Ausgabe 16 · September 2013
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Antriebe und Erfinder
Die Geschichte des Fahrrads ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Als
Sicherheitsrad 1885 in seiner heutigen Form eingeführt, hat es sich über
den Planeten verbreitet und wird bis heute prinzipiell so gebaut. Super,
könnte man sagen, hat sich bewährt, lassen wir es dabei. Aber seit es
dieses Fahrzeug gibt, tüfteln Erfinder daran, vermeintliche und
tatsächliche Unzulänglichkeiten dieses Gefährts zu beseitigen. Über
- Die Arme könnten auch etwas für den Vortrieb tun.
- Die Kette muss weg.
- Die Füße sollen bis zum Boden reichen.
- Ein bequemer Sitz statt des Sattels
- Pedalieren im Kreis ist nicht optimal.
Die Arme
Immer wieder haben Tüftler Vorrichtungen ersonnen, mit deren Hilfe die Kraft der Arme als zusätzliche Antriebsquelle nutzbar gemacht werden kann. Es gibt amerikanische Patentschriften aus dem späten 19. Jahrhundert, die sich mit dieser Idee befassen. Auch Robert Waldmeier aus der Schweiz hat eine solche Antriebsvorrichtung gebaut, in solider handwerklicher Ausführung (Grafik). Das bringe 10% mehr Geschwindigkeit, sagt Herr Waldmeier. Eine recht saloppe Aussage, die ich hiermit in Zweifel ziehen möchte.

Die Leistung, die ein Radler zum Vortrieb des Fahrrads aufbringen kann, wird von seinem Maximalpuls bestimmt. Mit Maximalpuls kann man nur sehr kurze Zeit fahren (Sprint). Längere Zeit kann man nur mit einer Pulsfrequenz fahren, die deutlich unter der Maximalfrequenz liegt. Will man nun schneller fahren, muss der Körper eine höhere Leistung erbringen. Weil der Luftwiderstand im Quadrat ansteigt, reichen 10% mehr Leistung nicht aus, um 10% schneller zu fahren. Aber selbst wenn, könnte man sich die zusätzlich benötigte Leistung nicht einfach aus den Ärmeln schütteln. Die Herzfrequenz verschiebt sich Richtung Maximalfrequenz, es ist letztendlich ein Sprint, den man genauso gut mit den Beinen bewerkstelligen könnte. Den Trainingseffekt für die Arme will ich nicht in Abrede stellen, ich betrachte ein Fahrrad jedoch als Verkehrsmittel, nicht als Trainingsgerät.
Fazit: Es mag im Behindertenbereich Einsatzbereiche für diese Mechanik geben. Wenn man zwei gesunde Beine hat, bringt es nach meiner Ansicht keine Vorteile.
Die Kette
Die Verfügbarkeit der Rollenkette hat neben der des Kugellagers und der Luftbereifung die Erfolgsgeschichte des Fahrrads erst möglich gemacht. Es wird ihr nicht gedankt. Immer wieder wurden und werden Kardanantriebe für Fahrräder angeboten. Beim Motorrad sehr erfolgreich, haben sie es beim Fahrrad nie über Kleinserien hinausgebracht. Der Grund ist einleuchtend, der Wirkungsgrad ist zu schlecht, auch, weil beim Fahrrad die Antriebskraft zweimal umgelenkt werden muss. Was könnte man noch nehmen? Seile? Das Stringbike aus Ungarn geht diesen Weg. Ich habe noch keines in natura gesehen, mir fällt nur die aufwendige Mechanik ins Auge. Ich selbst habe bei Versuchen mit Seilen als Zugmittel eines Fahrradantriebs keine befriedigenden Ergebnisse erzielt. Dazu später mehr. Bleibt der Zahnriemen. In letzter Zeit häufig angepriesen und diskutiert findet er aber nur bei Falträdern (Strida und Microbike) nennenswerte Verwendung, wobei das Microbike meines Wissens nicht mehr gebaut wird.
Die Firma Gates bietet seit einiger Zeit Zahnriemenantriebe für »normale« Fahrräder an. Das geht natürlich nur mit Nabenschaltung und oder Tretlagerschaltung oder eben als Singlespeed. Wenn man ein Fahrrad soweit modifiziert hat, könnte man auch eine gekapselte Kette verwenden und bräuchte den Rahmen nicht zu zersägen. Deswegen wird diese Technik vermutlich nur eine begrenzte Verbreitung erzielen.
Die Pedale

