Ausgabe 18 · April 2014

Diesen Artikel als PDF

Radfahren: gefährlich oder gesund?

von Peter Seidel

Wer oft mit dem Fahrrad unterwegs ist kennt diese Situationen: Andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere Autofahrer, die einen beim Abbiegen beinahe umfahren, dichtes Auffahren, schlechte Straßen oder vom Regen glitschig gewordener Untergrund – und dann läuft auch noch ein Hund vor das Rad.

Fahrrad fahren kann nervig oder gar gefährlich sein – aber ist es nicht auch sicher und gesund?

Bild 1: Radfahren – gefährlich oder gesund?
Von: M. Stoß

In diesem Text möchte ich näher auf die verschiedenen Fakten eingehen und versuchen, eine objektive Beurteilung des Themas »Fahrrad fahren« unter dem Aspekt des Risikos vorzunehmen. Dies geschieht insbesondere mit Schwerpunkt auf das tägliche Fahren in der Stadt, weniger als rein sportliche Betätigung.

Fahrrad fahren ist gefährlich!

Einleitung

Dass Fahrrad fahren gefährlich ist, hat jeder sicher schon selbst erlebt oder auch empfunden (auf das Thema »Empfinden« werden wir später noch zu sprechen kommen). Es gibt hierzu einige Statistiken die das Unfallrisiko von verschiedenen Verkehrsteilnehmern untersuchen, ich werde nachfolgend einige hiervon zitieren. Die grundsätzliche Schwierigkeit bei diesem Thema ist, dass häufig nur schlecht vergleichbare und »unsaubere« Statistiken entstehen:
Einerseits sind viele Daten nicht bekannt, z. B. wie viele Menschen mit welchem Verkehrsmittel tatsächlich unterwegs sind, wie viele Kilometer sie jeweils auf diese Art zurück legen oder auch die Begleitumstände, die zu einem Unfall geführt haben können – teils werden dann Schätzwerte zugrunde gelegt. Oder das geschätzte Unfallrisiko wird dadurch verzerrt, dass sich schwere Unfälle für Radler besonders in der Stadt, für Autofahrer aber eher auf Landstraßen ereignen.

Weiterhin gibt es Statistiken, in denen nur schwerwiegende Verkehrsunfälle erfasst werden, aber leichte Verletzungen nicht. Und zu guter Letzt ist es die Frage, wie man »Gefahr« definiert: Verletzungen pro Kilometer, pro Stunde mit dem Verkehrsmittel, pro Wegstrecke oder pro Person? [Krag 2011]

Aus meiner Sicht wäre der beste Vergleich, zwischen den Verkehrsmitteln unter denselben Bedingungen zu wählen, »anwendungszentriert« sozusagen:
Die Unfallgefahr, die mir droht, wenn ich z. B. täglich von der Wohnung zum Arbeitsplatz pendle – denn ich möchte ja wissen, ob ich die mit dem Rad zurück gelegte Strecke sicherer mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurück legen könnte.

Hier sehen wir aber die Schwierigkeiten:
Die beispielhafte Fahrt zur Arbeit wird in den meisten Fällen eine innerstädtische Strecke sein. Zudem müsste diese Kilometer bezogen sein (da verschiedene Verkehrsmittel ja auch unterschiedlich lange Wege für das selbe Ziel zurück legen können – beispielsweise für Radfahrer durch eine in Gegenrichtung geöffnete Einbahnstraße). Außerdem macht die Angabe pro Zeit aus meiner Sicht wenig Sinn, denn wer schneller fährt wird zwar theoretisch weniger lange dieser Unfallgefahr ausgesetzt sein, im Falle eines Unfalles wahrscheinlich aber auch schwerer verletzt werden. Ab einer größeren Entfernung verliert das Rad schließlich an Bedeutung für das tägliche Pendeln; demgegenüber sind aber auch ca. 50 % der Autofahrten unter 7,5 km lang (sozusagen »innerstädtisch«) und somit potentiell für eine breitere Masse auch durch das Rad zu ersetzen. Unter diesen Aspekten sind also vorhandene Daten schon verzerrt.

