Ausgabe 13 · April 2011

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Kettenschmiermittel-Test: Im Labor und in der realen Welt

von Rainer Mai

Verschleiß ist traditionell kein Thema für die schönen bunten Blätter am Kiosk. Aber neuerdings tut sich was im Blätterwald: Vereinzelt gibt es vergleichende Testberichte über Verschleißteile – auch zum Ärgernis Nummer Eins.

Die verd#*~te Kette

Sie ist das mit Abstand wartungsintensivste und verschleißanfälligste Teil an kettengeschalteten Fahrrädern. Schmieren? Ja, so oft wie nötig. Also lästig oft. Aber womit? Klar doch: mit XYZ natürlich! Damit hält die Kette mit Abstand am längsten!

Jeder schwört auf ein anderes Mittel, manche sogar jährlich wechselnd. Man probiert sich halt so durch, zum Beispiel vom Fahrradkettenöl A über vulgäres Motoröl (B) bis zum Haiteck-Trockenschmierstoff C. Die meisten Vor- und Nachteile der durchprobierten Mittelchen zeigen sich schnell: Mehr oder weniger einfaches bis lästiges Auftragen und Einziehen, mehr oder weniger staubanziehend, sauber oder schmutzig, verschieden schnelles Auswaschen durch Nässe oder »Verdunsten« bei trockenem Wetter. Das ist alles unschwer erkennbar.

Aber ausgerechnet über die wichtigste Eigenschaft des Schmiermittels, nämlich die Längung der Kette möglichst weit in die Länge zu ziehen, wissen wir herzlich wenig. Dafür schwanken die verschleißbestimmenden Einsatzbedingungen selbst bei ein und demselben Fahrer zu stark: Unterschiedliches Wetter und Verschmutzung, schwankende Nachschmierlaune, wechselnde Höhenprofile und Beladungen, wechselnde Kettentypen, aktueller Verschleißzustand der restlichen Antriebsteile …

Und, least not last, das Problem, mit Hausmitteln die Längung der Kette auch nur halbwegs genau vergleichend zu messen. Die gängigen Verschleißlehren der Sorte Rohloff Caliber (und seine mehr oder weniger ähnlichen Nachbauten) sind ziemlich ungenau. Vor allem haben sie einen systematischen Fehler: Mit der Innen-Innen-Abtastung zwischen wenigen Gliedern »misst« man zwangsläufig auch den Rollenverschleiß mit, der über den Verschleißzustand der Kette weniger aussagt als der (eigentlich gesuchte) Teilungsfehler alias Längung. Man misst also eigentlich Mist.

Bild 1

»Tour«-Labortest

Die Rennradzeitschrift »Tour« brachte in der Ausgabe 12/2009 einen Schmiermittel-Vergleichstest, der später auch im MTB-Magazin »Bike« zu finden war. Mehr als 50 Schmiermittel wurden getestet, unter reproduzierbaren Bedingungen im Labor. Das fand ich sensationell.

Neben dem Hauptkriterium Schmierfähigkeit (Verschleiß), 50 Prozent der Bewertungsgrundlage, flossen auch die Eigenschaften Schmutzhaftung, Kriechfähigkeit und »Handling« in die Bewertung ein. Für jedes Kriterium werden vergleichbare Einzelnoten genannt.

Die Schmierfähigkeit wurde nach einem genormten Verfahren ermittelt, dem Brugger-Test nach DIN 51347. Die Details sind in dem »Tour«-Artikel ausführlich beschrieben. In meinen Worten: Ein Stahlkörper wird mit einer festgelegten Kraft auf eine rotierende Stahlwalze gedrückt, die Kontaktstelle wird mit dem geprüften Mittel geschmiert. Die anfangs kleine Reibfläche vergrößert sich, während die Walze sich quasi in den Prüfkörper eingräbt – bis sie auf dem Schmierfilm aufschwimmt, wodurch Reibung und Verschleiß schlagartig abnehmen. Dann wird die Größe der Tragspur gemessen. Gleitreibung unter hoher Pressung also, wobei die Druckfestigkeit des Schmiermittels seine entscheidende Eigenschaft ist.

