Fichtel & Sachs: Zur Geschichte eines der erfolgreichsten Unternehmen
der deutschen Fahrradindustrie
von Volker Briese
1. Einleitung
Wohl kaum eine deutschsprachige Fahrradgeschichte versäumt es, die
»Torpedo«- Freilaufnabe von Fichtel & Sachs als wichtiges Element der
Fahrradentwicklung zu erwähnen. Die Freilaufnabe, die erst mit einer
wirksamen Bremse, der Rücktritt-Innenbremse, den Durchbruch fand, wird oft
als Schlusspunkt der Fahrradgeschichte genannt. So schreibt Jutta Franke
in ihrem Begleitband zur fahrradhistorischen Sammlung des Museums für
Verkehr und Technik in Berlin: »Erst 1898 erfand der Schwabe Ernst Sachs
aus Schweinfurt die Freilaufnabe und 1903 die Torpedo-Nabe mit Freilauf
und Bremse. Das war die letzte große Erfindung zum Thema Fahrrad. Alle
weiteren Entwicklungen auf dem Sektor verfeinerten es nur, ohne es
grundsätzlich zu verändern.«
[Franke 1987]
Bild 1: Torpedo-Nabe von Sachs
In der übrigen Literatur zur Fahrradgeschichte wird der Beitrag von
Fichtel & Sachs jedoch oft nur sehr knapp angesprochen, meist nur in
einem Kapitel über Naben und Antriebe – zu knapp, wenn es stimmt, dass
dieses Unternehmen gleichsam den Schlusspunkt setzte, zu knapp auch
angesichts der Tatsache, dass Fichtel & Sachs im Gegensatz zu vielen
anderen Unternehmen der Fahrradbranche bis 1997, also bis zum Verkauf an
das US-amerikanische Unternehmen SRAM, existierte und ein wichtiges
Segment der Fahrradbranche darstellte.
Meine zentrale Quelle für diese Studie zur Fahrradgeschichte ist die seit
1886 bis heute in Bielefeld erscheinende Zeitschrift »Radmarkt«. Wenn es
nicht besonders angemerkt ist, stammen die angeführten Informationen aus
dieser Quelle. Ein Sonderheft dieser Zeitschrift zum 125jährigen Jubiläum
widmete sich ausführlich der Fahrradgeschichte. Leider findet sich darin
neben anderen Ungereimtheiten auch die Legende von der Erfindung der
Freilaufnabe: »So war die Erfindung der Freilaufnabe durch Ernst Sachs
1898 ein absoluter Meilenstein der Fahrradentwicklung«
[Büschenfeld 2011], schreibt Jürgen Büschenfeld. Für die spezielle Fragestellung nach der
Geschichte von Fichtel & Sachs waren im »Radmarkt« neben der laufenden
Berichterstattung, Berichten über technische Neuentwicklungen,
Übersichtsbeiträgen über Naben und »wechselbare Übersetzungen« und
Anzeigen der Firma selbst, besonders die Beiträge zum Tod von Karl Fichtel
im Jahre 1911, »Zum 25jährigen Bestehen der Schweinfurter
Kugellagerfabrikation« und über »Geheimrat Sachs« wichtig. Dies gilt, auch
wenn man davon ausgehen kann, dass die Artikel des »Radmarkt« oft wenig
bearbeitete Pressemitteilungen des Unternehmens waren, das ein wichtiger
Anzeigenkunde war. Aber auch zur Umwelt der Firma, z. B. über
Konkurrenzprodukte, liefert »Radmarkt« Materialien. Für die größeren
Zusammenhänge sind zeitgenössische Dissertationen instruktiv wie z. B. die
von Erich Eicker (Der Aufbau der deutschen Fahrradindustrie. Dissertation,
Köln 1929), Martin Kuhlo (Die Hochkonjunktur der Deutschen
Fahrradindustrie in den Jahren 1919–1925. Dissertation, Gießen 1924)
Reinhard Niggebrügge (Die Deutsche Fahrradteile-Industrie, Dissertation,
Köln 1927), die in Ausschnitten auch im »Radmarkt« publiziert wurden.
2. Entstehung und Entwicklung des Unternehmens Fichtel & Sachs
Am 1. August 1895 gründeten Karl Fichtel und Ernst Sachs die ordentliche
Handelgesellschaft »Schweinfurter Präcisions-Kugellagerwerke Fichtel & Sachs«. Fichtel war der kaufmännische Leiter und Sachs war für die
technische Seite der Unternehmensleitung zuständig.
