Ausgabe 18 · April 2014
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12 Jahre mit drei Liegetrikes – ein Bericht aus der Praxis
In der Schul- und Studienzeit fuhr ich gerne und ausgiebig Velo, auch größere Touren – mit einem soliden Schweizer Herrenvelo mit gemufftem Stahlrahmen, der legendären 3-gängigen Sturmey-Archer-Nabenschaltung und Felgenbremsen. Dann rückte das Velo in den Hintergrund.
Das Aha-Erlebnis! – Kauf Hase Kettwiesel
Als mein Vater im Alter von 78 Jahren die Pferdehaltung aufgeben musste, rückte das Velo wieder in den Vordergrund. Inzwischen war aber die Furcht vor unfallträchtigen Velofallen wie z. B. Rollsplitt größer geworden und durch Stürze meines Vaters mit dem Velo noch verstärkt. Dann kam im Sommer 2001 beim Umsteigen im Bahnhof Olten das Aha-Erlebnis. Ich beobachtete eine Frau beim Verladen eines Liegetrikes in den Zug. Die Lösung – ein für meinen Vater und mich benutzbares sturzsicheres Velo! Recherchen förderten ein überraschend breites Angebot an Liegetrikes zu Tage, aufgeteilt in die Familien der Deltas – ein gelenktes Vorderrad und zwei Hinterräder, davon eines oder beide angetrieben – und der Tadpoles – zwei gelenkte Vorderräder und ein angetriebenes Hinterrad. Nach langem Überlegen bestellte ich im Frühling 2002 ein zur Familie der Deltas gehörendes Hase Kettwiesel. Ausgestattet ist es mit Stahlrahmen, 9-Gang Kettenschaltung mit Lenkerendschalthebel, hydraulischen Magura Scheibenbremsen, Beleuchtung mit Seitenläuferdynamo, Schnellverstellung auf unsere unterschiedliche Körpergrößen und einer Rückenlehnentasche.
Als das Velo beim Händler bereit steht, reise ich mit dem Zug hin und fahre das Kettwiesel nach langer Velo-Abstinenz mit großem Genuss die gut 30 km nach Hause – ohne schmerzenden Hintern und Muskelkater am anderen Tag! Das Kettwiesel wird von meinem Vater und mir rege benutzt. Es erweist sich als äußerst agil und kann auf einer Velolänge um 180° gewendet werden, lässt sich platzsparend senkrecht parken und bereitet jede Menge Fahrspass. Um für Einkäufe und Touren besser gerüstet zu sein werden noch Gepäcktaschenträger am Vorderrad angebaut.
Meine Angst vor Rollsplittunfällen wird paradoxerweise durch das Kettwiesel bestätigt. Ich gerate in einer scharfen Kurve bei mäßiger Geschwindigkeit unerwartet auf Rollsplitt. Ein blitzartiger Dreher um 180° und ein platter Hinterreifen sind das Ergebnis. Mit einem konventionellen Velo hätte ein hässlicher Unfall mit längerem Spitalaufenthalt daraus werden können. Allerdings zeigt das Kettwiesel andere Schwächen. Das allein angetriebene rechte Hinterrad und das vor der Tretkurbel liegende Vorderrad neigen auf unbefestigten Wegen zum Durchdrehen des Antriebsrades und einem Schieben nach links über das nur leicht belastete Vorderrad. Die schmale Bereifung macht das Vorwärtskommen auf unbefestigten Wegen anstrengend. In scharf angefahrenen Kurven hebt das Kettwiesel gerne das kurveninnere Hinterrad, bleibt aber beherrschbar. Die Kettenschaltung lässt sich nach einem Notstopp nicht im Stand herunterschalten und man muss irgendwie zusehen, wie man wenigstens soweit in Bewegung kommt, dass man herunterschalten kann. Das ist nicht wirklich alltagstauglich und lästiger als an einem konventionellen Velo. Es kommt ein ähnliches Gefühl auf, wie es ein Käfer empfinden muss, der auf dem Rücken liegt und versucht, wieder auf die Beine zu kommen.
Als Fehlkonstruktion erweist sich die Schnellverstellung, um das Kettwiesel den unterschiedlichen Benutzern anzupassen. Die untere der beiden Kettenrollen ist an einem zu dünnen Blechstreifen befestigt der sich verbiegt, was die Pulverbeschichtung des Rahmens absplittern lässt.
