Ausgabe 13 · April 2011

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Graswurzelaufbruch an Rhein und Ruhr

von Albert Hölzle

Unterwegs: VeloCityRuhr

Bild 1: Logo der VeloCityRuhr
Von: VeloCityRuhr

Das Ruhrgebiet, größter Ballungsraum Deutschlands und fünftgrößter Europas, steht in einem enormen kulturellen Wandlungsprozess. Vom ursprünglichen Naturraum zum Standort der Montanindustrie und einer rasanten Besiedlung während der Industrialisierung hin zu einem kreativen, innovativen Wissensraum Ruhr. Es gilt, für momentan 5,3 Millionen Einwohner Orte und Impulse zu kreieren, die zukunftsfähig sind und in denen man sich wohlfühlt. Damit einher gehen Renaturierungsprojekte, wie zum Beispiel der Emscher-Umbau, das momentan weltweit größte Vorhaben dieser Art.

Doch wie können Menschen ihre Mitwelt erleben und diese aktiv mitgestalten? Ein Ansatz hierfür ist die vom Netzwerk für Logistik & Verkehr und der Initiative für Nachhaltigkeit initiierte VeloCityRuhr. Mit der Basis für partizipative Fahrradmobilität im Ruhrgebiet möchten wir die hier lebenden Menschen für das Thema Fahrrad sensibilisieren und gemeinsam mit ihnen zukunftsfähige Mobilitätsoptionen gestalten. Dabei bildet VeloCityRuhr eine Netzwerk-Plattform, die Initiativen, Vereine und Einzelpersonen mittels sozialer Online-Netzwerke verbindet und deren Aktivitäten und Ideen zentral auf der Website der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Daraus ergeben sich folgende Effekte: Akteure vernetzen sich, tauschen Ideen aus und schaffen dadurch neue Einrichtungen und Veranstaltungen rund um die Fahrradmobilität im Ruhrgebiet. Man beginnt »Bicycle Kitchens«, wie zum Beispiel in Wien oder »Fahrrad-Flohmärkte« zu planen und zu organisieren. Ebenso wird seitens des Teams VeloCityRuhr an konkrete Projekte gedacht, die mit Hilfe von Fördermitteln finanziert werden können. Merchandising, Sponsoring und Spenden sind weitere Möglichkeiten, die in Betracht gezogen werden, die bislang ausschließlich ehrenamtliche Arbeit zu unterstützen.

Mit VeloCityRuhr setzen wir aktiv um, was wir von der Politik erwarten. Einerseits steht kommunalen Haushalten das Wasser bis zum Halse, andererseits gilt es nach unserem Selbstverständnis, sich gemeinschaftlich für seine Interessen einzusetzen. Wir sind verantwortlich für unsere Lebenswelt, also fangen wir damit an, sie nachhaltig und zukunftsfähig zu gestalten – in vielen kleinen Schritten treten wir in die Pedale und kommen langsam ins Rollen. Wir warten nicht, bis uns ein Budget von einer Million Euro vom Himmel fällt, das nämlich soll die »Radlhauptstadt« München alleine in einem Jahr für Fahrradkommunikation ausgeben. Wir warten auch nicht, bis wir aus einem tiefen See einen Schatz von 100 Millionen Euro geborgen haben werden für den Ausbau der Fahrradstrecken zwischen den Oberzentren des Ruhrgebietes. Dieses Engagement lehnen wir keineswegs ab, aber viel lieber schließen wir uns an dieser Stelle dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) und vielen weiteren Fahrradmenschen an und fordern zunächst einmal mehr Fahrradstraßen, unterstützen Critical Masses, um den motorisierten Verkehrsteilnehmern zu zeigen, dass auch Fahrräder auf die Straße gehören und demonstrieren somit, dass Radfahren Zukunft bedeutet – für jedes Individuum wie für die Gesellschaft.

