Ausgabe 26 · Januar 2018
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Mobilität für Kleinkinder und Fahranfänger
Oder: Ab wann sollen Kinder Fahrradfahren lernen?
Ohne Zweifel ist das Fahrrad für die meisten Kinder ein jahrelanger Begleiter. In Deutschland werden wahrscheinlich 95 % der Kinder Fahrrad fahren lernen und die meisten davon haben ein Fahrrad zur Verfügung. Trotzdem sollte man sich die Frage stellen, ab wann Fahrradfahren wirklich sinnvoll ist und was wir den Kindern antun, wenn wir sie sehr früh an eine immerhin unnatürliche Mobilität heranführen.
Im Fahrradladen erlebt man sehr oft, dass Kinder schon mit zwei oder drei Jahren auf ein Rad gesetzt werden. Kinder lassen sich schnell begeistern und die Eltern interpretieren die Reaktionen als »Haben-Wunsch«. Die Fahrzeugkarriere eines Kleinkindes sieht dann ungefähr so aus: Nach dem Kinderwagen die Kinderkarre und die bis zum vierten Lebensjahr, weil ja die Wege in der Stadt so lang sind. Ersatzweise mit zwei Jahren das Dreirad von den Großeltern (das Bobby-Car gab‘s schon zur Geburt), denn damit kann man ja auch durch die Gegend geschoben werden. Eine kurze Rollerphase schließt sich an (wenn überhaupt) und mit drei oder spätestens vier Jahren gibt es das erste Fahrrad, womöglich mit Stützrädern. Alternativen sind Kindersitz und Kinderanhänger, später eine Abschleppstange, damit das Kind sich nicht zu sehr anstrengen muss.
Erst mit sieben oder acht Jahren wird das Fahrrad zu einem Fortbewegungsmittel, das in das Spiel mit einbezogen wird oder mit dem man den Freund in der Nachbarschaft erreichen kann. Vor diesem Alter sind alle diese genannten Fahrzeuge Erleichterungen für die Eltern – aber keine wirklich altersgerechte Förderung der motorischen Entwicklung des Kleinkindes.
Gutmeinende und umweltbewusste Eltern wollen das Mobilitätsproblem mit Kindern auf die Weise lösen, die sie selbst für die sinnvollste halten und die sich meistens bewährt hat: mit dem Fahrrad. Es spricht auch nichts dagegen, solange das Kind genügend andere Möglichkeiten zur Bewegung hat. Das Fahrrad alleine ist aber kein Ausgleich für Laufen und Toben. Fahrradfahren ist sehr energieeffizient und nach einer kurzen Lern- und Gewöhnungsphase kein motorischer Anreiz mehr für weitere Entwicklung. Wirklich schnell fährt ein Kind nicht und lange Strecken schon gar nicht. Kinder, die sehr früh alle Strecken mit oder in irgendwelchen Fahrzeugen zurücklegen, können keine ausreichende Haltemuskulatur trainieren und lernen vor allem nicht die Ausdauer, die es braucht, längere Strecken zu Fuß zurückzulegen.
Auch die Langeweile, die zu einer Gehstrecke gehört, wird nicht trainiert und damit auch nicht die Toleranz für reizarmes Geschehen. Alle Fahrzeuge des Kleinkindes, die nicht für die jeweilige Altersphase kindgerecht sind, führen zur Ermüdung (Kind schläft ein) oder gewöhnen das Kind an eine Reizüberflutung. Natürlich lassen sich nicht alle Transporte mit dem Kind vermeiden und die Vermeidung von Autoverkehr ist ein hehres Ziel – aber Kinder brauchen auch andere Bewegung. Ein guter Maßstab ist die Beobachtung, ob ein Fahrzeug in die Spiele des Kindes integriert wird oder ob das Kind das Fahrzeug nur nimmt, weil die Eltern es wollen oder weil es zu faul ist, die drei Schritte zum Park oder Bäcker zu Fuß zu gehen.
