Ausgabe 40 · März 2025
Frauen fahren Fahrrad
Beim Fahrradkauf werden sie häufig falsch beraten. Sind sie selbst schuld?
von Juliane Neuß
Vor über 20 Jahren fragte ein Team des Frauenmagazins »Freundin« seine Leserinnen, wie sie sich ein gutes Frauenfahrrad vorstellen. Aus dem Umfrageergebnis wurde von der Firma Winora ein »perfektes« Frauenfahrrad gebaut. Wie es aussah? Es entsprach dem damaligen Klischee: tiefer Einstieg, 3-Gang-Nabe, Rücktrittbremse, breiter Sattel, hoher Lenker und Vorderradkorb.
Wenn damals ein Paar in den Laden kam und jeder sich ein neues Rad kaufen wollte, war die Ansage vom Mann: und für mich was Sportliches! Gemeinsames Fahrradfahren war somit unmöglich.
In meinen Beratungen treffe ich immer noch auf Frauen, die sich von ihren Partnern (oder anderen männlichen Freunden) die Wahl des Fahrrads und der Komponenten abnehmen lassen und vor allem selten hinterfragen, ob diese Auswahl wirklich richtig ist. Das geht durch alle Sparten. Ob Trekking-, Gravel- oder Rennrad, selten werden die echten weiblichen Bedürfnisse berücksichtigt. Und die sind eben nicht nur der Sattel und die Rahmengeometrie. Oft sind es auch massive Falschinformationen, die den Frauen anschließend das Radfahren verleiden.
Frauen, die zu mir in die Ergonomieberatung kommen, wollen richtig viel Fahrrad fahren. Tagesetappen von 100–200 km gehören zu ihren Strecken, dabei sind sie nicht zwangsläufig Rennradfahrerinnen, aber sie scheitern schon im Alltag an den einfachsten Details.

Rahmenbau
Im Rahmenbau herrschte in den letzten Jahren die Auffassung, dass Frauen kürzere Rahmen und höhere Lenker bräuchten. Das ist in den meisten Fällen falsch. Dass Frauen grundsätzlich lange Beine und kurze Oberkörper hätten, ist ein Märchen und eher Wunschdenken als Wirklichkeit. Bei allen Ergonomieberatungen in den letzten 20 Jahren konnte ich feststellen, dass die statistische Verteilung von Bein- und Oberkörperlängen völlig beliebig und geschlechtsübergreifend gemischt ist. Der größte Unterschied innerhalb desselben Jahrgangs ist immer noch, dass Frauen meistens kleiner sind als Männer. Dieser Größenunterschied ist zum größten Teil der unterschiedlichen Beinlänge zuzuschreiben. Die Rückenlänge unterscheidet sich nur geringfügig. Deswegen brauchen besonders die kleinen Frauen (unter 170 cm) proportional längere Fahrräder. Frauen erkennen häufig, dass sie mehr Länge auf dem Fahrrad brauchen und formulieren das auch beim Kauf, werden dann aber von dem Verkäufer (oder dem schlauen Partner) daran gehindert, sich die größere Geometrie auszusuchen.
Sättel und Sitzposition
Der größte Mythos sind Sättel. Es besteht immer noch die Vorstellung, dass Frauen Frauensättel bräuchten, die breiter sind als die Männersättel. Frauensättel sind zu einer Zeit entstanden, als die größte Sorge darin bestand, Knitterfalten in den Rock zu bekommen. Deswegen durften Frauen mit kurzen, tief eingestellten Sätteln fahren, die Falten möglichst vermeiden. Das ist ungefähr 100 Jahre her. Wenn eine Frau Touren fährt und eine ergonomisch sinnvolle und sportliche Position einnimmt, dann sitzt sie genauso wie der Mann auf dem vorderen Beckenbereich, den Schambeinbögen. Der viel zitierte breite Sitzbeinhöcker-Abstand spielt beim sportlichen Radfahren mit geneigter Sitzposition keine Rolle.