Weiterhin beruht der kalkulierte Nutzen durch Radeln auch nur auf gewissen Statistiken und Grundannahmen. Aber immerhin: Die unterschiedlichen Zahlen der Untersuchungen bewegen sich in einer ähnlichen Größenordnung – ein Hinweis darauf, dass diese doch zuverlässig erhoben wurden oder interpretiert werden können.

Fakten zum Unfallrisiko

Generell nimmt das Risiko schwerer Verletzungen oder gar im Straßenverkehr zu versterben für alle Verkehrsteilnehmer in Deutschland seit Jahren ab. Straßenverkehr wird also für alle sicherer.

Laut Unfallstatistik [Destatis 2012] sind das:

Tabelle 1: Unfallstatistik 2012
Verunglückte zum Vorjahr Getötete (Anteil) zum Vorjahr
Radfahrer 74.776 –2,6 % 406 +1,8 %
Fußgänger 31.830 –1,0 % 614 –15,3 %
Autofahrer 216.068 –0,5 % 1.791 –9,8 %

Zu beachten ist also, dass im Verhältnis von verletzten zu getöteten Verkehrsteilnehmern insbesondere Fußgänger ein hohes Sterberisiko aufweisen, ebenso wie Motorradfahrer (hier von mir nicht aufgeführt). Über einen Zeitraum von zwanzig Jahren ergaben sich zudem anteilig Verschiebungen: PKW-Insassen sind inzwischen relativ sicherer unterwegs, für Radfahrer ist das Risiko trotz allgemein sinkender Toter gestiegen. Dies wird aber vor allem auf die deutliche Zunahme an gefahrenen Kilometern zurückgeführt (es ergeben sich im positiven Sinn somit dann doch weniger Tote pro Kilometer).

Alarmierend ist vor allem die Altersgruppe der Kinder bis 14 Jahren. Diese sind als Radfahrer besonders häufig Unfallopfer (und zwar überwiegend durch falsche »Straßennutzung«, wahrscheinlich entgegen der Fahrtrichtung). Bei den 15- bis 17-Jährigen wird das Rad dann durch das Mofa in der Unfallstatistik als Spitzenreiter abgelöst.

Unfallrisiko für Radler und andere Verkehrsteilnehmer

Wenngleich das Verletzungsrisiko auf dem Rad tatsächlich höher ist als im Auto, zeigen die von Krankenhäusern berichteten Daten interessante Details [Krag 2011]:
Die Verletzungsschwere wird auf der »Abbreviated Injury Scale«, kurz AIS, einer Skala bis 6 = tödlich, 5 = lebensbedrohlich, 4 = sehr schwere Verletzungen gemeldet. Demnach kamen schwere Verletzungen mit einem Wert von AIS 3 bei 9 % der Autofahrer im Vergleich zu 3 % der Radfahrer und ca. 5 % der Fußgänger vor. Ähnlich ist auch die durchschnittliche Anzahl von Tagen im Krankenhaus (3,5 Tage bei Fußgängern, knapp ein Tag bei Autonutzern, ca. ein halber Tag für Fahrradfahrer). Die Aufschlüsselung nach Todesfällen pro zurückgelegten Kilometern oder nach Anzahl der Wege bzw. Anzahl der Stunden, die hiermit verbracht wurden sprechen je nach Maßstab für die eine oder andere Fortbewegungsart (Tote pro Million km bei Fußgängern: ca. 63, bei Radfahrern ca. 25, beim Auto ca. 5). Günstiger in Relation zum Auto erscheint das Fahrradfahren, wenn man dies nach der Anzahl an benutzten Stunden aufschlüsselt (Laufen: 350 Tote/Millionen Stunden, Fahrrad fahren: 370, Auto fahren ~300).