Also doch erst einmal zu Fuß!
Das zu Fuß Gehen ist eine Kunst, die für das Kleinkind ein sehr wichtiger Entwicklungsschritt ist. So wichtig, dass die gesamte körperliche Entwicklung eines Kindes daran gemessen werden kann. Nach dem Erlernen der grundlegenden Lauftechnik braucht das Kleinkind eine Phase, in der es die Motorik ständig verbessert, Spaß am Laufen bekommt und selbstständig Laufvariationen ausprobiert.
Dass Schulkinder heute nicht mehr rückwärts gehen und nicht mehr auf einem Balken balancieren können, ist ein Zeichen dafür, dass dieser Entwicklungsphase nicht mehr genügend Raum gegeben wird. Wenn in der Zeit des spielerischen Experimentierens mit den eigenen Bewegungen ein Fahrzeug in den Vordergrund rückt, dann wird das Kind in seiner natürlichen Bewegungsentwicklung gehindert. Statt Variationen der eigenen Bewegung zu erlernen, wird ein (neues) Gerät erlernt. In der Zeit des »Laufen« Lernens (ich würde sagen: bis zum dritten oder vierten Lebensjahr) fällt auch die Phase der Neugier.
Alles muss untersucht werden. Spiele müssen jeden Moment unterbrochen werden können, um ein Detail in Augenschein zu nehmen, eine glatte Baumwurzel zu »erfassen« oder einen Stein umzudrehen.
Kinderkarre, Dreirad und Fahrrad lassen solche spontanen Reaktionen nicht zu, weil die Gelegenheit vorbei ist, bevor das Kind sich aus dem Fahrzeug befreit hat. Zum Laufen lernen (ich meine natürlich immer das »Gehen« in allen Variationen) gehört auch die oben bereits beschriebene Ausdauer. Damit ist nicht nur die körperliche Ausdauer gemeint, sondern vor allem die psychische. Die körperliche Ausdauer ist bei kleinen Kindern schnell trainierbar, denn Herz und Kreislauf sind eigentlich für die geringe Körpermasse überdimensioniert (wenn das Kind nicht übergewichtig ist).
Man kann Kinder kaum wirklich überlasten, weil sie ihre Grenzen spüren und mit den Worten »ich habe keine Lust mehr« die Tätigkeit einfach einstellen. In kleinen Schritten kann diese Toleranzgrenze ausgedehnt werden. Wichtig ist dabei, dass diese Anforderung regelmäßig an ein Kind gestellt wird. Eine sonntägliche Wanderung von 15 km Länge ist bestimmt nicht dazu geeignet, dem Kind Spaß am Laufen beizubringen, aber regelmäßige Wege zum Kindergarten, zur Schule und zum Einkaufen können diese Fähigkeit trainieren. Kinder haben genügend Muskulatur, sie muss nur angesprochen werden, denn einen Muskelaufbau wie bei Erwachsenen gibt es bei Kindern noch nicht. Erst mit der Pubertät bekommt der Körper die Möglichkeit Muskelfasern komplett neu zu bauen, davor wird nur die vorhandene Substanz aktiviert.
Ein typischer mitteleuropäischer »Fehler« ist die Geschwindigkeit, mit der sich Eltern mit einem Kleinkind an der Hand fortbewegen. In der Regel passen sich die Eltern dem Tempo des Kindes an, was eindeutig nicht normal ist. Wenn man Mütter mit Kleinkindern aus anderen Ländern beobachtet, dann laufen diese Mütter normales Tempo und die Kinder »joggen« an der Hand mit.