Sättel müssen einfach nur schlank sein, damit die Oberschenkel seitlich dran vorbeikommen und sich mit der Sattelschale der Beckenwölbung anpassen. Damit kommen wir zu einem anderen grundlegenden Problem.
Fast alle Sättel, die schlank gebaut und somit fürs Langstreckenfahren prädestiniert sind, sind für Fahrergewichte von 70–80 kg (oder höher) ausgelegt. Eine sportliche Frau, die kleiner als 170 cm ist, bringt in der Regel 50–65 kg auf die Waage. Damit scheiden alle Sättel aus, die sich in diesem Bereich nicht der Beckenwölbung anpassen. Dummerweise haben Frauen auch noch ein stärker gewölbtes Becken, sodass diese Anpassung der Wölbung doppelt wichtig wäre. Wenn sich die Sattelschale nicht anpasst, gibt es eine punktuelle Belastung, die schmerzhaft ist.
Zu den Sattelmythen gehört auch die Vorstellung, man müsste unbedingt mit einer gepolsterten Radfahrhose fahren. Vor 40 Jahren hatten Radfahrhosen eine dünne Einlage aus Wildleder, deren Nähte so angeordnet waren, dass sie nicht an der Innenseite der Oberschenkel scheuerten. Sie wurden ohne Unterwäsche getragen. Die heutigen gepolsterten Radfahrhosen erzeugen durch die Dicke des Polsters den gleichen Effekt, als säße man auf einem zu breiten Sattel: Man rutscht nach vorn auf die Sattelnase, weil man an der Sattelflanke nicht genug Platz für die Oberschenkel hat. Die Sattelnase ist nicht zum Sitzen geeignet, es kommt zu einer sehr kleinen Auflagefläche und sehr hoher Druckbelastung.
Für Frauen ist es wichtig, die richtige Unterwäsche zu tragen. Ein Stringtanga wäre so ziemlich der größte Fehler, aber auch der Stil einer »Boxershort« mit längerem Beinanteil ist nicht sinnvoll. Am besten eignen sich Unterhosen, die einen mäßig breiten Zwickel haben, in dem die Schamlippen seitlich zusammengefasst werden und dadurch eine gute Auflagefläche bilden.
Sowohl Mann als auch Frau sitzen beim ergonomisch korrekten Radfahren nicht auf den Sitzbeinhöckern, sondern auf dem vorderen Bereich der Schambeinkufen, und dann sogar oft so weit vorn, dass Schambeinsymphyse und Venushügel belastet werden.
Frauen können und müssen die Sattelnase tiefer einstellen als Männer. Der oft beschworene waagerecht eingestellte Sattel ist eine Forderung aus dem Hochleistungssport, bei dem mit der Sattelstellung die mögliche Aerodynamik kontrolliert wird. Für eine aerodynamisch günstige Sitzposition müsste das Becken nach vorn gekippt werden, damit die Blutversorgung der Beine nicht gestört wird. Kann das Becken nur bis zur Waagerechten gekippt werden, ist eine tiefere Position ohne gesundheitliche Spätschäden nicht möglich (und wird dann doch mit sehr krummem Rücken eingenommen).
Für Frauen im Sport ist eine Sattelneigung von über 10° durchaus sinnvoll und meistens auch problemlos fahrbar. Wenn der Sattel passt, rutscht man von einem geneigten Sattel nicht runter.
Sattelhöhe und Kurbellänge
Die Sattelhöhe muss so eingestellt sein, dass man mit leicht gestrecktem Fuß das unten stehende Pedal erreicht. Das wäre dann die maximal mögliche Sattelhöhe, damit die Knie nicht überlastet werden. Hier spielt auch die Kurbellänge eine große Rolle. Die Kurbellänge sollte die Körpergröße in Millimetern nicht überschreiten. Frauen, die kleiner als 170 cm sind, sollten möglichst kürzere Kurbeln als 170 mm fahren. Wenn die Proportionen noch weiter verschoben sind, die Beine also deutlich kürzer sind, sollte die Kurbellänge 20 % der Beininnenlänge betragen. In meinen Beratungen hat sich gezeigt, dass eine Sitzhöhe von mindestens 90 cm vorhanden sein muss, um 170er-Kurbeln fahren zu können. Die Sitzhöhe ist der Abstand vom unten stehenden Pedal bis zur Satteloberfläche.
Kleine Personen oder Menschen mit proportional kurzen Oberschenkeln brauchen einen steileren Sitzrohrwinkel, sonst können sie ihren Körperschwerpunkt nicht über das antreibende Pedal bringen.

Sitzt man auf dem Fahrrad zu weit hinten und »schiebt« das antreibende Pedal nach vorn, kann das Körpergewicht nicht mithelfen, man bremst sich selbst aus. Das Fahren wird undynamisch und macht keinen Spaß. Sitzrohrwinkel von 74–76° sollten bei kleinen Rahmen die Regel sein. Manchmal hilft es, den Sattel weiter nach vorn zu schieben, dann verliert man aber auch teilweise den notwendigen Abstand zum Lenker.
Lenker und Bremsen
Frauen haben meistens nicht so breite Schultern wie Männer. Von daher ist es wichtig, dass die Lenker nicht zu breit sind. Beim Dropbar (Rennlenker) genügen meistens 40 oder 42 cm.
Bei geraden Lenkern an Mountain- oder Trekkingbikes sollte die Griffposition so sein, dass die Arme nur leicht geöffnet sind. Da man die tatsächliche (wirksame) Schulterbreite schlecht messen kann, ist es auch nicht möglich, genaue Maße anzugeben. Viele Trekkingräder werden heute mit überbreiten Lenkern ausgestattet, die eigentlich zwingend passend gekürzt werden müssten, aber kaum ein Fahrradhändler macht das.