Die Zahlen stammen aus dem Jahr 1996 und dürften für alle Unfallbeteiligten noch weiter rückläufig sein (vgl. oben bzw. [Destatis 2012]). Auch andere Quellen zeigen ähnliche Daten [PBIC 2011] [Kifer 2002] [Ege et al. 2005]. Zudem sind in anderen Berechnungen [De Hartog et al. 2010] in Abhängigkeit vom Alter sehr unterschiedliche Verhältnisse zu beobachten (die 15- bis 20-Jährigen sind sicherer mit dem Rad, die älteren Menschen dann wieder sicherer mit dem Auto unterwegs). Durchschnittlich stehen bei den 20- bis 70-Jährigen in den Niederlanden 8,2 getötete Radler pro Milliarde zurück gelegter Kilometer 1,9 getöteten Autofahrern gegenüber (und somit beträgt die Rate vergleichbar zum obigen Verhältnis 5:1 pro Kilometer).

Dieses Risiko lässt sich zu Gunsten der Radfahrer aber weiter relativieren:
Zum einen durch den Effekt, dass weniger Verletzungen und Tötungen auftreten, wenn mehr Rad gefahren wird. Es gibt dann zwar generell einen gewissen Anstieg der Verletzungshäufigkeit bei Radfahrern, der allerdings nicht im Verhältnis zum häufigeren Rad fahren und den vermehrt zurückgelegten Kilometern steht. Eine Verdopplung des Radverkehrs führt zu einer relativen Risikoreduktion von 34 % [Jacobsen 2003]. Dieses Phänomen ist wohl dadurch zu erklären, dass in Städten, die den Fahrradverkehr besonders fördern, auch eine entsprechend bessere, fahrradfreundlichere Infrastruktur vorliegt und dass sich allein durch die häufigere Anzahl von Radfahrern die anderen Verkehrsteilnehmer deutlich rücksichtsvoller verhalten, z. B. kalkuliert ein Autofahrer beim Abbiegen einen Radfahrer dann eher ein. In der Literatur wir dieser Effekt »safety in numbers« bezeichnet, frei übersetzt also »mehr Sicherheit (für Radler) durch mehr Radler«.

Zum anderen zeigt sich, dass je mehr der Einzelne fährt, dieser umso sicherer mit dem Fahrrad unterwegs ist. Hier ist die Erfahrung im Umgang mit kritischen Situationen im Straßenverkehr ausschlaggebend, ebenso eine gute Radbeherrschung in Grenzsituationen (scharfes Bremsen, schwierige Straßenverhältnisse bei Glätte oder Schnee) gepaart mit einer verkehrstauglichen Ausstattung. Es sind ja schließlich auch die Vielfahrer, die z. B. eher auf adäquate Bereifung, gute Beleuchtung oder Bremsen achten.

Gefahr Luftverschmutzung

Über die akuten physischen Verletzungsrisiken hinaus gibt es aber noch einen weiteren wichtigen Risikobereich. Dieser wirkt im Verborgenen, Diffusen, weniger Fassbaren und macht vielleicht deshalb Manchem so viel – oder auch gar keine Angst: Feinstaub und Abgase!

Interessant ist schon einmal, dass die Konzentration verschiedener Stoffe in der Fahrgastzelle eines PKW bis zu 1,6 mal höher liegt als in der Außenluft, da die Lufteinlässe näher zum Auspuff anderer Autos liegen und direkt auch Ausdünstungen aus Tank und Motorraum eintreten. Auf der anderen Seite atmet ein körperlich aktiver Mensch mehr und tiefer ein. Für den Radfahrer macht dies dann im Vergleich eine ca. 2,3-fach höhere Schadstoffbelastung aus [Woodcock et al. 2014] [Teschke et al. 2012] [Rojas-Rueda et al. 2011]. Nach anderen Quelle sind hingegen gar keine Unterschiede zu finden [Krag 2011]. Dies halte ich aber auf Grund der vorgenannten Daten für zu optimistisch geschätzt.