Von: Bernd Sluka
Warum hat ein Fahrrad Pedale, die an Kurbeln befestigt sind? Es hat sich schlicht so ergeben. Es war und ist einfach herzustellen und war zunächst eine naheliegende Methode, den Fahrer während der Fahrt von der Fahrbahn zu trennen. Dass die Leistungsübertragung Bein – Pedalkurbel nicht optimal ist, ist weithin bekannt und kann im Selbstversuch überprüft werden: Im Sportstudio mit einer Pulsuhr. Auf einer Stepper-Maschine kann man bei gleicher Pulsfrequenz mehr Leistung übertragen als auf einem Trimmrad. Aus diesem Grunde wurden schon früh in der Fahrradgeschichte Versuche unternommen, die Bewegung der Beine möglichst linear zu gestalten. In der Regel wurde dazu die gewohnte Geometrie des Fahrrades belassen und die Pedalkurbeln durch mehr oder weniger lange Hebel ersetzt. Einige Tüftler haben den Drehpunkt des Trethebels über das Hinterrad hinaus versetzt, um eine möglichst gradlinige Bewegung des Pedals zu ermöglichen. Gemeinsam ist diesen Trethebelfahrrädern, das die Tretbewegung etwas an den Gang eines Storches erinnert. Ergonomisch sinnvoller ist der Trethebel beim J-Rad angeordnet, das weiter unten abgebildet ist.
Der Sitz
Die größte Unzulänglichkeit des klassischen Fahrrades ist der Sattel und die Sitzhaltung. Die klassische Fahrradbauweise erlaubt keinen bequemen Sitz. Alle Brooks- und Gelsättel dieser Welt können nur Linderung versprechen, aber das Problem nicht lösen. Um einen bequemen Sitz verwenden zu können, muss man das Gesamtkonzept des Fahrrads verändern. Hier sind die Liegeräder zu erwähnen, die in jüngster Zeit (wieder) einen gewissen Zuspruch finden. Es gibt sie vielen verschiedenen Variationen, als Langlieger oder Kurzlieger. Der Sitz sieht auf jeden Fall bequem aus. Ob die Sitzhaltung bequem ist, wird von vielen bezweifelt, Auch die Tatsachen, dass die Füße weit vom Boden entfernt sind, schreckt viele Leute ab. Einer größeren Verbreitung stehen auch die schlechte Übersicht, die sperrigen Abmessungen und (sorry, Liegeradenthusiasten) die wenig ansprechende Optik dieser Vehikel im Wege.

Von: wikimedia.org, Mattes
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang das Jaray-Fahrrad, auch J-Rad
genannt. Es hat einen bequemen Sitz, man kann beim Anhalten sitzen
bleiben, die Pedalkurbeln wurden durch Hebel ersetzt und selbst auf die
»böse« Kette wurde verzichtet. Vom J-Rad wurden in den frühen zwanziger
Jahren des 20sten Jahrhunderts etwa
Das Outing
Manche hatten beim Lesen des Artikels vermutlich schon einen Anfangsverdacht, den ich hier nun bestätigen will. Auch ich bin einer von diesen tüftelnden Erfindern, die beseelt sind von der Mission, das ideale Fahrrad zu bauen.
Wie sieht denn ein ideales Fahrrad eigentlich aus? Für meinen Geschmack muss es einen bequemen Sitz und eine bequeme Sitzposition haben. Die Füße sollen nicht weiter von der Fahrbahn entfernt sein als nötig. Gute Fahreigenschaften und kompakte Abmessungen soll es natürlich auch haben. Will man alle diese Anforderungen erfüllen, wird schnell klar, dass die Füße nicht hinter, vor oder über dem Vorderrad platziert werden können, sondern nur zu dessen Seiten. Wie wär’s denn mit Hecklenkung?

