Ausgabe 37 · Januar 2024
Leserbriefe
Individuelle Sitzpositionen
Zu: Grundlagen der Fahrradergonomie – Teil 3 (Ausgabe 36)
Gerade habe ich den Artikel über Fahrradergonomie gelesen. Dies animiert mich, diesen Brief zu schreiben.
Mein Fahrrad habe ich anders zusammengestellt, als es hier beschrieben
ist. Meine Körperhaltung ist ziemlich aufrecht. Der Lenker ist extrem
hoch, damit ich eine für mich bequeme Körperhaltung habe. Relativ zum
Oberkörper haben Radfahrer den Kopf nach hinten geneigt, um bei dieser
Oberkörperhaltung die Fahrbahn vor sich gut einsehen zu können. Ich
sitze aufrecht, die Haltung des Kopfes ist normal, genauso, als würde
ich gehen oder stehen. Wenn ich eine größere Leistung erbringen muss,
z. B. bergauf fahren, dann strecke ich den Oberkörper, ähnlich einem
Gewichtheber, kurz bevor er beim Anheben der Gewichte aufrecht steht.
Somit steht mir eine recht hohe Kraft zur Verfügung.
Mit dieser
aufrechten Körperhaltung biete ich dem Fahrtwind eine größere
Angriffsfläche, die bequeme Haltung ist es mir wert. Allerdings, mit
diesem Fahrrad habe ich mehrfach schon die Alpen überquert. Inzwischen
nutze ich dieses Rad hauptsächlich beim Betrieb mit Anhänger.
Anders ist mein Lieblingsfahrrad, ein Flevobike, ein Liegerad, welches ich seit etwa 20 Jahren fahre. Die Körperhaltung (Winkel zwischen Beinen und Oberkörper) entspricht ungefähr der Beschreibung wie in »Grundlagen der Fahrradergonomie – Teil 3«. Außer beim Bremsen und Schalten sind die Arme beim Fahren nicht involviert. Die Haltung der Arme ist oftmals am Oberkörper anliegend, manchmal vor der Brust verschränkt. Das Sitzen ist sehr bequem, es gibt keinerlei Druckstellen am »Sitzfleisch«. Die Lehne ist sehr angenehm. Wenn ich gelegentlich Rückenschmerzen habe, verschwinden diese beim Fahren des Flevobikes.
Ein besonderes Teil ist das elliptische Kettenblatt. Im Prinzip ist es zu verstehen wie eine ständig wechselnde Übersetzung. Im oberen Totenpunkt habe ich die kleinste Übersetzung des Kettenblatts, bei der größten Kraft, Pedalstellung quer zum Antriebsstrang, ist das Kettenblatt am größten. Dadurch geht die Kraftübertragung ein wenig in die Richtung eines Linearantriebs. Ich spüre dies insbesondere in den Knien. Die Spitzenlast der Kniegelenke ist deutlich gemindert, gleichzeitig habe ich einen »längeren« Tritt. Ebenso kann ich mir eine niedrigere Trittfrequenz dabei erlauben. Das Verhältnis der beiden Achsen der Ellipse ist ca. 18 : 24.
Die Verwendung eines elliptischen Kettenblatts ist eine recht sensible
Angelegenheit. Die Hauptachse muss so eingerichtet sein, dass sie
möglichst exakt zum Hüftgelenk eingerichtet ist. Abweichungen können
leicht den Gewinn zunichte machen. Wahrscheinlich haben sich deshalb
elliptische Kettenblätter nicht durchgesetzt, da sie sowohl auf Rahmen
als auch auf den Fahrer sowie auf die Sattelposition abgestimmt sein
müssen. Bei hoher Trittfrequenz sowie beim Fahren mit Wiegetritt ist
der Gewinn des elliptischen Kettenblatts nicht mehr so groß.
Beim
Flevobike bringt das elliptische Kettenblatt, bedingt durch den
Frontantrieb, einen besonderen Vorteil: Beim Start muss man eine recht
hohe Kraft aufbringen, um in Fahrt zu kommen. Setzt man die volle
Kraft am oberen Totenpunkt der Pedale an, so wird bei der ersten
Drehung der Tretkurbel die Kraft im Maximum so hoch, dass bei losem
Untergrund das Antriebsrad durchdrehen kann und man keine Fahrt
aufnimmt. Der Startvorgang muss wiederholt werden.
Leider ist der Hersteller dieser Kettenblätter vor etlichen Jahren verstorben, es ist schwierig, neue Kettenblätter zu bekommen.
Wider die Kritik an der kapitalistischen Industriegesellschaft!?
Zu: Titelthema Selbstverwaltung in Fahrradläden (Ausgabe 36)
Im Editorial der Ausgabe 36 klang durch, dass in den 1980er Jahren normale Fahrradläden keine gescheiten Fahrräder mehr anboten. Das kann ich als ehemaliger Deutscher und damals in der Nähe von Aachen wohnend nicht bestätigen. Ich habe z. B. 1982 in einem normalen Fahrradladen (kein Kollektiv) ein gutes Rennrad zusammenstellen lassen. Das fahre ich heute noch und es dürfte inzwischen etwa 100.000 km draufhaben. Maßgeschneiderter Markenrahmen, Ledersattel, Shimano-600EX-Ausstattung usw. für 1.200 DM, was damals eine Stange Geld war. Ähnliches taten mehrere Bekannte von mir in dieser Zeit. An einen kollektiv geführten Radladen kann ich mich nicht erinnern und ich habe wegen hoher Kilometerleistung einen regelmäßigen Ersatzteilbedarf, komme also gut rum. An meinem damaligen Wohnort in den Niederlanden war es ebenso, Fahrradläden waren üblicherweise Familienbetriebe. Dito bei Verwandten im Rheinland und in Hessen. Es mag in sehr großen Städten anders gewesen sein, doch das kann man meiner Meinung nach nicht als Trend verallgemeinern.
Auch heute hat man die Konkurrenz zu großen Kaufhäusern mit ihren Billigangeboten. In meiner jetzigen Heimat USA gibt es dennoch ebenfalls kaum Kollektive, sondern Einzelhändler, große Ketten, Kaufhäuser und Online-Unternehmen. Auch die Ketten führen gute Ware. Online-Unternehmer sind oft kleine Fahrradläden, bei denen die Besitzer pfiffig genug waren. Rufus Watts, der Inhaber des Fahrradladens »Rufus Cycles« im kalifornischen Diamond Springs, fasste es so zusammen: »Gegen die Preise der Kaufhäuser kommen wir nicht an, aber die können mangels Fachpersonals nachher den Service nicht erbringen. Das tun wir dann und das ist am Ende eine bedeutende Einnahmequelle für uns kleine Läden.«
Radfahren verknüpft mit Kritik an der kapitalistischen Industriegesellschaft? Das habe ich noch von keinem gehört. Sämtliche meiner (vielen) Rad fahrenden Bekannten nehmen das Rad für den Arbeitsweg, zum Fitnesstraining, zum Spaß, für Exkursionen und Urlaubsreisen oder für Wettkämpfe.