Über Karl Fichtel, der schon am 8. September 1911, noch nicht fünfzig
Jahre alt, nach langer und schwerer Krankheit starb, ist nur wenig in
Erfahrung zu bringen. Er wurde 1863 als Sohn eines Schweinfurter
Spinnereibesitzers geboren. Nach Absolvierung seiner einjährigen
Militärdienstpflicht war er als Kaufmann tätig. Für die spätere
Weltoffenheit des Unternehmens waren ein zehnjähriger Auslandsaufenthalt
und eine fast einjährige Weltreise sicher von Bedeutung. Karl Fichtel
lernte Ernst Sachs, der sich auch in der Welt umgesehen hatte, auf dieser
Reise kennen. Neben seinen Kenntnissen und Fähigkeiten als Kaufmann und
Organisator brachte Fichtel ein einstöckiges Haus auf dem Grundstück
seiner Eltern mit in das neue Unternehmen ein. Dort begann man mit der
Produktion einer Fahrradnabe mit kugelförmigen, verschiebbaren Konussen,
die der Mitinhaber Ernst Sachs entwickelt und am 23.11.1884 durch
Reichspatent Nr. 84193 geschützt hat. Über Karl Fichtel schreibt
»Radmarkt« in dem zweiteiligen Beitrag anlässlich des 25jährigen Bestehens
der Firma, dass er eine für die damalige Zeit außerordentlich großzügig
angelegte und sehr gut durchgeführte kaufmännische Organisation geschaffen
habe, die den Vertrieb in großem Stil sicherte. »Für Angeliegenheiten und
Nöte seiner Mitarbeiter hatte er stets volles Verständnis und Zeit, und wo
es angebracht war, auch eine offene Hand.« Im Nachruf zu seinem Tode wird
hervorgehoben, dass er »als Vorbild für seinen großen Beamtenkörper und
seine zahlreichen Bezirksvertreter mit unermüdlicher Energie zu jeder Zeit
arbeitete für den Vertrieb der Fabrikate seines Werkes.«
Über Ernst Sachs, den der »Radmarkt« den geistigen Urheber des Werkes oder
an anderer Stelle »die Seele des Betriebs« nennt, wird mehrfach
ausführlich berichtet . Er wurde am 22.11.1867 in Petershausen bei
Konstanz (also in Baden, nicht Schwaben, wie Jutta Franke schreibt)
geboren, machte zunächst eine kaufmännische Lehre und dann eine Ausbildung
als Fein- und Präzisionsmechaniker. Schon in seiner Schulzeit soll er eine
auffallende Vorliebe für Maschinen und technische Vorrichtungen bekundet
haben. 1889 übersiedelte er nach Frankfurt, wo er auch als Rennfahrer und
Radsportler aktiv war und als Amateurfahrer Meisterschaften und Siege auf
dem Hochrad, Dreirad und Niederrad errang. Ein schwerer Radsturz in
Frankfurt mit einem komplizierter Bruch des linken Unterschenkels zwang
ihn, vom Radsport Abschied zu nehmen. Nach einem Kuraufenthalt in Bad
Kissingen kam Sachs im April 1894 nach Schweinfurt, wo er als
Fahrradmechaniker und Verkäufer arbeitete. Schon in den 1860er Jahren
wurden in Schweinfurt, einer Stadt, die heute noch von der
Kugellagerproduktion geprägt wird, Ansätze gemacht, Stahlkugeln
herzustellen. Aber erst weitere Versuche in den 1880er Jahren führten dann
zur Aufnahme der automatisierten Herstellung.