Die aktuellen Kettwiesel-Modelle haben einen Alurahmen und eine Montagemöglichkeit für alltagstaugliche Nabenschaltungen. Dieser Vorteil wird allerdings mit einer zusätzlichen, kurzen und deshalb häufiger umlaufenden und entsprechend Verschleiß anfälligen Kette erkauft. Dank eines optionalen Differenzials werden nun beide Hinterräder angetrieben. Dies hat aber den prinzipbedingten Nachteil aller nicht sperrbaren Differentiale, dass bei einem durchdrehenden Rad das andere stehen bleibt. Die Ausgleichsvorrichtung für die Kettenlänge ist neu konstruiert. Zahlreiche weitere Verbesserungen sind ebenfalls umgesetzt.
Unter dem Strich war das Hase Kettwiesel von 2002 doch ein guter Kauf. Mein Vater konnte bis zum Alter von 89 Jahren Velo fahren. Ich hatte auch viel Spass mit dem Fahrzeug, kam auf den Geschmack an Liegetrikes und es war gut für unsere Gesundheit.
Ein Nachtrag muss aber noch sein: Es kam ein feiner, ca. 3 cm langer Längsriss am Vorderende des Rahmenrohrs im Bereich der Klemmung für das Vorbaurohr zum Vorschein.
Ich habe Blut geleckt – ICE Trice T
Es wäre gut, ein Liegetrike zu haben, das sich zerlegen, in einer Tasche verstauen und so kostenlos im öffentlichen Nahverkehr mitnehmen ließe. Mit einem zweiten Liegetrike wäre es auch möglich meinen Vater zu begleiten. Recherchen im Internet führen zu Thomas Lösch, der ein zerlegbares, zur Tadpole-Familie gehörendes ICE Trice Q im Angebot seines »velowerks« hat.
Wir erarbeiten ein auf meine Bedürfnisse ausgerichtetes ICE Trice T mit dem gegenüber dem Q etwas höheren Sitz, mit Schnellspannern leicht zerlegbar, aus Gewichts- und Volumengründen beim Verpacken ohne vordere Schutzbleche, Gepäckträger und Beleuchtung. Die weitere Ausstattung beinhaltet mechanische Avid BB7-Scheibenbremsen an allen drei Räder (die am Hinterrad als Regulierbremse für längere Gefälle und als Parkbremse zum Feststellen mit einem Rasterhebel), eine Schlumpf High-Speed-Drive-Tretlagerschaltung vorne, eine 8-gängige Nexus-Nabenschaltung hinten und 60 mm breite Schwalbe Big-Apple-Ballonreifen. Auf die Beleuchtung verzichteten wir auch deshalb, weil wir die der Zerlegbarkeit geschuldeten Steckverbindungen als störungsanfällig betrachten und ich das ICE nur bei Tag und trockenem Wetter fahren will. Anstelle des Gepäckträgers bestelle ich zwei große Taschen seitlich am Sitz und einen Radical Cyclone-Anhänger.
Mit dem Schaltungskonzept aus Tretlager- und Nabenschaltung erreichen wir eine Spanne zwischen der kleinsten und der größten Entfaltung von 860 %. Mit der Rohloff-Nabe wäre noch mehr drin, aber das Eingangsdrehmoment auf die Nabenschaltung im direkten Gang der Schlumpf-Schaltung überschreitet sowohl die Vorgaben für die Rohloff- als auch für die Nexus-Nabenschaltung. Aber im Schadensfall wäre die Nexus-Nabe günstiger zu ersetzen. Beide Schaltungen sind im Stand schaltbar. Der beim Kettwiesel störende »Käfereffekt« ist ausgeschaltet.
Das ICE wird im Sommer 2007 relativ rasch fertig. Ich zerlege und verpacke es in die mitgekaufte Tasche für ein Dahon-Faltvelo, binde es auf den Radical Cyclone und transportiere es mit dem Zug nach Hause. Nach dem Aufbau beginnt eine neue Dimension des Trikefahrens. Vor allem die Ballonpneus sind zusammen mit der gefederten Hinterradschwinge mit dem eleganten Design eine Offenbarung. Der Rollwiderstand erscheint auf unbefestigten Wald- und Flurwegen kaum höher als auf geteerter Fahrbahn. Die Zerlegbarkeit nutze ich für Veloferien. Bei einer Reise mit dem Schlafwagen nach Südböhmen gerate ich allerdings an deren Grenzen. Auf der Hinreise war ich zu faul, das Hinterrad auszubauen. Das verpackte ICE passte um Haaresbreite nicht durch die Türe des Schlafwagenabteils. Der Schlafwagen war zu Glück am Zugende und ich dürfte das ICE gegen ein Bakschisch an den Schaffner verbotenerweise im Gang stehen lassen. Auf dem Rückweg war ich gescheiter und habe auch das Hinterrad ausgebaut.
