Ausgabe 25 · August 2017
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Libelle – ein leichtes Lastenrad
Seit vielen Jahren beschäftige ich mich in meiner Freizeit mit dem Bau von Fahrrädern, genauer gesagt: mit verkleideten Fahrrädern aus Faserverbundwerkstoffen. Die Grundidee ist dabei immer dieselbe geblieben: Es geht darum, möglichst wenig zusätzliches Gewicht durch die Verkleidung zu generieren. Daher lag es von Anfang an nahe, auf eine aufwändige Rahmenkonstruktion aus Aluminium oder Stahl zu verzichten und dafür die Verkleidung als selbsttragende GFK- oder CFK-Struktur zu nutzen. Die erforderlichen Grundkenntnisse in der Verarbeitung dieser Werkstoffe brachte ich 1985, als ich das erste GFK-Liegerad baute, bereits aus meiner Modellfliegervergangenheit mit.
Über die Jahre entstanden so eine Reihe von Liege- bzw. Sesselrädern, die sich im Alltagseinsatz durchaus bewährten. 1988 reichte es in einer Kategorie sogar zum Gewinn der Europameisterschaft für HPV (Human Powered Vehicles) in Nümbrecht.
2014 – Die Idee
2014, als dann die ersten Enkelkinder die Familie bereicherten, entstand die Idee, ein leichtes Kindertransportrad bzw. Lastenrad zu bauen um auf den doch eher behäbigen Anhänger verzichten zu können.
Die Anforderungen waren schnell definiert:
- einspuriges Fahrrad (bessere Fahrdynamik, problemlose Nutzung von Radwegen)
- geringes Gesamtgewicht (max. 20 kg)
- ausgewogenes Fahrverhalten (freihändiges Fahren möglich, wenn auch natürlich nicht sinnvoll)
- möglichst tiefer Schwerpunkt mit Last (Fahrverhalten)
- möglichst hoher Anteil an Standard-Fahrradkomponenten (Kosten, Wartung)
- geschlossene Kabine (Sicherheit, Wetterschutz)
Nach einigen Designstudien auf Papier und später im Maßstab 1:10 aus Formbauschau wurde ein erster Prototyp erstellt. Ein Formpositiv aus einem leicht zu bearbeitenden PU-Schaum wurde hergestellt und mit einer akzeptablen Oberfläche versehen. Die angefertigte Negativform aus Polyester bildete die Grundlage für die erste selbsttragende Lastenradkabine. Der erste Prototyp war noch etwas »weich«, ließ sich aber ohne Last bereits angenehm fahren. Durch die Elastizität des Carbon-Materials konnte man zudem die Bereiche der stärksten elastischen Verformungen leicht erkennen und entsprechende Verstärkungen vorsehen. Als Kindersitz wurde ein handelsüblicher Sitz mit 5-Punkt Gurten aus einem Anhänger eingebaut.
Das Ergebnis war ein Lasten- bzw. Kindertransportrad, das sehr schnell den Gedanken nahe legte, dieses in Kleinserie zu bauen und zu vermarkten. Dieser Gedanke wurde noch befeuert, da ich langsam auf die 60 zuging und für die Zeit nach meiner industriellen Ingenieurstätigkeit eine selbständige Aufgabe suchte.
2015 – Erste Verkäufe und laufende Optimierungen
In den nächsten zwei Jahren konnte ich ca. 20 Libellen bauen, die in vielen Details Stück für Stück verbessert wurden. So bestand z.B. die Lenkung aus Gewichtsgründen anfangs aus einer recht dünnen Alu-Stange oberhalb der Kabine. Aus ästhetischen und praktischen Gründen wurde sie jetzt als solides Rohr unter die Kabine verlegt. Die Fenster konnten dadurch größer werden und die Kinder können sich nicht mehr die Finger unter der Lenkstange klemmen.
Ende 2015 stieß Sebastian Sandner dazu. Der Luftfahrtingenieur war gerade Vater geworden und benötigte selbst eine Libelle, um auch mit Nachwuchs alles mit dem Fahrrad erledigen zu können. Er war schnell ebenfalls von der Libelle überzeugt und unterstützte mich von nun an in meinem Ziel, die Libelle als serienreifes Produkt auf den Markt zu bringen.
2016 – Sicherheit im Fokus, Erweiterung des Einsatzbereichs
Mit Sebastians Erfahrung im Bau von Flugzeugen aus Kohlefaser wurde die Kabine zum Crashcockpit weiter entwickelt. Hierzu erstellten wir verschiedene Materialproben und brachten sie mit einem definierten Einschlag zum Bersten. So konnten wir die optimale Kombination aus Kohle- und Aramidfasern ermitteln, die bei einem Unfall die Kinder möglichst gut schützt.
