Tretlagergetriebe Pinion P1.18 – Wirkungsgrad-Messungen an
Nabenschaltungen – Teil 3
von Andreas Oehler
Einleitung
Auf der Eurobike 2010 trat Pinion zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung – und das direkt mit einem Paukenschlag. Ein 18-Gang-Tretlager-Getriebe
mit 636 % Übersetzungsbereich, gleichmäßigen Gangsprüngen, Eignung für
ambitionierte sportliche Nutzung und mit konkurrenzfähigem Gewicht. Das
war eine anspruchsvolle Entwicklungsaufgabe und vertraute mutig darauf,
dass genügend Fahrradhersteller sich die Mühe machen würden, die
benötigten speziellen Rahmen dafür anzubieten. Seit Produktionsbeginn 2012
hat sich das Pinion-Getriebe bei High-End-Trekkingrädern gut verbreitet –
und das, obwohl diese Räder etwa 1 kg schwerer und 1.000 € teurer sind als
vergleichbare Modelle mit Rohloff Speedhub. Auf der Eurobike 2014 wurden
zudem weitere Ausführungen des Getriebes mit 9 und 12 Gängen angekündigt.
Hier soll nur das ursprüngliche Modell P1.18 betrachtet werden.
Bild 1: Blick in das Tretlagergetriebe Pinion P1.18. Freiläufe in den
beiden Wellen sorgen dafür, dass in allen Gängen zwei Getriebestufen im
Eingriff sind. Die Zahnräder laufen wie bei der Rohloff Speedhub im
Ölbad.
Der Nabenschaltungs-Prüfstand, den ich in Fahrradzukunft 16 und 17
vorgestellt habe, war für die P1.18 nicht direkt nutzbar, weil dieses
Tretlagergetriebe eben eine spezielle Aufnahme am Rahmen verlangt.
Freundlicherweise gestattete mir Jörg Wulle, ADFC Vorstand in Tübingen,
einige Wochen sein etwa ein Jahr intensiv gefahrenes Gudereit SX-P1.0
Trekkingrad mit P1.18 für Messzwecke umzubauen. Dazu musste der
Getriebemotor an die speziellen Pinion-Kurbeln und die Tretlagerwelle
angepasst und ein Rohr am Hinterbau befestigt werden, an dem sich die
Bowdenzüge für die Kraftmessung abstützen. Als Hinterrad kam das schon im
alten Prüfstand genutzte 26 Zoll Kettenschaltungs-Rad zum Einsatz. So
konnte nun vergleichbar wie in den beiden vorherigen Artikeln Drehzahl und
Drehmoment an An- und Abtrieb gemessen werden.
Bild 2: Zum Prüfstand umgenutzter Rahmen eines Gudereit SX-P1.0
Der Fahreindruck der Tretlagerschaltung ist sehr angenehm. Das Getriebe
arbeitet nahezu geräuschlos – am ehesten noch meint man in den Gängen 7
und 13 ein leichtes »Mahlen« zu erahnen. Der Drehgriff ist leichtgängig.
Der Gangwechsel gelingt auch bei leichter Last. Die Gangsprünge von 11,5 %
sind so gering, dass im städtischen Stop-and-Go gerne mal 2 Stufen auf
einmal gewechselt werden. Der Übersetzungsbereich ist mit 636 % üppig –
mehr als gute MTB-Kettenschaltungen bieten. Als maximales
Eingangs-Drehmoment werden 250 Nm genannt. Das reicht für einen 150 kg
schweren Mann, der sein volles Körpergewicht auf die 175 mm langen
Tretkurbeln wirken lässt. Dieser Wert ist somit exakt vergleichbar zu den
100 Nm maximalem Drehmoment der Rohloff Speedhub hinter der recht üblichen
Übersetzung mit einem 40er Kettenblatt und 16er Ritzel.
Historische und alternative Tretlagergetriebe
Tretlagerschaltungen sind nichts grundlegend Neues. In den 30er und 40er
Jahren des letzten Jahrhunderts gab es bereits verschiedene Hersteller von
2-, 3- und 4-Gang-Getrieben.
Bild 3: historisches Mutaped Tretlagergetriebe
Von: Thomas Ernst
Die hohen Belastungen in dem im Vergleich zur Hinterradnabe sehr langsam
drehenden Getriebe machen dieses schwer und groß.
Auf der Eurobike 2013 wurde mit dem Effigear ein weiteres
Tretlagergetriebe vorgestellt. Im Unterschied zu Pinion waren das Getriebe
auf 3 Achsen verteilt mit einer unveränderbaren Übersetzung. Damit ist die
Zahl der Gänge auf maximal 9 begrenzt. Genannt wurden 440 %
Übersetzungsbereich. Zulässig sind wie bei Pinion 250 Nm. Das Kettenrad
sitzt bei dieser Schaltung entfernt von den Kurbeln.
