Ausgabe 18 · April 2014
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Mobbingstreifen
Grundsätzlich dürfen sich alle Lebewesen frei bewegen. Die Deutsche Verfassung garantiert ihrem Volk unveräußerliche Menschenrechte.
Autoverkehr und die damit einhergehende Zerstörung des Lebensraums, des Lebens und der Gesundheit ist aber als »Allgemeinwohl« eingestuft und steht über dem Artikel 1 der Deutschen Verfassung.
Wirtschaftliche Interessen stehen über der Würde des Menschen.
Separierung des Straßenraums
Die Separierung des zur Verfügung stehenden Straßenraums ist ein Eingriff in die elementaren Grundrechte der Menschen. Nur noch Menschen, die Fahrzeuge mit hoher kinetischer Energie (vulgo Kraftfahrzeuge) benutzen, erhalten das Recht, sich frei zu bewegen. Das durch die Verfassung garantierte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit stellt der Staat durch die Beschränkung der Freiheit der potentiellen Opfer her. Der § 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung verbietet sogar Menschen, die sich infolge körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen nicht sicher im Verkehr (auch auf dem Gehweg) bewegen können, alleine an die frische Luft zu gehen. Das war nicht immer so:
Mit dem Einzug in den öffentlichen Raum sah sich der Kraftverkehr in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst mit größter Missachtung konfrontiert. Massenweise fielen ihm FußgängerInnen – zur Hälfte Kinder – zum Opfer, welche die Straßen in bisher gewohnter Weise nutzten. Doch ein von der Automobillobby geschickt eingesetzter Begriff sollte das Schuldverhältnis zwischen Gefährdenden und Gefährdeten ins Gegenteil verkehren: das Jaywalking.
‘Jay’ bedeutete umangssprachlich so viel wie Tölpel und war eine abfällige Bezeichnung für vermeintlich ungeschickte Menschen vom Land. […] Nicht mehr die- oder derjenige sei der schuldhafte Rüpel, der sein Kraftfahrzeug mit übermäßiger Geschwindigkeit durch dichte Stadtstraßen steuerte und dabei Menschen tötete, sondern rüpelhaft war von nun an, sich im Straßenraum ohne ‘Rücksicht’ auf Fahrzeuge zu bewegen. (alle-macht-den-raedern.de)
Damit gelang es durch die Jaywalking-Kampagne in den 1920er und 30er Jahren, die öffentliche Sichtweise vollständig umzukehren: Vorher wurden die Täter (Autofahrer) verfolgt und bestraft, teilweise wohl auch durch Lynchjustiz, während die Opfer sogar öffentlich betrauert wurden. Mit der Kampagne wurde dieses Verhältnis ins Gegenteil verkehrt, was letztlich auch in die Gesetzgebung Einzug fand (vgl. auch).
»Othering« nennen Psychologen diesen Prozess, »der es Privilegierten Personen® erlaubt, die Marginalisierten™ als weniger menschlich zu betrachten und dabei diskriminierende und stigmatisierende Verhaltensweisen gegen sie zu rechtfertigen«.
Wirtschaftsinteressen
Auto-, Erdöl-, Straßenbaukonzerne und vor allem die Staatsmächte wollten und wollen ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzen. Kunden kaufen aber immer das Produkt, von dem sie den höchsten Nutzen erwarten. Also müssen gute Verkaufsargumente her. Genutzt werden dazu auch die Tricks der Kommunikationsprofis. Gefühle sind der Motor der Kaufentscheidung und so wurde ein Produkt mit hohem emotionalem Mehrwert entwickelt. Um die Daseinsberechtigung des Automobils zu schaffen, muss die Dauer des damit zurückgelegten Weges kürzer sein als mit anderen Fortbewegungsmitteln. Fußgänger und Radfahrer stellen dabei einen Störfaktor dar. Um das Verkaufsargument eines schnelleren und bequemeren Erreichens entfernt liegender Ziele auch in völlig überfüllten Städten weiter verwenden zu können, sind alle Mittel recht, Platz, Bäume und Häuser werden geopfert.
