Ausgabe 25 · August 2017

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Interview mit dem Arbeitskreis FahrradBande Berlin

Über die Initiativen carEXIT und mitRADgelegenheit

Interview mit Florian Keiper vom Arbeitskreis FahrradBande der BUNDjugend Berlin.

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Bild 1: Bildet Fahrrad-Banden – an einem Rad in Berlin.
Von: Kristoffer Schwetje (FahrradBande)

Hallo Florian! »Fahrradbande« – das klingt wild und auch nach ein wenig Romantik aus Kindertagen. Wer ist euer Anführer? Und kann ich bei euch mitspielen?

Wild und romantisch passt gut zu uns. Als wir vor drei Jahren anfingen, war unsere erste Aktion die »mitRADgelegenheit«. Ziel war es, den Spirit der Critical Mass in den Alltag zu holen. Wir boten gemeinsame Fahrten, mitRADgelegenheiten, zu Unis, Konzerten und anderen Veranstaltungen an. Um diese mitRADgelegenheiten zu bewerben benutzten wir den Slogan »Bildet Fahrrad Banden«. Daraus ist dann von ganz alleine »FahrradBande« als Name unsere Gruppe entstanden. Um zum zweiten Teil deiner Frage zu kommen. Wir sehen uns eher als Kollektiv und haben daher keinen Anführer, auch wenn das etwas untypisch für eine Bande ist. Klar kannst du bei uns mitspielen! Auf fahrrad-bande.org findest du unsere interaktive Karte. Dort kannst du deine eigene mitRADgelegenheit anlegen und Leute suchen, die mit dir zusammen fahren. Wenn du aus Berlin bist kannst du zu unseren Treffen kommen und mit uns Aktionen planen. Um bei uns mitzumachen musst du auch keine Mutprobe bestehen. Auch wieder untypisch für eine Bande.

Wie gut kommen eure mitRADgelegenheiten denn an? Finden sich regelmäßig ganze Banden zusammen?

Die mitRADgelegenheiten zu Veranstaltungen kommen sehr gut an. Zur VELO oder zu Festivals sind wir schon mit 50 Leuten gefahren. Auch zu Konzerten oder Ausflügen bekommen wir immer viele Leute zusammen. Schwierig ist es bei den alltäglichen Fahrten zur Uni, Schule, Arbeit. Das klappt bis jetzt noch nicht so gut. Wir sind dabei, das Konzept zu überarbeiten bzw. zu optimieren. Wir bieten jetzt nicht mehr einen festen Startpunkt und eine Startzeit an, sondern versuchen so etwas wie einen Fahrradbus. Da sind wir aber noch ganz am Anfang und müssen noch Erfahrungen sammeln wie das funktioniert.

Mittlerweile erstellen auch Leute die nicht aus unserer Bande kommen ihre eigenen mitRADgelegenheiten. Meistens stellen sie Routen ein, die sie regelmäßig, also täglich oder wöchentlich zu einer bestimmten Zeit fahren. Das ist üblicherweise der Arbeitsweg oder der Weg zur Uni. Da dies oft besondere Strecken sind – also zum Beispiel Strecken, die vom Stadtrand in die Innenstadt führen – kommt hier nicht die kritische Masse von 16 Fahrradfahrenden zusammen. Darum geht es hier auch gar nicht. Die Leute freuen sich einfach über ein bisschen Gesellschaft. So kann eine solche mitRADgelegenheit mit nur zwei Teilnehmenden etwas Besonderes sein, weil die beiden dann die 15 oder 20 km nicht mehr alleine zurücklegen müssen.

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Bild 2: mitRADgelegenheit in Berlin. Foto
Von: Kristoffer Schwetje (FahrradBande)

Funktioniert so etwas eigentlich nur im großstädtischen Berlin?

Im städtischen Raum ist es wahrscheinlich einfacher andere Radfahrende zu erreichen. Generell sollte das Prinzip aber mehr oder weniger überall funktionieren.

Sind wir Radfahrer dazu nicht viel zu sehr Individualisten – oder, um im Bilder der »Bande« zu bleiben: Einzelgänger? Zumindest im Alltag stelle ich mir das schwierig vor …

Auf der einen Seite gebe ich dir da völlig Recht. Das Fahrrad macht uns super flexibel. Wir können losfahren wann wir wollen und wir können, je nach Laune langsam oder schnell fahren. Das steht dem Ganzen entgegen. Auf der anderen Seite sind Radfahrende in der Regel sehr gesellige und offene Menschen. Bei gemeinsamen Fahrten lassen sich unheimlich viele spannende Menschen kennen lernen. Das ist besonders für Menschen gut, die neu in der Stadt sind und Leute kennen lernen wollen. Auf unseren mitRADgelegenheiten sind schon Freundschaften entstanden. Auf unserer allerersten mitRADgelegenheit haben sich zwei kennengelernt die mittlerweile sogar verheiratet sind. Vielleicht sollten wir unseren Slogan in »Bildet Fahrrad-Pärchen« umbenennen.

Neben dem geselligen Aspekt habt ihr aber noch weitere Ziele, oder?