Das erscheint einleuchtend. Aber ist das Verfahren wirklich geeignet, den Verschleiß einer geschmierten Fahrradkette quantitativ richtig darzustellen? Die Tour-Redaktion geht davon aus: Eine Gegenprobe mit zehn typgleichen Ketten auf einem Kettenprüfstand (Details siehe Quelle) habe vergleichbare Ergebnisse gehabt.

Dennoch verblieben bei mir Zweifel. Zum Beispiel wurde der Kettenprüfstand durchweg mit einer Rennübersetzung von 48/21 Zähnen gefahren, vermutlich mit einer im Vergleich zum (bekanntlich verschleißträchtigen) Klettern auf kleinen Bergblättern eher geringen Kettenlast. Und, was mich noch nachdenklicher stimmte: Offenbar wurden beide Prüfungen unter sauberen Laborbedingungen durchgeführt, ohne Schmutz und emulgiertes Wasser – Einflüsse, die die Schmierung stören und das Leben der draußen in der realen, schmutzigen Welt genutzten Fahrradketten drastisch verkürzen können.

Ist der saubere Labortest nur für Bahnräder aussagekräftig? Oder doch auch für »wirkliche«, verschmutzte Antriebe – etwa, weil der Schmutz den Verschleiß zwar beschleunigt, aber die Wirkunterschiede zwischen den Schmiermitteln erhalten bleiben? Diese Fragen schreien nach einem Test an einem echten Fahrzeug, das jenseits von Labor »Radsporthalle« bewegt wird …

Praxistest: Was tun?

Der Vergleich der Wirksamkeit von Schmiermitteln erfordert einen Test, der die aufgezählten Störgrößen weitestmöglich ausschaltet: Die mit verschiedenen Mitteln geschmierten Ketten(abschnitte) müssen dasselbe »erlebt« haben und danach mit einem halbwegs genauen Standardverfahren vermessen werden.

Dazu ist mir bisher nur ein Verfahren eingefallen: Man nehme eine neue Kette, unterteile sie in gleichlange Abschnitte, schmiere diese mit verschiedenen Präparaten – und vergleiche danach die Längungen. Dies ergibt, wie der Tour-Labortest auch, keine absoluten Werte (z. B. Kilometer Laufleistung oder Höhenmeter), ermöglicht aber eine relative Einordnung der Schmiermittel (besser/ schlechter als …).

Bild 2: Testantrieb, Trennglieder der Kettenabschnitte farbmarkiert

Testantrieb

Als Testfahrzeug habe ich eines meiner Mountainbikes gewählt, das noch einen – hüstel – altmodischen Neunfach-Antrieb hat. Schaltwerk und Umwerfer (Shimano XT, M-77x) haben etwa 800 km auf dem Buckel; die Antriebsverschleißteile sogar nur etwa 100 km bei trockenem Wetter, sind also technisch fast neuwertig:

  • Kette: SRAM PC 971, 108 Glieder
  • Kettenblätter: Mountain Goat »Milan«-Prototyp (hartes Alu, nicht eloxiert), 20/32/44 Zähne (das 20er läuft unter der Bezeichnung »Stambecco«)
  • Zahnkranz: CS-M770 (XT), 11–34 Zähne (9-fach)

Die Kette, wie gesagt etwa 100 km »alt«, wurde vor dem Test bereits einmal mit dem Schmiermittel 3 (siehe Tabellen) sparsam nachgeschmiert; zum Testbeginn ist sie wieder schmierbedürftig.