Wo dies nicht möglich ist, müssen Menschen weichen – selbst das abgestellte privilegierte Verkehrsstatussymbol genießt oft noch Vorrang vor der gleichberechtigten Verkehrsteilnahme anderer. Beispiel Rostock:
Die Wünsche nach ruhendem Verkehr auf der Karl-Marx-Straße sind aus unserer Sicht berechtigt», so Christian Pagenkopf vom Tiefbauamt. Auch wenn die Stadt nicht verpflichtet sei, Parkplätze für die Anwohner bereitzustellen. […] «Der Radverkehr ist uns wichtig. Der ruhende Verkehr aber noch mehr», sagte Eik Deistung (CDU) vom Ortsbeirat. Deshalb verfasste das Gremium vorsichtshalber schon mal eine Empfehlung für die Stadtverwaltung, dass bei einem Umbau der Karl-Marx-Straße möglichst wenig Parkplätze abgeschafft werden sollen. (das-ist-rostock.de)
Radverkehr wird als Nicht-Verkehr und als Hemmnis eingestuft und selbst dem ruhenden Verkehr noch untergeordnet. Er verursacht nur Zusatzkosten und verdrängt, da er selbst verdrängt wird, Fußgänger, indem Fahren auf Gehwegen von Politik, Verwaltung und Erziehung gefördert wird.
Verbieten?
Fahrräder und Mopeds gehören nicht auf die Fahrbahnen unserer Hauptstraßen. […] Ihre Unsicherheit gefährdet den Verkehr. […] Sicher, die große Zeit der Zweiräder ist vorbei. […] Aber die wenigen auf der Straße sind zwischen den Autos halt immer noch zuviel. […]
Es ist illusorisch, die Forderung nach getrennten Fahrwegen zu propagieren. Wer die Verhältnisse in den Städten kennt, weiß: Autos brauchen dringend Verkehrsraum. Und da, wo die meisten Unfälle passieren, ist ohnehin kein Platz mehr für Radwege.
Ich meine: Hier kann nur die Straßenverkehrsordnung etwas ändern. Fahrräder mit und ohne Motor sollten überall fahren — aber sie gehören nicht in den Großstadtverkehr, wo er am dichtesten ist. Das Radfahren sollte überall verboten sein, wo die Verkehrsanlagen mit getrennten Richtungsfahrbahnen, grüner Welle und einem Saum abgestellter Fahrzeuge ausschließlich auf den Pkw-Verkehr zugeschnitten sind. […] (zeit.de)
So forderte es 1969 ein Autor der Wochenzeitung Die Zeit. Doch so einfach verbieten konnte der Staat das Radfahren aus Menschenrechtsgründen wohl nicht. Er hatte ein einfaches, aber wirkungsvolles Mittel parat:
Mobbing oder Mobben [von englisch to mob «schikanieren, anpöbeln, angreifen, bedrängen, über jemanden herfallen»] steht im engeren Sinn für «Psychoterror am Arbeitsplatz mit dem Ziel, Betroffene aus dem Betrieb hinauszuekeln. Im weiteren Sinn bedeutet Mobbing, andere Menschen ständig bzw. wiederholt und regelmäßig zu schikanieren, zu quälen und seelisch zu verletzen […]. Typische Mobbinghandlungen sind die Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen, die Zuweisung sinnloser Arbeitsaufgaben, Gewaltandrohung, soziale Isolation oder ständige Kritik an der Arbeit. (de.wikipedia.org, 25. März 2014)
An den Rand
Unter dem Deckmantel der Fahrradförderung werden nicht nur Radwege, sondern auch sogenannte Schutzstreifen propagiert. Aus Prospekten und auch der ADFC-Mitgliederzeitschrift schauen einen strahlende Gesichter unter Helmen auf niegelnagelneuen Radwegen an. Wie kann man dem Charme, den diese Werbung verbreitet, nicht erliegen? Wer traut sich noch ohne Plastikhelm unters Volk, wo doch die Blätter voll davon sind? Wer traut sich, das Gegenteil zu behaupten, wenn propagierte »gute Radwege« die Verheißung versprechen? Werbung verdreht die Köpfe, schaltet das eigenständige Denken aus und es wird nur noch geglaubt. Wie kann man sich einer Radweg- und Helmbenutzungspflicht widersetzen, wenn in allen Medien der Schutz des Menschen dadurch suggeriert wird?