Wie auch andere Firmengründer der Fahrradbranche kommt Sachs also vom
Radsport her, was eine Erklärung für die kontinuierliche Sportförderung
des Unternehmens liefert. So ist auch die erste Anzeige von Fichtel & Sachs im »Radmarkt« eine Werbung mit einem Rennerfolg, der auf
»Schweinfurter Präzisions-Fahrradlagern« errungen wurde. Sachs schöpfte
aus seinen Erfahrungen im Radsport Anregungen für seine Arbeit. Oder wie
es »Radmarkt« in seinem Beitrag »Geheimrat Sachs. Sein Werden und Wirken.«
ausdrückt: »Die sportlichen Erfahrungen auf der Landstraße mit den
ursprünglichen Hilfsmitteln aus den Anfängen der Fahrradindustrie haben
Ernst Sachs die Anregung gegeben, auf die Erleichterung der Fortbewegung
mit dem Tretrade seine Lebensarbeit einzustellen. Sachs suchte seine
Aufgabe darin, die Lager im Fahrrade zu verbessern, um einen leichteren
Lauf und geringeren Kraftaufwand zu erreichen.« So stellte er mit
einfachsten Mitteln auf einer mit den Füßen angetriebenen Drehbank sein
erstes Modell der später so berühmten Nabe her, bei der das Kugellager
unabhängig vom Rahmen einstellbar war. Diese Entwicklung war das
wesentliche Kapital, das Ernst Sachs in die Firma einbrachte, die mit
15.000 Mark startete. Wie gering dieses Kapital damals war, zeigt ein
Vergleich mit der Kapitalausstattung von einer Million Mark bei den später
von Fichtel & Sachs übernommenen Nürnberger Hercules-Werken A.-G. im
Jahr 1896/97. Die erste Produktionsstätte in Schweinfurt war ein kleines
Haus, in dem zusammen mit den Firmeninhabern 1895 zehn Arbeitskräfte tätig
waren.
Aber die Firma wuchs rasch: Schon ein Jahr später beschäftigte sie 70
Arbeiter, die täglich 50–70 Naben herstellten. Die anfänglich eingesetzte
12 PS starke Dampfmaschine reichte als Kraftquelle nach einem Jahr nicht
mehr aus. Es wurde eine neue Zentrale gebaut, die 1920 noch in Betrieb
war. Sie bestand aus einer »Tandem-Zwillingsmaschine 1.000 PS mit direkt
gekuppeltem Drehstromgenerator von 629 kW und gewaltiger Seilscheibe,
welch letztere zu direktem Antrieb der benachbarten Arbeitssäle dient. Die
zugehörige Dampfkesselanlage, bestehend aus 4 Kesseln, besitzt eine
Heizfläche von rund 600 m2« weiß »Radmarkt« in der Art, wie man
damals die Mächtigkeit eines Unternehmens schilderte, zu berichten.
Doch bis zum 25jährigen Jubiläum geschah noch viel in dem Unternehmen:
Betrachten wir zunächst die wirtschaftliche Seite, ehe wir im nächsten
Kapitel die Entwicklung der Produkte anschauen: 1904 stellten schon 900
Arbeiter 250.000 Torpedo-Naben her, 1905 sind es 1800 Arbeiter und 382.000
Naben, 1908 gar 482.000 Naben, die von 1640 Arbeitern produziert werden,
woraus sich auch eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität ablesen lässt.
1914 werden 833.000 Naben ausgeliefert. Im ersten Weltkrieg steigt die
Zahl der Beschäftigten auf 7.000–8.000, denn neben Naben und Kugellagern
wurde Fichtel & Sachs ein wichtiger Rüstungsproduzent. Nach 1918, mit
der Aufgabe der Rüstungsproduktion, ging die Beschäftigtenzahl auf 5.000
Personen zurück, die aber 1919/20 schon wieder 551.000 Fahrradnaben
herstellten.
Produziert wurde Tag und Nacht in drei Schichten zu je acht Stunden.
Fichtel & Sachs war im Vergleich zu anderen Betrieben der deutschen
Fahrradindustrie, die noch stark handwerklich orientiert waren, sehr
modern nach amerikanischem Vorbild konzipiert. 1924 schreibt »Radmarkt« in
seinem Bericht über Ernst Sachs: »Der unermüdliche Drang nach dem
Höchsterreichbaren, die Sehnsucht der Industrie seiner Heimat immer neue
Absatzmöglichkeiten zu schaffen und ihr den ersten Platz im friedlichen
Ringen der arbeitsamen Völker zu sichern, haben Ernst Sachs niemals an die
enge Scholle binden können, sondern ihn bereits in jungen Jahren zur
Umschau in die Welt getrieben. Amerika wurde seine Lehrmeisterin und die
nordamerikanischen Staaten sind es wieder, die ihn heute nach zehnjähriger
Abwesenheit locken, um den Stand der dortigen Technik und die Lage des
Weltmarktes an seinen Quellen von neuem zu studieren und um hieraus
diejenigen Folgerungen zu ziehen, die der deutschen Wirtschaft von Nutzen
sein können.« Die Beschäftigtenzahl stieg 1927/28 auf über 9.000, bis
Ernst Sachs 1929 aus zollpolitischen Gründen und nach dem Verfall der sog.
