Fahrradzukunft

Ausgabe 41 · Juli 2025

Spezi – quo vadis?

Gedanken zur Spezialradmesse 2025 in Lauchringen

von Stefan Buballa

Viele Jahre bin ich gepilgert … gepilgert ins Mekka der Fahrradinnovation, der kreativen Tüfteleien und netten Spinnereien. Viele Jahre gings immer wieder ins frühlingshafte Germersheim – milde Luft, Sonnenschein, Zelten auf dem Campingplatz in der alten Ziegelei oder auch schon mal in den Wiesen am Rhein. Die Anreise aus der Schweiz war mir nie zu weit. Spezi war immer ein fester Bezugspunkt in meinem Radfahr-Jahreskreis.

Schon der Weg durch das pittoreske Städtchen zu den Ausstellungshallen war spannend: Je näher man kam, desto mehr konnte man interessante, kühne oder einfach nur verrückte Fahrradkonstruktionen von BesucherInnen bewundern. An jeder Ecke ums Gelände gab es etwas zu bestaunen, ein witziges Detail zu fotografieren oder über besonders »mutige« Konstruktionen zu schmunzeln. Und diese Vielfalt, die etwas ausgeflippte Art spiegelte sich auch ein wenig in den Hallen wider. Wir mit der »Fahrradzukunft« waren mit unserem Stand oft in Halle 3, wo auch viele nicht kommerzielle Initiativen und Start-ups sich vorstellten … Die ganze Messe war ein Happening, das durchdrungen war von der Suche nach immer besseren Wegen, das Prinzip Fahrrad weiterzuentwickeln und dabei immer effizienter die spärliche menschliche Körperkraft in Vortrieb oder Transportleistung zu verwandeln. Den Horizont dessen zu erweitern, was alles geht! Die Spezi, das war auch DAS Wochenende im Jahr, um andere Fahrradverrückte aus der Szene wiederzutreffen, zu quatschen und zu träumen.

Aber 2025 ist ausgeträumt!

Die Fahrradfeststimmung ist weg

Bei allen Bemühungen der Aussteller – in dem Dörfchen Lauchringen, gefühlt »am Ende der Welt«, wirkt die Spezi wie ein Fremdkörper. Das merkt mensch schon bei der Anfahrt – nicht mal Ansätze einer lokalen Alltagsradkultur … das war im studentisch geprägten Germersheim anders. Und dementsprechend gibt’s auch nicht mehr das »kreative Gewusel« der verrückten Eigenkonstruktionen rund um die Hallen.

Und »drinnen«?

Der Testparcours beginnt jetzt »indoor« quer durch die Hallen. Ein Vorteil bei Regen – oder einfach ein Zugeständnis an die neue Klientel, der man die Auseinandersetzung mit Wind und Wetter genauso wenig zumuten kann wie die mit den eigenen körperlichen Grenzen? Und damit auch wirklich niemand mehr denkt, der Aufbruch »in die neue Fahrradwelt« habe irgendetwas Anarchisches: andauernd Ordner und Schranken, die verhindern, dass zu Fuß gehende Besucher »einfach so rumlaufen« und den »Verkehr stören« … fast wie im »richtigen« Leben!

Bei den Ausstellern dominieren dabei immer massiver und größer werdende, voll motorisierte Drei- und Vierräder. Ergonomie und Aerodynamik? Wozu das denn? Schließlich gibt es ja immer leistungsstärkere Motoren und ausdauernde Batterien! Was stört es da, wenn im Komponentenbereich ein Faltpedal fast EIN Kilo wiegt … oder ein sackschwerer Wohnwagen den Berg raufgezerrt werden soll. Auch von diesen Ungetümen gab es in Lauchringen etliche. Neue Liegeradkonzepte – gar muskelkraftbetrieben?! Weitgehend Fehlanzeige!

Eines der wenigen innovativen Start-ups auf der Messe kam aus einem Nachbarland: la MAD ist eine Kooperative verschiedener kleiner Produzenten in Frankreich, die sich die nachhaltige Entwicklung von Lastenrädern, Anhängern und sogar Komponenten auf die Fahnen geschrieben hat.