Ja, wir wollen damit zeigen, dass wir Fahrradfahrende hier sind und unseren Platz benötigen. Wenn wir diesen nicht in Form von Radspuren und Fahrradstraßen bekommen werden wir eben kreativ um uns den notwendigen Raum zurück zu erobern. Darüber hinaus wollen wir mit der mitRADgelegenheit Menschen, die sich nicht trauen alleine in Berlin Fahrrad zu fahren, die Möglichkeit bieten in der Gruppe zu fahren. Wenn wir dadurch ein paar Menschen gewinnen öfter auf das Fahrrad zu steigen haben wir schon viel erreicht. Um noch mehr Menschen auf das Fahrrad zu bekommen haben wir vor kurzem unsere Kampagne »carEXIT« gestartet. Wir möchten Autofahrer*innen einen Anreiz und eine Plattform bieten möglichst einfach nach und nach zu Gunsten des Fahrrads auf ihr Auto zu verzichten.

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Bild 3: Aussteigen und mitfahren?
Von: Kristoffer Schwetje (FahrradBande)

Sich in Berlin nicht alleine aufs Rad trauen – gibt es das wirklich?

Ja, das gibt es tatsächlich. Meine ehemalige Mitbewohnerin traut sich zum Beispiel nicht in Berlin Fahrrad zu fahren. Sie kommt ursprünglich aus einer ländlichen Gegend und ihr ist der Verkehr in Berlin zu hektisch und unübersichtlich. Da sie noch nie viel Fahrrad gefahren ist, fehlt ihr die nötige Sicherheit und auch das Selbstvertrauen sich dem Verkehr zu stellen. Für diese Menschen benötigen wir unbedingt eine bessere Fahrrad-Infrastruktur.

Aber die Zielgruppe für carEXIT ist bestimmt noch viel größer, oder?

Ja – und vor allem ganz neu für uns. Mit carEXIT wollen wir zum ersten Mal gezielt Autofahrer*innen erreichen, die bis jetzt noch gar nicht Fahrrad fahren. Das ist gar nicht so einfach. Ein bisschen wie als Veganer*in in ein Steak House zu gehen und zu fragen, ob wer mal ein Tofuwürstchen probieren will.

Bitte erkläre uns das Konzept von carEXIT genauer.

carEXIT ist eine Aussteiger-Kampagne für Autofahrer*innen. Für einen Umzug mussten wir mal mit einem Transporter an einem Wochentag durch Berlin fahren. Das war ziemlich nervig, stressig und ging teilweise nur sehr zäh voran. Da haben wir uns gefragt: Warum tun die Leute sich das an? Die Öffentlichen Verkehrsmittel sind nicht so schlecht in Berlin und Fahrradfahren geht eigentlich immer. Irgendwie haben wir dies mit dem Rauchen verglichen. Die Leute wissen, es ist nicht wirklich gut und trotzdem machen sie es. Also haben wir diese Aussteiger-Kampagne entwickelt. In dem Kampagnen-Video kommen mehrere Menschen zu Wort. Sie berichten darüber wie es für sie früher war Auto zu fahren, warum sie ihr Auto verkauft haben und wie ihr Leben ohne Auto ist. Sie sollen als Vorbilder dienen und die Leute motivieren mal etwas Neues zu probieren. Auf unserer Webseite carexit.org stellen wir kurz die Vorteile des Fahrrads heraus und geben »Aussteiger*innen« Tipps für die ersten Tritte in die Pedale. Sie bekommen Tipps zum Fahrradkauf, was bei schlechtem Wetter/langen Strecken zu tun ist und wo sie Fahrradfahren lernen können. Zusätzlich zeigen wir auf, was die Fahrradwelt noch alles zu bieten hat. Zum Beispiel: Was ist eine Critical Mass? Was mache ich in einer BikeKitchen? Was kann ein Lastenrad und wo bekomme ich es her? Im Mai waren wir in mehreren Städten unterwegs. Dort haben wir die carEXIT-Kampagne vorgestellt und mit den Anwesenden darüber diskutiert wie es zu schaffen ist, dass mehr Leute auf das Fahrrad umsteigen. Das waren alles richtig gute Diskussionen die gezeigt haben, es muss noch viel passieren um ein Fahrradland zu werden. Klar brauchen wir eine gute Infrastruktur, politischen Willen und ein Gegengewicht zur Autolobby. Aber bei allen Diskussionen hat sich auch gezeigt, dass wir Vorbilder brauchen. Und das genau ist die Aufgabe von jedem von uns. Wir müssen im Kleinen Vorurteile und Ängste abbauen. Wenn jede Person von uns es schafft eine andere Person vom Fahrradfahren zu begeistern haben wir schon viel erreicht. Besonders, weil wir als kleiner Arbeitskreis der BUNDjugend Berlin mit einem Budget unter 200 € und nur sechs Ehrenamtlichen es nicht schaffen, mit der Kampagne eine gesellschaftliche Diskussion zu starten. So müssen wir aus der Fahrradszene heraus mit kleinen Schritten die Menschen vom Fahrradfahren überzeugen.

