Fahrradzukunft

Ausgabe 41 · Juli 2025

Eine Fahrradzukunft in Madagaskar

von Maja Burggaller (Ny Hary Deutschland e. V.)

In einem Land, in dem es einen nur in Ansätzen existierenden öffentlichen Nahverkehr gibt und sich nur die wenigsten ein eigenes Auto leisten können, liegt nichts näher als ein Fahrrad, um von A nach B zu kommen. Genau so ist die Situation in Madagaskar, der weltweit viertgrößten Insel und eines der wirtschaftlich ärmsten Länder der Erde, vor der Ostküste Afrikas im Indischen Ozean gelegen.

Bild 1: Madagaskar – viertgrößte Insel der Welt und wirtschaftlich eines der ärmsten Länder

Hier werden Transportgüter aller Art auf dem Kopf getragen, mit Karren durch menschliche Armkraft oder von Ochsen gezogen – oder eben von Fahrrädern transportiert. Und die glücklichen Menschen, die ein Fahrrad ihr Eigen nennen oder sich eines von den Nachbar*innen leihen können, legen ihre kürzeren oder längeren Wege meist auf holprigen, staubigen Schotterstraßen zurück.

Bild 2: Altes Fahrrad – wichtiges Verkehrsmittel

Da es in Madagaskar an vielem fehlt, gibt es für junge Menschen sehr wenige Möglichkeiten der beruflichen Orientierung, Ausbildung und Perspektive – außer der Arbeit auf den heimischen Feldern.

Hier setzt der Verein Ny Hary Deutschland e. V. seit über 20 Jahren an: Im ländlichen Miarinarivo, ca. 80 km westlich der Hauptstadt Antananarivo gelegen, hat Ny Hary das Jugendzentrum ALABRI errichtet – mit einer täglichen Schülerspeisung für 250 Kinder, einem Schülerwohnheim für 52 Jugendliche und vielen außerschulischen Bildungsangeboten.

Was bedeutet Ny Hary?
Ny Hary steht dafür, »sich eine Lebensaufgabe zu geben«, und ist sowohl der Name unseres Vereins als auch unser Ziel. Wir möchten dazu beitragen, dass junge Madagass*innen das natürliche, kulturelle und wirtschaftliche Potenzial Madagaskars nachhaltig nutzen lernen.

Bild 3: Grundschulkinder in der Schülerspeisung im Zentrum ALABRI
Bild 4: Hausaufgabenbetreuung in der Bibliothek im Zentrum ALABRI

Die Fahrradwerkstatt

Als neuestes Projekt wird aktuell vor Ort eine Werkstatt für Fahrradmechanik eingerichtet, die gleichzeitig als Ausbildungsbetrieb dient. Hier wird nicht nur Jugendlichen das Reparierhandwerk beigebracht. Gleichzeitig werden Multiplikator*innen ausgebildet, die wiederum das Gelernte weitergeben können.

Mit dieser Ausbildungsförderung soll ein Beitrag zu einem wirtschaftlich unabhängigeren und finanziell gesicherteren Leben der Jugendlichen geleistet werden – also eine echte Fahrradzukunft!

Es geht los!

Die ersten 15, größtenteils von der Basler Polizei gespendeten Fahrräder sind per Container im Zentrum ALABRI angekommen und dienen als erste Versuchs-, Anschauungs- und Demonstrationsobjekte. In den noch provisorischen Werkstatträumen wurden von dem seit Kurzem im Zentrum ALABRI fest angestellten Fahrrad-Werkstattleiter Montageständer aufgestellt und erste Arbeitsplätze mit dem mitgelieferten Werkzeug eingerichtet.

Bild 5: Die ersten Montageständer sind einsatzbereit.
Bild 6: Erste Werkzeuge haben ihren Platz gefunden.
Bild 7: Der Werkstattleiter Miranto im Zentrum ALABRI

Das dafür benötigte Mobiliar wie bspw. die Werkbänke wird jetzt gemeinsam mit den Jugendlichen hergestellt. So haben sie die Möglichkeit, eine höhere emotionale Bindung und gleichzeitige Wertschätzung der Werkstatt gegenüber zu entwickeln. Parallel dazu finden auch schon erste Übungsworkshops statt, in denen Grundwissen und Grundbegriffe vermittelt werden.

Bild 8: Learning by doing

Ende Juli 2025 wird ein Schweizer Berufsschullehrer zwei Wochen im Zentrum ALABRI verbringen, um ein Train-the-Trainer-Programm durchzuführen. Er wird von einem madagassischen Übersetzer begleitet, um die Sprachbarrieren möglichst niedrig zu halten.

Die benötigten Ausbildungsunterlagen wurden inzwischen auf Deutsch fertiggestellt und werden gerade ins Französische und auch ins Malagasy übersetzt.

Bild 9: Hier wird der Schlauch noch geflickt und nicht einfach ausgetauscht.

Da die jetzigen Werkstatträume nur provisorischer Art sind, konnten durch Ny Hary Deutschland Fördergelder für den Bau einer umfangreicheren Werkstatt eingeworben werden. Die Bauplanung durch die ehrenamtliche Arbeit eines Schweizer Architekten liegt vor, sodass in absehbarer Zeit ein lokales Bauunternehmen die Arbeiten durchführen wird.

Bild 10: Ungewohnte Arbeitsumgebung für hiesige Indoor-Schrauber*innen
Bild 11: Gemeinsam lernen macht Spaß!

Die Planung sieht vor, dass zu Beginn des neuen Schuljahrs (voraussichtlich Oktober 2025) die regelmäßigen und umfangreicheren Ausbildungsworkshops in Fahrradmechanik starten können.

Hierbei geht es nicht um hohe Ingenieurskunst und Spezialistenwissen, wie sie in der Fahrradzukunft sonst oft Thema sind. Es handelt sich vielmehr um ganz rudimentäre Basiskenntnisse, um mit dem zur Verfügung stehenden Material möglichst simpel ein defektes Fahrrad fahrtüchtig zu machen. Und das ist unter den gegebenen Umständen sicher auch eine Kunst!

Der Verein Ny Hary Deutschland e.V. kann noch Unterstützung bei dem Projekt gebrauchen! Falls ihr also Erfahrung in der Ausbildung von Jugendlichen habt, ein ähnliches Projekt in einem anderen Land kennt, Ideen zur Materialbeschaffung habt oder einfach nur an der Arbeit des Vereins interessiert seid, wendet euch bitte an mitteilung@ny-hary.de oder informiert euch auf unserer Seite Ny Hary.

Zur Autorin

Maja Burggaller, freischaffende Grafikdesignerin und Kunstpädagogin in Berlin, Allwetterradlerin und Selber-Repariererin diverser unmotorisierter Zweiräder. Sie ist seit den Anfangstagen 2012 dem Schülerwohnheim-Projekt auf Madagaskar verbunden, hat es vor mehreren Jahren besucht und engagiert sich ehrenamtlich in der Öffentlichkeitsarbeit bei Ny Hary Deutschland e. V.