Ausgabe 17 · Februar 2014

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Winterradfahren in Lappland

von Ingo Pollack

Also dann ein kleiner Bericht über den Winter und das Radfahren in Nordlappland 300 km nördlich des Polarkreises. Alles schon sehr extrem – aber vielleicht ist der eine oder andere Wink auch für gemäßigtere Breiten nützlich.

Bild 1: Die zweite Temperaturangabe bezieht sich auf den Auskühlungsfaktor beim Menschen. Dieser Wert verringert sich, wenn Wind oder Fahrtwind berücksichtigt werden, beträchtlich.
Bild 2: Nach der kleinen Tour. Bin trotz 30 minus so 15 km gefahren. Durch 3–4 Fotos hab ich dann doch eiskalte Finger bekommen. Schön als nach einer halben Stunde der »Kneifer« nachliess.

Reifen

Die größten Probleme macht der Winteranfang mit überfrierender Nässe. Dann gibt es das gefährliche »schwarze Eis«, eine wenige Millimeter dünne Eisschicht auf dem Asphalt. Ohne gute Spikereifen geht da gar nichts. Die besten mit 288 Spikes per Reifen sind hier um 30 € zu bekommen. Oftmals ist das ganze Rad mit einem Eispanzer überzogen. Temperaturstürze bis 20, 25 Grad in zwei, drei Stunden sind möglich.

Züge

Erste Hilfe für eingefrorene Brems- und Schaltungsgriffe ebenso wie für die Schaltwerke selbst ist Türschlossenteiser. Sollte Feuchtigkeit schon in die Züge selbst eingedrungen sein, hilft nur Ausbau oder tagelanges Austrocknen – ohne Erfolgsgarantie. Auch das kapillare Eindringen von Nässe oder Kondensfeuchtigkeit können Ursachen von Totalausfällen sein.

Einen guten Schutz bieten Silikon beschichtete Brems- und Schaltungsseile, die in Seilzügen mit innenliegenden Kunststoffröhren gleiten. Etwas Teflonspray erhöht die Gleitfähigkeit – ein Universalschmiermittel für alles, wie wir noch sehen werden.

Schaltung und Bremse

Am robustesten ist eine Kettenschaltung. Einen Schutz für die Zahnkränze gibt es wohl, aber für die technisch hoch ausgereiften Schaltwerke habe ich noch keine Schutzabdeckung gefunden. Dort befinden sich dutzende von Lagerstellen die vereisen können und völlig ungeschützt sind.

Und wie ist das mit den hübschen Nabenschaltungen? Die meisten frieren zwischen 12 und 15 Grad minus ein. Auch das angebliche Winteröl bringt nicht die Welt.

Der einfache Drehschaltgriff ist wohl die brauchbarste Wahl. All die netten Schalthebelchen der anderen Schaltsysteme bietet vielfache Möglichkeiten zum Eindringen von Eis und Schnee. Und wer kann diese auch mit Fausthandschuhen bedienen? Nur normale, wenn auch gefütterte Fingerhandschuhe schützen nicht vor der Kälte. Zweifingerbremshebel lassen sich damit ebenfalls nicht greifen. Also ordentliche Bremshebel müssen es schon sein.

Und zu den Bremsen selbst: Felgenbremsen, gleich welchen Systems, sind nur bedingt brauchbar. Mit Scheibenbremsen habe ich keine guten Erfahrungen gemacht. Egal ob mechanisch oder hydraulisch: Die bremsen einmal gut, aber das war’s dann auch. Der Bremszylinder geht nicht zurück und man hat eine Dauerbremse. Übrigends bleiben hier auch oft Lkw wegen eingefrorener Bremsen liegen.

Ja, und die beste Bremse ist die gute alte Trommelbremse vorne in Verbindung mit einer Rücktrittnabe oder ebenfalls Trommelbremse hinten.

Winter

Kommen wir jetzt zum richtigen Winter, wo Temperaturen zwischen 15 und 30 Grad minus normal sind, da gibt es noch andere Probleme. Bis etwa minus 35 Grad könnte man noch mit speziell präparierten Rädern fahren, aber bei minus 40 oder (wie ich schon erlebt habe) minus 52 Grad Celsius ist einfach Schluss mit lustig.

Es sind ja nicht nur die Kälte und das Eis: Fahrrinnen, die wie Gleise sind, Schneestürme und Schneeverwehungen, in denen man sich fest fährt, bringen weitere Erschwernisse. Ich schreibe hier nicht über irgendwelche sportlichen Extremleistungen; sondern vom täglichen Radfahren von Punkt A nach B und zurück, zehn bis zwanzig Kilometer.

Bild 3–5: Winterfotos

Schmierung und Lager

Bei einem Winterrad, welches zu anderen Zeiten nicht gefahren wird, habe ich die Nabe völlig entfettet – auch die Kugellager! Lediglich der Bremskloben bekommt etwas Bremsfett, damit er nicht blockiert. Alles Sonstige bekommt nur reichlich Silikonspray; auch die Kugellager bekommen KEIN Fett sondern ebenfalls nur Silikonspray.

