Ausgabe 18 · April 2014
Jugendlicher Liegeradfahrer – eine seltene Spezies
Interview mit Linus Heuser
Jungen im Pubertätsalter grenzen sich üblicherweise von der Elterngeneration ab, um dann umso mehr den Konformismus in der eigenen Altersgruppe zu suchen. Die »richtige« Marke bei Schuhen, Klamotten und Mobiltelefonen scheint unendlich wichtig.
Wer in dieser Altersgruppe mit einem sehr ungewöhnlichen Fahrzeug in der Schule auftaucht, muss schon etwas Mut mitbringen. Selbst erwachsene Liegeradfahrer werden in der Öffentlichkeit immer noch als verschrobene Sonderlinge belächelt. Jugendliche auf dem Liegerad sind nahezu unbekannt. Dabei sind (zumindest gebrauchte) Einspur-Liegeräder derzeit recht günstig zu bekommen, weil sich das Interesse der Käufer stark zu Liege-Trikes hin verschoben hat und Einspur-Liegeräder zu Ladenhütern werden.
Wir hatten die Möglichkeit am 15.3.2014 mit dem 14-jährigen Liegeradfahrer und Gymnasiasten Linus Heuser aus Tübingen zu sprechen.
Hallo Linus! Welche Wege fährst du mit dem Liegerad?
In erster Linie fahre ich damit zur Schule. Das ist von daheim etwa 2 Kilometer weit und dauert knapp 10 Minuten. Vor allem wegen einer doofen Ampel.
Für Jungs in deinem Alter ist es ungewöhnlich ein Liegerad zu nutzen. Viele fahren lieber ein schickes Mountainbike und andere finden Radfahren an sich schon »uncool«.
Ich finde es eher cool. Ist halt viel praktischer als ein Mountainbike.
Seit wann hast du das Liegerad?
Seit anderthalb Jahren.
Wie kam es dazu, dass du vom »normalen« Fahrrad aufs Liegerad umgestiegen bist?
Ein Bekannter von meinem Vater baut die Lieger halt und mein Vater hat schon lange so eins. Da kam es zu der Idee, dass ich vielleicht auch so eins haben könnte.
Was war denn nun das entscheidende Argument fürs Liegerad?
Es ist einfach viel bequemer.
Bist du sofort mit dem neuen Rad zurechtgekommen? So ein Liegerad fährt sich ja anders.
Sofort klappte es nicht. Aber mittlerweile fährt es für mich viel besser als ein normales Fahrrad.
Was haben deine Mitschüler zum neuen Rad gesagt?
Die fanden das zunächst irgendwie komisch. Als sie dann aber mal Probe fahren durften, fanden sie es auch gut.
Hat dich niemand dafür ausgelacht? Kennt man ja in deiner Altersgruppe, wenn jemand ungewöhnliche Klamotten an hat oder eine merkwürdige Frisur …
So ein bisschen schon. Aber nachdem sie selber mal ein Stück damit fahren konnten hat sich das gelegt.
Gibt es schon »Nachahmungstäter«?
(lacht) Nee. Meine Schwester Sanna ist 12 – aber die hat keinen Spaß am Liegerad. Sie hat da eher Schmerzen am Rücken oder an der Hüfte. Sie fährt da lieber mit ihrem normalen Rad zur Schule. Aber sie ist auch beim ersten Ausprobieren direkt eine recht lange Strecke im Urlaub damit gefahren und hatte da halt Schmerzen. Ich bin hingegen erst in der Stadt gefahren und habe mich da schon an den Sitz gewöhnt gehabt.
Liegt sicher auch am Preis – ganz billig ist das ja nicht. Wie ist es, wenn du das Rad abstellst – hast du nicht Angst, dass es kaputt gemacht wird?
So extrem ist das hier nicht. Aber ich schließe das Rad natürlich immer gut ab. Während der Schule steht das Rad im Fahrradkeller. Der ist zwar nicht abgeschlossen, aber da passiert hier eigentlich nichts. Wenn man beschädigte Räder sieht, dann sind das eher welche, die da fünf Wochen ’rumstehen und auch über Nacht und am Wochenende.