Bild 4: Effigear – ausgestellt am Nicolai-Stand auf der Eurobike 2013
Wirkungsgrad bei 50 und 200 Watt Antriebsleistung
Wie bei den vorangegangenen Messungen wurde bei 50 bis 200 Watt
Antriebsleistung und 60 Kurbelumdrehungen pro Minute gemessen. Der große
Übersetzungsbereich des Pinion P1.18 machte es schwierig, bei sehr hoher
Rad-Drehzahl Werte im unteren Leistungsbereich zu messen, weil der Riemen
und die Leerlaufverluste des zum Abbremsen genutzten Generators dann schon
50 Watt erreichen. Eine Übersetzung vom Kettenrad mit 32 Zähnen auf ein
24er Ritzel erwies sich gerade noch als tauglich. Ebenfalls war es
schwierig bei ganz langsamer Rad-Drehzahl hohe Leistungen einzustellen, da
der Riemen auf der Felge zum Durchrutschen neigte. Eine nachgerüstete
Felgenbremse an der Schwinge musste deshalb bei den niedrigen Gängen
zusätzliches Bremsmoment liefern. Die Feineinstellung erfolgte weiterhin
per elektrischer Last am Generator.
Bild 5: Der Wirkungsgrad der Pinion P1.18 samt Kette und Hinterradnabe
im Vergleich mit anderen Antrieben (dicke Linien für 200 Watt
Antriebsleistung, dünne Linien für 50 Watt)
Der Wirkungsgrad der P1.18 liegt hier etwas unterhalb der Rohloff Speedhub – wobei beide Exemplare etliche tausend Kilometer eingefahren wurden.
Offiziell wirbt Pinion nicht mit Wirkungsgradangaben – zitiert werden
Pinion-Mitarbeiter aber mit »konstant 96 %«. Vermutlich bezieht sich diese
Angabe auf hohe Leistungen und ohne die Verluste in Kette und
Hinterradnabe. Da die Kette hier 50 % schneller läuft als bei der Speedhub
sind dort allein schon etwas höhere, lastunabhängige Verluste versteckt.
Zudem hat das Getriebe nicht unerhebliche Leerlaufverluste – insbesondere
in den hohen Gängen mit entsprechend schnell drehenden Zahnrädern, was
insbesondere bei niedriger Antriebsleistung nachteilig ins Gewicht fällt.
Über die Ursache der Leerlaufverluste kann derzeit nur spekuliert werden.
Sicher werden die Dichtringe an der Tretlagerwelle dazu beitragen und auch
die Planschverluste der vielen Zahnräder im Getriebegehäuse. Bei
schnellerer Kurbeldrehzahl steigen die Leerlaufverluste erwartungsgemäß.
Allerdings sind sie bei schnellen 120 U/min nicht doppelt so hoch wie bei
60 U/min sondern nur etwa 50–70 % höher. Bei 90 U/min – wie für hohe, aber
die Knie schonende Dauerleistungen empfohlen – liegen die Leerlaufverluste
30–40 % über den bei 60 U/min gemessenen.
Bild 6: Leerlauf-Antriebsleistung des P1.18 (ohne Kette) bei
verschiedenen Tretkurbel-Drehzahlen
Fazit
Meinen Messungen nach liegt die Pinion P1.18 beim Wirkungsgrad etwas
hinter der Rohloff Speedhub – insbesondere in den hohen Gängen und bei
niedriger Last. Kräftige Reiseradler profitieren bei dann ähnlichem
Wirkungsgrad vom deutlich breiteren Übersetzungsbereich und den kleineren
Gangsprüngen. Es ist erfreulich, dass ein weiteres kleines europäisches
Unternehmen die Großen am Markt überflügelt, mit einer Lösung, die zudem
robust und nahezu wartungsfrei ist. Das höhere Gewicht ist ein Nachteil,
allerdings ist dessen Anordnung in der Mitte des Fahrrad günstig. Zudem
erlaubt diese, einen besonders leichten gefederten Hinterbau zu
realisieren. Nachteil gegenüber der Speedhub ist, dass noch keine Variante
des Chainglider-Kettenschutzes verfügbar ist. Besonders reizvoll ist die
Nutzung an Liegerädern. Hier ist ein breiter Übersetzungsbereich besonders
wichtig, da die Nutzer einerseits schneller fahren wollen, aber häufig
auch mehr Mühe am Berg haben. Am Liegerad braucht es keinen komplett neuen
Rahmen, es reicht der vergleichsweise einfache Austausch des
Tret-Auslegers vorne.
Bild 7: Universeller Liegerad-Tretlager-Ausleger für Pinion von
Bus-Velomo.
Von : Bus-Velomo
Zum Autor
Andreas
Oehler (42) arbeitet als Maschinenbauingenieur beim
Fahrradbeleuchtungshersteller Schmidt Maschinenbau.