Das ist normal! Kinder haben sehr viel Ausdauer in diesem Bereich und wollen sich auch bewegen. Man tut ihnen (und den Eltern) mit dem langsamen Tempo keinen Gefallen. Wenn man das Kind Stück für Stück und regelmäßig ans »Joggen« gewöhnt, schafft es auch bald lange Strecken und man kann die sperrige Kinderkarre zu Hause lassen. Das Gehen (und Joggen) von langen Strecken (je nach Alter 1 bis 5 km) ist auch besonders wichtig für die Automatisierung von Bewegungsabläufen und zur Kräftigung der gesamten Haltemuskulatur, besonders die der Füße und des Rückens. Keine andere Bewegung fordert so konsequent den Aufbau der diagonalen Körperspannung (Arme und Beine bewegen sich gegenläufig zueinander). Die Fußbewegung wird verbessert und rationaler gestaltet (kein Gehen »über den großen Onkel«) und das Fußgewölbe baut sich auf, da die Optimierung des Abdruckes zum Abrollen zwingt und so das »Watscheln« mit nach außen gestellten Füßen aufhört (Platt-, Spreiz- und Knickfußgefahr durch Verkürzung der äußeren Wadenmuskulatur).
Viele Haltungsfehler und viele motorische Schwächen, die heute bei Schulkindern festgestellt werden, lassen sich auf den Mangel an Laufgelegenheiten zurückführen. Das Kind kann nur die Möglichkeiten annehmen, welche die Eltern anbieten. Von selbst wird es nicht zum Laufen drängen. Aber solange immer ein Fahrzeug einsatzbereit vor der Tür steht, wird es keine Ausdauer entwickeln. Die psychische Ausdauer hat noch größere Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes. Wenn ein Kind an ständig neue Eindrücke gewöhnt wird (wie durch Fernsehen und die hohe Informationsdichte schneller passiver Bewegung), gewöhnt es sich auch an sehr kurze Verarbeitungszeiten für die Eindrücke bzw. wird eine Vergessensstrategie entwickeln, um nicht von der Reizüberflutung überfordert zu werden.
Man hält mittlerweile die gelangweilte Null-Bock-Einstellung und die Interesselosigkeit der Teenager für eine entsprechende Schutzreaktion. Ein so trainiertes Gehirn muss die Konzentration auf EINEN Vorgang, auf EINE Tätigkeit als nicht lohnenswert einstufen. Das Aushalten von relativer Reizarmut, z. B. durch das Gehen durch eine sich nur langsam verändernde Landschaft (ein mittleres Kornfeld kommt heute auf 500 m Kantenlänge, das sind ganze zehn Minuten für ein Bild) macht Platz für Gedanken und fordert das Kind heraus, in der scheinbar langweiligen Umgebung etwas Interessantes zu entdecken (ein Kornfeld ist ja nicht 500 m lang absolut gleich). Gute Konzentrationsfähigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass man bei scheinbar sehr einseitiger Tätigkeit (z. B. Lesen) die volle Aufmerksamkeit behält. Eine Eigenschaft, die bei den heutigen Schulkindern dramatisch zurückgegangen ist.
Die wichtigste Strecke zu Fuß für Kinder ist der Schulweg! Grundschulen sind selten so weit entfernt, dass sie nicht zu Fuß erreicht werden können. Auch wer auf einen Bus angewiesen ist, hat (hoffentlich) einen entsprechenden Weg bis zur Bushaltestelle. Schulwege sind für die soziale und emotionale Entwicklung sehr wichtig. Es werden Freunde (und »Feinde«) getroffen, mit denen man sich arrangieren muss, es wird ein Stück Alltag außerhalb des Elternhauses erfahren, es wird gebummelt und gerannt. Die klimatischen Reize, wenn ein Kind bei jedem Wetter zur Schule geht, sind für das Immunsystem wichtig. Nichts kann den Schulweg ersetzen. Auch hier verhindert das Mama-Taxi eine gesunde Entwicklung.
Spiel und Mobilität
Nach diesem Plädoyer für die älteste Fortbewegungsmethode der Menschheit nun ein Überblick über die Vor- und Nachteile diverser Kinderfahrzeuge.
