Ausgabe 20 · Juni 2015
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Gefedert mit Lowrider?!
»reiseradgabel.de« – ein neues Gabelkonzept für Reiseräder
Federung am Reiserad – ganz wichtig?
Seit vielen Jahren verreise ich mit dem Fahrrad. Über die Jahre hat dies bei mir – wie bei anderen Redaktionsmitgliedern auch – zu einer immer intensiveren Beschäftigung mit der Fahrradtechnik geführt. Schließlich ging ich sogar daran, einen (klassisch-ungefederten) Reiseradrahmen selbst zu entwerfen und zu konstruieren. All dies geschah vor vielen Jahren als Student, lange Zeit danach war ich einfach nur froh, wenn meine Räder fuhren und ich nicht zu viel schrauben musste.
Kurzum, es juckte mich nach vielen Jahren wieder in den Fingern, etwas
Neues auszuprobieren und so plante ich die Konstruktion eines
vollgefederten Reiserades. Das Gepäck vorne und hinten sollte dabei
natürlich mit zur gefederten Masse gehören. Dennoch wollte ich meinen
KISS-Anspruch (»Keep it
Irrwege und Umwege
Ob man nun am Reiserad eine Vollfederung wirklich »braucht«, diese in irgendeiner Hinsicht »notwendig« ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Ich habe diesbezüglich meine ablehnende Position dargestellt, da für mich ein Reiserad in erster Linie aus einfacher, robuster und weltweit reparierbarer Technik bestehen sollte. Zudem empfand ich die Nutzung meiner Reiseräder auch auf üblen Schotter-Pisten immer ausreichend komfortabel. Aber es gibt natürlich auch die gegensätzliche Position. Gut ausgelegte Federungen können den Fahrkomfort erhöhen und im Idealfall auch die Belastung des Rades verringern. Olaf Schultz hat viele dieser Argumente in seinem Beitrag zusammengefasst.
Alleine mit der Gabel tat ich mich schwer. Es sollte eine
geschobene Langschwinge
werden, um Bremstauchen und Losbrechmoment zu verringern. Außerdem sollte
sich natürlich ein normaler Lowrider als gefederte Masse problemlos
montieren lassen. Zudem wünschte ich mir üppige Federwege (so um die
Sein Urteil war vernichtend: »Das hält nicht – mach keinen solchen Unsinn!« meinte er. Ernüchtert begrub ich daraufhin alle Pläne, selber eine Gabel zu bauen.
reiseradgabel.de – die Idee
Ich nahm erneut Kontakt zu Alexander Mazey auf, dem Mann hinter reiseradgabel.de, mit dem ich bereits zuvor wegen der Materialsuche für den Gabelbau in Kontakt getreten war.
Die meisten Federgabeln, die an Reiserädern verwendet werden, sind Teleskopgabeln, die für den MTB-Sport entwickelt worden sind. Die Anforderungen am Reiserad sind jedoch andere. Sprünge, die viel Federweg erfordern, wird man mit dem beladenen Reiserad nicht machen. Dafür wäre man für ein feines Ansprechverhalten auf Kopfsteinpflaster dankbar. Und natürlich wünscht man sich eine robuste und wartungsarme Konstruktion. Schließlich muss ein normaler Lowrider so befestigt werden können, dass das Gepäck zu gefederten Masse gehört.

Konstruktion
Hier setzt Alex Mazey mit seiner Konstruktion einer Reiseradgabel an. Sofort fällt auf, dass dies keine weitere Variation einer Teleskopgabel ist. Die Gabel basiert auf dem Prinzip der »geschobenen Schwinge« (siehe oben) und hat als besonderen »Clou« Schwingenlagerung und Federung in einem Gummifederelement integriert.

Dieses ist ein Normteil von
ROSTA. Das Prinzip ist einfach: In eine Hülse mit quadratischem Querschnitt
sind in die Ecken vier Gummistränge eingefügt. Hierein wird nun um

Während die Festgabel und das Verbindungsstück der Schwinge Rohrmaterial sind, besteht der Schwingenausleger aus einem mit vielen Aussparungen gelaserten und umgeformten Blech
Der mögliche Federweg liegt so um

Verarbeitung
Die Verarbeitung scheint solide ausgeführt, die wesentlichen Verbindungen sind WIG-geschweißt, die Anlötösen sind hartgelötet. Da ich mir bei der Gabel alle Optionen bezügliche Bremse (Scheibenbremse und V-Brake sind möglich) und Schutzblechbefestigung offen halten wollte, sind Anlötteile relativ reichhaltig vorhanden. Auch eine integrierte Scheibenbremsaufnahme fehlt nicht. Eine Feinabstimmung der Federhärte ist standardmäßig nicht vorgesehen, soll aber mittels Auspuffgummis möglich sein. Individuelle Anpassungen sind für geringen Aufpreis möglich. Die ganze Gabel ist pulverbeschichtet.
Montage
Bei der Montage zeigte sich, dass an den Ausfallenden die Beschichtung so dick gelaufen war, dass man das Vorderrad nur nach Nacharbeiten einsetzen konnte. Auch mussten einige der Gewinde freigeschnitten werden, da diese nur unzureichend abgedeckt waren. Die weitere Montage verlief jedoch problemlos.
Praxiserfahrung
Die erste Ausfahrt wurde mit leichtem Gepäck an einem sonnigen
Januarwochenende durchgeführt. Asphalt, Kopfsteinpflaster und Feldwege
gehörten ebenso dazu wie ein längerer Anstieg von
Schon beim Aufsteigen fiel auf: Die Abstimmung der Gabel ist überraschend
weich, wiewohl die gewünschte Achslast von mir bei der Bestellung
angegeben wurde. Bereits bei statischer Last federt sie 30–