Kette: 6 in 1

Netterweise ist die Gliederzahl 108 zufällig durch 12 teilbar. Ein Sechstel sind 18 Glieder. Wenn man die Trennglieder zwischen den Abschnitten (ein SRAM-Kettenschloss und fünf normale Außenglieder) weglässt, verbleiben je 17 Glieder, nominelle Länge im Neuzustand 215,9 mm, also Kragenweite 22 Zentimeter. Das ist eine gut handhabbare Länge, betreffend das Auftragen der Schmiermittel (sicheres Unterscheiden, bloß nichts verwechseln und irgendwo »falsch« schmieren!) als auch die spätere Messlänge. Die Testabschnitte können auch länger sein, aber wesentlich kürzer würde ich sie im Hinblick auf die Aussagekraft der Messung nicht machen. Schmiermitteltests mit mehr als sechs Kandidaten bleiben also der Liegeradfraktion vorbehalten ;o)

Das originale Kettenschloss war ein ideales (leicht findbares) Trennglied. Die restlichen fünf Trennglieder markierte ich mit einem Mini-Schleifgerät und zusätzlich, nach Entfettung der Oberfläche, abwechselnd mit schwarzem und rotem Lack. Diese auffälligen Farbmarkierungen waren zwar schön leicht zu finden, sie hielten allerdings, wie schon befürchtet, nicht allzu lange. Langfristig musste ich mich an den Schleifmarkierungen orientieren, die dafür deutlich genug waren.

Bild 3: Das hübsche Lasurrot war nicht von Dauer. Die Schleifmarkierung darunter ist definitiv notwendig.

Die Testkandidaten

Ausgewählt habe ich die folgenden Mittel – Nummerierung zufällig:

Tabelle 1: Getestete Schmiermittel
Nr. Hersteller Bezeichnung Art / Beschreibung Viskosität
1 Finish Line Teflon Plus Trockenschmierstoff mit Lösemittel wasserdünn
2 Finish Line KryTech Wachs Trockenschmierstoff mit Lösemittel wasserdünn
3 Rohloff Oil of Rohloff Öl, lt. Hersteller biologisch abbaubar dickflüssig, sehr zäh, zieht Fäden, extrem lange Einziehzeit
4 Dynamic Trockenschmierstoff Trockenschmierstoff mit Lösemittel wasserdünn
5 Germans Kettenöl Öl relativ dünn
6 Dynamic Kettenöl Öl dickflüssig, lange Einziehzeit

Zur Auswahl gehören die drei »Tour«-Testsieger, die ich bisher nicht kannte: Nr. 2, 4 und 6.

Die Trockenschmiermittel 2 und 4 sind mit flüchtigem Lösemittel verdünnt, das nach dem Auftragen und Einziehen in die Rollen verdunstet.

Nr. 6 dagegen ist ein zähes Öl, dessen Erscheinung und Geruch an klassisches, nichtsynthetisches Getriebeöl erinnern. Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit solchen Ölen – sehr schmutzig, aber sehr gut schmierend und hydrophob (auswaschbeständig) – vermutete ich, dass das der Testsieger sein wird …

Diese »neuen« Mittel wollte ich vergleichen mit drei anderen, mit denen ich bereits Erfahrungen gesammelt hatte:

  • Nr. 1 – Finish Line Teflon Plus
    Ich war begeistert von der äußerlich sauberen Kette, kam aber bald wieder von dem Trockenschmiermittel ab, weil es bei Nässe schnell ausgespült wurde und ich den Eindruck hatte, dass es schlecht schmiert – an meinem Reiserad, das (immer noch) Uniglide-Zahnkränze hat, durch unangenehm schlechte Schaltperformance wahrnehmbar.
  • Nr. 3 – Oil of Rohloff
    Ein typisches Öl, jahrelang und gelegentlich bis benutzt: Schmutzig (zieht äußerlich Staub an, die verdreckte Melange verteilt sich über alle Bestandteile des Antriebs), schmiert aber passabel. Lästig finde ich die extrem lange Einziehzeit – mindestens ein paar Minuten, bei Kälte wesentlich länger.
  • Nr. 5 – Germans Kettenöl
    Auch ein typisches Öl (siehe Rohloff). Zur Testzeit mein Favorit, weil es bei ansonsten guter Performance dünnflüssig genug ist, relativ schnell einzuziehen – was meinen schlechten Charaktereigenschaften Faulheit und Eile entgegenkommt.
Bild 4: Die Testkandidaten, nach Flaschengröße geordnet. So kam die Zufallsnummerierung zustande.