Radwege und Co. dienen der Entmischung des Verkehrs und sorgen für die Beschleunigung und Zunahme des motorisierten Verkehrs. Dies ist Zweck der Radwege. Mehr und schnellerer Kraftfahrzeugverkehr kann nie dem Schutz des Menschen vor Unfällen, Lärm oder vergifteter Luft dienen. Mehr und schnellerer MIV (motorisierter Individualverkehr) erzeugt Straßen und Orte, die nur noch Unbehagen verursachen und wo jeder das Bedürfnis entwickelt, diese erbarmungslosen Orte so schnell wie möglich zu verlassen.
Anfangs wurden für Radfahrer gesonderte Wege gebaut. Seit einigen Jahren verdrängt man Radfahrer von der Fahrbahn billiger. In Sicherheitstrennstreifen verschiedener Verkehrsarten wurden »eigene Spuren« für Radfahrer aufgemalt, die noch dazu abrupt in Kreuzungsbereichen enden. Unter Missachtung der Straßenverkehrssicherungspflicht werden Radfahrer in Hochrisikobereiche gezwungen. Hindernisse aller Art schikanieren und verunglimpfen Radfahrer. Sandwichstreifen werden als Waffe um den Wettstreit knapper Ressourcen (Mobbing) eingesetzt. Dabei können Kfz ihr uneingeschränkt eingebautes Vorfahrtrecht durchdrücken. So permanent bedrängte geängstigte und auch noch beschimpfte Radfahrer meiden dann irgendwann »freiwillig« die Fläche. Denn Verletzungen der Psyche sind nicht offensichtlich, aber oft unheilbar.
Kampf dem Mobbingstreifen
Mit Unterstützung einer großen Radfahrervereinigung wurden in Rostock fast alle relevanten Hauptstrecken fahrbahnbereinigt – die Bahn ist also rein den Autos vorbehalten; »Schutzstreifen« werden allgemeinhin als »eigene Spur« betrachtet. Weil ich mir aber, so an den Rand gedrängt, das Rad fahren nicht nehmen lassen will, fing ich 2009 an, mich zu informieren und mit den Ämtern regen Schriftwechsel zu führen. Als Beispiel hier die für mich wichtigste Straße:
Die Karl-Marx-Straße/Dethardingstraße in Rostock ist ca. 1200 m lang und 15,50 m breit und Hauptachse für den Verkehr (PKW, Linienbusse, Radfahrer, Fußgänger). Beidseitig parken PKW halb auf den Gehwegen, die teils nur noch 1,00 m Gehbreite haben. Die Fahrspuren betragen zwischen 2,20 und 2,65 m, Parkplätze 1,60 bis 2,10 m und Sandwichstreifen 1,25 m. In einer Richtung wurden sieben verschiedene Radführungen, d. h. sieben Konfliktpunkte geschaffen. Zuerst versuchte ich mit »Bürgerhinweisen« auf die sicherheitsrelevante Radführung aufmerksam zu machen. Ich erhielt einen ablehnenden Bescheid. Dann folgte Widerspruch auf Widerspruch. Im Juli 2012 stellte ich den »Antrag auf Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht«. Daraufhin wurden zwei Zeichen »gemeinsamer Geh- und Radweg« weggenommen. Ich forderte weiterreichende Änderungen. Zuletzt mit einer Untätigkeitsklage. Widerwillig, in Salamitaktik wurden einige Konfliktpunkte entfernt. Entrüstung kam postwendend von den ach so Grünen und von den »alten Herren« des Ortsbeirates, für die Radfahren kein Verkehr und Radfahrer offensichtlich keine gleichberechtigten Menschen sind, denn der »richtige« Verkehr muss ja fließen. Indirekt wird zugegeben, dass diese Mobbingstreifen nicht dem Schutz dienen, sondern einzig und allein ein Zugeständnis an den zugesicherten Mehrwert der teuer erkauften Fahrzeuge sind.