Fahrzeuge üben eine unglaubliche Anziehungskraft auf Kinder aus, schon das Zweijährige möchte unbedingt die Kinderkarre selbst schieben und jedes erreichbare Fahrzeug wird erobert und besetzt - im Kindergarten genauso wie bei Freunden. Solange das Fahrzeug ins gemeinsame Spiel integriert ist oder dem allein spielenden Kind zum erträumten Phantasiefahrzeug wird, ist nichts dagegen einzuwenden.
Das Bobby-Car (Alptraum und Legende) ist fast unvermeidbar und passt in die Zeit kurz nach dem Laufen lernen. Das Kind erlebt selbstgemachte Geschwindigkeit und wird nicht überfordert. Die Bewegung ist einfach und der Bewegungsradius durch eine gewisse Ineffizienz des Fahrzeuges eingeschränkt. Aus medizinischer Sicht sollte das Bobby-Car nicht zu häufig benutzt werde, weil die Seitwärts-Rückwärtsbewegung der Beine auf dem relativ breiten Fahrzeug eine ungünstige Rotationsbelastung der Hüftgelenke darstellt. Bei größeren Kindern wird das Bobby-Car gerne mal zweckentfremdet wenn es darum geht, im Spiel eine bestimmte Funktion auszufüllen. Deshalb dürfen solche Fahrzeuge nie zu früh beseitigt werden.
Auch Kinderroller haben (lange vor dem Scooter-Boom) bei Teenies schon eine Renaissance erlebt. Das klassische Dreirad ist eine ergonomische und motorische Katastrophe. Es wird meistens von gutmeinenden Großeltern geschenkt und entgegen seiner eigentlichen Bestimmung meistens als Karrenersatz eingesetzt. Heutige Dreiräder haben viel zu kleine Vorderräder. Zusammen mit den extrem kurzen Tretkurbeln ermöglicht es dem Kind keine größere Geschwindigkeit als die eigene Schrittgeschwindigkeit. Der Abstand zwischen Sattel und Lenker – und damit zu den Pedalen – ist viel zu kurz, sodass keine ergonomisch sinnvolle Tretbewegung zustande kommt.
Dreiräder sind als Spielzeug im Kindergarten hilfreich, weil der »Konflikt«, wer als nächstes fahren darf, der eigentliche Spielzweck ist – als Fortbewegungsmittel halten sie nicht, was sie versprechen. Wird das Kind auf dem Dreirad mit einer entsprechenden Haltestange geschoben, bietet sich ein groteskes Bild: Ein normalerweise bewegungshungriges Kleinkind wird, stocksteif sitzend, die Füße und Hände krampfhaft auf Pedale und Lenker festgebannt, mit starrem Blick durch die Gegend manövriert.
Die Laufmaschine (Like-A-Bike und Co.), auch gerne Laufrad genannt, ist die glücklichste Wiederentdeckung, welche die Kinder im 21. Jahrhundert erleben durften. Ähnlich kindgerecht wie das Bobby-Car für die ganz Kleinen, ermöglichst es den Drei- bis Vierjährigen eine sehr individuelle Fortbewegung und Mobilität. Der Bewegungsablauf entspricht dem Laufen.
Die Geschwindigkeit wird erfolgreich selbst gesteuert (auch das Bremsen gelingt ohne Handbremse!) und die Eltern haben auf Spaziergängen und Wanderungen ein leistungsfähiges, glückliches Kind, das am Ende des Tages ausreichend müde ist. »Laufmaschinchen« sind leicht und können vom Kind sehr schnell verlassen werden, sodass kleinen Entdeckungen spontan nachgegangen werden kann. Die motorische Herausforderung ist für dieses Alter perfekt. Die Gleichgewichtsfindung funktioniert in akzeptabler Zeit und spart später beim Fahrrad die leidigen Stützräder (Stützräder sollten meiner Meinung nach verboten werden!). Soll ein Kind das Laufen auf der Laufmaschine lernen, muss darauf geachtet werden, dass es mit leicht gespreizten Beinen vom Sattel aus auf den Boden kommt. Nur so wird es stehend balancieren können.