Allerdings sieht man in diesem Fall wieder die Schwierigkeit in der statistischen Erhebung:
Die Konzentrationen der einzelnen berücksichtigten Stoffe schwanken sehr stark in Abhängigkeit von Ort und Wetter. Bildlich gesprochen wird also bei der gemütlichen Fahrt durch den Park bei Wind und Regen wahrscheinlich weniger Abgas inhaliert als an stickigen Smogtagen entlang einer viel befahrenen Stadtautobahn. Somit kommt es auf die Bewertung und die Datengrundlage an, auf der berechnet wird.

Bild 2: Messfahrt während des VECTOR Projekts der EU zur Messung der realen Schadstoffbelastung im Straßenverkehr.
Von: Vector-Projekt/Kooperationsstelle Hamburg IFE GmbH

In den eben erwähnten Studien werden entweder allgemeine »Luftverschmutzung«, Feinstaub und Ruß oder andere spezifische Noxen wie Stickstoffmonoxid als Risiko für Erkrankungen oder gar hierdurch bedingte Tote berechnet. Grundsätzlich ergibt sich daraus dann zwar statistisch eine Reduktion der Lebenszeit durch »Luftverschmutzung« (je nach Modell z. B. für einen Radfahrer von maximal 40 Tagen Lebenszeit weniger als bei Autofahrern [De Hartog et al. 2010]); sie können den Nutzen körperlicher Betätigung jedoch nicht schmälern, womit wir beim nächsten Abschnitt sind:

Untätigkeit: Der Superkiller

Untersuchungen zu Risiken und Nutzen von Rad fahren und Auto fahren im Vergleich

Oben habe ich die Gefahren aufgeführt. Sollte die Alternative also sein, möglichst nichts zu tun? In einzelnen Studien wird das allgemeine Risiko der Verkehrsteilnahme als Radfahrer (konkret das Verletzungsrisiko oder die schädliche Auswirkung von Luftverschmutzung) berechnet. Dem gegenüber steht der positive Effekt einer regelmäßigen körperlichen Betätigung. Hierzu gibt es gute Zahlen und eine Aufrechnung dieser beiden Themenfelder gegeneinander:

Ergebnisse

In einer erst in diesem Jahr erschienen Studie wurde in London untersucht, wie sich positive und negative Folgen des Fahrradfahrens unter Nutzern von Leihrädern verhielten.

Aus statistischen Erhebungen und vergleichenden Kalkulationen wurden Unfallwahrscheinlichkeit, Schäden durch Luftverschmutzung und Gesundheitsgewinn gegeneinander aufgerechnet. Ergebnis: Mit dem Rad zu fahren hatte einen deutlichen positiven Nutzen. Kalkuliert wurde mit DALYs (disability adjusted life-years), einem Maß für verlorene Lebensjahre, z. B. durch Unfalltod mit der Differenz aus Sterbealter und durchschnittlicher Lebenserwartung) und Lebensjahren, die krankheitsbedingt »verloren« gehen.

Im Vergleich zum Rad wurden gesundheitlich eher noch günstige Alternativen angenommen: zu Fuß gehen oder öffentliche Verkehrsmittel. Der PKW-Gebrauch wurde in dieser Berechnung recht niedrig angesetzt. Für Frauen ist der positive Effekt geringer, da den Daten zufolge für sie eine höhere Unfallwahrscheinlichkeit vorlag (auf Basis der Unfallverletzungen beim regulären Radverkehr in London). Schlussfolgerung war hier, dass die Einführung eines Fahrradverleihsystems insgesamt betrachtet positive Gesundheitseffekte für London brachte.

In einer drei Jahre zuvor veröffentlichten Untersuchung mit sehr ähnlichen Bedingung, (der Effekt eines Fahrradverleihsystems im Vergleich zur Autonutzung), diesmal in Barcelona, ergab sich übereinstimmend ebenfalls ein positiver Effekt. In dieser Studie wurde in absoluten Lebensjahren gerechnet. Auf alle Teilnehmer bezogen ergaben sich 0,03 Tote durch das erhöhte Unfallrisiko und 0,13 Tote durch Luftverschmutzung. Körperliche Betätigung erbrachte aber 12,46 verhinderte Tote im entsprechenden Zeitraum für die Radler! Hier war der Vergleichspartner alleine das Auto, daher wird auch eine Einsparung von 9.062 Tonnen Kohlendioxid mit ins Feld geführt.