Applikation

Vor jedem Schmierdurchgang habe ich die Kette gründlich mit einem trockenen, sauberen Lappen äußerlich gereinigt. Dann wurden die Mittel nacheinander abschnittsweise im Untertrum aufgetragen, beginnend am Kettenschloss (Abschnitt 1). Dabei habe ich mir Zeit gelassen, um sicherzustellen, dass es keine Überlappungen zwischen den benachbarten Abschnitten gibt und dass jede Rolle an beiden Seiten (Spalte) gründlich benetzt wird.

Ein »mitlaufender« Lappen unter der Schmierstelle fing abtropfenden Überschuss auf. Das war insbesondere bei den drei Trockenschmiermitteln notwendig: Sie sind, zumindest bei den dafür zu dick geratenen Kanülen der Spritzflaschentüllen, zu dünnflüssig, sie verlustfrei zu dosieren. Bei diesen Mitteln landete regelmäßig ein Viertel bis ein Drittel des Schmiermittels im Lappen – besser als auf dem Boden oder dem Hinterreifen, aber dennoch ärgerlich. Hier sehe ich Nachbesserungsbedarf für die Hersteller. Es sollte doch gelingen, ausreichend dünne Dosiertüllen herzustellen oder die Viskosität anzupassen …

Nach dem Auftragen jedes Mittels wartete ich, bis es eingezogen war. Dies geschah bei den dünnen Trockenschmierstoffen sehr schnell, das Germans-Öl brauchte etwas länger. Das dickflüssigere Dynamic-Öl und vor allem Oil of Rohloff sickerten so langsam ein, dass ich die Wartezeit für andere Aufgaben nutzte (Wartungsarbeiten an der Maschine, Werkstatt aufräumen …).

Nach dem Einziehen habe ich den jeweiligen Abschnitt mit einem trockenen Lappen abgerieben; erst dann wurde der nächste geschmiert. Dies gewährleistete die punktgenaue Versorgung der Rollen, einer möglichen Vermischung von Schmierstoffresten vorbeugend.

Die gesamte Schmierprozedur dauerte etwa 20 bis 30 Minuten. Im Dienst der Wissenschaft, solche Geduldsübungen würde ich mir im Nutzungsalltag nicht antun; da bin ich meistens zu faul, die Kette überhaupt abzuwischen und fördere nur nach. Einen kleinen Vorteil allerdings hatte die zeitraubende Prozedur: Ich hatte nie so lange einen so sauber aussehenden Antrieb.

Schlechtere Kette wäre besser

Ich stellte bald fest, dass ich einen Fehler gemacht hatte: Falsche Testkette. Bisher habe ich am MTB vorwiegend Shimano- und KMC-Ketten gefahren, die relativ schnell verschlissen waren. Sie erreichten oft schon nach 500 km (z. B. HG53) bis 800 km (z. B. HG93) die 0,075mm-Verschleißgrenze des Rohloff Calibers. Ausnahmsweise hatte ich auch mal die Campagnolo C9 getestet, aber nur einmal: Sie hielt zwar sa-gen-hafte 1.700 km, dafür schaltete sie mir dank ihrer ungekröpften Laschen nicht gut genug. An 6-bis-8-fach-Rädern hatte ich früher auch billige SRAM-Ketten (PC 48) ausprobiert. Die verschlissen schnell und schalteten, weil ebenfalls ungekröpft, dabei auch noch schlecht.

Dass die PC-971-Testkette gut schaltete, war angesichts ihrer gekröpften Laschen zu erwarten. Allerdings habe ich nicht mit ihrer enormen Lebensdauer gerechnet: Bis der Rohloff-Caliber endlich wunschgemäß mit der 0,1-mm-Seite im am stärksten gelängten Abschnitt (schlechtestes Schmiermittel) ganz reinfiel, musste ich etwa 2.000 km fahren. So zog sich der Test an der nur gelegentlich benutzten Spaßmaschine unerwartet über ein Dreivierteljahr hin …

Das passiert mir nicht nochmal. Der Schmiermitteltester von Welt, der schnelle Ergebnisse am Fließband produzieren will, nimmt selbstverständlich die schnellstverschleißende bekannte Marzipankette.