In Český Krumlov habe ich die Gelegenheit, von der Moldau zum Schlosspark hochzufahren. Wie ich mich im 1:1 übersetzen »Landschildkrötengang« die teilweise sehr steile Straße hochkurbele, lässt die Zuschauer staunen. Im 1:2,5 übersetzten »Rennmausgang« ist das ICE bei angenehmer Trittfrequenz sehr schnell. Das Schaltkonzept hat in der Praxis die Erwartungen voll erfüllt, auch wenn die Nexus-Nabe im Vergleich zur Rohlofff-Nabe doch ein recht grobes Teil mit deutlich hörbaren Schalt- und Laufgeräuschen ist.
Der Verzicht auf die vorderen Schutzbleche beschert mir ein sehr unappetitliches Erlebnis. Nach einer Fahrt durch Hundekot finden sich deutliche Spuren davon am Spiegel. Die fehlende Beleuchtung führt öfter zu einem stressigen Wettrennen mit der Dämmerung
Eine Eigenheit zeigt das ICE: Das Bremsen muss mit viel Gefühl angegangen werden. Bei zu scharfem Bremsen mit den Vorderrädern kann das Hinterrad abheben und das ICE wird instabil. Beim Bremsen mit dem Hinterrad blockiert dieses rasch. Zu diesem Effekt tragen die hohe Sitzposition und der fehlende Gepäckträger bei. Allerdings lässt sich diese Eigenheit für blitzartiges Wenden um 180° nutzen.
Unter dem Strich bereitet mein ICE jede Menge Fahrspaß und ist sehr komfortabel, zeigt aber beim Zerlegen und Wiederaufbauen, durch das Fehlen von Schutzblechen sowie Beleuchtung und durch das Bremsverhalten doch etliche Defizite in der Alltagstauglichkeit.
Der nächste Schritt – HP Gekko fx
Im Herbst 2010 erfahre ich, dass HP Velotechnik ein in einem Stück faltbares Liegetrike vorgestellt hat, das HP Gekko fx. Ich beginne mit dem Kauf zu liebäugeln. Ich rege bei HP Velotechnik an, die beiden Gummipuffer unter dem Sitz durch Rollen zu ersetzen, damit sich das Gekko gefaltet leichter bewegen lässt. HP setzte dies leider nur halbherzig um, mit kleinen Rollen und enger Spur. Ende Februar 2011 fahre ich das Gekko Probe. Ich fühle mich auf Anhieb wohl, allerdings macht sich die gegenüber dem ICE etwas tiefere Sitzposition beim Aufstehen bemerkbar. Ich bin beeindruckt vom ingenieusen Faltmechanismus und der exzellenten Verarbeitungsqualität. Die serienmässig verbaute 27-gängige Kettenschaltung ist für mich ungeeignet, der Rest gefällt mir hingegen umso besser. Der Entschluss ist gefasst, ich wechsle zum HP Gekko fx.
Im Internet stoße ich auf eine weitere interessante Neuheit, die stufenlose NuVinci N360-Nabenschaltung von Fallbrook mit einer Übersetzungsspanne von 360 %. Diese ermöglicht in Kombination mit dem Schlumpf High-Speed-Drive eine Übersetzungsspanne von sagenhaften 900 %.
Damit sind die grundsätzlichen Spezifikationen für den HP Gekko fx gesetzt: Aufbau auf einem Rahmensatz von HP Velotechnik mit Schlumpf High-Speed-Drive mit Schaltleisten und NuVinci N360, vorne. Dazu, meinem Gewicht geschuldet, leistungsfähigere Avid BB7 statt der serienmässigen Avid BB5-Scheibenbremsen, hinten eine feststellbare Felgenbremse, 50 mm breite Schwalbe Bereifung, Schutzbleche, Gepäckträger, SON-Nabendynamo und LED-Beleuchtung.
Die Ausstattung für das HP Gekko fx wird noch mit einem Ortlieb Rollenkoffer samt zugehörigem Gepäckträgeradapter und Ortlieb-Velotaschen Back Roller City ergänzt. Da ich beim Anhänger festgestellt habe, dass ich mit einer festen Ladefläche glücklicher wäre als mit dem stoffbespannten Alurahmen des Radical Cyclone, wird die Bestellung noch mit einem Carry Freedom Y-Frame Small mit abschließbarer Weber-Kupplung und faltbarer Kunststoffbox ergänzt. Hinzu kommen noch ein Schutzhusse für den Sitz und eine für das gefaltete Gekko .
Beim Abholen des Gekko wird spontan noch das bei mir überflüssige Umwerferrohr am Tretlager mit einem Moosgummiüberzug als Handgriff zum Schieben, Ziehen und Anheben des gefalteten Gekko umzufunktioniert. Gefaltet wird es mit Tram und Bahn nach Hause transportiert.
