Ausgabe 10 · Februar 2010
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Erfahrungsbericht schnelles Elektrorad: Riese&Müller »Delite Hybrid«
Vorgeschichte
Nachdem ich viele Jahre als begeisterter Rennradfahrer in der Freizeit unterwegs war, kam vor einigen Jahren ein geländegängiges Reiserad in den Fuhrpark. Damit konnte ich sporadisch den Heimweg von Frankfurt in den Hochtaunus abseits der stark befahrenen Straßen absolvieren. Allerdings war die morgendliche Fahrt in der Bahn oft mit Hindernissen verbunden. Die Mitnahme des Fahrrads gestaltet sich in stark gefüllten Pendlerzügen als die größte Herausforderung am ganzen Vorhaben. Hinzu kam nach insgesamt zwölf Jahren Erfahrung mit Bus und Bahn eine gewisse Unzufriedenheit mit den Nachteilen des öffentlichen Nahverkehrs (Unpünktlichkeit, wechselndes Platzangebot, Zugausfälle, abnehmende Zugverbindungen am Abend usw.).
Deshalb war ich seit Frühsommer dieses Jahres auf der Suche nach einer Alternative (Auto kam aus Kostengründen und wegen der täglichen Staus nicht in Betracht). Meine ursprüngliche Absicht war es, ein Velomobil mit Elektroantrieb anzuschaffen. Ich hatte gehofft, dass die starke Weiterentwicklung bei der Akkutechnik es möglich gemacht hat, ein Velomobil auf meiner täglichen Strecke zur Arbeit und wieder nach Hause zu bewegen ohne mich übermäßig anzustrengen. Ich hatte die Gelegenheit, einige Velomobile von Enthusiasten zur Probe zu fahren. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken. Mein Fazit erbrachte allerdings, dass die Nachteile die Vorteile überwiegen. Ausschlaggebend sind der erhöhte Rollwiderstand, insbesondere auf den bergigen Waldwegen, die ich täglich überwinden muss. Dazu kommt das Mehrgewicht und die Fahrzeugbreite, die an Engstellen zum Problem wird.
Nach den Probefahrten mit schnellen Pedelecs (BiketTec Flyer S und Riese&Müller HS 500 Hybrid) auf meiner täglichen Strecke war klar, dass der Zeitvorteil von ca. einer Stunde gegenüber meinem unmotorisierten Reiserad genau meinen Erwartungen entspricht. Andererseits wurde mir aber auch klar, dass die Akkuleistung nicht für ein Velomobil reichen würde. Denn selbst bei den ca. 10 kg leichteren Pedelecs reicht die Akkuladung nur für eine schnell gefahrene Wegstrecke (nur Hin- oder nur Rückfahrt).
Entscheidung
Eigentlich hatte ich mich nach der ersten längeren Probefahrt mit dem S-Flyer schon für das Schweizer Gefährt entschieden. Zufällig habe ich dann erfahren, dass auch Riese&Müller ein schnelles Pedelec im Programm haben. Offensichtlich hatte sich, wie ich später im Internet gelesen habe, die Auslieferung stark verzögert. Als ich bei zwei Händlern telefonisch nachfragte, erhielt ich von beiden die gleiche Aussage: »Sind gestern bei uns eingetroffen«. Das war schon wieder ein großer Zufall. Denn wenn sich die Auslieferung weiter verzögert hätte, dann hätte ich definitiv das S-Flyer gewählt. Jedoch ohne die bevorzugte Rohloff Speedhub, da das Herunterschalten am Berg beim Flyer-Antrieb sehr nervig ist. So ist es dann doch das vollgefederte Modell aus Darmstadt geworden.
Technische Daten
Hersteller | Riese und Müller |
---|---|
Typ | Delite Hybrid HS |
Rahmen | Aluminium, vollgefedert |
Radgröße | 26″ |
Antrieb | BionX 500-Watt-Radnabenmotor |
Akku | 36 V, LiMn, 10 Ah |
Schaltung | 2×8-Gang-Kettenschaltung (Umbau von Gripshift auf Rapidfire) |
Gewicht | ca. 25 kg |
Erfahrungen (Stand 07.11.2009)
Meine tägliche einfache Wegstrecke ist ca. 28 km lang, Hinweg 250 hm,
Rückweg 450 hm. Ungefähr zwei Drittel der Strecke sind asphaltiert. Die
Wegequalität ist sehr unterschiedlich.
