Ausgabe 13 · April 2011
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Nutzen von Fahrrad-Informationssystemen
Ich fuhr auf einer längeren Radtour an einem Schild an einer kleinen Landstraße vorbei, das mir eine Sperrung nach einigen Kilometern verhieß. Wer ist es nicht gewohnt da zu denken: Doch nicht für Fahrradfahrer, denn selbst an den durchwühltesten Baustellen kommt man ja durch, zur Not das Rad auf den Schultern, über Zäune, Gräben und Bäche.
Aber hier nicht. Das Loch zu dem ich kam, war wenigstens einen Kilometer breit und gut 100 Meter tief, eine Tagebaugrube! Zum einen kostete mich das einen Umweg von ein paar Kilometern, zum anderen aber war es ein auch ein Erlebnis: Als ob der Abbau nur für mich ausgehoben worden wäre.
Sicher war das zu Zeiten, als es noch kein Google Maps gab und überhaupt kein Internet. Wo man sich noch auf alte Straßenkarten verlassen hat und keine Radwegweiser weit und breit standen. Zu dieser Überraschung wäre ich wahrscheinlich nicht gekommen, wenn ich ein Smartphone in der Tasche gehabt hätte.
Damit wäre ich schon beim schwersten Einwand, den man gegen Navigationssysteme auf dem Fahrrad machen kann: Dass sie einen das Glück der Entdeckung nicht mehr spüren lassen, das für das Fahrradfahren gerade so charakteristisch ist. Wer schon einmal auf einem langen schönen glatten Waldweg mit Aussicht entlang gefahren ist, weiß, wovon ich schreibe. Den wünscht man sich verborgen, entrückt von den Luft- und Satellitenbildern dieser Welt.
Doch oft wünscht man sich den kleinen Mann am Lenker
Für viele andere Fälle aber kann einem Information das Leben leichter machen. Aktuelle Karten verkaufen sich besser als alte, denn jeder weiß, dass man mit denen immer wieder mal hängen bleibt.
Nicht mehr vorhandene Fähren, neue Wegeführungen, plötzliche Schauer, ausgebuchte Quartiere, vermeidbare Steigungen oder abfahrende Züge kann man auf Radtouren erleben, gefährliche Baustellen oder nicht geräumte Strecken hat man vor der Haustüre.
Aber woher sollen diese Anwendungen und Informationen kommen, die für solche Fälle gebraucht werden? Wer suchte sie aus, wer pflegt sie und wie ruft man sie ab?
In der Pkw-Navigation ist hier ein riesiger Markt entstanden (und schon schwindet die Fähigkeit, selbst Wege aus einem Straßenatlas herauszusuchen), der von wenigen großen Herstellern beherrscht wird. Auch Google Maps bedient sich dieser Anbieter – und hat deshalb auch bei Fuß- und Radwegen große Lücken aufzuweisen.
Die Navigation begann beim Auto mit fest eingebauten Geräten für 1.000 € und mehr, aber erst mit tragbaren Geräten setzte sie sich wirklich durch. So werden heute millionenfach kleine Bildschirme an die Windschutzscheibe geheftet, wie früher die Strickhauben für die Klorollen auf der Hutablage.
Der Mensch wird multimodal, ist nicht mehr fest eingebaut
Solche Geräte, auf Englisch poetisch »nomadic device« genannt, warten auf ihren Einsatz auf dem Fahrrad, das nicht so schnell fährt, dass die Informationen am Wegesrand verschwinden bräuchten.
Natürlich ist jedes Mobiltelefon, und wie schön dass die ständig billiger werden, vom Grundsatz her dafür geeignet. Es mangelt noch an regenfesten und diebstahlsicheren Montagesystemen für den Alltagseinsatz. Aber die Prognose ist nicht allzu gewagt, dass diese bald zur Standardausstattung von Fahrrädern gehören werden. Spezialisierte Geräte, die heute noch den Markt beherrschen, werden dagegen verschwinden.
Der Pkw-Markt ist um ein Vielfaches größer als der Fahrradmarkt und entsprechend höher sind die Investitionen, die hier vorgenommen werden. Das richtige Internet im Auto leidet aber noch unter der Tatsache, dass die meisten Menschen alleine in ihrem Wagen sitzen und aus Sicherheitsgründen ein komplexes Display nicht ablesen können. Zudem lassen die Aufgaben, die sich im Auto stellen, höchstens Raum für die Musik von Radiosendern: Jede Fahrt hat ihr festes Ziel, das zunächst erreicht werden muss.
Der Fußgänger und auch der Fahrradfahrer hingegen haben tatsächlich wesentlich mehr Freiheitsgrade, halten öfters an, sind flexibler unterwegs und haben meist längere Phasen außerhalb des eigentlichen Verkehrs. Sie sind damit eine viel geeignetere Zielgruppe für das mobile Internet als die festgeschnallten Autonutzer.
Was sind die Anwendungen die wir in Zukunft unterwegs nutzen werden?