Das Problem dieser optisch durchaus ansprechenden Konstruktion von Mohsen Saleh sind nicht die schlechten Fahreigenschaften. Es sind die fehlenden Fahreigenschaften. Das Rad ist schlicht unfahrbar. Rückwärts würde es wahrscheinlich eher funktionieren. Ich habe selbst ein mal ein schlichtes Versuchsvehikel gezimmert und versucht, die nahe gelegene Eisenbahnüberführung hinunter zu rollen. Einradfahren ist deutlich einfacher. War also nix.
Die Lenkung muss vorne sein. Pedalkurbeln einfach an die Seiten des gelenkten Vorderrads. Ist nicht wirklich neu, hat schon das Micheaux Fahrrad gehabt. Mit interner Übersetzung gab es 1950 eine Patentanmeldung, mit externer (Pedalachse zentrisch auf der Vorderradachse, Kette von den Pedalen zu einer zweiten Welle über dem Vorderrad, von dort aus über eine zweite Kette zum Freilauf auf der Vorderradnabe) kursieren etliche Videos auf Youtube. Aber Pedalkurbeln sind ja sowieso nicht die ideale Lösung. Wie wäre es also, wenn man die Pedale einfach entlang der Vordergabel führt? Und damit das Vorderrad antreibt, was ja naheliegend ist.

Das Bild zeigt eine sehr frühe Version vom MAYNOOTHBIKE. Die Verwendung eines Seiles war verlockend, weil ein Seil anders als eine Kette in verschiedene Ebenen umgelenkt werden kann. Es hat funktioniert, aber nicht gut genug. Bis zu acht Zentimeter des Pedalweges wurden benötigt, um Zug auf das Seil zu bringen. Ein formschlüssiges Zugmittel wie eine Rollenkette zieht quasi sofort.


Wie kann man die Pedale führen? Neben dem Seil zeigt das Bild oben auch eine Pedalführung, die sich nicht bewährt hat. Ohne Belastung laufen diese Gleitschlitten leicht auf der Schiene, unter Last nicht leicht genug. Abhilfe brachten kugelgelagerte Linearschienen und die Rückkehr zur Kette.
Dieser Prototyp fuhr so gut, dass ich mich auf eine 90-km-Tagestour wagte – die verlief pannenfrei. Am nächsten Morgen jedoch, beim Brötchenholen,
fiel das linke Linearlager auseinander. Ein Teil, was es nicht an jeder
Ecke zu kaufen gibt und das auch nicht zu Schnäppchenpreisen gehandelt
wird. Außerdem sind Linearlager nicht unbedingt für den Outdooreinsatz
gemacht. Die Kettenführung wie auf dem Bild oben warf auch ein Problem
auf: Es war kein Platz für eine Vorderbremse. In Irland und Großbritannien
ist das aber kein gesetzliches Problem, da zwei Bremsen an Fahrrädern erst
ab einer Sitzhöhe von
Die aktuellen Versionen haben kugelgelagerte Schlitten in der Vordergabel, die die Pedale führen und natürlich zwei Bremsen. Fährt sich einfach entspannter.

Das Funktionsprinzip
Das Vorderrad hat auf beiden Seiten ein Freilaufritzel. Die Pedale sind auf Schlitten befestigt, die sich in den Gabelholmen auf und ab bewegen können. Am oberen Ende der Schlitten ist jeweils ein Kettensegment befestigt, das über ein Umlenkritzel (im Bild oben etwa auf Höhe der Lampe) mit dem Freilaufritzel der jeweiligen Seite in Eingriff steht. Die Kettensegmente beider Seiten sind mit einem Zugseil verbunden, welches über eine Umlenkrolle (im Bild über der Lampe) geführt wird. Beim Heruntertreten eines Pedals wird über das Freilaufritzel der jeweiligen Seite der Vortrieb erzeugt, wobei gleichzeitig das gegenüberliegende Pedal um die gleiche Wegstrecke angehoben wird. Dieser Vorgang kann jederzeit umgekehrt werden. Man hat also einen variablen Hub beim treten.
Der Bewegungsablauf
Weil wir von Kindesbeinen an die Kurbelpedale des Fahrrads gewöhnt sind, fühlt sich das geradlinige Heruntertreten der Pedale zunächst ungewohnt an. Nach einer kurzen Lernphase erscheint es jedoch die natürlichere Bewegung zu sein. Um einen Eindruck davon zu bekommen, setze man sich auf einen Stuhl (wenn man nicht schon auf einem sitzt) und macht abwechselnd Radfahrbewegungen (Tretkurbel) und gerade Tretbewegungen nach schräg unten. Was erscheint effektiver?
Man kann sich den Bewegungsablauf beim Radfahren auch verdeutlichen, in
dem man sich den Zahnkranz auf der Pedalkurbel als Zifferblatt einer Uhr
vorstellt. Um
Die Hauptkraft für den Vortrieb wird ähnlich wie beim Treppensteigen vom Quadrizeps Femoris aufgebracht, dem stärksten Muskel des menschlichen Körpers.
Hat der Antrieb Einfluss auf die Lenkung?