In den letzten neun Wochen habe ich knapp 2.700 km mit dem Rad
zurückgelegt. Heute habe ich die Kette gewechselt. Sie hatte sich schon
sehr gelängt. Bevor ich auch die Ritzel tauschen muss, habe ich mich
sicherheitshalber für die günstigere Variante entschieden. Vor vier Wochen
habe ich andere – wintertaugliche – Reifen aufgezogen. Die Originalreifen
sind sehr glatt. Das ist auf Schotter und auf sehr glatten, nassen Straßen
unangenehm. Einziger »Schaden« bisher war der Verlust einer Schraube am
hinteren Schutzblech.
Die Motorunterstützung ist gigantisch. Die Anstrengung minimiert sich am Berg sehr. Dadurch kommt man deutlich weniger ins Schwitzen. Bei unmotorisierten Rädern schwitzt man bergauf und friert bergab. Das passiert mir jetzt nicht mehr. Bergab schalte ich auf Generatorfunktion und trete gegen einen der vier wählbaren Widerstände an und bleibe dabei gut temperiert. Netter Nebeneffekt ist, dass die Bremsbeläge geschont werden. Die Ladefunktion bergab darf man nicht überbewerten.
Sehr gut gefällt mir auch die Lichtanlage. Das sehr helle LED-Frontlicht erinnert an Xenonlicht bei Autos. Damit man den Gegenverkehr nicht blendet, sollte die vorgeschriebene Leuchtweite von 10 m eingestellt werden. Aus meiner Sicht kann man mit dieser Leuchtweite aber nicht schneller als 25 km/h in absoluter Dunkelheit (insbesondere auf unbefestigten Wegen) unterwegs sein. Deshalb habe ich für den Wald eine sehr leistungsfähige LED Helmlampe (90 Lux) angeschafft. Damit wird die Nacht zum Tag! Geschwindigkeiten jenseits von 30 km/h sind dann problemlos möglich.
Bei optimalen Wetter- und Lichtbedingungen bin ich auf meiner täglichen Strecke mit über 32 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit unterwegs. Durch Nebel, Regen, aufgeweichten Waldboden und dicken Laubteppich hat sich die Geschwindigkeit auf bis zu 27 km/h reduziert. Bei Eis und Schnee wird sich das noch weiter reduzieren. Ich werde aber versuchen, so oft und so lange wie möglich das Rad weiter zu benutzen.
Die Akkuleistung ist gut, könnte aber noch besser sein. Damit die Motorunterstützung am letzten Berg auf der Heimfahrt nicht versiegt, muss ich unterwegs haushalten. Daher rufe ich die maximale Unterstützung nur an den langen steileren Anstiegen ab. Das macht dann aber richtig Spaß. Man fliegt die Berge geradezu hoch. Dabei ist das Drehmoment nicht sehr hoch. Der Motor ist mehr auf die maximale Geschwindigkeit ausgelegt. Der steilste Anstieg auf meiner Strecke hat ca. 19 % (Schotter). Da kann man mit viel Schwung hoch kommen. Die Geschwindigkeit nimmt dabei aber rapide ab.
Für meine Zwecke ist das Rad sehr gut geeignet und ich habe meine Entscheidung nicht bereut.
Bei flacheren Strecken sollte die Reichweite deutlich höher liegen. Sehr positiv hat sich die moderate körperliche Belastung ausgewirkt. Dazu verspüre ich am Wochenende keinen Drang mehr, lange Ausfahrten mit dem Rennrad zu unternehmen. Dadurch habe ich jetzt mehr Zeit für die Familie. Die tägliche Fahrzeit entspricht ungefähr der durchschnittlichen Fahrzeit mit Bus und Bahn.
Update Erfahrungen (Stand 20.12.2009)
Nach 10 Wochen und ca. 2.800 km ist das System auf der abendlichen Heimfahrt ohne Vorwarnung kollabiert. Dabei ist der GAU eingetreten: Nicht nur, dass der Motor nicht mehr unterstützte, nein, der Generatormodus wurde aktiviert. Das System ließ sich in diesem Zustand nicht mehr kontrollieren. Damit wäre der restliche Heimweg sehr sehr beschwerlich geworden. Zum Glück geschah das Malheur ganz in der Nähe meines Radhändlers und ich konnte ihn trotz abendlicher Stunde telefonisch erreichen. Der Weg dorthin war nicht sehr weit und so konnte ich das Rad kurzerhand abliefern und musste von dort den Heimweg organisieren. Aber immerhin musste ich mich dann nicht mehr um den weiteren Transport des Rades kümmern. Nach erfolgtem Austausch des Motors und des Akkus beim Hersteller wurde mir das Rad vom Radhändler per Lieferwagen nach Hause gebracht. Von daher kann ich nur dafür plädieren, ein solches Gefährt nur beim Fachhändler in der Nähe anzuschaffen.
