Fahrradzukunft

Ausgabe 41 · Juli 2025

Mein Lieblingsrad: R&M Birdy red von 1996

von Andreas Oehler

Ich hatte gerade bei meinem neuen Arbeitgeber angefangen und stand 1996 zum ersten Mal als Aussteller auf einer Fahrradmesse, der IFMA in Köln – wenn auch noch im Bereich der »Erfinder«. Neben uns stellten zwei junge Ingenieure stolz ihr neues Faltrad vor: sportliche Sitzposition, voll gefedert, leicht, außergewöhnliches Design. Ich war angefixt. Das wollte ich haben – zur Mitnahme in der Bahn, für Dienstreisen oder zu Wochenendveranstaltungen im Ehrenamt. Es gab drei Varianten: »green« mit Nabenschaltung und aufrechterem Vorbau, Schutzblechen und Gepäckträger, »blue« mit 3 × 7-Gangschaltung und »red«, die leichte Basisvariante mit kurzem, sportlichem Vorbau und 7-Gang-Kettenschaltung.

Bild 1: Mein Birdy – gefaltet und auf neue Abenteuer wartend

Erster Liebeskummer

Das Birdy red wurde es dann – mein Dienstfahrzeug. Die erste Begeisterung wurde bald von der Praxis getrübt: Das Fahrverhalten war sehr zappelig – an freihändiges Fahren nicht zu denken. Die eingelenkigen, langschenkeligen Felgenbremsen mit langen Bowdenzügen sorgten für sehr schlappe Bremswirkung. Die Schutzbleche waren kurz und flatterten ohne Streben wild herum (und zerbrachen schnell). Die montierte No-Name-Kinderradbereifung lief unrund, schwerfällig und war sehr pannenanfällig. Beim Falten fiel häufig die Kette herunter und das gefaltete Paket kippte im Zug leicht um. Gepäckmitnahme ging nur mittels Rucksacks. Der damals verfügbare Gepäckträger war ähnlich untauglich wie der hintere Gepäckträger am Brompton heute noch. Die Rennradübersetzung mit 56-Zähne-Kettenblatt auf 11–28 Zähne hinten ließ an Bergtouren mit Gepäck aber eh nicht denken. Zudem waren die Laufräder mit ihren 24 Speichen vorn und hinten schlecht eingespeicht und machten ständig Knackgeräusche.

Trotzdem machte das Fahren immensen Spaß – das geringe Gewicht, das knallige Rot, die neugierigen Blicke der Passanten wegen des ungewöhnlichen Designs.

Das neue Einspeichen des Hinterrads, Nabendynamo vorne samt Halogen-Doppelscheinwerfer am dafür mutig durchbohrten Vorbau, der schlankere Sattel, robustere Kinderradschutzbleche mit Streben sowie eine Aufnahme für den Lastenanhänger sorgten dafür, dass es bei vielen Wochenendveranstaltungen zum Einsatz kam.

Nervig blieben die schlechten Bremsen und die mangelnde Gepäckmitnahmemöglichkeit. Riese & Müller hatte parallel das Birdy weiterentwicklet und V-Brakes verbaut, einen schicken Faltgepäckträger hinten und Lowrider vorne. Leider alles an mein altes Schätzchen nicht nachrüstbar.

Gebrochenes Herz und Neuanfang

2014 gab es am Birdy viele Änderungen. Ich war als Aussteller auf der Spezialradmesse in Germersheim gewesen und auf dem Weg zum Bahnhof war die Zeit knapp. Schon am Vortag war das Fahrverhalten auf den 10 km zu meinem Dachgeber-Übernachtungsquartier merkwürdig gewesen. Nun drehte sich beim Bremsen an einer Kreuzung plötzlich das Vorderrad quer und ich flog über den Lenker. Die Klemmung der Gabel am Schaftrohr war durchgerissen! Ich fluchte heftig und schleppte das Wrack zum Bahnhof, wo ich gerade noch meinen Zug erreichte. Mitreisende halfen mir, meine blutenden Schürfwunden halbwegs zu verarzten.

Bild 2: Riss im Gabelkopf – leider bei alten Birdys kein Einzelfall

Was tun? Eine Ersatzgabel mit V-Brake Aufnahme wäre beschaffbar gewesen. Ich hatte aber den Ehrgeiz, die mittlerweile verfügbare Gabel mit Scheibenbremsaufnahme nachzurüsten, um endlich ernsthafte Bremsverzögerung und Standfestigkeit auch bei langen Bergabfahrten mit ordentlich Zuladung zu erreichen. Zudem wollte ich mit der neuen Gabel den Lowrider-Gepäckträger dort nutzen. Riese & Müller zeigte sich unbeeindruckt von der Schilderung meines Unfalls. Ich hätte eh alle 3 Jahre zumindest den Klappvorbau tauschen sollen. Und an meinem alten Rahmen dürfe ich definitiv keine Scheibenbremsgabel nachrüsten.