Bei beiden Untersuchungen ist der positive Gesundheitseffekt bei jüngeren Menschen geringer ausgeprägt (man wird tendenziell erst im Alter krank, daher kann so dann auch mehr im Guten bewirkt werden. Zudem sterben jüngere Menschen weniger wahrscheinlich). Konkret ergeben sich für junge Menschen so »nur« 7,43 gewonnenen Lebensjahre.

Noch ein Jahr zuvor wurde eine weitere grundlegende Studie zu diesem Thema veröffentlicht [De Hartog et al. 2010]. Zu den hier gefundenen und oben erwähnten 40 Tagen Lebenszeitverlust durch Luftverschmutzung und maximal 9 Tagen durch Unfälle kommen auf der Habenseite diesmal 3 bis zu maximal 14 Monate durch körperliche Betätigung als Gewinn.

Hauptrisiko Luftverschmutzung

In allen Untersuchungen fällt auf:
Unfälle sind anteilig eher unbedeutend, die Luftverschmutzung schlägt wesentlich mehr zu Buche. Diese im Alltag nicht erlebbare Gefahr spielt also eine größere Rolle als die täglich von den Radlern selbst erlebten bzw. empfundenen Unfallrisiken. Was die Gefährdung durch schlechte Luftqualität angeht, ist dies ein Pluspunkt für’s Fahrrad, der sich statistisch allerdings erst dann auswirken würde, wenn mehr Menschen auch tatsächlich Rad fahren würden.

Das Positive überwiegt: Begründung

Wie kann es sein, dass der Gesundheitsgewinn durch körperliche Aktivität so gravierend ausfällt? Untätigkeit ist in unserer Gesellschaft ein allgemeiner und inzwischen weit verbreiteter Risikofaktor für Herz-/Kreislauferkrankungen, aber auch für die Entwicklung oder Verschlechterung eines Diabetes, für Entwicklung von Bluthochdruck, aber genauso auch für Depression, Osteoporose, Tumorentstehung, Schlaganfälle etc.

Als Beispiel gibt es im Bereich der Kardiologie (Teilgebiet der Medizin, das Herz-Kreislauf-System behandelnd) inzwischen mehrere sehr gute Studien die belegen, dass bei einer hochgradigen Einengung eines Herzkranzgefäßes bei einer stabilen Erkrankung (sprich: Beschwerden wie Brustenge oder Atemnot stets unter Belastung, nicht in Ruhe, dann liegt eine instabile Erkrankung vor) Herzinfarkte durch körperliche Betätigung mindestens gleich gut, möglicherweise sogar deutlich besser als durch medizinische Behandlungsmethoden zu verhindern sind [BARI-2D 2009] [Courage 2007] [Hambrecht et al. 2004].

Die Studien hierzu sind deshalb so revolutionär, weil die Standardbehandlung üblicherweise die Aufdehnung des betroffenen Gefäßes von innen und die Stabilisierung desselben mit einem Stent ist. Ein Stent ist ein kleines Metallgeflecht, welches mittels eines Ballons aufgedehnt und in die verengte Gefäßwand »eingepresst« wird, um eine erneute Verengung zu verhindern. Genau hier liegt allerdings auch die Crux: Dieses sehr dünne Metallgitter stellt einen Fremdkörper dar und wächst nicht immer gut in die Gefäßwand ein. Es kann daher später auch zu erneuten Verengungen genau wegen dieser Fremdkörperwirkung kommen. Die Effekte durch körperliche Betätigung sind dagegen sehr vielseitig, wirken auf vielen verschiedenen Ebenen und in ihrer Gesamtheit ist diese Wirkung massiv:

  • Durch körperliche Betätigung wird zum einen das Herz-/Kreislauf-System im Ganzen trainiert (der Blutdruck als einer der Hauptrisikofaktoren sinkt durch regelmäßige Belastung), aber auch kleinste Gefäße passen sich an die geänderten Bedingungen an und verschiedene Stoffwechselvorgänge in den Zellen werden in Gang gesetzt oder optimiert. Der Körper lernt, mit Sauerstoffunterversorgungen besser umzugehen und Nährstoffe besser zu verwerten; er kann also selbst hochgradige Probleme an Gefäßen ohne Funktionsverlust kompensieren.
  • Bei vielen Erklärungsmodellen zu Gefäßerkrankungen spielen zudem entzündliche Prozesse eine Rolle. Auch hier kann dieser Vorgang durch körperliche Betätigung gestoppt oder gebremst werden.
  • Die Blutgerinnungseigenschaften bessern sich: Blut passt besser durch die Gefäße und es kommt seltener zu einer Thrombose (Gefäßverstopfung).
  • Die Aufnahme von Sauerstoff und die Lungenfunktion werden optimiert.
  • Körperliche Betätigung regt die Muskeltätigkeit an, was zu einer besseren Verwertung von Blutzucker führt. Das Diabetesrisiko sinkt und damit einhergehend auch wiederum andere negative Folgen des Diabetes (eben auch Herzinfarkt und Schlaganfall).
  • Die Immunabwehr ist nach körperlicher Tätigkeit kurz gedrosselt, die restliche Zeit jedoch stärker als beim Untätigen.
  • Zusätzlich sind ganz klar positive Effekte auf die Stimmung beschrieben. Wer regelmäßig körperlich aktiv ist hat z. B. ein um 50 % reduziertes Risiko, an einer Depression zu erkranken.

Ein Stent verbessert im Vergleich lediglich die Durchblutung im betroffenen Herzkranzgefäß.

Das Thema Untätigkeit gewinnt derzeit in der medizinischen Forschung mehr und mehr Bedeutung. Es sind bereits über 50 % der Bevölkerung in westeuropäischen Ländern nach Definition übergewichtig (entspricht einem BMI von 25 oder mehr; BMI-Berechnung: Gewicht in Kilogramm/Körpergröße in Metern hoch zwei), knapp ein Viertel gar »adipös« (BMI von 30 oder mehr. Beispiel: ein 1,75 m großer Mensch wiegt dann mindestens 91,8 kg). Diese Angaben beruhen auf Untersuchungen des Robert-Koch-Institutes, einer Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und dem DGE-Ernährungsbericht [Max Rubner Institut 2008] [Mensink 2012].

Vor einigen Jahren habe ich gelesen, dass in England die erste Generation von Jugendlichen heranwächst, die aufgrund ihrer Lebensverhältnisse eine kürzere Lebenserwartung hat als ihre Vorgeneration. Mit Überernährung und körperlicher Untätigkeit scheint sich der bisherige Trend immer älter zu werden also umzukehren.

Was zudem häufig nicht berücksichtigt wird ist die Lebensqualität. Wer körperlich aktiv ist wird nicht nur älter, er wird auch beweglicher, geistig agiler und länger mobil und selbständig bleiben. Untätigkeit führt somit zu häufigeren Stürzen und Knochenbrüchen.

Bild 3: Körperliche Betätigung mit dem Rad ist für jede Altersgruppe ein Gewinn.
Von: M. Stoß

Subjektives vs. objektives Risiko

Ich denke, ich konnte zeigen, dass Radfahren nicht gefährlich ist in dem Sinne, dass ein möglicherweise höheres Unfallrisiko und die Gefahren der Luftverschmutzung im Vergleich zur Verkehrteilnahme als Autofahrer einem deutlich überproportionalen gesundheitlichen Nutzen gegenübersteht. Trotzdem haben viele Angst oder Bedenken, mit dem Fahrrad den Alltagsverkehr zu bestreiten. Hier spielt auch das subjektiv empfundene Risiko eine große Rolle.