Seit einigen Jahren veranstalten Kommunen sogenannte Verkehrsforen, mit denen der Eindruck von Bürgerbeteiligung geweckt werden soll. Obwohl die Straßenverkehrsbehörden alle zwei Jahre Straßenschauen durchzuführen haben und die StVO-Novelle von 1997 verlangt, dass benutzungspflichtige Radwege nur unter bestimmten Voraussetzungen angeordnet werden dürfen, fordern sie die Bürger auf, Hinweise zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur zu geben. Im Glauben, dass diese Bürgerhinweise tatsächlich Berücksichtigung finden, gab ich viele solche Hinweise ab. Nach Teilnahme an einigen dieser Verkehrsforen konstatierte ich aber, dass es nur um die Erhaltung bzw. Schaffung von Radverkehrsführungen und damit radfahrerfreien Fahrbahnen ging. Prekäre, nicht bestimmungsgemäße Ausführungen wurden dagegen nur unter Druck halbherzig oder gar nicht geändert.
2012 kam es, wie es kommen musste: Einer plötzlich aufklappenden Autotür in der »Dooringzone« konnte ich nicht mehr ausweichen. Leider kam ich jetzt erst auf die Idee, nach der Anzahl der Unfälle der letzten Jahre in diesem Straßenabschnitt zu fragen. Noch steht die Antwort aus. Zwischendurch erstattete ich mehrfach Anzeige bei der Polizei wegen Nötigung bzw. Überholen ohne Sicherheitsabstand. Angeblich konnten die Täter trotz Kfz-Kennzeichen und Videoaufnahmen mit einer Action-Cam nicht ermittelt werden bzw. die Staatsanwaltschaft ließ die Anzeige drei Monate unbearbeitet, bis diese dann »verjährt« war. Bisher enthielten sich die Behörden einer Stellungnahme, ob Videoaufnahmen zulässig sind. Allerdings fand ich Informationen im Internet, dass Aufnahmen gegebenenfalls hinzugezogen werden können. Spätestens seit Michael Schumachers Skiunfall sind Videoaufnahmen in der Praxis eines von vielen Beweismitteln.
Mehr Beispiele? Aber gern!
Falsche Tatsachen werden verbreitet und Investitionen eingespart. In dem Wissen, dass Autofahrer ihr eingebautes Vorfahrtrecht verteidigen, werden benutzungspflichtige Radwege suggeriert. In der Rostocker Marieneher Straße wurde z. B. der nur auf einer Seite vorhandene Gehweg, für eine Richtung zum benutzungspflichtigen Radweg deklariert – weil durch den langgezogenen Kurvenverlauf der dort stark vertretende Güterverkehr einen Radfahrer sonst nicht überholen kann. Für den Neubau eines rechtsseitigen Radwegs allerdings sah die Straßenverkehrsbehörde keinen Handlungsbedarf (würde ja Geld kosten). Sie geht davon aus, dass die Radfahrer, wie seit Jahrzehnten gewohnt, illegal auf dem Gehweg fahren. Im Trotzenburger Weg wurde der Gehweg mit Schild »Radfahrer frei« und Separierung mittels weißen Strichs mit Radfahrsymbol vergewaltigt. Wer sich als Radfahrer erdreistet, nach StVO auf der Fahrbahn zu fahren, wird gnadenlos gemaßregelt.
Radfahrer werden gezwungen, Fußgängern die letzten Rückzugsorte streitig zu machen. Offiziell sollen gemeinsame Geh- und Radwege die Ausnahme sein. In der Praxis sind sie unter Missachtung der an sie gekoppelten Bedingungen zur Regel geworden. Selbst auf Hauptrouten des Radverkehrs, wo in Spitzenzeiten ca. 300 Radfahrer/Stunde (eigene Schätzung) verkehren, müssen sie sich einen 2,5 bis 3,0 m breiten Spazierweg in einer Grünanlage (Lindenpark in Rostock) mit Fußgängern teilen. Allerdings ist die parallel verlaufende Arnold-Bernhard-Straße, wie viele andere Straßen auch, von stark stockendem Kfz-Verkehr geprägt.
