Ausgabe 26 · Januar 2018
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Tobis Fahrradgeschichten
So oder so!
Von Jubiläen und guten Ideen, von einem Café in Rickmansworth, von der grünen Hölle, vom Bäume-Pflanzen und Utopia.
Vor 200 Jahren erfand der Freiherr von Drais die Urform des Fahrrads, des genialsten und im Prinzip ökonomischsten Verkehrsmittels aller Zeiten. Als junger Mann dachte ich sogar, diese Erfindung taugt alleine als Schlüssel, um die Welt zu retten. 2017 ist ein Jahr der großen Jubiläen. Vielerorts wurde und wird verschiedener folgenreicher Ereignisse gedacht (z.B. in Karlsruhe und Mannheim, in Wittenberg oder in Trier), die im weitesten Sinne mit der Rettung der Welt oder der Menschheit zu tun haben. So hatte 300 Jahre vor Drais der Mönch Martin Luther angesichts des Ablasshandels der Kirche einige Thesen veröffentlicht, die mit der Reformation weitreichende Folgen hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diesem Mönch der Spruch zugeschrieben: »Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich noch heute ein Apfelbäumchen pflanzen«.
Wir schreiben den 31. Oktober 2017. Zum 500. Jubiläum ist der heutige Reformationstag ausnahmsweise ein Feiertag, was mir die Gelegenheit gibt, meine Fahrradgeschichte fertig zu schreiben. Ich sitze bei schönstem Wetter vor meinem Rechner. Die Sonne scheint …
Nach Douglas Adams Roman »Per Anhalter durch die Galaxis« ist es »eine
kleine gelbe Sonne in den weit draußen liegenden Einöden eines total aus
der Mode gekommenen Ausläufers des westlichen Spiralarms der Galaxis«, um
die »in einer Entfernung von ungefähr achtundneunzig Millionen Meilen ein
absolut unbedeutender, kleiner blaugrüner Planet« kreist, »dessen vom
Affen stammende Bioformen so erstaunlich primitiv sind, dass sie
Digitaluhren [heute müsste man vielleicht sagen: Smartphones oder
E-Mountainbikes] für eine unwahrscheinlich tolle Erfindung halten«. Der
Planet hatte nach Douglas Adams nur das Problem, dass die meisten seiner
Bewohner fast immer unglücklich waren. Viele Vorschläge wurden zur Lösung
des Problems gemacht, die sich aber meist »um das Hin und Her kleiner
bedruckter Papierscheinchen« drehten. Die beste und erfolgversprechendste
Idee, wie die Welt gut und glücklich werden könnte kam dann, zu Beginn
dieses Roman, eines Donnerstags einem kleinen Mädchen ganz allein in einem
Café im englischen Rickmansworth, »fast zweitausend Jahre, nachdem ein
Mann an einen Baumstamm genagelt wurde, weil er gesagt hatte, wie
phantastisch er sich das vorstelle, wenn die Leute zur Abwechslung mal
nett zueinander wären«:
»Diesmal hatte sie sich nicht getäuscht, es würde funktionieren, und
niemand würde dafür an irgendetwas genagelt werden«!
Der Idee des Mädchens kam leider etwas dazwischen. Deshalb kommen wir wieder zurück zur Realität. In dieser haben es gute Ideen und Werte an sich, dass sie oft institutionalisiert werden. Und nach Hans A. Pestalozzi werden sie dann verraten. »Die Institution verselbständigt sich. Die Institution war noch immer mächtiger als die Idee« (Auf die Bäume ihr Affen, S. 305). Dies gilt für Ideen eines Mannes, der an einen Baumstamm genagelt wurde ebenso wie für Ideen und Anregungen eines Mannes, der vor 150 Jahren den ersten Band seines Hauptwerkes »Das Kapital« veröffentlichte. Es gilt also wachsam zu bleiben und immer wieder Ideen und (eigene) Werte mit der Realität des eigenen Handelns abzugleichen. Und wie steht es mit dem »Weltenretter« Fahrrad?
In den 1980er Jahren schrieb der Wissenschaftspublizist Hoimar von Ditfurth ein Buch mit dem auf Luthers vermeintlichen Spruch bezogenen Titel: »So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen – es ist soweit«. In dem Buch geht es darum, warum mensch nicht verzweifeln muss, wenn die Weltenrettung nicht funktioniert; es berührt aber auch Fragen nach einem besseren, alternativen Leben und der Frage nach dem Sinn des Ganzen (Douglas Adams schreibt bekanntlich, dass die Antwort »auf die große Frage nach dem Leben, dem Universum und allem« »42« lautet.).