Einsatzprofil und Schmierfrequenz

Das Test-MTB wurde unter relativ sauberen Bedingungen bewegt – etwa ein Drittel auf Hartböden (Asphalt etc.), ansonsten auf wetterfesten Wald- und Feldwegen. Kurze matschige Einlagen gab es auch – aber, nicht zuletzt, weil ich in der Testzeit ungewöhnliches Glück mit dem Wetter hatte, keine wirkliche Schlammschlacht.

Die Umwelteinwirkungen bestanden vorwiegend aus Staub und Wasser, allerdings gab es auch Schneematschfahrten (die mir besonders verschleißfördernd zu sein scheinen, weil der Schmierstoff rapide ausgewaschen wird).

Die meisten Fahrten waren meine Mittwochabendtouren, eine Standardroute über 60 km und 700 Höhenmeter, etwa 400 davon auf dem 20er Kettenblatt. Hinzu kamen einige Tagestouren bis 120 km, mit 1.000 bis 2.000 Höhenmetern. Insgesamt dürfte die Testkette außer der Fahrstrecke von 2.000 km etwa 20 Höhenkilometer erlebt haben, schätzungsweise zwei Drittel davon auf dem kleinen Blatt.

Geschmiert habe ich, wenn ich es für nötig hielt, also die Rollen zu glänzen begannen. Das war nach fast jeder Fahrt der Fall, also meistens nach 60 Kilometern. Allerdings habe ich zum Schluss der Testphase im Zweifelsfall (wenn die Kette noch nicht wirklich »trocken« wirkte), mehrfach eine Schmierfolge ausfallen lassen. Einerseits, weil ich mit dem Test endlich fertig werden wollte. Andererseits kam mir die Idee, neben perfekter (Über-)Wartung bewusst auch dezenten Wartungsmangel auszuprobieren, weil er eher alltagstypisch ist als die Perfektion. Extrem waren diese Mängel nicht. Ich habe nur zweimal leichte Rasselgeräusche wahrgenommen, in beiden Fällen erst auf der (steigungsfreien) Heimfahrt.

Beobachtungen in der Testphase

Die großteils super gepflegte Kette verhielt sich unauffällig. Nach zwei 60-km-Nassfahrten mit vorherigem Schmierdienst entdeckte ich zweimal Rost an den Rollen der getrockneten Kette. Betroffen waren die Schmiermittel Nr.1, 3 und 5: Schwache Rostansätze bei Rohloff, stärkere bei Finish Line Teflon und Germans.

Bild 5: Olafs Messanordnung. Das Referenzgewicht bleibt streng geheim – sonst könnte ja jeder kommen und seine Werte vergleichen ;o)
Von: Olaf Schultz

Vermessung

Als – endlich – die 0,1-mm-Seite des Calibers am Untertrum bei senkrecht stehendem Schaltwerk (das erwähne ich, weil sich die Vorspannung der Kette deutlich auswirkt) in den am stärksten gelängten Abschnitt spielfrei reinfiel, konnte ich zur Vermessung schreiten. Ich entfernte die sechs Trennglieder und hatte nun sechs Abschnitte à 17 Glieder.

Es folgten einige Experimente mit einfachem Messwerkzeug, u. a. modifizierten Digitalmesschiebern. Die Ergebnisse waren mir zu ungenau und auch nicht reproduzierbar genug (Stichwort Vorspannung). Statt mir die eine oder andere Messvorrichtung zu basteln und autodidaktische Erfahrungen damit zu sammeln, schickte ich die Exponate Olaf Schultz, der damit mehr Erfahrung hat.

Bild 5 zeigt seinen Messaufbau. An dem senkrecht hängenden Kettenabschnitt zieht ein Gewicht, die Längenmessung erfolgt mithilfe eines Höhenreißers und einer Messuhr (Puppitast-Fühlhebelmessgerät).