Konflikt von Recht und Gesetz
Wer mit offenen Augen unterwegs ist, wird feststellen, dass allerorten Kraftfahrzeuge auf Geh- und Radführungen fahren und parken. Die Behörden in Rostock (und sicher nicht nur dort) tolerieren und entschuldigen dies, selbst wenn Fußgänger und Radfahrer durch LKW nicht nur behindert sondern auch gefährdet werden. Dabei ist die Gesetzeslage eigentlich eindeutig: Fahrzeuge über 2,8 t zulässiger Gesamtmasse dürfen Fuß- und Radwege gar nicht befahren. Das Gesetz duldet eigentlich sogar weder Fahren noch Parken auf Gehwegen und erst recht nicht auf Radwegen. Bordsteinkanten und erst recht Markierungen hindern aber keinen Menschen mit motorisiertem Fahrzeug, darüber hinweg zu fahren. So ist es auch kein Wunder, dass trotz (oder wegen) der Separierung nicht wenige Unschuldige angefahren, verletzt oder gar getötet werden. Durch Separierung können Menschen mit schwacher kinetischer Energie (vulgo also alle mit reiner Muskelkraft am Verkehr Teilnehmenden) also nicht geschützt werden. Sie werden aber dadurch enteignet, diskriminiert, kriminalisiert, bestraft und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Mob sie verprügelt (gleichzusetzen mit »Erziehungsmaßnahmen«/Nötigung/gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr). Im dem Maße wie »Angebotsstreifen« hinzukommen, erlebe ich zunehmend die Intoleranz der Autofahrer gegenüber Radfahrern. Die Konsequenz ist dann nur noch der Verzicht auf Bewegungsfreiheit.
Gesetze wie die StVO und die Fahrerlaubnis-Verordnung, die so grundlegend in die Persönlichkeitsentfaltung eingreifen, müssten so gestaltet sein, dass ein jeder sie versteht und sie ohne intensives Studium anwendbar sind. Ich musste aber persönlich feststellen, dass weder Polizei noch Behörden alle Paragrafen kennen und in der Lage wären, diese anzuwenden. Wie kann der Staat dann erwarten, dass jeder noch so dumme und tollpatschige Mensch diese Regeln einhalten kann? Jeder Mensch, unabhängig seines Zustandes besitzt Würde. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Theoretisch.
Rechte fordern
Wenn der Staat also Menschen, die gerne »des Deutschen liebstes Spielzeug« zur Fortbewegung gebrauchen, breite, glatte, hindernisfreie, gut gestaltete Flächen zur Verfügung stellt, so ist es nur Rechtens, dies im gleichen Maße für den Rest der Menschen auch zu tun. Dies gebietet der Art. 3 des Grundgesetzes (GG). In der Realität aber erhalten die restlichen Menschen nur ausreichend gute Flächen, wenn sie gerade keinen anderen Bedürfnissen im Wege stehen und etwas Geld übrig ist. Schon allein die für die Planung von Separationsflächen verwendeten Maße von Menschen verstoßen gegen Art. 1 des GG. Bei »beengten« Verhältnissen müssen 60 cm für Fußgänger und Radfahrer plus beidseitig je 10 cm »Schwankungsdifferenz« ausreichen. Diese Maße sind völlig praxisfern und entwürdigend. Schließlich sind nicht alle Menschen schlank, lassen ihre Arme eng anliegend am Körper und können ohne Schwanken das Gleichgewicht halten. Spätestens wenn Radfahrer »Blinken«, ragt ihr Arm in den Hoheitsbereich des MIV.
Die in den ERA/RASt gezeigten Illustrationen (vgl. Bild 7 bis 9) suggerieren großzügig bemessene Radwege. Geht man jedoch von der in der Rechtssprechung zu findenden Breite eines Radfahrers von 75 cm plus 25 cm »Schwankungsbreite« nach beiden Seiten aus, stellt sich die Sachlage schon anders dar. Eine Einhaltung des nach der StVO benötigten Sicherheitsabstandes von anderthalb Metern ist beim Überholen selbst auf zwei Meter breiten Radwegen nicht möglich. Mit ausladendem Gepäck oder einem mitgeführten Kinderanhänger verschärft sich die Problematik noch. Dabei genügen zahlreiche Radwege in der städtischen Wirklichkeit bei weitem noch nicht einmal den Mindestmaßen.
