Ausgabe 16 · September 2013
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V-Brake und Schaltkomfort am Rennlenker
Oder: Do it yourself STI
Einleitung
Am Reiserad fahre ich gerne V-Brakes: Sie sind simpel aufgebaut, haben eine gute Bremswirkung und sind weltweit verbreitet. Bremsbeläge habe ich selbst noch in einem kleinen Kaff in Paraguay gefunden, wo ansonsten z. B. bereits Fastexschnallen nur schwer zu beschaffen sind. Allerdings fahre ich am Reiserad auch gerne einen Rennlenker (z. B. Nitto Randonneur) und muss somit auch Rennbremshebel nutzen. Tja – und da fangen die Probleme an.
Viele unserer LeserInnen wissen es: Nur wenige Rennbremshebel harmonieren vom Seileinzug her mit klassischen V-Brakes.
Der einfachste Weg ist jedoch in der Tat, erst einmal ganz normale Rennbremshebel auszuprobieren. Sie haben halt eine (manchmal zu) hohe Hebelübersetzung: Die Bremswirkung ist zwar sehr gut, manche mögen jedoch den weichen Druckpunkt nicht. Auch muss die Bremse sehr eng eingestellt werden, damit der Weg im Hebel ausreicht und er nicht am Lenker (je nach Form!) anschlägt, bevor die Beläge greifen. Dies erfordert wiederum penibel zentrierte Laufräder. Dazu bin ich in der Realität eigentlich zu faul.
Eine Alternative ist es, auf Mini-V-Brakes auszuweichen, die auf Grund einer kürzeren Armlänge weniger Seileinzug benötigen. Diese sind für mich jedoch nicht nutzbar, da sie zu wenig Platz für Schutzblech und 50er Reifenbreite lassen.
Eine weitere, relativ einfache Alternative sind diverse Umlenkrollen, die den Seileinzug von modernen STI-Hebeln an die Bedürfnisse von V-Brakes anpassen.
Anders schalten und bremsen
Aber STI-Hebel, so ergonomisch gelungen ich sie finde, wollte ich ja eigentlich gar nicht. Am Reiserad habe ich nämlich am liebsten einfach aufgebaute, modulare und reparierbare Lösungen. Wenn etwas bei den Schalthebeln defekt ist, möchte ich einfach improvisieren können und nicht ein hoch komplexes Verbundbauteil vor mir haben, das ich nur noch komplett wegwerfen kann. Früher hatte ich daher bereits mit Daumenschalthebeln experimentiert, die ich innen direkt neben dem Bremsgriffkörper angebracht hatte. Hierzu habe ich die Lenkerschellen der preiswerteren Deore-Modelle verwenden, da diese aus Stahlblech sind. Diese Blechschellen lassen sich besser an den im Vergleich zum MTB-Lenker leicht erhöhten Durchmesser des Lenkers im Griffbereich anpassen. Die Deore XT-Hebel verwendeten im Gegensatz dazu eine starre Aluminiumhalterung, auf die dann der (mit der Deoreversion austauschbare) Hebel geschraubt wird.
Ergonomisch war dies ein großer Fortschritt im Vergleich zu Lenkerendhebeln, für die ich aus meiner hauptsächlichen Griffposition »on the hoods« weit umgreifen musste. Nicht zu reden von »klassischen« Unterrohrschalthebeln. Doch es gab früher auch bereits andere, ergonomische Lösungen: Der »Suntour Command-Shifter« (7-fach) ließe ich ebenfalls mit einem beliebigen Bremshebel kombinieren und bot vielfältige Greifpositionen.
So kam die Idee, Schalthebel direkt am Körper eines V-Brake geeigneten Hebels zu befestigen. Derer gibt es verschiedene, unter anderem von Dia Compe und von Tektro.
Die Wahl fiel auf den Tektro BL 520, da er für mich gut zu greifen ist und einen Griffkörper aus Kunststoff hat. Letzteres vereinfacht den folgenden Umbau sehr. Als Grundlage für die Schalthebel dienten Dura-Ace 9-fach Lenkerendschalthebel: seit Jahren auf dem Markt, robust und mit abschaltbarer Rasterung. Diese Hebel lassen sich leicht in die Innenklemmung, die darin eingeschobene »Gegenmutter« und den eigentlichen Schalthebel zerlegen.
Probieren geht vor montieren
Zuerst werden die Schalthebel zerlegt. Dies ist schnell gemacht: Beide Lenkerendhebel haben je eine zentrale Schraube, die nach Lösen die Gegenmutter und die Innenklemmung freigibt. Letztere und die Schrauben werden im Weiteren nicht mehr gebraucht. Viel Zeit sollte man auf die Suche nach der optimalen Position verwenden. Dabei sollte die Bremsgriffposition, Vorbaulänge und Lenkerneigung natürlich bereits feststehen. Dann heißt es: aufs Rad setzten und ausprobieren. Da der zu bestreitende Winkel rechts fast 180° ausmacht, muss man hier die Position in verschiedenen Schaltstufen und auch die jeweilige Daumenhaltung sehr genau austarieren.
»Thank god, it’s plastic« – Anpassen des Bremshebelkörpers
Beginnen sollte man auf der linken Seite, denn rechts ist die Position der Schalthebel heikler und Spiel in der Schalthebelaufnahme nervt noch mehr. Wir nutzen also die Übung aus dem Umbau des linken Hebels.
Zuerst wird die Stelle der zukünftigen Aussparung für die Gegenmutter markiert und mit einem kleinen Bohrer vorgebohrt. Dann »tastet« man sich feilend an die ovale Form der Mutter heran. Sehr hilfreich ist ein Minitool mit einem 3–4 mm Frässtift. Allerdings muss man damit besonders vorsichtig arbeiten, da das Grundmaterial schnell schmilzt.