Schaut man einmal in der Geschichte zurück, weist das Ruhrgebiet viele Aktivitäten für ein »Mehr an Fahrrad« auf. In den 1920er Jahren hatte fast jeder Arbeiter im Ruhrpott sein eigenes Rad. Es wurden viele Einrichtungen für Fahrradmobilität eingeführt und ausprobiert, so zum Beispiel die Fahrradstraße – eine Tempo-30-Zone, in der Radfahrer stets Vorrang haben sowie nebeneinander fahren dürfen und die mit motorisierten Verkehrsmitteln nur benutzt werden darf, wenn dies konkret erlaubt ist. Für die flächendeckende Umsetzung fehlte dann aber der politische Wille und Mut. In Essen gab es bereits vor der Etablierung des ADFC eine Fahrradinitiative (EFI). Weiterhin gab es zahlreiche Fahrraddemonstrationen in der politisch grünen Welle der 1970er und 1980er Jahre.

Und dann kam der Sommer 2010 … mit einer kritischen Masse.

Mobilisiert: Die kritische Masse

Bild 2: Logo der Critical Mass Dortmund
Von: Nocookie

Bereits seit 2001 wurde in mehreren Anläufen versucht, in Duisburg eine Critical Mass zu etablieren. Im Sommer 2010 hatten einige Freunde aus Dortmund, die alltäglich mit dem Rad unterwegs sind, die gleiche Idee.

Die Freunde waren sich schnell einig, eine Critical Mass – eine Demonstration auf dem Fahrrad für weniger motorisierten Individualverkehr und für mehr Fahrradmobilität im Alltag – zu initiieren und die Leute in Bewegung zu setzen. Die erste Critical Mass Dortmund fand im September 2010 statt und war bereits mit etwa 30 Teilnehmern ein voller Erfolg. Einen Monat später waren es bereits über 60 Personen. Im November reduzierte sich die Masse bei Dauerregen auf nur 20 Radler. Im Dezember waren es dann – bei Nieselregen – schon wieder zehn Menschen mehr. Berücksichtigt man die Witterungsverhältnisse und die Tatsache, dass nur ein Teil der Radfahrer aus einem festen Kern besteht und immer wieder andere mitfahren, kann man berechtigterweise die Hoffnung hegen, dass sich hier etwas entwickelt, dass sich Dortmund bewegt und an dieser Stelle Impulse setzt für das gesamte Ruhrgebiet. Von der Idee begeistert starteten Fahrradfreunde dann in Essen und Duisburg weitere Critical Masses oder bauen in Bochum derzeit eine Gruppe auf. Dazu gibt es eine Übersicht aller bekannten Termine und Websites.

»Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel« lautet das Motto der Kulturhauptstadt RUHR 2010, die aktiv einen Mobilitätswandel im Ruhrgebiet stützt. So gab es am 18. Juli 2010 die Möglichkeit für Fußgänger und Radfahrer beim »Still-Leben-Ruhrschnellweg« auf der A40 zwischen Dortmund und Duisburg zu spazieren und Rad zu fahren. Unzählige Videos im Netz demonstrieren die Freude, mit der an diesem einen Tag die Fahrräder aus Kellern, Garagen und Dachböden geholt, entstaubt und schließlich auf der Autobahn gefahren wurden. Man diskutiert bereits über eine Neuauflage, die jedoch erst einmal finanziert werden muss.

Die Dortmunder Radfahrer sind da schon eine Länge voraus. Zum 9. Juli 2011 wird unter dem Motto »Dortmund umzingeln« translokal mobilisiert, mit dem Ziel, an jenem Samstag den Wall, die Innenstadt-Ringstraße, und die Stadt zu einem friedlichen Erlebnis mit Radlern zu füllen.

In diesem Sinne hofft das Team VeloCityRuhr, zukünftig in der Fahrradzukunft über weitere kleine und große Ereignisse aus der Fahrradstadt Ruhrgebiet berichten zu können.

Zum Autor

Albert Hölzle ist Initiator und ehrenamtlicher Koordinator von VeloCityRuhr, der Netzwerk-Plattform für Fahrradmobilität im Ruhrgebiet.
Kontakt: info@velocityruhr.net