Laufmaschinen machen ein Dreirad unnötig und können auch den Roller ersetzen. Die Angebotsvielfalt ist unendlich groß geworden. Das wichtigste Kriterium ist das geringe Gewicht. Das Kind sollte das Fahrzeug ganz alleine in allen Situationen beherrschen können. Gute Laufmaschinen wiegen nicht mehr 3 kg. Die Sitzhöhe der Laufmaschine sollte regelmäßig entsprechend der Beinlänge des Kindes korrigiert werden. Nur wenn die Beine einigermaßen gestreckt werden können ist die Fortbewegung effektiv. Kombinierte Laufmaschinen, die sich später zum Fahrrad umrüsten lassen, sind meines Wissens weder gute Laufmaschinen noch gute Fahrräder. Als Laufmaschine dürften sie zu schwer sein.
Wenn man ein sehr kleines Kinderrad mit niedrigem Sattel ergattern kann, kann man auch durch Abschrauben der Pedale daraus eine Laufmaschine herstellen. Leider sind die wenigsten Kinderräder dafür tief genug und die, die tief genug sind, sind meistens viel zu kurz. Ein Nachteil der Laufmaschinen, der sich erst langsam herauskristallisiert, ist das Sitzenbleiben auf dem Sattel beim Anfahren und Anhalten. Sollen die Kinder später Fahrrad fahren lernen, dann ist ihnen diese Grundhaltung kaum noch abzugewöhnen, was zur Folge hat, dass permanent mit zu tiefem Sattel gefahren wird, was sich extrem negativ auf die Knie auswirkt und – wie weiter unten beschrieben – massive Kniegelenksschäden zur Folge haben kann.
Ein Roller dagegen fördert die Balance und das Gleichgewicht im Stehen, sodass die Kinder auch später ein Fahrrad mit ausreichend hohem Sattel fahren können, weil sie gelernt haben, im Stehen zu fahren. Das Anfahren mit dem Fahrrad erfolgt im Stehen auf den Pedale und erst wenn das Fahrrad genug Fahrt hat setzt sich das Kind in den Sattel. Beim Anhalten passiert das in umgekehrter Reihenfolge.
Anhänge-Fahrrad und Abschleppstangen
Anhängefahrräder, sogenannte Trailerbikes sind bei einer früheren Untersuchung der Stiftung Warentest (Mai 2005) unangenehm aufgefallen, weil bei einigen die Befestigung am Zugfahrrad mangelhaft war und nach relativ geringer Belastung zu brechen droht. Inwieweit die Labortests der Praxis entsprechen, kann nicht genau gesagt werden, es sind daraufhin etliche Modelle von diversen Anbietern zurückgezogen worden. Trailer-Bikes scheinen für viele Eltern die Lösung des gemeinsamen Mobilitätsproblems. Bestechend ist die Aussicht, mit relativ großen Kindern (jenseits des Kindersitzes) einigermaßen sicher und vor allem zügig durch den Verkehr zu kommen. Trailerbikes und auch Anhänge-Systeme für Kinderfahrräder haben den Nachteil, dass die Übersetzung des Kinderfahrzeuges nicht mit den Geschwindigkeiten des Zugfahrzeuges zusammen passt. Da der Erwachsene deutlich schneller fährt als das Kind alleine, wird das Kind sehr bald »leer« treten und die Tretbewegung einstellen (und dann frieren).