Immer wieder sollte dabei probiert werden, ob die Mutter gerade so stramm durch die Öffnung passt. Ist dies der Fall, wendet man sich mit den gemachten Erfahrungen der rechten Seite zu.
Oval auf Quadrat – Anpassen des Schalthebels
Der Schalthebel hat eine quadratische Vertiefung als Widerlager zum Gegenhalter (gleich der hier nicht verwendeten Innenklemmung des Lenkerendhebels). Da diese jetzt jedoch fehlt, muss sich der Hebel direkt an der Gegenmutter abstützen. Hierzu muss man ein quadratisches »Adapterplättchen« fertigen.
Es muss später spielfrei auf dem Oval der Gegenmutter sitzen. Dieser Schritt ist etwas fummelig, da dieses Plättchen dünn und klein (und dementsprechend schwer zu spannen) ist und dennoch bei den Außen- und Innenmaßen präzise gearbeitet sein soll. Da das Plättchen die Außenmaße 12 mm × 12 mm haben muss, hat sich der Autor die Arbeit ein wenig vereinfacht, indem er eine Aluminiumstange mit diesen Abmessungen als Ausgangsmaterial verwendet hat.
Ist diese Klippe genommen, kann man sich an die Herstellung der Zuggegenhalter machen. Auch hier wieder die Empfehlung, links zu beginnen. Wenn es rechts wackelt oder rutscht, leidet die Schaltperformance beträchtlich. Auf der rechten Seite sollte daher dieser Gegenhalter auch formschlüssig zur oben genannten Gegenmutter sein und nicht nur durch die Spannkraft der Befestigungsschraube fixiert werden.
Als Ausgangsmaterial habe ich zunächst Aluminiumprofil 25 mm × 2 mm genommen. Die ist insbesondere für die rechte Seite nicht sinnvoll. Zum einen verformt sich das Material beim Schalten elastisch zu stark, die Schaltgenauigkeit leidet. Zum anderen lässt sich in dickeres Material ein robusteres Gewinde schneiden, das auf der rechten Seite zur Fein-Synchronisation unterwegs sehr zu empfehlen ist. Links ist eine solche Stellschraube nicht notwendig. Ich habe schließlich 4mm Material genommen und ein M6-Gewinde geschnitten sowie eine passende Stellschraube mit Rändelmutter zum Kontern montiert.
Feinanpassungen
Ist soweit alles fertig, steht einer ersten, provisorischen Montage nichts im Weg. Hierzu verwende ich lange Inbusschrauben in M5.
Je nach persönlichen Vorlieben kann man den Abstand zwischen Ende des Schalthebels und Bremsgriffkörper noch mittels M10er Unterlegscheiben anpassen. Aufwendiger ist es, die Achse des Hebels in Bezug zum Griffkörper etwas schräg zu stellen. Dies geht mit Distanzhaltern (z. B. aus Resten der Stange mit 12 mm × 12 mm gefertigt), die konisch gefeilt sind. Diese Plättchen müssen dabei innerhalb und außerhalb des Griffkörpers auf die Gegenmuttter geschoben werden. Damit kann die Längsachse dieser Gegenmutter in der Bremsgrifffräsung gegenüber dem Bremsgriffkörper etwas aus der Senkrechten gekippt montiert werden. Folge: Je nach Position vergrößert sich der Abstand des des Schalthebels zum Griffkörper und lässt so z. B. mehr Platz für den Daumen.
Aber Achtung, diesen Anpassungsmöglichkeiten sind auch Grenzen gesetzt: Zum einen können natürlich nur eine begrenzte Zahl Unterlegscheiben bzw. Distanzhalter zwischen Griffkörper und Schalthebel geschoben werden, da sonst das Adapterplättchen nicht mehr auf der Gegenmutter greift. Zum anderen wird je nach verwendeter Lenkertasche die Distanz zu den Schalthebeln knapp. Ich habe deshalb den Lenker gegen einen »eine Nummer breiter« eingetauscht.
Wenn dann alles zur Zufriedenheit positioniert ist, steht einer Probefahrt mit Feinsynchronisation des Derailleurs nichts im Wege.
Resumée
Versuche, Lösungen für die Kombination Kettenschaltung, Rennbremshebel und V-Brake zu finden, gibt es diverse. Die hier vorgestellte Konstruktion stellt gewisse Anforderungen an die eigenen Mechanikerfähigkeiten. Sie belohnt jedoch auch mit einer sehr ergonomischen Schaltgriffposition für Menschen, die eine V-Brake mit Rennbremshebeln nutzen möchten und ist dabei leicht reparierbar und robust. Nachtrag: Lange nach Fertigstellung des DIY-Bremsschalthebels bin ich bei der Recherche zu diesem Artikel noch auf eine Lösung gestoßen, die meiner Konstruktion etwas ähnelt. Retroshift setzt die Sockel für die Schalthebel vorne auf die Bremshebelkörper. Vorteil dürfte eine bessere Greifbarkeit aus verschiedene Positionen sein. Als nachteilig könnte sich die stärkere »Exponiertheit« von Schalthebel und Zügen herausstellen. Praktische Erfahrungen habe ich mit diesem System jedoch noch keine.
Zum Autor
Stefan Buballa, Arzt, Alltags- und Reiseradler, Selbstbau eines Reiserades und eines Alltags-Kurzliegers. Er ist fasziniert von der Schlichtheit und ökologischen Effizienz muskelkraftbetriebener Fahrzeuge. Besondere Interessen: Ergonomische und leistungsphysiologische Aspekte. Besondere Schwächen: Radreisen in Afrika und Nahost …