Ausgabe 20 · Juni 2015
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Hörbarkeit von Fahrradklingeln
Im Rahmen des »Kolloquiums zur Präsentation der Ergebnisse aus den hörakustischen Projekten von Bachelor-Studenten der FH«-Lübeck wurden am 12.02.2015 auch die Ergebnisse von A. Hagenlocher, L. Hartkens, A. Hartleb und M. Hestermann zur »Wahrnehmung von Fahrradklingeln durch Schwerhörende« vorgestellt.
Für Leute mit wenig Zeit hier die kürzest mögliche Zusammenfassung: Die ideale Fahrradklingel existiert noch nicht!
Im Folgenden soll hier eine etwas ausführlichere Zusammenfassung des Vortrages wiedergegeben werden.
Getestet werden ein 2014 handelsüblicher Querschnitt ladenneuer Fahrradklingeln. Es sind zehn unterschiedliche Modelle: Drei Anschlagklingeln, eine Drehklingel, vier Zweiton-Glocken (»Ding-Dong-Klingel« mit zwei Glockenschalen) und zwei klassische Fahrradklingeln mit einer Glockenschale. Bis auf die Anschlagklingeln erfüllen die Klingeln nicht den Wert nach DIN 33946:2010-09 von 85 dB für den Mindestschalldruckpegel.
Den 21 schwerhörigen Testpersonen werden über Kopfhörer unterschiedliche Straßengeräuschkulissen vorgespielt. Die Testpersonen sind gemischten Alters. Es liegt meist eine Hochton-Schwerhörigkeit vor, wie bei älteren Personen vorwiegend anzutreffen.
Warum waren nur Schwerhörige die Testpersonen?
- Altersbedingt steigt deren Anzahl immer mehr.
- Nicht alle nehmen ihre eigene Schwerhörigkeit wahr …
- … und korrigieren diese Einschränkung – oder sie lassen ihr Hörgerät aus/Zuhause.
- Wenn Schwerhörige Fahrradklingeln hören können, dann können es die Normalhörenden erst recht.
Den Versuchspersonen werden im Labor über Kopfhörer Kunstkopfaufnahmen von Straßengeräuschkulissen mit überlagerten Klingelgeräuschen vorgespielt. Die Probanden wissen nicht, dass es um die Erkennbarkeit von Fahrradklingeln geht. Nach dem Versuchsdurchlauf sollen auf einem Zettel die gehörten Geräusche (Hund, Krankenwagen, Kettensäge, Klingel, Baby, …) markiert werden. Bei den Straßengeräuschkulissen sind die lauten Anschlagklingeln am besten zu hören, danach folgen Zweiton-Glocken. Die niederfrequenten Anteile der Zweiton-Glocken gehen im Straßentest (z. B. Kopfsteinpflaster) teilweise im Straßenlärm unter.
Die Geräuschkulissen wurden in Lübeck in einer Hauptverkehrsstraße (Ratzeburger Allee) und in eine Nebenstraße (Koberg, Kopfsteinpflaster) aufgenommen. Die Signale der Klingeln werden aus jeweils 4 und 8 m Entfernung, ebenfalls mit einem Kunstkopf, aufgenommen.
In einer zweiten Probandenstudie werden im Labor die Detektionspegel (»Hörschwelle«) der Klingeln selber, ohne Geräuschkulisse, ermittelt. Hier sind die Zweiton-Glocken mit Abstand am besten erkennbar. Grund dürfte der relativ niederfrequente Emissionspeak bei ca. 600 Hz sein. Die Anschlagklingeln folgen in der Erkennbarkeit durch einen extremen Peak bei ca. 15 kHz.
Fazit
Die Zweiton-Glocken punkten durch das breite Spektrum, vor allem im relativ niederfrequenten Bereich, sind aber im Straßenverkehr zu leise. Die Anschlagklingeln sind durch die schiere Lautstärke im Straßenverkehr gut hörbar. Optimal wäre eine laute Ding-Dong-Klingel.
Die StVZO muss dem entsprechend Rechnung tragen, da die Anforderung einer »helltönenden Glocke« der oft vorliegenden Hochton-Schwerhörigkeit zuwiderläuft.
Gesetzliche Rahmenbedingungen zu Fahrradklingeln in Deutschland
StVZO (Stand 01.05.2014): § 64a Einrichtungen für Schallzeichen: Fahrräder und Schlitten müssen mit mindestens einer helltönenden Glocke ausgerüstet sein; ausgenommen sind Handschlitten. Andere Einrichtungen für Schallzeichen dürfen an diesen Fahrzeugen nicht angebracht sein. An Fahrrädern sind auch Radlaufglocken nicht zulässig.
In den Technischen Anforderungen zu § 22a StVZO werden Fahrradglocken nach meinem Kenntnisstand nicht behandelt.
DIN 33946:2010-09: Der Mindestschalldruckpegel beträgt allgemein 85 dB.
DIN ISO 7636:1986-02: Mindestschalldruckpegel 75 dB für Fahrräder und 85 dB für Fahrräder mit Hilfsmotor. Diese ISO ist durch die zuvor genannte DIN 33946:2010-09 abgelöst. Dieser Schallpegel entspricht etwa dem Mittelwert der besten drei der vier getesteten Klingeln.
ISO 7636:1984-09-15: Diese ist unverändert in die DIN-ISO 7636:1986-02 übernommen.
Die Messentfernung nach DIN und ISO sind 2 m. Es sind die Bewertungskurve A und Zeitbewertung F (»Fast«) zu verwenden.
Klingel-Check (PDF), Artikel in ADFC-Radwelt 6/2009.
Zum Autor
Olaf Schultz, Maschinenbauingenieur, Hamburg-Harburg, renitenter Großstadtalltags- und Reiseradler, Gründungsmitglied der Fahrrad-AG der TUHH, Selbstbau von mehreren Liegerädern, seit längerem immer weiter in den Untiefen der Fahrradbeleuchtung versinkend.