Während für Fahrspuren von Menschen mit starken Fahrzeugen vom breitesten Maß (2,55 m) ausgegangen wird und sich immer mindestens zwei Menschen nebeneinander in eine Richtung fortbewegen können sollen, wird für den Rest von den schmalsten Maßen ausgegangen. Bei Fußgängern wird – in der Theorie der Planungsvorschriften, natürlich nicht in der Praxis ihrer Anwendung – stets davon ausgegangen, dass zwei nebeneinander gehen bzw. sich begegnen können sollen, während Radfahrer auch einzeln fahren sollen.
Diskretionsabstände dürfen die »Minderwertigen« nicht erwarten. Bordsteinkanten an jeder Einmündung/ Kreuzung sind für starke Fahrzeuge unvorstellbar, für schwache dagegen alltägliches Ärgernis.
Wie können Gesetze konform mit dem Grundgesetz sein, die wenigen privilegierten Menschen das Recht einräumen, den größten Teil des öffentlichen Raums zu erhalten? Kindern werden enorme Flächen weggenommen und sie werden ihrer Persönlichkeitsentfaltung beraubt, nur um Wohnzimmer auf vier Rädern abzustellen. Fußgänger müssen im Gänsemarsch an lauten und mit giftigen Abgasen versehenen Straßen gehen, jeder Möglichkeit einer Unterhaltung beraubt – demzufolge vergeht die Lust am Gehen von ganz allein. Wohnlagen an stark frequentierten Straßen büßen an Wohnwert ein; jeder, der es sich leisten kann, zieht dort weg. Ein soziales Umfeld und die natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen und die Natur werden zerstört. Naherholungsgebiete schrumpfen zugunsten von Parkplätzen. Das Rauchen verletzt die Rechte anderer und wurde inzwischen per Gesetz eingeschränkt. Benzin, Diesel und Gas betriebene Fahrzeuge dürfen dagegen weiterhin mit ihren giftigen Abgasen das Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzen.
Warum unterstützen Interessenvertretungen von Radfahrer mit ihrem Ruf nach immer neuen Radwegen die Autolobby? Einerseits unterstützt der ADFC Menschen, die gegen die Radwegbenutzungs- und Helmpflicht sind. Andererseits fordert er Radwege und Co. und setzt durch Veröffentlichungen von Bildern mit behelmten Menschen die unter Druck, die gegen die Helmpflicht sind.
Ist die Förderung des Autoverkehrs nicht das größte Verbrechen an der Menschheit?
Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 der VStGB) |
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(1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung 1. einen Menschen tötet, 2. in der Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, diese oder Teile hiervon unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, … 4. einen Menschen, der sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt … 8. einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, … 9. einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt oder 10. eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt, … |
Nach Erhebungen und Schätzungen von Weltbank und Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben weltweit jährlich etwa 1 Million (Weltbank) bis 1,2 Millionen (WHO 2003) Menschen an den Folgen von Verkehrsunfällen. Die Zahl der Verkehrstoten liegt damit weit über den Opferzahlen von Krieg, Genozid oder Terrorismus. Die Anzahl der Verletzten wird auf jährlich etwa 40 Millionen geschätzt. 50 bis 60 % der Verkehrstoten sind nicht Autoinsassen (Fahrer und Beifahrer), sondern Fahrer von Motorrädern, Mofas, Fahrrädern oder Fußgänger. |
Sind nicht die, die durch Untätigkeit die Verbrechen an der Menschheit zulassen, nicht genau so schuld wie die, die sie begehen? Sollten Autos nicht als Massenartikel, sondern als Luxus oder Spielzeug, welches um seiner selbst willen geschätzt wird, eingestuft werden? Wo bleiben die Parteien, die der Zerstörung unseres Lebensraums Einhalt gebieten?
Zur Autorin
Gabriele Köpke, von Beruf Wirtschaftskauffrau, liebt ihre Familie, die Natur und das Radfahren. Ich fahre seit 45 Jahren Rad, seit Februar 2011 ein Pedelec mit Mittelmotor. Ich fühle mich immer mehr von der Straße gedrängt und versuche als Einzelkämpferin dagegen anzugehen. Allerdings suche ich Unterstützer und gleichgesinnte Gruppen, denen ich mich anschließen kann.