Natürlich hat der Antrieb einen Einfluss auf die Lenkung. Beim normalen
Fahrrad haben das Treten der Pedale und die damit verbundene
Gewichtsverlagerung auch einen Einfluss auf die Lenkung. Deswegen muss man
Radfahren auch erlernen. Kinder, die gerade Radfahren lernen und Leute,
die zum ersten mal ein MAYNOOTHBIKE fahren, geben ein ähnliches Bild ab.
Doch nach kurzer Zeit fährt das MAYNOOTHBIKE dorthin, wo man möchte. Die
Frage müsste lauten, hat der Antrieb störende Einflüsse auf die Lenkung.
Hat er nicht, sagt der Erfinder. Erfinder sind voreingenommen wie Mütter,
die ihre eigenen Babys auch immer für die schönsten halten. Dem halte ich
entgegen. Ich bin mit diesem Fahrradtyp bis jetzt mehr als
Was passiert in Kurven?
Häufig werde ich gefragt, ob die Beine nicht in Kurven am Vorderrad streifen. Im normalen Fahrbetrieb sind die Lenkeinschläge sehr gering. Geübte Fahrer (ich selbst zum Beispiel) können auch sehr enge Kurven fahren. Zum geübt Sein gehört dazu, dass das selbst dann nicht passiert. Ich werde demnächst ein Video machen, das die Fahrdynamik darstellt (evtl. Hütchenparkur).
Der Lenkkopfwinkel der aktuellen Prototypen beträgt etwa
Wie ist die Haltbarkeit der Linearführungen?

Das MAYNOOTHBIKE steht noch am Anfang seiner Entwicklung. Ich habe gerade
Prototyp AA 007 fertiggestellt. Ich bin bis jetzt etwa
Die artgerechte Umgebung für ein MAYNOOTHBIKE
Das MAYNOOTHBIKE braucht viel Auslauf und liebt die weiten Ebenen, weil es (noch) keine Gangschaltung hat. In der Stadt ist es auch sehr angenehm zu fahren, weil man beim Ampelstopp sitzen bleiben kann. Aber um sich wirklich ein Bild zu machen, ist es am besten das MAYNOOTHBIKE einmal selbst auszuprobieren. Das war bisher ein Problem für Leute, die größer als eins siebzig sind. Vor Kurzem habe ich ein Bike mit verstellbarem Sitz und höherem Vorbau (das Gelbe) fertiggestellt. Auf der Website maynoothbike.com kann man Kommentare von Probefahrern lesen.
In der ersten Septemberhälfte werde ich in Deutschland eine kleine Tour unternehmen und Interessierten eine Probefahrt anbieten. Zwischen 7. und 14. September werde ich am Rhein entlang vom Bodensee nach Mannheim fahren, danach Tagestouren rund um Berlin unternehmen. Auf meiner Website unter NEWS werde ich die genaue Route und den Zeitplan angeben.
Zum Autor
Christoph
Lenz ist gelernter Klempner und Ingenieur für Energietechnik. Er lebt in
Maynooth, einer kleinen Universitätsstadt in der Nähe von Dublin. Die
momentanen Besonderheiten der wirtschaftlichen Lage Irlands gaben ihm
Gelegenheit, seine Idee vom perfekten Fahrrad in die Tat umzusetzen.