Kinder auf Trailerbikes sind meistens genauso unbeweglich wie Kleinkinder auf geschobenen Dreirädern und die Ergonomie ist meistens ähnlich katastrophal, weil die Trailer alle einen zu kleinen Abstand zum Lenker haben und meistens auch die Sitzhöhe nicht vernünftig eingestellt werden kann. Ein angehängtes und im Prinzip richtig passendes Kinderrad ist da etwas besser. Wenn Kinderfahrräder am Zugfahrrad möglichst weit unten befestigt werden (z. B. mit dem schweizerische Follow-Me) ist die Fahrsituation des Gespannes einigermaßen stabil, hohe Befestigungspunkte lassen das Gespann schwanken und verändern den Sitzwinkel auf dem gezogenen Fahrrad ungünstig. Auch der Sattel zeigt bei einem zu hoch angehängten Rad plötzlich mit der Nase nach oben und das Kind wird gezwungen, mit einer Rundrückenhaltung, bei der das Becken nach hinten kippen kann, diesem Druck auszuweichen.
Relativ neu auf dem deutschen Markt ist das Weehoo, ein einspuriger Anhänger mit einem geschlossenen Sitz und einer dem Liegerad ähnlichen Haltung.
Das 20 Zoll große Hinterrad hat keine Schaltung, bietet aber eine gute Übersetzung und hohe Entfaltung, sodass das Kind auch bei Erwachsenengeschwindigkeit noch mittreten kann. Die 90 mm langen Kurbeln sind sinnvoll kindgerecht und mit Pedalriemen versehen. Durch reichhaltiges Zubehör wie Regenverdeck und ausreichend Platz für zusätzliche Packtaschen oder einen Mitfahrerplatz für das nächstjüngere Kind dürfte sich dieses Fahrzeug auch in Deutschland etablieren. Ich habe das Weehoo bereits an Eltern mit behinderten Kindern weiter empfohlen, weil sich dort durch den geschlossenen Sitz mit dem 3-Punkt-Gurtsystem viele Möglichkeiten ergeben.
Gekoppelt wird das Weehoo über verschiedene Adapter an der Sattelstütze (was mir immer noch etwas Bauchschmerzen bereitet). Ich hoffe, dass der Hersteller bald eine bessere Lösung anbieten kann.
Wer mit seinen Kindern richtig Spaß haben möchte und eine echte Alternative sucht, wird sich ein Tandem mit einer »Kiddy-Crank« (einem hochgelegten Tretlager) ausrüsten oder ein Tiefeinsteiger-Tandem wählen, auf dem Kinder schon ab acht Jahren mitfahren können.
Für liegeradverwöhnte Eltern gibt es seit einigen Jahren von Hase Bikes das »Trets«, ein zweirädriges Trailerbike mit Liegeradsitz, welches vom Kind mit angetrieben wird und bei Bedarf später mit einem eigenen Vorderrad kombiniert werden kann. Auch hier muss man auf die passende Übersetzung achten. Außerdem sollten Sitzabstand und Kurbellänge zu der Beinlänge des Kindes passen. Sehr viele Kinderkurbeln sind zu lang! Die Kurbellänge ist dann richtig, wenn bei passend eingestellter Länge oder Höhe (maximal passender Abstand zwischen Sitz bzw. Sattel und Pedal) im kürzesten Abstand (oberer Totpunkt, bzw. 11:00 Uhr Position) das Knie nicht stärker als 90° angewinkelt ist.
Das starke Anwinkeln des Knies erzeugt in dem Moment, in dem Kraft auf die Pedale gebracht wird, einen hohen Druck auf die Knorpelflächen der Kniescheibe. Das kann später die Ursache für Knieprobleme sein, weil die empfindlichen Knorpelflächen früh geschädigt worden sind. Auch für Erwachsene gilt die Faustformel: Die Kurbellänge sollte die Körpergröße in Millimeter nicht überschreiten.
Zur Autorin
Juliane Neuß, von Beruf Technische Assistentin für Metallographie und Werkstoffkunde. Ihre Berufung: Fahrradergonomie. Betreibt seit 1998 die Firma Junik-Spezialfahrräder, hat 6 Jahre lang die Filiale eines Fahrradladens in Hamburg geleitet und schrieb viele Jahre die »Tech Talks« für die Radwelt (ADFC). Lebt seit zwei Jahren im Oberharz und hat dort den Spezialradladen »Fahrradschmiede 2.0«.