Bei Liegerad denkt man an »schnell« – bist du schneller unterwegs als mit einem normalen Rad?
Nein, das glaube ich nicht. Aber es ist halt bequemer. Das Radnabel ist halt auch eher auf praktisch als auf besonders schnell gemacht. Ich bekomme meinen Schulranzen und eine Sporttasche und eine Jacke gut rein in die Frontverkleidung. Das ist schon sehr praktisch.
Du sprichst die Wetterschutz-Verkleidung an. Wie fährst du bei Regen?
Ich fahr natürlich auch bei Regen zur Schule – dann aber nicht mit dem Regencape zum Anknüpfen an die Verkleidung, das es auch dazu gäbe. Das finde ich eher doof. Die Frontverkleidung hält aber meinen Schulranzen und andere Taschen komplett trocken – die sind nämlich selber nicht wirklich wasserdicht. Ich habe bei schlechtem Wetter eine normale Jacke an. Wegen der Verkleidung werden Schuhe und Hose nicht großartig nass.
Bist du auch schon mal größere Strecken damit gefahren? Hattest du da körperliche Beschwerden?
Im Urlaub waren wir mit den Fahrrädern in der Camargue. Die längste Strecke war da 125 km lang. Ich hatte keine Probleme oder Schmerzen. Nichtmal der Hintern tat weh. Das war super bequem.
Thema Reise: Wie kommst du damit zurecht, dein Rad im Bahnhof über eine Treppe zu tragen oder in den Zug zu heben?
Das Rad kann man klein falten und dann noch eine Hülle drüber ziehen. Getragen habe ich es aber im Urlaub noch nicht – das haben meine Eltern gemacht. Auf den Rollen hinterher ziehen geht aber ganz gut.
Oft hört man, dass Liegeräder anstrengender bergauf zu fahren sind. Stimmt das?
Wir wohnen hier daheim auf einem Berg. Die Straße hat so 10–11 %. Im ersten oder zweiten Gang komme ich da aber immer gut hoch. Das geht schon. Bergab komme ich mit der Trommelbremse gut zurecht. Im Winter habe ich Spikereifen, damit es nicht rutscht.
Das Radnabel Falter hat viel spezielle Technik: Trommelbremse, Nabendynamo-Licht, Nabenschaltung, Federung, Faltscharniere, abnehmbare Verkleidung – gab es damit Ärger bisher?
Viel weniger als bei meinem alten Rad. Eigentlich gar keine. Einmal bin ich in einer großen Pfütze ausgerutscht und hingefallen. Aber das hätte auch mit ’nem anderen Rad passieren können.
Fährst du mit Helm?
Ich fahre eigentlich ohne Helm. Bei uns am Gymnasium haben vielleicht 20 % der Schüler, die mit dem Rad kommen, einen Helm auf. Die meisten halt, weil es die Eltern so wollen. Mein Vater hat auch meistens einen Helm auf beim Radfahren, aber er macht mir da keine Vorschriften.
Wenn nun andere Kinder überlegen, ob ein Liegerad für sie günstig wäre – was kannst du raten, auch um evtl. Auslachen durch andere zu vermeiden? Was gibt’s für Tipps zum Fahren lernen?
Man muss halt ein bisschen fahren üben – aber das ist wirklich nicht so schlimm. Wenn man andere Probe fahren lässt, dann finden die das auch eher interessant und gut und lachen nicht darüber.
Das Interview führte Andreas Oehler
Radnabel-Falter, ein Alltags- und Reise-Falt-Lieger
Mitten in der Tübinger Altstadt entwickelt, lötet und montiert die Ein-Mann-Manufaktur »Radnabel« seit etwa 25 Jahren Liegeräder. Ungewöhnlich an den ATL-Alltagsliegerädern sind die eher aufrechte Sitzposition, die Parallelogramm-Gabel mit Gummi-Torsionselementen, die selbst entwickelte Trommelbremse und die textile Faltverkleidung samt großem »Gepäckfach«. Die Faltversion kann schnell und werkzeuglos auf Koffergröße gebracht werden.