Bild 1: Ein Flyer der Kooperative, der einen Überblick über die beteiligten Unternehmen in Frankreich gibt

Besonders interessant war ein Familienlastenrad, das von Miel d’Ours (»Bärenhonig«) in Montauban hergestellt wird. Eine sehr schön gefertigte Maschine, mit vielen pfiffigen Details, die von echter Handwerkskunst zeugen. Der Lastenkorb lässt sich dabei flexibel zum Transport von Kindern oder Einkäufen nutzen.

Bild 2: Das Familienlastenrad von Miel d’Ours, Montauban

Ein Blick zurück nach vorn!

Dabei ging es vor fast 100 Jahren schon mal ganz anders. Am Stand von Cyclauto, einem ulkig-nostalgisch wirkenden Lastendreirad, kam ich mit dem Firmengründer ins Gespräch. Ins Leben gerufen wurde der Betrieb erst vor einigen Jahren, dem Trend entsprechend ist das Teil natürlich auch motorisiert – das Produkt aber stamme eigentlich von seinem Großvater. Wie das?! Damals, in den 1930er Jahren, gehörte Indochina noch ganz selbstverständlich zu Frankreich. Und wenngleich man gegen den Kolonialismus nichts einzuwenden hatte, stieß sich der Zeitgeist doch an den schwitzenden Rikscha-Kulis. Diese zogen im Laufschritt tagaus, tagein Mensch und Last durch Hanoi und Saigon. Eine effizientere und »humanere« Lösung musste her – Cyclauto war geboren.

Ob dieses Dreirad in Südostasien Menschen das Leben erleichtert hat, habe ich nicht herausgefunden. Aber im Frankreich der Zwischenkriegszeit traf es ins Schwarze: Mitte der 1930er Jahre herrschte Wirtschaftskrise, Benzin war Mangelware und teuer. Dass das Cyclauto keinen anderen Antrieb als die Muskelkraft hatte, war daher kein Manko, sondern ein unschlagbarer Vorteil.

Bild 3: Reproduktion eines Plakats aus den 1930er Jahren: Cyclauto transportiert ganz ohne Benzin bis zu 250 kg!

Und so kam es, dass in dieser Zeit über 2.000 dieser Transporträder verkauft und genutzt wurden. Und zwar nicht, um die Kids stilvoll vom Waldorfkindergarten abzuholen, sondern als Lastentransporter in der Stadt. In Grenoble z. B. gab es eine ganze Heerschar von diesen Maschinen, die dann die Verteilung von Gütern nach Antransport am Bahnhof bewerkstelligten. Was bereits vor vielen Jahrzehnten ökologisch und effizient möglich war, könnte auch heute in die Zukunft weisen, wo uns geschicktes Marketing glauben machen möchte, dass auch die kleinsten Alltagsaufgaben nur noch mit Vollmotorisierung zu bewerkstelligen sind.

Fazit

Die Party ist aus – alle Kreativität, mit der man früher auf der Spezialradmesse versuchte, via Ergonomie oder Aerodynamik das Maximum an Leistung aus unserer begrenzten körperlichen Leistungsfähigkeit rauszukitzeln, ist verschwunden. Die Spezi ist so, wie sie jetzt ist, überflüssig. Aber es gibt auch heute andere, kreative Ansätze – die auf der Messe um sich greifende »Vollautomobilisierung« ist keineswegs alternativlos!

In diesem Sinne: Zurück in die Zukunft!

2026 wird die Spezi vom abgelegenen Lauchringen ins hippe Freiburg verlegt. Freiburg ist eine klassische Studentenstadt – mit jeder Menge Muskelkraft-Alltags-Radverkehr – und dicht an Frankreich gelegen. Ist damit eine Neuorientierung vorstellbar?

Zum Autor

Stefan Buballa, Arzt, Alltags- und Reiseradler. Selbstbau eines Reiserades und eines Alltags-Kurzliegers. Er ist fasziniert von der Schlichtheit und ökologischen Effizienz muskelkraftbetriebener Fahrzeuge. Besondere Interessen: ergonomische und leistungsphysiologische Aspekte. Besondere Schwächen: Radreisen in Afrika und Nahost ...