Durch ein Missverständnis gelangte ich dann aber doch an eine Disc-Gabel samt Lowrider – die ich (unvernünftig) am alten Vorbau montierte. Neuere Vorbauten hätten die gewünscht sportliche Sitzposition nicht mehr geboten.

Bild 3: Mein Birdy mit Disc-Gabel und kleinem Kettenblatt

Ich nutzte die Gelegenheit, die Kurbel durch eine Sunrace mit 48 Zähnen zu ersetzen und die Kassette auf 11–34 Zähne umzurüsten, um damit deutlich berggängiger zu werden. Vorne wurde ein Disc-Nabendynamo und eine Avid BB7 mit 160-mm-Scheibe nachgerüstet.

Bei der ersten Dienstreise damit sorgte in Berlin ein vor mir die Fahrertür aufreißender Taxifahrer dafür, dass ich vorne (gewohnt brutal in die Bremsgriffe greifend) überbremste und elegant weiterlaufend über den Lenker abstieg.

Neues Glück auf Reisen

Bald darauf waren Fernreisen mit Rad, Zelt und Kochgeschirr in die Bretagne und in Deutschland geplant, Platzreservierungen fürs Fahrrad aber nicht mehr zu bekommen. Also montierte ich eine Lenkertasche und adaptierte große Carradice-Gepäckträgertaschen, sodass sie spielfrei auf den Lowrider-Streben sitzen. So passten 2-Personen-Zelt, Schlafsack, Trangia und ein paar Klamotten für 3 Wochen Radreise ans Birdy. Das Fahrverhalten bleibt bescheiden, aber man kommt mit Gepäck auch ernstzunehmende Passstraßen hoch und sicher wieder hinunter.

Bild 4: Mein Birdy mit Packtaschen, Zelt und Schlafsack für größere Reisen
Bild 5: Carradice-Packtasche mit Aluminium-Fußbodenleiste statt Hakenschiene für maximal hohe, steife und verrutschsichere Befestigung am überlasteten Lowrider

Dieses Jahr war ich mit einem Kollegen der Fahrradzukunft-Redaktion auf Osterradtour von Basel nach Tübingen. Das Birdy schlug sich hier tapfer gegen das nagelneue Reiserad des Kollegen. Nur ging während der Fahrt unbemerkt das 29 Jahre alte Elastomer der Hinterradschwinge verloren. Erstaunlicherweise wurde das Fahrverhalten sogar eher besser – die Lenkung neigte weniger zum Flattern. Was tun in so einem Fall? Viel Hoffnung hatte ich nicht, kurzfristig ein original Birdy-Elastomer in einem Radladen am Wege aufzutreiben. Zunächst bot sich die Gelegenheit, das gekürzte PU-Schaum-Elastomer eines Bernds-Faltrads einzubauen. Das erwies sich aber als wesentlich zu weich. Versuche mit Schlauchschellen wurden erwogen. Dann fand sich erstaunlicherweise doch ein Händler, der in einer Schublade Birdy-Elastomere fand und für erfreulich günstige 8 € verkaufte! Der Versuch durch Wahl des harten grünen (statt des zuvor verbauten weicheren roten) Elastomers brachte wenig fühlbaren Unterschied bei Federungskomfort und Flatterneigung. Mutig mit der Säge des Schweizer Taschenmessers um 8 mm gekürzt, fährt es sich anders – aber es flattert immer noch.

Auf derselben Tour versagte der Freilauf der originalen Shimano-Hinterradnabe. Auch hier hatte ich Glück und fand am Ostersamstag einen kleinen Radladen mit passender 7-fach-Kassette und Bereitschaft, mich diese in seiner Werkstatt austauschen zu lassen.

Bild 6: Der glückliche Autor – während einer Radreise eine neue Kassette montierend

Alte Liebe rostet nicht

Noch immer bereitet mir das Birdy große Freude. Das klassische Design mit klaren zylindrischen und rechtwinkeligen Rohrquerschnitten gefällt mir. Der »Hydroforming«-Geometrie der neueren Birdys kann ich nichts abgewinnen.

Bei der An- und Abreise per Fernzug sorgt das Reise-Birdy für tiefen Seelenfrieden und Freiheitsgefühl statt der ständigen Angst, mit wegfallender Fahrradreservierung in der Hauptreisezeit irgendwo mit dem »großen« Reiserad zu stranden.

Nun lese ich, dass Riese & Müller 2025 den Verkauf des Birdys einstellen will – nach 30 Jahren. Das ist traurig. Andererseits wird der reale Produzent des Birdy-Rahmens Pacific-Cycles in Taiwan das Birdy unter eigenem Dach weiterführen. Es soll sogar Neuinterpretationen mit Rennlenker und klassischen Rohrformen geben. So schnell werde ich meinem alten Schätzchen aber nicht untreu!

Zum Autor

Andreas Oehler (Jg. 1966) arbeitet als Maschinenbauingenieur beim Fahrradbeleuchtungshersteller Schmidt Maschinenbau.