoffte ich darauf, eines von wenigen Rädern zu sein. Vom EC von Venedig nach München, der von den Österreichischen Bundesbahnen bereitgestellt wird, wusste ich, dass dort ein geräumiger Gepäckwagen eingereiht ist, bei dem man, anders als in Deutschland, sein Fahrrad dem Zugpersonal übergibt und am Zielort wiedererhält.
Hier setzte ich darauf, dass mein Lastenrad mitgenommen werden würde. Notfalls unter der Bedingung, dass ich die Ladefläche abmontiere und die Räder ausbaue. Dass ich im ICE/IC mitgenommen werden würde, bezweifelte ich und stellte mich darauf ein, mich ab München entweder mit Regionalzügen durchzuschlagen oder zu radeln.
Zwischen Ankunft der Fähre und Abfahrt des Zuges plante ich einen 8-stündigen Puffer ein. Trotz verspäteter Fähre, meines ersten und einzigen Plattens der gesamten Reise (nach 3.290 km – auch hier ist ein Lastenrad dank des Zweibeinständers praktisch) und des Abstechers zum Paketshop, um meine Tickets einzusammeln, blieb tatsächlich noch etwas Zeit, um mir erstmals Venedig anzuschauen. Die Bikeboxen im schicken Fahrradparkhaus – Fahrräder sind in der Altstadt verboten – waren zwar nicht auf die Länge meines Rades ausgelegt, aber ohne Hinterrad und nach Lösen des Schutzblechs war auch das kein Problem.
Und dann ging es zum Bahnhof Venedig Santa Lucia. Die erste Hürde war schnell geschafft, mein Rad war das einzige und mit dem Hinweis, dass solche Räder normalerweise nicht transportiert würden, durften mein Omnium und ich einsteigen. In München wartete ich am ICE auf die Zugchefin und bat darum, mit meinem Lastenrad einsteigen zu dürfen. Auch hier war mein Rad das einzige und nach dem nächsten Rüffel, was ich mir einbildete, mit diesem Rad einen ICE zu buchen, wurde ich im ICE und dann genauso auch im IC mitgenommen. Zur Nachahmung kann ich das nicht empfehlen, entspanntes Reisen geht anders – aber letztlich kam ich nach sechs Tagen Rückfahrt überraschend problemlos zu Hause an.
Technische Details
Ich habe das Lastenrad gebraucht gekauft und an den Bremsen und der Schaltung nichts verändert, nur halt Kette, Ritzelpaket, Kettenblätter, Bremsbeläge vor den 3.000+ km erneuert und die Bremsen noch mal entlüftet.
Lastenradmodell |
Omnium Cargo (2017), Rahmengröße L, Lenkung über Lenkstange,
Stahlrahmen, Ladefläche vor »hinterem« Steuerrohr/Lenker bis übers
Vorderrad, Maße Ladefläche: 50 cm × 83 cm, mit 5 alten Schläuchen
Transportfläche gewebt und 2 Schläuche zur Befestigung meines
Packsacks und Proviants Länge Rad: 218 cm, Gewicht: ca. 20 kg Neu pulverbeschichtet von Möve – Oberflächenbeschichtung Mühlhausen |
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Griffe | Ride Frozen |
Bremsen (Disk) |
Shigura: Shimano-Deore-XT-Bremsgriffe, Magura-Bremssättel Louise 2007, Bremsscheiben Magura 180 mm |
Schaltung |
2 × 10 Shimano-SLX-Schalthebel Sram X7 2 × 10 Umwerfer, Truvativ-Kettenblätter 36|22 Shimano-Deore-XT-Schaltwerk und Kassette 10-fach, 11–36 |
Lampe vorn |
Mount = 3-D-Druck und Produktdesign eines Freundes (an Gabel montiert, damit sie mitlenkt), B+M Eyce N plus |
Lampen Cargo Rack |
Mount = 3-D-Druck und Produktdesign eines Freundes, B+M Toplight Line Small Dynamorücklicht |
Lampe hinten | B+M Secula plus Rücklicht für Schutzblechmontage |
Nabendynamo | Shutter Precision PD-8 |
Mantel hinten* |
Schwalbe g one allround 35-622 *in Split kaufte ich sicherheitshalber einen Schwalbe-Marathon-Ersatzmantel, weil der aktuelle Mantel schon sehr abgefahren wirkte, musste ihn aber bis zum Schluss nicht austauschen |
Mantel vorn | Schwalbe Marathon Racer 40-406 |
Klickpedale SPD | Shimano |
Aerolenker | 08/15-Teil von Decathlon |
Gepäck |
wasserfester 35-l-Packsack Ortlieb PD350; »Rack«-Tasche Original von Omnium extra fürs Cargo (»The Wedgie bag«) (nicht wasserdicht), linksseitige Version, da rechts Lenkstange, wird unterhalb der Ladefläche mit Klettverschlüssen befestigt; Gepäckgewicht? Keine Ahnung, geschätzt ohne Proviant und Schloss ca. 11 kg, mit Bügelschloss und Proviant etwa 15–16 kg; Rückfahrt ca. 25–30 kg, 2 Rucksäcke |
Zur Autorin
Wiebke Mros (Jahrgang 1995) ist über einen Fahrradkurierjob in die Fahrradblase reingerollt und fährt mittlerweile nicht nur im Alltag Rad, sondern auch in der Freizeit, bergauf und -ab, auf Straßen und im Gelände. Außerdem schraubt sie gerne mal, engagiert sich und arbeitet im Bereich Radverkehr.