Inzwischen bin ich ca. 800 km mit den neuen Komponenten gefahren. Zunächst war ich von der vermeintlich höheren Motorleistung begeistert. Die Akkureichweite holte mich aber schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich war davon ausgegangen, dass beim Austausch des Motors sämtliche Einstellungen übernommen wurden. Das war auch für viele Dinge der Fall, allerdings nicht für den Basisfaktor für die Motorunterstützung. Den hatte ich von 1,5 auf 0,8 reduziert, um den kompletten Rückweg mit einer Akkuladung schaffen zu können. Für mich war das der beste Kompromiss zwischen körperlicher Belastung und Zeitersparnis.
Der neue Motor hatte wieder den Faktor 1,5 und die Motorpower bergauf war der Wahnsinn. Morgens auf der Landstraße bergauf mit über 40 km/h. Allerdings kann man dabei zuschauen, wie der Akku leergesaugt wird. Den Wert habe ich dann relativ schnell wieder auf 0,8 geändert.
Seit einer Woche habe ich meine guten Nokian-Spikes montiert. Wegen der relativ großen Reifenbreite von 54 mm musste ich einige Veränderungen an den Schutzblechen vornehmen. Es ist sehr eng, aber grundsätzlich funktioniert es. Der Rollwiderstand ist höher, aber erträglich. Mir ist die Sicherheit in diesem Fall wichtiger.
Bei den Wetterbedingungen der letzten Wochen (Nebel, Dauerregen und Matsch im Wald bzw. starker Frost mit geringer Schneemenge) hat sich meine tägliche Gesamtfahrzeit um ca. 20 % gegenüber der »Sommerzeit« erhöht.
Nach ca. 3.400 gefahrenen Kilometern musste ich feststellen, dass der hintere Belagsatz der Scheibenbremse komplett verschlissen war. Da hatte ich mir von der Motorbremse mehr »Unterstützung« erhofft.
Schwierigkeiten / offene Fragen
Natürlich gibt es auch Schwierigkeiten bei solchen neuen Techniken. Insbesondere rechtliche Fragen bilden einige Hürden. Zum einen frage ich mich, ob ich mit einem schnellen Pedelec, das in Deutschland als Kleinkraftrad eingestuft ist, abseits der Straße durch den Wald fahren darf. Zum anderen gibt es die Problematik des Aufladens des Akkus auf der Arbeit. Das konnte ich bisher nicht abschließend klären. Es gibt den Sicherheitsaspekt beim Betrieb von privaten elektrischen Geräten am Arbeitsplatz und der geldwerte Vorteil durch den Stromverbrauch (ca. 8 Cent pro Tag). Es sollen schon Menschen entlassen worden sein, die ihr privates Handy in der Firma aufgeladen haben.
Das liebe Wetter ist meistens gar kein so großes Problem. Die Wahl der richtigen Kleidung ist das A und O. Duschmöglichkeit ist durch die Motorunterstützung für mich nicht mehr notwendig. Nur die Dauerregenperiode im November/Dezember hat den Waldboden extrem aufgeweicht und für viel Verschmutzung gesorgt.
Zum Autor
Kurt Anders ist kaufmännischer Angestellter. Früher zumeist mit dem Rennrad sportlich unterwegs; mittlerweile hauptsächlich als Alltagsradler auf dem Weg zur Arbeit und auf Radreisen. Seit September 2009 Besitzer eines schnellen Pedelecs.
Anmerkung der Redaktion
Wie der Autor erwähnt hat, gelten schnelle Pedelecs rechtlich als Kleinkrafträder. Dafür gilt zwar keine Helmpflicht, aber man muss einen Mofa-Führerschein haben oder vor dem 1. April [sic!] 1965 geboren sein. Außerdem braucht das Fahrzeug wie jedes Benzinmoped eine Betriebserlaubnis (ein Dokument, das vom Hersteller mitgeliefert und beim Verkauf weitergegeben wird) und eine Haftpflichtversicherung mit Versicherungskennzeichen.
Am Fahrzeug des Autors fehlt das Kennzeichen. Vermutlich ist es bei der Fotosession abgefallen und er hat es mittlerweile wieder montiert …