Fahrradanhänger haben gegenüber Lastenrädern den großen Vorteil, dass sie beispielsweise beim Einkaufen mit wenig Umbauaufwand als Kinderwagen genutzt werden können. Sebastian, der täglich mit seinem Sohn in der Libelle unterwegs ist, musste beim Einkaufen hingegen die Libelle abstellen und den Kleinen in den Einkaufswagen packen – auch wenn dieser gerade erst eingeschlafen war. Dies führte uns zum nächsten Entwicklungsschritt.
Nach einem Jahr Entwicklungsarbeit war die »Libelle 2in1« fertig. Der hintere Teil der Libelle kann nun innerhalb von Sekunden mit wenigen Handgriffen abgetrennt werden, sodass die Kabine zum Kinderwagen wird. Dabei werden die Züge für Schaltung und Bremse über Wipp-Mechanismen automatisch getrennt und verbunden. Der Ständer kann so umgeklappt werden dass der vordere Teil auf drei Rädern steht. Das 20-Zoll-Vorderrad und die Lenkung samt Bremse können so am Kinderwagen weiter genutzt werden.
Für eine serienreife Libelle war noch viel unscheinbare Entwicklungsarbeit nötig, um die Fertigung zu verbessern und offene Punkte zur Produktsicherheit zu klären. Für die Fahrradsicherheit gibt es zahlreiche Anforderungen, die in Normen festgelegt sind, die ein Hersteller durch theoretische oder praktische Untersuchungen nachweisen muss. Bisher wurde allerdings für jede neue Libelle ein normales Fahrrad passend zu den Wünschen des Kunden fertig eingekauft und umgebaut. Obwohl viele Libellen ohne Problem umherfahren, hätten wir so theoretisch für jedes neue Fahrradmodell, das wir verbauen, umfangreiche Tests durchführen lassen müssen. Da dies nicht bezahlbar ist und es bei der Härte der Tests zu Vorschädigungen führen könnte, musste die Libelle komplett überarbeitet und standardisiert werden. Es wurde ein Rahmen für den Hinterbau gefunden, der nun bei jeder Libelle gleich ist. So müssen nur einmal die teuren Dauerbelastungstests durchgeführt werden. Damit geht einher, dass alle weiteren Komponenten vom Hinterrad bis zur Klingel zusammengestellt und bestellt werden müssen. Dies erhöht zwar auf der einen Seite den Aufwand, eröffnet aber auf der anderen Seite die Möglichkeit, die Libelle optimal auszustatten.
Die Libellen im Überblick
Libelle Standard | Libelle 2in1 | Libelle E | |
---|---|---|---|
Abmessung | 2,6 m × 0,64 m |
2,6 m × 0,64 m Vorderteil: 1,3m × 0,64m |
2,6 m × 0,64 m |
Massen (je nach Ausstattung |
20 kg | 23 kg | 28 kg |
Max. Systemgewicht | 180 kg | 180 kg | 180 kg |
Zuladung Kabine | 50 kg | 50 kg | 50 kg |
Schaltungen | Shimano Nabe/Kette, Rohloff, Nuvinci | Shimano Nabe, Rohloff | Shimano Nabe/Kette, Rohloff, Nuvinci |
Bremsen |
vorne: Magura HS11/HS33 hinten: Magura MT2/HS11 |
vorne: Magura HS11/HS33 hinten: Avid BB7 |
vorne: Magura HS11/HS33 hinten: Magura MT2/HS11 |
Reifen/Felgen |
Schwalbe Marathon/ Hohlkammer verstärkt |
Schwalbe Marathon/ Hohlkammer verstärkt |
Schwalbe Marathon/ Hohlkammer verstärkt |
Ausstattung | Ständer Vierbein, Schutzbelch, Gepäckträger, Nabendynamo Licht, Fenster | Ständer Universal, Schutzbelch, Gepäckträger, Nabendynamo Licht, Fenster | Ständer Vierbein, Schutzblech, Gepäckträger, Licht über Antriebsakku, Fenster |
Elektromotor/Akku | / | / | Shimano STePS E-6000, 418 Wh Gepäckträger Akku, Display klein |
Vergleich der Libelle mit anderen Kindertransporträdern
Der große Vorteil der Libelle ist das geringe Gewicht trotz voller Ausstattung. Selbst die leichtesten konkurrierenden Lastenräder wiegen mit Verdeck und Sitzen über 30 kg. Dazu kommt der niedrige Schwerpunkt der Libelle, da unter den Kindern kein Stahl- oder Aluträger verläuft. Beides zusammen vereinfacht das Handling insbesondere beim Schieben. Andere Lastenräder mit einer schützenden Kabine für die Kinder gibt es auf dem Markt nicht.