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Bild 4: Logo der Kampagne carEXIT.
Von: FahrradBande/BUNDjugend Berlin

Kann ich mit meinem ollen Nabenschaltungsrad mit Körbchen Teil der »Fahrradszene« werden oder sollte es (für Berlin!?) schon ein schickes Fixie sein?

Ha ha, ich habe auch ein Fahrrad mit Dreigang-Nabenschaltung. Es ist egal welches Fahrrad du fährst um Teil der »Fahrradszene« zu sein. Die (Berliner) Fahrradszene ist ein bunter und vielfältiger Haufen. Dies spiegeln auch die Fahrräder ihrer Besitzer*innen wieder. Vom Klapprad bis zum Lastenrad ist da alles dabei. Fixies werden überwiegend von hippen Jugendlichen/jungen Erwachsenen gefahren. Die sind meist gar nicht so aktiv bei den Fahrrad-Initiativen.

Wie ist eigentlich dein Verhältnis zum öffentlichen Nahverkehr? Bist du dogmatischer Radfahrer?

Ich finde, ein guter öffentlicher Nahverkehr ist verdammt wichtig für eine Stadt. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass der OPNV viel günstiger werden muss, wenn nicht sogar komplett kostenfrei. Ich muss aber auch zugeben, dass ich tatsächlich immer ein bisschen genervt davon bin, wenn ich darauf zurückgreifen muss. Fahrradfahren macht dann doch einfach ein bisschen mehr Spaß.

Die Radgemeinde habt ihr sicher hinter euch und hoffentlich auch bald viele umsteigewillige Ex-Autofahrer. Wie sieht es mit den anderen Verkehrsteilnehmern aus? Und habt ihr die Unterstützung der Stadt?

Es ist echt spannend zu sehen wie gut die Kampagne bei der Radgemeinde ankommt. Wir würden auch gerne Menschen dazu bringen vom ÖPNV auf das Fahrrad umzusteigen, allerdings haben wir uns bei carEXIT bewusst entschieden die Zielgruppe »klein« zu halten. Die Unterstützung der Stadt haben wir leider nicht.

Fehlt es da am politischen Willen, werdet ihr von der Stadtverwaltung nicht wahrgenommen oder habt ihr in eurem kleinen Team einfach zu wenig Ressourcen, um auch auf dieser Ebene mitzumischen? Gerade in der Hauptstadt wäre eine Veränderung des verkehrspolitischen Klimas doch am wichtigsten …

Das liegt an erster Linie an uns. Wir sind als Team zu klein um auf dieser Ebene an den Zahnrädern zu drehen. Auf politischer Ebene macht schon seit Jahren der ADFC sehr gute Arbeit. Und mit dem Volksentscheid Fahrrad haben wir eine zweite Instanz dazu bekommen, die politisch arbeitet und einiges bewegt. Wenn alles kommt, was sich so andeutet, wird Berlin in den nächsten Jahren ein ganzes Stück fahrradfreundlicher werden.

Mitstreiter in der Sache wie den ADFC hast du schon genannt – aber habt ihr auch Partner, mit denen ihr zusammen arbeitet – beispielsweise, wenn es um den Verleih eines Lastenrads geht, die Gestaltung der Homepage, rechtliche Fragen oder anderes?

Oh ja, wir haben bei der carEXIT-Kampagne große Unterstützung von anderen Initiativen und Fahrradorganisationen bekommen. Anders wäre es auch nicht möglich gewesen mit nicht einmal 200 € alles auf die Beine zustellen. Santiago von Meerkat Planet hat das Video in seiner Freizeit gemacht. Stefan von Reclaim The Streets hat die Gestaltung der Webseite übernommen. Wieder andere haben programmiert und die Texte ins Reine geschrieben. Der ADFC in Köln und Karlsruhe, Uni Bike Mainz, Parrots & Crows in Frankfurt und die Fahrradselbsthilfewerkstatt in Braunschweig haben uns zu Vorträgen eingeladen. Bike Anjo aus Brasilien und die Novosadska biciklistička inicijativa aus Serbien haben die Webseite übersetzt und die Kampagne für sich übernommen. Die Leute, die in dem Video mitgespielt haben, darf ich natürlich auch nicht vergessen! Es ist einfach großartig zu sehen wie viel Unterstützung wir aus der Fahrradszene bekommen haben. Da geht es nicht darum, wessen Projekt es ist, sondern nur, ob die Idee gut ist oder nicht. In Berlin haben wir vor ein paar Jahren damit angefangen, regelmäßige Treffen der Fahrrad-Initiativen zu veranstalten. Seitdem arbeiten die Initiativen immer mehr zusammen. Auf der VELO und bei der Fahrradschau hatten wir dieses Jahr mit 25 Initiativen einen gemeinsamen Messestand. Aber jetzt schweife ich etwas vom Thema ab.

Das macht nichts. Wo das Abschweifen anfängt, beginnt auch der Ausblick, was alles möglich ist, wenn man sich so hinter eine Idee klemmt wie ihr das macht. Vielen Dank für das Interview und alle Informationen!

Das Interview führte Wolfram Steinmetz.