Und das Wichtigste von allem: Die Achsen müssen merkliches Spiel haben. Mir ist schon mal eine Hinterradachse bei 30 Grad minus während der Fahrt einfach durchgeknallt. Einem Winterrad kann man auch keinen warmen Schlafplatz anbieten. Nö, das muss die ganze Zeit draussen bleiben, abgedeckt oder untergestellt. Als ich noch keine längere Wintererfahrung hatte, hatte ich ein Rad draußen abgestellt und am nächsten Morgen war die Hinterradachse durchgebrochen. Ist doch kein Wunder: Ein Rad, an dem man den Konus im Sommer bei Sonnenschein eingestellt hat und jetzt, im Winter … Ein Temperaturunterschied von gut 60 Grad, das kann doch nur schief gehen. Materialausdehnung und -schrumpfung wirken sich merkbar aus.

Ebenso hat auch das Vorderrad kein Fett; die Konen haben Spiel und an die Lager kommt nur Silikonspray. Das gleiche gilt auch für die Kette. Ab und zu etwas nachsprühen und das Rad ist auch bei großer Kälte relativ leichtgängig.

Beleuchtung

Da hier in der sogenannten Kamoszeit die Sonne nicht über den Horizont kommt, braucht man fast immer auch Licht, um selbst zu sehen und vor allen Dingen auf sich aufmerksam zu machen. Natürlich ist eine gute LED-Beleuchtung einfach das beste heutzutage. Kühlprobleme gibt es auch nicht für die LEDs.

Dazu zwei Lithium-Akkupacks in der Rahmentasche. Ich habe die Kapazität erhöht: Anstatt 2 mal 2 hab ich einfach ohne weitere Modifikation 2 mal 3 Akkus zusammengelötet. Wenn ein Akkupack schlapp macht, einfach auf das andere umschalten und nach ’ner Zeit wieder zurück. So holt man auch bei Kälte noch was aus den Akkus. Die alten NC-Akkus halten Kälte zwar noch besser aus, aber wer will die noch? Die Akkus befinden sich in einer Rahmentasche, die mit Klettband befestigt ist. Bringt ein Akku keinen Saft mehr, Tasche mit rein nehmen und einfach mit ganz normalen Steckernetzladern aufladen. Ich hab noch nie einen Akku zuvor erwärmt oder aufgetaut. Normal reichen mir die Akkus eine Woche und die bleiben die ganze Zeit am Rad draussen im Unterstand. Oft ist es ja so kalt, das selbst am Lampengehäuse keine Erwärmung spürbar ist, von den Akkus erst gar nicht zu reden.

Seitenläuferdynamos kann man naturgemäß vergessen. Erst drehen sie durch, dann wird das Reibrad warm, um anschließend, nach ein paar Minuten, vereist zu sein. Wegen der Bremsenprobleme habe ich das Winterverhalten von Nabendynamos noch nicht getestet. Jetzt werd’ ich einen Nabendynamo mit Trommelbremse mal ausprobieren. Da hier der Winter so sechs Monate dauert, Zeit genug.

Kleidung

Mit der Zwiebelschalenbekleidung, eine Lage über der anderen, klappt es ganz gut. Dennoch lassen sich manchmal steifgefrorene Finger oder kalte Füsse nicht vermeiden. Als mal die Ohrenklappe meiner Pelzmütze nicht richtig zugebunden war, ist mir auf der Windseite ein Ohr unbemerkt angefroren. Das sieht dann wie ein abblätternder Sonnenbrand aus. Über Schmerzen spreche ich nicht. Das Ohr war dann lange Zeit sehr kälteempfindlich.

Das Gesicht kann man ganz gut mit einer Neoprenmaske schützen. Wenn die Wimpern zusammen frieren weiß man sicher, jetzt ist’s kalt :) Kam ich einmal von einer Winterreise in meine Holzhütte zurück. Drinnen war alles auf minus 30 Grad tiefgefroren. Da habe ich Fenster und Tür aufgemacht, um die wärmere Luft herein zulassen (draußen hatte es nur minus 16 Grad).

Nach dem langen Winter kommt das Frühjahr so im Juni. Wieder die Probleme mit Tauwetter, überfrierender Nässe und Glatteis wie zum Winteranfang. Dann kann das tolle Sommerrad endlich seinen Winterschlaf beenden.

Bild 6: Fahrräder im Winterschlaf. Bei Wintereinbruch haben die es nicht mehr in den Schuppen geschafft. Das sind lediglich Transporträder auch eins mit Motorunterstützung.

Zum Autor

Ingo Pollack, Ivalo (Finnland), Abenteurer, Schlauchbootkapitän, Lebenskünstler im Rentenalter. Was ich alles mache? Glaubt mir sowieso kein Mensch – auf jeden Fall Vieles. 20 Jahre Wintererfahrung in Lappland 300 km nördlich des Polarkreises. Fahrräder und Radprojekte so um die 30 Stück.