Jutta, die Tochter des Autors, war zu dieser Zeit eine der Bundessprecherinnen einer jungen Partei, die sich als grüne Alternative zu aller bisherigen Politik sah. Jutta hatte kein Auto und fuhr an ihrem Wohnort Frankfurt a.M. nur mit dem Fahrrad. Viel Wasser und Abwasser ist seitdem den Rhein hinuntergelaufen …
Als Schüler war ich damals (für zwei Jahre) in die junge Partei eingetreten. Ich wunderte mich nur, dass ich im Kreisverband oft der Einzige war, der mit dem Fahrrad zur Mitgliederversammlung fuhr. Einmal stand vor der Gaststätte eine grüne Limousine mit einer überdimensionalen Sonnenblume auf der Kühlerhaube hinter dem Stern. In meinem Ortsverband fuhr ein netter, engagierter junger Mann ein altes großes stahlblaues Auto, dessen Heck mit Öl schwarz verschmiert war. Mit Mühe konnte man noch einen Aufkleber entziffern: »Stoppt das Waldsterben – sofort«. In meiner Klasse war ich mit meinen ökologisch-alternativen Ansichten ein Außenseiter. »Die fahren doch selber alle Auto«, hieß es. Was sollte ich da sagen? Vielleicht habe ich auch deshalb gerne eine Ausbildung in einem Fahrradladen begonnen.
Doch wird eine gute Idee falsch, weil viele derjenigen, die sie aussprechen, nicht konsequent genug sind? Und was ist das: konsequent? Und wie ist das eigene Handeln mit institutionellen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Entwicklungen verwoben?
In Tübingen wurde vor einigen Jahren auf dem Grund ehemaliger Kasernen ein Stadtviertel gebaut, das mit möglichst wenig Autoverkehr auskommen sollte: das Französische Viertel. Es gibt jedoch kein »Grundgesetz des Französischen Viertels« oder in Stein gemeisselte Bedingungen, wie man dort zu wohnen oder eine Gaststätte zu besuchen hat. Das dortige Wohnen wird – wie fast überall – über den freien Markt geregelt, das Zusammenleben über die Trägheit und Gedankenlosigkeit der Einen und das Engagement der interessierten und engagierten Anderen. Für manche ist es einfach hip – ob als Wohn- oder Ausgeh-Adresse. Des Öfteren sind im Viertel SUVs und andere Spritschlucker zu sehen. Den Kontrast dazu bieten im Straßenbild einige Transportfahrräder und Projekte wie das Reparaturcafé im »Werkstadthaus«.
Auf Grund der Wahlergebnisse wurde das Viertel vom Spiegel-Journalisten Markus Feldenkirchen einst als »Grüne Hölle« bezeichnet. Neulich wurde in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel »Vergiss Utopia« erneut über Tübingens Französisches Viertel hergezogen. Autos seien dort verpönt, »man« würde grün wählen, aber Auto fahren. »Man« würde nur halt etwas weiter weg parken.
Was will der Autor damit sagen? Seid konsequenter (ich bin es auch)? Oder findet er die Idee (bzw. Utopie) schlecht, weniger Auto zu fahren und zu versuchen, die Rahmenbedingungen zu ändern. Ja, auch ich habe schon Menschen erlebt, die glauben, Auto fahren sei »umweltfreundlich«, wenn das Auto über einen Katalysator verfügt und die meinen, regelmäßig in den Urlaub fliegen sei o.k., wenn zum Ausgleich ein Baum gepflanzt und Ecosia als Suchmaschine verwendet wird. Hans A. Pestalozzi schrieb, dass Menschen, die ein Auto besitzen, grob gesprochen in der gleichen Zeit, die sie arbeiten müssen, um dieses Auto zu finanzieren, die Strecken, die sie dann mit dem Auto zurücklegen auch mit dem Fahrrad zurücklegen könnten. Das hat mit Entschleunigung zu tun.
Ja, »man« kann ein (Apfel-)Bäumchen pflanzen: so oder so!
Literatur
- Douglas Adams: Per Anhalter durch die Galaxis. München: Heyne, 1981
- Hoimar von Ditfurth: So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen: es ist soweit. Hamburg: Rasch und Röhring, 1985
- Markus Feldenkirchen: Die grüne Hölle. In: Der Spiegel 12/2011. S. 58–62, abgerufen am 6.11.2017
- Hans A. Pestalozzi: Auf die Bäume ihr Affen. Bern: Zytglogge, 1989
- Thorsten Schmitz: Vergiss Utopia. In: Süddeutsche Zeitung, 1.9.2017, S. 3
Zum Autor
Tobias Kröll, Jahrgang 67, Fahrradmechaniker und Sozialwissenschaftler, betreibt einen kleinen Fahrradladen in Tübingen. Daneben engagiert er sich für einen sozialökologischen Umbau der Gesellschaft und ist Mitglied im Institut Solidarische Moderne.