Dementsprechend angenehm war auch der Federungskomfort: Gerade bei Kopfsteinpflaster führte das feine Ansprechverhalten zu einer traumhaften Federwirkung. Weiter ging es über asphaltierte Feldwirtschaftswege, auch hier kann man der Gabel permanent »bei der Arbeit« zuschauen. Dann wurde es wieder rauer: Wir folgten einer Veloroute und landen prompt auf einem recht hoppeligen Feldweg. Auch hier arbeitete die Federung gut, ohne dass die Gabel sich aufschwingt. Dann ging es eine längere Strecke bergauf. Das zu erwartende permanente leichte Arbeiten der Federung störte mich nicht.

Oben angekommen gab es erst einmal eine kurze Pause.
Dann kam die Abfahrt. Und hier stellte ich in einem bestimmten Geschwindigkeitsbereich eine unangenehme Flattertendenz fest! Diese erwischte mich kalt, mit Bremsen und Knie am Oberrohr brachte ich die Maschine wieder unter Kontrolle. Auch bei stärkerem Bremsen vorne (V-Brake) zweigte sich dagegen die Überlegenheit der Konstruktion: Bremstauchen trat in keinem Fall auf.
Bleibt die Frage, wie das beobachtete Flattern zustande kam. Die Gabel wurde für die »Jungfernfahrt« eines neuen Rahmens montiert, dessen Lenkgeometrie und Hinterbauschwinge vielleicht auch mit einer anderen Gabel bereits Anlass zum Flattern geboten hätten, obwohl zumindest Steuerrohrwinkel und Nachlauf durchaus im Bereich des Üblichen waren.
Das nagelneue Vorderrad ist jedenfalls spielfrei und gut zentriert, auch die Rohrdurchmesser des Hauptrahmens sind recht üppig, so dass die Ursache für die gemachten Beobachtungen unklar bleibt.

An einem Samstagnachmittag mit Schneeregen schaute ich mir das Problem nochmals an. Die Schwinge musste sowieso demontiert und ein angerissener Steg nachgelötet werden. Darauf montierte ich alles wieder und ging nochmals alle potentiellen Einflussfaktoren durch. Zuerst wurde die Hinterbaulagerung überprüft und dabei ein leichtes Spiel festgestellt. stellte diese daraufhin spielfrei ein und nahm mir dann die Celasto-Federelemente vor. Die HR-Federung ist nämlich ebenfalls sehr weich abgestimmt – vielleicht haben diese Zylinder aus einem harten PU-Schaum eine negative Auswirkung auf die Flatterneigung? Also, raus mit den Dingern! Die Hinterbaufederung wurde kurzerhand mittels Ersatz der Federelemente durch Holzscheiben »stillgelegt«.

Nach Rücksprache mit dem Konstrukteur der Gabel hatte dieser empfohlen, die Feinabstimmung der Federhärte »in bewährter Recyclingart« mittels eingeknoteter Schlauchstreifen vorzunehmen. Dies stimmte mich schon ein wenig nachdenklich, aber gesagt, getan – probieren geht über studieren.

Schließlich belud ich den Lowrider mit Ortlieb Frontrollern gleichmäßig
mit ca.
Abschließend legte ich die Gabel völlig still und siehe da, das Rad fuhr sich fast völlig flatterfrei!

Fazit
Radreisende, die eine Federgabel suchen, erhalten mit der Reiseradgabel ein robustes Exemplar, das sehr fein anspricht und für den Gepäcktransport optimiert wurde. Auch ist der Produzent sehr offen für individuelle Anpassungen und hat einen direkten Bezug zu Radreisen.
Weniger überzeugen konnte mich die serienmäßig fehlende Feinabstimmbarkeit
der Federhärte und die in bestimmten Konstellationen hierdurch geförderte
Flatterneigung. Sicher gibt es für Rahmenflattern die unterschiedlichsten
Ursachen und es es ist wahrscheinlich, dass an einem steifen Hardtail
keinerlei Probleme auftreten. An meinem Rahmen wirken kurzer Nachlauf (
Der Hersteller hat auf eine angebotene Stellungnahme verzichtet, sich aber bereiterklärt, das Phänomen genauer zu untersuchen. Hierzu hat er mir u.a. eine steifere Testschwinge zugesandt, bei der sich auch die Geometrie verändern lässt und zugesagt, ggf. eine neue Schwinge zur Spezi mitzubringen.
Technische Daten
Abstand Steuersatzsitz bis Mitte VR-Achse (unter statischer Last) | |
Vorbiegung | |
Klemmbreite | |
Preis |
Zum Autor
Stefan Buballa, Arzt, Alltags- und Reiseradler, Selbstbau eines Reiserades und eines Alltags-Kurzliegers. Er ist fasziniert von der Schlichtheit und ökologischen Effizienz muskelkraftbetriebener Fahrzeuge. Besondere Interessen: Ergonomische und leistungsphysiologische Aspekte. Besondere Schwächen: Radreisen in Afrika und Nahost …