Mit Zahlen kann man dem nicht unbedingt beikommen, aber ich habe zu diesem Mechanismus trotzdem ein paar Fakten aufzuzählen:

Ein befreundeter Unfallchirurg (Prof. Schöffl) hat das Verletzungsrisiko beim Klettersport ermittelt und der Verletzungshäufigkeit beim Breitensport Fußball gegenüber gestellt. Hintergrund dieser Studien war, valide und objektive Zahlen vorzulegen, um weg vom Image des Kletterns als Risikosportart zu kommen, da dies eben nicht den Tatsachen entspricht. Letztlich sind Verletzungen beim Fußball häufiger als kletterbedingte Verletzungen, insbesondere, wenn man die Anzahl der Verletzungen auf die ausgeübten Stunden umlegt. Die Verletzungsschwere ist zudem nicht gravierender; häufiger handelt es sich um Überlastungsschäden.
[Neuhof et al. 2011] [Schöffl et al. 2013]

Auch an anderer Stelle finden sich interessante Zahlen [Ege et al. 2005]. Setzt man die Verletzungshäufigkeit des Fahrradfahren ins Verhältnis zu anderen Sportarten, ergibt sich folgende Abfolge:
Am gefährlichsten sind Luftsportarten mit einem relativen Risiko von 450 pro Teilnehmer; Schwimmen und Fußball mit 7 bzw. 4,9; während Fahrradfahrern als Bezugspunkt auf 1,0 gesetzt ist (lediglich Golf mit 0,83 und Wandern mit 0,06 sind ungefährlicher).

Als Verkehrsmittel ist Fliegen mit 0,15 sicherer als Rad fahren, wobei wir hier wieder zu dem großen Themenbereich des subjektiven vs. objektiven Risikos kommen. Ein bisschen kann man hier scheinbar also wählen zwischen mehreren kleineren Verletzungen auf dem Rad und einem größeren Flugzeugabsturz. Werden Sie jetzt deswegen Fahrrad fahren oder lieber doch fliegen?

Sehr häufige und alltägliche Gefahren blenden wir mit der Zeit einfach aus. Wir nehmen diese als Gefahr gar nicht mehr wahr, da wir sonst jeden Morgen beim Aufstehen bereits Angst haben müssten. Wesentlich mehr Angst haben wir vor diffusen und nicht konkreten, aber auch vor sehr selten auftretenden Ereignissen, die uns dann in Alarmbereitschaft versetzen. Hier erinnere ich mich an eine Vorlesung während des Medizinstudiums im Bereich Toxikologie. Es gab damals eine große Diskussion über Umweltgifte und das Risiko derselben, wobei der Professor lapidar dazu meinte: »Wer raucht, braucht sich über andere Gefahren in seinem Leben überhaupt keine Sorgen mehr zu machen.« Auch wenn ich es nicht mehr genau weiß, bin ich mir recht sicher, dass einige unserer Diskutanden durchaus Raucher waren und sich engagiert für eine sauberere Umwelt einsetzten, um weniger Feinstaubbelastung durch (vielleicht etwa Autoverkehr?) zu haben.

Und auch die ganz oben zitierten Daten weisen in diese Richtung: Am »gefährlichsten« wird wohl sicherlich das Unfallrisiko empfunden – aber wer hätte gedacht, dass Erkrankungen durch die Atemluft für Radfahrer das medizinisch gesehen größere Risiko darstellen?

Schlussfolgerung und Zusammenfassung

Es gibt viele Daten zum Thema Rad fahren, Unfallrisiko und Gesundheit. Ich denke, dass diese zusammenfassend durchaus verlässlich sind und doch recht klar zeigen, dass Fahrrad fahren insgesamt betrachtet auf jeden Fall gesünder ist als Auto fahren und lebensverlängernd wirkt.