Ein großer Nachteil der Libelle: Die Kabine ist fester Bestandteil des Rahmens und lässt sich dadurch nicht abnehmen wenn die Kinder selbst fahren können. Die Libelle kann dadurch nicht als klassisches Lastenrad verwendet werden. Allerdings lässt sich kaum eine andere Kindertransportkabine so schnell in eine Transportkiste für z.B. bis zu drei Bierkästen umbauen wie die der Libelle.
Ein weiterer Nachteil der Libelle ist, dass nur zwei Kinder bis zu einem Alter von 6 bis 7 Jahren in die Kabine passen. Bei manchen anderen Lastenrädern passen ohne Verdeck teilweise bis zu vier Kinder in die Kiste. Der Regen-, Wind- und Sonnenschutz ist dann aber meist nur noch teilweise gegeben.
Die nachfolgende Aufstellung zeigt den Vergleich mit dem sehr verbreiteten und vergleichsweise leichten Bullitt. Manche Komponenten wie die angebotene Beleuchtung sind beim Bullitt hochwertiger, deshalb wurde der Vergleichspreis im folgenden Vergleich um ca. 170 € angepasst.
Libelle Standard mit Kindersitzen | Bullitt mit Canopy und Sitz | |
---|---|---|
Masse | 21 kg | 35 kg |
Max. Systemgewicht | 180 kg | 180 kg |
Zuladung (Systemgewicht - Eigengewicht) | 159 kg | 145 kg |
Anzahl Kinder | 2 | 2 |
Preis (Alfine Schaltung u. vergleichbare Ausstattung) | 2780 € | 3400 € |
2017 – Die Nachfrage steigt
Nun wendeten wir uns den Fertigungsmöglichkeiten zu, um die Kapazitäten zu erhöhen und die Qualität weiter zu verbessern. Dazu mussten neue Formen her, da die bisherigen Formen nicht für größere Stückzahlen gebaut waren. Bei dieser Gelegenheit wurde gleich die Geometrie der Kabine optimiert. Unter anderem wurde im Kopfbereich die Kontur so geändert, dass auch größere Kinder noch in die Libelle passen. Neben weiteren kleineren Facelifts wurde hinter dem Vorderrad der Kabinenboden etwas abgesenkt, um auch dort mehr Platz zu schaffen. Seit Anfang 2017 ist die Libelle damit so weit entwickelt, dass wir von einem serienreifen Produkt sprechen können. Gleichzeitig baute Sebastian in Leipzig einen zweiten Fertigungsstandort auf. Dafür wurden alle Formen gleich in zweifacher Ausfertigung gebaut. Passend dazu wächst das Interesse an der Libelle stetig, sodass unsere immer noch begrenzten Produktionskapazitäten gut ausgelastet sind. Die große Herausforderung bis 2018 und darüber hinaus ist damit, die Produktion im passenden Maß zu steigern.
Zusammenfassung
Die Libelle wurde von zwei Ingenieuren entwickelt um den eigenen Transportproblemen im Alltag zu begegnen. Vom ersten Modell für den Eigenbedarf hat sie sich zu einem vollwertigen Lastenrad entwickelt, welches für den Transport von Kindern optimiert ist und in vielen Punkten deutliche Vorteile gegenüber anderen Lastenrädern bietet. Vor allem das Gewicht von 20 kg ist beeindruckend gering. Dafür ist die Libelle keine universell einsetzbare Plattform wie viele andere Lastenräder. Mit dem geschützten Teilungsmechanismus ist sie aber einzigartig auf dem Markt.
Zu den Autoren
Thomas Heidemann, Dr.-Ing. Maschinenbau, arbeitete zuletzt bei einem internationalen Automobilzulieferer. Seit 1986 entwickelt er alltagstaugliche Liegeräder aus Carbon. 2014 entwarf er die Libelle für sein erstes Enkelkind. Seit 2015 produziert und vertreibt er kleine Stückzahlen unter dem Label LeichtLast.
Sebastian Sandner, studierte an der TU Dresden Luft und Raumfahrttechnik und ist begeisterter Alltagsradfahrer. Bisher entwickelte er Flugzeuge aus Faserverbundwerkstoffen. Seit 2015 arbeitet er mit an der Libelle. Seit 2017 betreibt er in Leipzig seine Werkstatt und produziert dort, zusätzlich zu Thomas in Hannover, Libellen.