Ausgabe 5 · April 2008
Diesen Artikel als PDF
Mehr Power mit »Powergrips«?
Ein Pedalsystem für Reiseradler
Gedanken unterwegs …
Auf längeren Radtouren hat man viel Zeit, sich über die Optimierung seiner Ausrüstung Gedanken zu machen. Jedes Teil, dass frau durch die Landschaft bewegt, wird dreimal umgedreht und beleuchtet: »Wo könnte man noch …?« »Wäre es nicht besser …?« usw.
Pedale waren bei mir bei solchen Grübeleien nur selten Thema, seitdem ich mich nach einigen »Abrutschern«, trotz oft zerkratzter Schienbeine, für flache MTB-Pedale entschieden hatte. Daran befestigte ich die guten, alten Christophe-Rennhaken. Das reichte, um bei meinen angestrebten 90 Umdrehungen pro Minute nicht von den Pedalen zu rutschen. Ich zurrte sie nur ausnahmsweise fest, dementsprechend konnte ich auch nicht richtig ziehen. Ansonsten bemühte ich mich aber redlich um den berühmten »runden Tritt« …
Alle Jahre wieder, nach vielem Hin- und Herknautschen, brachen die Haken – immer an der gleichen Stelle: an dem Auge für die Riemchen. Oder es riss einer der Pedalriemen. Aber LOOK oder andere Systempedale kamen mir nicht in den Sinn. Sie waren mir zu teuer und zu unflexibel, was die Schuhauswahl angeht. So hatte ich mich mit den Schwächen des Systems eigentlich abgefunden bis … ja, bis ich mich dabei ertappte, beim Schuhkauf nur noch darauf zu achten, ob denn auch keine Nähte im Scheuerbereich der Haken seien und mir am Ende immer klobigere Exemplare mit großzügiger Gummikappe zulegte. Mein Reiserad ist nämlich auch mein Alltagsrad und es wurmte mich daher gewaltig, dass die Rennhaken früher oder später jeden Schuh ruinierten.
Das muss doch auch anders gehen …
An dem Rad eines Schweizer Reiseradler, den ich in der Westtürkei traf, entdeckte ich erstmals die »Powergrips« in Aktion. Seit über 15 Jahren wird dieses Pedalsystem von »Mountains Racing Products« (MRP) aus Colorado, USA hergestellt. Die Grundidee ist, einen einzigen Riemen – von oben betrachtet – diagonal zur Pedalspindel zu befestigen (vgl. Bild 1) und damit sowohl Haken als auch Pedalriemchen zu ersetzen. Einmal eingestellt reicht es, die Ferse nach innen zu drehen um den Fuß zu fixieren.
… gesehen, getan!
Zuerst wird die Halterung für den Riemen am Pedal befestigt. Klassische MTB-Pedale haben dazu im Pedalkäfig meist Bohrungen für Reflektoren oder Pedalhaken. Vorhandenes Glitzerwerk muss man leider entfernen – die Hersteller bieten aber auch spezielle, kompatible Reflektoren an. Dann kommt der entscheidende Schritt: die Einstellung der passenden Riemenlänge. Die Riemen werden an der Hinterseite des Pedalkäfigs befestigt (vgl. Bild 2).
Das andere Ende wird an einer Halterung (vgl. Bild 3) an der Vorderseite mit einer Inbusschraube festgeklemmt (vgl. Bild 4). An dieser Stelle lässt sich dann die Länge des Riemens variieren. Welche Einstellung optimal ist, hängt von den Maßen des Schuhs ab und muss ausprobiert werden. Zur Beruhigung: Wenn man nicht zu hohe Anforderungen an die Kraftübertragung stellt, lässt sich eine Länge finden, die einen guten Kompromiss für verschiedene Schuhe darstellt. Das System fährt sich gut. Den Ein- und Ausstieg lernt man schnell, ich finde ihn eher einfacher als mit anderen Pedalsystemen (vgl. Bild 5–7). Der Schuh »sitzt«, ohne das frau sich zum Anziehen der Pedalriemen herunterbeugen muss. Auch mit hoher Trittfrequenz lässt es sich gut kurbeln.
Schattenseiten?
… hat das System natürlich auch: Am Pedal »ziehen« klappt nicht ganz so gut. Das geht mit stramm angezogenen Rennhaken oder nicht zu leichtgängig eingestellten Systempedalen besser. Frau »erntet« unterwegs die Mühe, die sie sich zu Hause beim Austüfteln der optimalen Einstellung gemacht hat. Das macht sich gerade dann bemerkbar, wenn es bei längeren Passauffahrten ans »Eingemachte« geht. Vor allem RadlerInnen mit empfindlichen Knien oder Vorschäden sollten in bergigen Gegenden vorsichtig sein, weil das Gelenk aufgrund der Fixierungsmethode einer leichten Rotationsbelastung ausgesetzt wird, wenn die Bindung maximal vorgespannt ist.
Ansonsten fällt meine Bilanz jedoch positiv aus. Gerade Reiseradler, die länger unterwegs sind, werden sich über die Unabhängigkeit beim Schuhkauf freuen. Denn frau sitzt schließlich nicht nur im Sattel und macht vielleicht auch mal längere Ausflüge zu Fuß. Zudem gehen Schuhe auch mal unwiderruflich »in die ewigen Jagdgründe ein« und dann muss man damit weiterfahren, was vor Ort erhältlich ist. Powergrips lassen sich auch in Trekking-Sandalen (Bild 8), – mit Stahlrennhaken oft eine schmerzhafte Angelegenheit – und sogar in klobigen Wanderschuhen gut fahren.
Das System ist dabei erstaunlich haltbar. Die Powergrips auf den Photos haben über 3 Jahre intensive Nutzung im Alltag und auf Reisen hinter sich. Ganz sparsame Gemüter könnten sich vor der Montage eine Schablone der Riemen anfertigen und sich in den folgenden Jahren auf die Suche nach einem geeigneten Material für den Ersatz begeben. Das Originalmaterial ist steif, scheuerfest und dehnungsarm. Positiv fällt zudem ins Gewicht, dass die Riemen auch einzeln nachbestellt werden können. Nicht zuletzt ist das System angesichts der Haltbarkeit auch relativ preiswert.
Fazit
Powergrips bieten guten Halt auf dem Pedal, Ein- und Ausstieg klappt ohne viel Fummelei und sie machen unabhängig von der bei Systempedalen beschränkten Auswahl an speziellen »Radschuhen«. Darüber hinaus sind die »Grips« langlebig und kosten kein Vermögen.
Ausgesprochene SportlerInnen und Menschen mit Knieschäden werden mit Powergrips nicht glücklich. Für Reise- und Alltagsradler ist dieses Pedalsystem aber eine ernstzunehmende Alternative zu »Klickis« und Co. … und eine schuhfreundliche sowieso!
Auch lesenswert hierzu.
Zum Autor
Stefan Buballa, Arzt, Alltags- und Reiseradler, Selbstbau eines
Reiserades und eines Alltags-Kurzliegers. Er ist fasziniert von der
Schlichtheit und ökologischen Effizienz muskelkraftbetriebener
Fahrzeuge.
Besondere Interessen: Ergonomische und leistungsphysiologische
Aspekte.
Besondere Schwächen: Radreisen in Afrika und Nahost …