Ausgabe 24 · April 2017
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Tobis Fahrradgeschichten
Bis jetzt hat es doch funktioniert!
In einer Fahrradwerkstatt wird man manchmal angeregt, über Logik nachzudenken. »Bis jetzt hat es doch funktioniert!«, antworten manche Kundinnen und Kunden, wenn ich ihnen sage, was an ihrem Fahrrad alles ausgetauscht werden muss und wie viel es in etwa kosten wird. In der Regel handelt es sich um Fahrräder mit Kettenschaltung, die viel zu lange keine Werkstatt gesehen haben. Der Verschleiß ist dann so weit fortgeschritten, dass die Kette über die Zahnräder springt, wenn man kräftiger in die Pedale tritt, einen Berg hochfahren will oder schon beim Anfahren.
Bei so weit fortgeschrittenem Wartungs- und Reparaturstau lässt sich nicht mehr nur ein einzelnes Teil austauschen um das Problem zu beheben, da beispielsweise eine neue Kette auf verschlissenen Zahnrädern nicht funktioniert. Bei einem älteren Rad nenne ich das »GAU« (»Größter anzugehender Umbau«). Getoppt wird das noch vom »Super-GAU«, bei dem mangels passender neuer Kurbelgarnitur auch noch das Tretlager getauscht werden muss.
»Bis jetzt hat es doch funktioniert!« Manchmal wird mit dieser Aussage meine Diagnose und Fachkenntnis angezweifelt. Manchmal ist es nur ungläubiges Staunen, dass sich bewegende Teile einem Verschleiß unterliegen.
Zum einen kenne ich es in der Regel so, dass alles, was einmal kaputt geht, vorher funktioniert hat. Ansonsten wäre es ja von Anfang an kaputt gewesen. »Schon Kaputtes« kann per Definition nicht »kaputt gehen«. Und dann finde ich es durchaus logisch, dass sich bewegende Teile einem gewissen Verschleiß unterliegen, zumal wenn sie mit anderen festen Materialien in ständigem Kontakt kommen. Das finden nicht alle. In meinem ersten Fahrradladen kam einmal ein Kunde in den Laden und wollte von einem meiner damaligen drei Chefs einen Reifen umgetauscht bekommen: »Vor fünf Jahren haben Sie mir gesagt, der Reifen hält ewig. Ich fahre jeden Tag bestimmt 40 Kilometer und jetzt ist der Reifen abgefahren!« Mein Chef konnte ihm in diesem Falle doch noch ohne weiteres klar machen, dass die Aussage relativ gemeint war und dass es eine enorme Leistung ist, die der Reifen vollbracht hat.
Aber man muss vorsichtig sein, was man als Verkaufender sagt. Es wird oft anders verstanden als es gemeint ist. Die »lebenslängliche Garantie« eines US-amerikanischen Herstellers auf seine Alurahmen bedeute 20 oder 25 Jahre, wie mein anderer Chef meinte. Ich bin dazu übergegangen, solche Aussagen ironisch zu sehen: »lebenslange Garantie« bedeutet, dass die Garantie so lange gilt, wie das Teil lebt. (Solche Späße verstehen wiederum nicht alle Kundinnen und Kunden). Aber mit dieser Aussage wären wir wieder am Anfang: Bis zum Kollaps hat es funktioniert – was mich wiederum an unsere wachstumsorientierte Wirtschaftsweise denken lässt und mich auch an Bertolt Brecht erinnert:
»Und sie sägten an den Ästen, auf denen sie saßen und schrien sich ihre Erfahrungen zu, wie man besser sägen könne. Und fuhren mit Krachen in die Tiefe. Und die ihnen zusahen beim Sägen schüttelten die Köpfe und sägten kräftig weiter.«
Zum Autor
Tobias Kröll, Jahrgang 67, Fahrradmechaniker und Sozialwissenschaftler, betreibt einen kleinen Fahrradladen in Tübingen. Daneben engagiert er sich für einen sozialökologischen Umbau der Gesellschaft und ist Mitglied im Institut Solidarische Moderne.