Die Lenkerhöhe muss so niedrig sein, dass bei geneigter Sitzposition die Arme genug Platz haben und die Schultern nicht hochgedrückt werden. Viele Hersteller bauen kleine Rahmen, indem sie nur das Sattelrohr kürzer gestalten, das Steuerrohr aber einheitlich lang lassen. Das führt zu extrem hohen und somit unbequemen Lenkern bei kleinen Rahmen. Besonders, wenn noch eine Federgabel verbaut ist.
Brems- und Lenkergriffe sind oft nicht für kleine Hände geeignet. Die meisten Bremsgriffe für gerade Lenker lassen sich in der Griffweite einstellen. Dafür gibt es eine kleine Stellschraube am Bremsgriffkörper, die den Bremshebel dichter zum Lenker hin stellt.


Bei Schalt-Bremshebeln für Dropbar wird die Auswahl dünn. Die Schalttechnik braucht viel Platz im Bremshebel und der Bremshebelkörper ist ziemlich breit, sodass eine kleine Hand den schlecht umgreifen kann.
Lenkergriffe, besonders die ergonomisch geformten, sind häufig sehr voluminös. Auch wenn Größenangaben wie S/M/L existieren, bezieht sich das selten auf den Griffumfang, sondern eher auf die Breite oder auf die Länge der angebrachten Hörnchen.
Angepasste Technik
Die Fahrradwelt ist immer noch männerdominiert. Fast alle technischen Entwicklungen werden von Männern für Männer gemacht. Frauenspezifisches wird meistens nur in Form von Klischees abgearbeitet.
Damit sich das ändert, sollten Frauen ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche und ihre Bedenken zu bestimmten Entscheidungen offen und laut aussprechen und auch Dinge hinterfragen. Auf keinen Fall sollten Frauen Unbequemlichkeiten und technische Probleme in Kauf nehmen, die entsprechend größere Personen (meistens Männer) nicht haben.
Ich habe häufig das Gefühl, dass technische Lösungen unnötig kompliziert gestaltet werden, damit sich der Benutzer als Held feiern kann.

Jede Frau kann schrauben lernen
Fahrradtechnik, solange sie nicht mit Elektrik und Elektronik vollgestopft ist, ist nicht kompliziert. Sie ist mitunter so ausgesprochen einfach, dass man es kaum glauben kann.
Vielleicht ist das der Grund, warum Frauen sich selten an Fahrräder rantrauen. Möglicherweise ist es die Angst, dass sich hinter der einfachen Achsmutter was ganz Kompliziertes offenbaren könnte. Tut es aber nicht.
Als ich angefangen habe, an Fahrrädern zu schrauben, war ich ca. 7 Jahre alt. Irgendwas war immer. Ich habe bestimmt nichts Weltbewegendes getan und ob ich eine gelöste Achsmutter wieder fest genug angezogen habe oder nicht, lässt sich nur dadurch beweisen, dass ich noch am Leben bin.
Ich erlebe immer noch Frauen, die ungläubig einen Schraubenschlüssel anstarren, weil sie noch nie an einer Schraube gedreht haben. Ich möchte hier keinen Reparaturkurs eröffnen, sondern einfach mal anregen, dass Frauen sich alle Verschraubungen an einem Fahrrad anschauen. Mit dem Wissen, dass alle Schrauben etwas zusammenhalten oder justieren, ist fast die gesamte Fahrradtechnik erklärt. Gelegentlich gibt es die eine oder andere Steckverbindung, aber der Hauptanteil sind Schrauben.
Jetzt könnte frau beklagen, dass Fahrradtechnik anfälliger ist als Autotechnik. Das stimmt in gewisser Weise. Das liegt daran, dass das Fahrrad ein Leichtfahrzeug ist (transportiert ein Vielfaches seines Eigengewichts). Damit es nicht zu schwer wird, wird die Technik auf eine mittlere Belastung ausgelegt und nicht wie beim Auto auf ein Maximum mit zusätzlicher 100 %iger Sicherheit. Deswegen ergibt sich beim Fahrrad mit der Zeit Verschleiß, der eine Reparatur zur Folge haben könnte. Wenn frau sich mit den Grundlagen der Fahrradtechnik vertraut gemacht hat, ist ein möglicher unterwegs auftretender Defekt keine Katastrophe. Damit gewinnt frau Sicherheit und Unabhängigkeit (hier dürfen sich auch Männer angesprochen fühlen).
Zur Autorin
Juliane
Neuß, von Beruf Technische Assistentin für Metallographie und
Werkstoffkunde. Ihre Berufung: Fahrradergonomie und Fahrräder für
kleinwüchsige Menschen. Betreibt seit 1998 die Firma
Junik-Spezialfahrräder, hat sechs Jahre lang die Filiale eines
Fahrradladens in Hamburg geleitet und viele Jahre den Techtalk in der
ADFC-Radwelt geschrieben. Sie ist seit 2016 Inhaberin der
»Fahrradschmiede 2.0« in Clausthal-Zellerfeld, ihrem Heimatort, und hat
dort auch eine Brompton-Spezialwerkstatt.