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Die Navigation
Navigation wäre für das Fahrrad mehr als die monotone Stimme mit ihren nervtötenden Anweisungen. Sie führt uns nicht nur zu unserem Ziel, sondern kann erst Recht das Unterwegs bereichern: Von der mobilen Reiseführung bis zur Facebook-Seite derjenigen, an deren Haus wir gerade vorbei fahren. Sie kann auch hinter Mauern schauen, und über Flüsse, und auf dem Rad nimmt man die eben auch noch wahr.
Die Daten für die Navigation kommen dabei aus den verschiedenen Quellen: Öffentliche Radroutenplaner, Open Source-Datensammlungen, wie z. B. die so genannte Open Street Map, persönliche Erfahrungen. Die Fusion dieser Datenbestände ist am Horizont erkennbar, aber noch längst nicht zum Greifen nahe. Da Radfahrer stärker als Autofahrer in ihren Vorlieben schwanken – die Rennradfahrerin sucht anderes als die Familie – bieten sich hier für die Navigation auch mehr Optionen und ein höherer Startaufwand. Auf Kleinigkeiten kommt es an, wenn man hässliche Stellen und gefährliche Querungen vermeiden will. Radfahrer werden also noch lange mit unzureichenden Daten leben müssen, denn sie sind mit höherer Komplexität konfrontiert als der Pkw-Nutzer in seiner »industrialisierten« Umgebung. Erst recht wenn es um kurzfristige Änderungen geht, die notorisch schwer auf gutes Qualitätsniveau zu bringen sind. Die Frauen-Stimme wird es beim Fahrrad, auch das eine Prognose, allerdings nie geben. -
Die Information
Information ist natürlich so gut wie alles. Aber für die Fahrradfahrerin interessant ist die lokale Information, die sie während ihrer Fahrt betrifft: Die Abfahrt von Zügen, der heranziehende Regen fallen mir da ein, aber die Möglichkeiten steigen mit den Dingen, die Radfahrer an ihrem Ziel tun und unterwegs entscheiden könnten. -
Die Kommunikation
Wie einfach und nett wäre ein System, auf dem du deine Bekannten radeln siehst, wie nutzlos wäre es im Auto und wie eingeschränkt zu Fuß. Es gehört zu den Freuden des Fahrens, seine Freunde zu treffen und auf ein Gespräch kurz anzuhalten. Auch Pannen könnten so ihren Schrecken verlieren.
Serendipity nennt man im Englischen glückliche Funde unterwegs. Sie lassen sich vermehren mit ein bisschen Kommunikation, die nicht gleich im Reden bestehen muss oder im Texten.
Niemand kann eine komplette Liste erstellen was alles kommen wird, was der Eine nutzen möchte und die Andere nicht. Aber die Möglichkeiten sind riesig für Radfahrer, denn die mobilen Geräte brauchen nicht viel Energie und sie kosten auch nicht immens viel Geld. Ähnlich wie das Fahrradfahren selbst sind sie selbst als Premium-Modelle fast jedem zugänglich. Sie werden das Radfahren angenehmer machen, mehr als das Autofahren, das ist meine These. Sie werden weniger vom Datenmonopol großer Anbieter kontrolliert sein, ein bisschen anarchischer in ihrem Betrieb und ein bisschen wackeliger im Gebrauch. Radfahren ist heute längst nicht so gleichartig in allen Ländern verbreitet wie das Autofahren. Da gibt es die Leihfahrrad-Nutzer in Frankreich, den Ortlieb-Pendler in Deutschland und den farbenfrohen Rennradler in Italien. Weltweite Marketingstrategien werden sich da kaum entwickeln. Das Google bicycle ist noch nicht unterwegs.
Darin liegt die Chance, von der Einheitsanwendung, an der wir uns müde gesehen haben, weg zu bleiben. Weg zu bleiben auch vom Drang, alles und jedes zu filmen, zu fotografieren und zu indizieren.
Was die Fahrradgemeinde tun sollte
Um hier voran zu kommen, sollten sich die Fahrradfahrer dieser Welt und dieses Landes auf ihren Ideenreichtum besinnen. Sie sollten das Heft oder besser das Gerät in die Hand nehmen und z. B. einen Preis für die beste Anwendung ausloben. Sie sollten nicht bei Wegen und Schildern stehen bleiben, auch wenn das vielleicht die wichtigsten Elemente einer Radverkehrsförderung sind. Sie sollten weiter schauen, auch über tiefe Löcher hinweg.
In der englischen Zeitung »The Guardian« gibt es einen populären Fahrradblog, der öfters über neue Anwendungen berichtet. England ist wahrscheinlich heute nicht das Radlermekka Europas, aber bei einer deutschen Zeitung habe ich noch nichts Vergleichbares gesehen. Wir sollten uns wie dort nicht nur Gehör verschaffen, sondern auch Platz auf den Seiten unserer Zeitungen und auf den Bildschirmen dieser kleinen Geräte. So werden wir es weit bringen.
Zum Autor
Reiner Dölger, Mainz, interessiert sich besonders für die vielen Möglichkeiten und Vorteile, die im Konzept Fahrradfahren stecken.