Insbesondere der enorme positive gesundheitliche Nutzen durch die körperliche Betätigung spielt eine Rolle. Das Unfallrisiko mag zwar je nach Statistik mehr oder weniger hoch bewertet sein, ist aber absolut betrachtet nicht extrem hoch, auch nicht im Vergleich zum Autoverkehr. Eher wäre da schon das Risiko durch die Luftqualität zu nennen. Und genau hier setzt man als Radfahrer auch noch im positiven Sinne an.

Zum Autor

Peter Seidel. Beruflich bin ich als Oberarzt in einer Klinik im Bereich der Kardiologie und teils der Sportmedizin tätig. Zu diesem Fach bin ich nicht zuletzt durch das Hobby Radfahren gekommen. Anfangs noch »bloß« mit dem Rennrad (und daher besonderem Interesse am Thema Training) kamen bald das Mountainbike und während des Studiums besonders das Reiseradeln dazu. Den Führerschein habe ich daher nicht gebraucht und als »Spätzünder« erst mit Beginn des Berufs quasi zwangsweise gemacht. Seit wenigen Wochen ist auch ein ganz neuer Interessenschwerpunkt hinzu gekommen: Babytransport mit dem Rad!

Literatur

BARI-2D 2009
BARI-2D Study Group: A Randomized Trial of Therapies for Type 2 Diabetes and Coronary Artery Disease. In: New England Journal of Medicine, Bd. 360, 2009. S. 2503–2515
Courage 2007
COURAGE Trial Research Group: Optimal Medical Therapy with or without PCI for Stable Coronary Disease. In: New England Journal of Medicine, Bd. 356, 2007. S. 1503–1516
De Hartog et al. 2010
De Hartog et al.: Do the Health Benefits of Cycling Outweight the Risk? In: Environmental Health Perspectives, Bd. 118, 2010
Destatis 2012
Statistisches Bundesamt: Unfallentwicklung auf deutschen Straßen 2012. Wiesbaden, 2012
Ege et al. 2005
Christian Ege, Thomas Krag: Cycling will improve Environment and Health. Umweltministerium Dänemark. 2005
Hambrecht et al. 2004
R. Hambrecht et al: Percutaneous Coronary Angioplasty Compared With Exercise Training in Patients With Stable Coronary Artery Disease: A Randomized Trial. PET-Study. In: Circulation, Bd. 109, 2004. S. 1371–1378
Jacobsen 2003
P. L. Jacobsen: Safety in numbers: more walkers and bicyclists, safer walking and bicycling. In: Injury Prevention, Bd. 9, 2003. S. 205–209
Kifer 2002
Ken Kifer: Is Cycling Dangerous? 2002
Krag 2011
Thomas Krag: cycling, safety, health. 2011
Max Rubner Institut 2008
Max Rubner Institut: Nationale Verzehrs-Studie II. 2008. Zusammenfassung
Mensink 2012
Dr. Gert Mensink: DGE Ernährungsbericht 2012. Robert Koch-Institut, Berlin
Neuhof et al. 2011
A. Neuhof et al.: Injury Risk Evaluation in Sport Climbing. In: International Journal of Sports Medicine, Bd. 32, 2011. S. 794–800
PBIC 2011
Pedestrian and Bicycle Information Center (Hg.): Pedestrian and Bicyclist Crash Statistics. 2011
Rojas-Rueda et al. 2011
Rojas-Rueda et al.: The health risks and benefits of cycling in urban environments compared with car use: health impact assessment study. In: British Medical Journal, Bd. 343, 2011, d4521
Schöffl et al. 2013
V. Schöffl et al.: Acute Injury Risk and Severity at Indoor Climbing. In: Wilderness & Environmental Medicine, Bd. 24, 2013. S. 187–194
Teschke et al. 2012
Kay Teschke et al.: Bicycling: Health Risk or Benefit? In: University of British Columbia Medical Journal, Bd. 3, 2012. S. 6–11.
Woodcock et al. 2014
James Woodcock et al.: Health effects of the London bicycle sharing system: health impact modelling study. In: British Medical Journal, Bd. 348, 2014, g425