Ergebnisse und Auswertung

Tabelle 2: Testergebnisse
Rang Nr. Schmiermittel Längung gesamt / % »Tour«-Note (Brugger-Test)
1 6 Dynamic Kettenöl 0,39 mm / 0,181 % 1
2 2 Finish Line Wachs 0,43 mm / 0,197 % 1
3 5 Germans Kettenöl 0,46 mm / 0,211 % -
4 1 Finish Line Teflon 0,47 mm / 0,218 % 3
5 3 Oil of Rohloff 0,51 mm / 0,234 % 1
6 4 Dynamic Trocken 0,64 mm / 0,296 % 1

Was sagen mir nun diese Zahlen?

  1. Der Vergleich meiner Rangfolge mit den Ergebnissen des von »Tour« durchgeführten Brugger-Tests ergibt auffällige Unterschiede zwischen dem Verschleiß des sauber geschmierten Labor-Prüfkörpers und der Outdoor-Fahrradkette. Vermutlich sind die Umwelteinwirkungen daran schuld. Schmutz und Wasser dürften die Schmierwirkungen der verschiedenen Mittel unterschiedlich stark beeinträchtigen.
  2. Die ersten fünf Schmierstoffe liegen relativ nah aneinander, die Unterschiede zwischen aufeinander folgenden Kandidaten sind minimal. Allerdings fällt Nummer 6 deutlich gegenüber der Konkurrenz ab.
  3. Das beste und das schlechteste Mittel stammen vom selben Hersteller. Was mal wieder zeigt, dass die Marke wenig über die Eigenschaften eines Produkts aussagt.
  4. Dass das autogetriebeölähnliche Dynamic Kettenöl das Rennen macht, hatte ich erwartet. Allerdings hatte ich mit einem größeren Vorsprung gerechnet.
  5. Die drei Öle schlagen sich brauchbar. Allerdings hatte mit einem besseren Abschneiden des Rohloff-Öls gerechnet. Germans gehört weiter zu meinen Favoriten. Es ist zwar »nur« auf Platz 3 gelandet, aber es lässt sich besser, letztlich schneller verarbeiten als die beiden etwas besseren Kandidaten (Dynamic Öl: lange Einwirkzeit, Finish Line Wachs: kleckert, Schutzlappen erforderlich). Eine Frage der Präferenzen: Mir ist die schnelle, problemlose Anwendung, z. B. unterwegs, wichtiger als Sauberkeit.
  6. Trockenschmiermittel ist nicht gleich Trockenschmiermittel. Dermaßen große Unterschiede hatte ich bei diesen Kandidaten – Rang 2, 4 und 6 – nicht erwartet. Das gute Abschneiden des Wachs-Trockenschmiermittels hat mich überrascht. Es scheint eine gute Wahl für Liebhaber von sauberen Antrieben zu sein.
  7. Rückblickend ärgere ich mich, ein lange von mir genutztes Hausmittel nicht mitgetestet zu haben: Hypoid-Getriebeöl. Das schmutzigste Schmiermittel, das ich kenne, sehr klebrige Ablagerungen am Antrieb und hartnäckige Flecken an Kleidern hinterlassend, und auch noch penetrant riechend. Aber ansonsten hervorragend performend …

Sonst noch wer?

Meine bescheidene Auswahl ist weit weg von marktfüllend. Es gibt noch viel zu testen, aber ich werde vermutlich nicht bald dazu kommen. Hat jemand Lust auf eigene Tests, Veröffentlichung z. B. in Fahrradzukunft? – Ja, bitte!

Sinnvolle Bedingungen: Neue Kette, Abschnitte sauber getrennt schmieren, Randbedingungen protokollieren. Es wäre empfehlenswert, mindestens eins der von mir getesteten Mittel »mitzunehmen«, um die restlichen Ergebnisse vergleichbar zu machen. Messpapst Olaf Schultz ist (bis auf weiteres, so lange ihr ihm nicht die Tür einrennt ;o) prinzipiell bereit, weitere Testketten zu vermessen.

Zum Autor

Rainer Mai ist Fahrrad-Sachverständiger in Frankfurt am Main, Maschinenbauingenieur, Alltags- und Reiseradler, Mitgründer und Betreuer einer Selbsthilfewerkstatt, Mitinitiator der »AG Verflixtes Schutzblech«.