Als Flop erweisen sich die Transportrollen unter dem Sitz; sie ärgern mich bereits auf dem Freiburger Kopfsteinpflaster und bleiben an den Bahnhöfen sogar in den Leitlinien für Sehbehinderte hängen. Abhilfe schaffe ich mit längeren Schrauben, Distanzhülsen und Inline-Skater-Rollen außen am Sitz. Nun lässt sich mein Gekko auch gefaltet einigermaßen problemlos rollen.
Längere Zeit stehen nun das ICE und das Gekko nebeneinander in der Garage und erlauben Vergleiche. Es stellt sich heraus, dass die um wenige Zentimeter abweichende Geometrie des Gekko zusammen mit dem Gepäckträger und der relativ schweren NuVinci-Nabe genügt, dass beim Gekko auch bei scharfem Bremsen das Hinterrad nicht abhebt. Die Kombination Schlumpf High-Speed-Drive und NuVinci N360 erweist sich als äußerst komfortabel, ich fahre immer in der optimalen Übersetzung und regle intuitiv nach. Verblüffend ist immer wieder, wie ich mit konstanter Kraft und Frequenz in die Pedalen tretend, die NuVinci hochschalte und fühle, wie ich schneller werde. Dieser Fahrkomfort ist sensationell, auch wenn ich weiß, dass die Kombination aus Schlumpf High-Speed-Drive und NuVinci N360 etliche Prozent an Wirkungsgrad kostet. Aber ich fahre ja vor allem auch deshalb Velo, weil es für mich die mir am besten zusagende und in den Alltag integrierbare Form ist, »Hüftgold-Diesel« zu verbrennen. Das Falten und Entfalten des Gekko geht nach etwas Übung recht flott; trotzdem falte ich es weniger oft als gedacht für den Transport im öffentlichen Nahverkehr, da es einfach mehr Spaß macht, es zu fahren.
Was ich bei meinem Gekko gegenüber dem ICE vermisse, sind die 60 mm breiten Ballonreifen und das chice Design der Hinterradschwinge. Sonst erfüllt das Gekko alle Erwartungen, auch wenn es im gefalteten Zustand mit 98 cm × 83 cm × 52 cm und 22 kg kein Handtäschchen ist. Es bleibt ein großer Rollenkoffer, lässt sich aber doch recht gut in den Nahverkehr verladen.
Der Gepäckträger wurde für das Einkaufen noch mit 18 l fassenden KlickFix-Lamello-Kunststoffkörben mit angeschraubten Ortlieb Quick-Lock-1-Schiene ergänzt. Auf dem Carry Freedom Y-Frame-Anhänger finden anstelle der großen Kunststoffbox auch bis zu zwei Getränkekästen und eine geräumige Kühlbox Platz. Das Gespann aus Gekko und Anhänger ist ein erstaunlich leistungsfähiges und alltagstaugliches Logistiksystem.
Da ich mein Gekko bei vom Winterdienst gesalzenen Straßen grundsätzlich in der Garage lasse, kommt es im Winter zu einem Konditionseinbruch. Deshalb kaufe ich mir noch einen KINETIC T-699C Rollentrainer mit Small-Wheel-Adapter für das 20»-Hinterrad des Gekko. Das Hinterrad läuft darauf nur ca. 1 cm über dem Boden, d. h. die Geometrie wird kaum verändert und ich kann auch das Aufstehen aus der niedrigen Sitzposition üben. Damit kann ich im Winter und bei längeren Schlechtwetterperioden in der Garage ein gewisses Grundtraining aufrechterhalten. Allerdings wird das eine Notlösung bleiben, draußen zu fahren macht einfach viel mehr Spaß.
Bilanz
Meine Bilanz über 12 Jahre mit drei Liegetrikes ist äußerst positiv. Das Fahren mit diesen «supertief fliegenden, flügellosen, Muskelkraft betriebenen Ultraleichtflugzeugen» macht jede Menge Spaß. Ich würde um keinen Preis mehr auf ein konventionelles Velo wechseln wollen. Auch über längere Strecken sind Liegetrikes sehr entspannt und gelassen zu fahren – kein Foltersattel unter dem Hintern, keine schmerzenden Hand- und Schultergelenke.
Zum Autor
Eduard J. Belser hat ursprünglich an der ETH Zürich Forstwirtschaft studiert und sich dann in Museumswissenschaften weitergebildet. Er arbeitet in verschiedenen Museumsprojekten mit und ist als Fachjournalist tätig.