Kugellager-Konvention seine Kugellagerproduktion an den schwedischen
Kugellagertrust (SKF) verkaufte. Ernst Sachs wurde
Aufsichtsratsvorsitzender dieses Unternehmens – so steht es in der
Firmengeschichte aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. In
einem Bericht zum 45jährigen Jubiläum von Fichtel & Sachs aus dem
Jahre 1940 liest man das anders: Ernst Sachs habe 1929 fast die gesamte
deutsche Kugellager-Industrie in einen neuen Konzern unter seiner Führung
gesammelt, in den er auch die Kugellagerabteilung von Fichtel & Sachs
eingebracht habe, während sich das Stammhaus der Firma auf die
Nabenproduktion konzentrierte. Dadurch habe er »die heimische
Kugellager-Industrie vor der Übermacht der ausländischen, der sie
schutzlos preisgegeben war«, gerettet. Mit der Verkaufssumme bezahlte er
die Ablösung der Anteile der Erben Fichtels am Unternehmen. Fichtel & Sachs war seit 1923 eine Familienaktiengesellschaft mit einem Grundkapital
von damals 100 Mio. Mark. Gründer der AG waren Ernst Sachs und seine Frau
Betty, seine Mutter Lina und Frau Theoline Fichtel sowie eine neu
gegründete Sachs GmbH München als Holdinggesellschaft des Unternehmens.
Mit der Auszahlung der Erbens Fichtels wurde Sachs Alleininhaber der Firma
mit nur noch 2.833 Beschäftigten. 1930/31 stieg Sachs verstärkt in die
Produktion von Kraftfahrzeugteilen (Kupplungen und Stoßdämpfer) sowie
Kleinmotoren ein. Sachs-Motoren und 1937 speziell die »Saxonette«, ein 60
ccm-Motor zum Antrieb von Fahrrädern an der Hinterrad-Nabe, führten zu
einer Verlagerung der Produktionsschwerpunkte. 1939 produzierten 6.716
Beschäftigte neben Naben vor allem Motoren, Kupplungen und Stoßdämpfer.
Die Bedeutung des Unternehmens, 1924 als das größte Privatunternehmen
Süddeutschlands bezeichnet, aber auch die Persönlichkeit des Technikers
und Unternehmers Ernst Sachs wurde durch die Ernennung zum Königlich
Bayerischen Kommerzienrat (1909), und zum Geheimen Kommerzienrat (1917)
gewürdigt. Zudem verlieh ihm die Technische Hochschule München 1925 die
Ehrendoktorwürde. Deshalb konnte er auf der Anzeige aus dem Jahr 1929, in
der die fünfundzwanzig millionste Torpedo-Freilaufnabe verkündet wird, als
Dr.-Ing. e.h. abgebildet werden.
Fichtel & Sachs produzierte an mehreren Standorten: Neben dem
inzwischen erweiterten Gründungswerk in Schweinfurt gab es ein Zweigwerk
in Tschirnitz a.d. Eger, das 1912 u.a. auch wegen der hohen Zölle und der
Patente für die damaligen österreichisch-ungarischen Länder errichtet
wurde. Nach Auflösung von Österreich-Ungarn nach dem ersten Weltkrieg lag
dieses Zweigwerk in der tschechisch-slowakischen Republik. Im gleichen
Jahr wurde ein weiteres Zweigwerk in Lancester in den USA eröffnet, das
aber vor dem ersten Weltkrieg in ein amerikanisches Unternehmen
umgewandelt wurde und die Interessen der Firma in den Vereinigten Staaten
von Amerika vertrat. Auf diese Firmengründung, die Ernst Sachs
offensichtlich in Amerika persönlich betrieben hat, bezieht sich die oben
aus dem Jahr 1924 zitierte Bemerkung über seinen Amerikaaufenthalt. Ein
geplantes Zweigwerk in Frankreich, wofür schon ein Grundstück erworben
war, kam wegen des Kriegsausbruchs 1914 nicht zustande. Erst 1980 wurde
Fichtel & Sachs mit der Übernahme der Aktienmehrheit von Huret et ses
Fils SA und 1986 der Aktienmehrheit des Fahrradteileherstellers Maillard
SA in Frankreich aktiv.
Ernst Sachs überlebte seinen Firmenmitgründer Karl Fichtel um 21 Jahre.
Willy Sachs, der einzige Sohn (ob es Töchter gab, ist aus den mir
zugänglichen Quellen nicht bekannt) übernahm 1932 die Leitung der Firma im
Alter von 36 Jahren. »Radmarkt« wusste schon 1924 Lobendes über den Sohn
zu schreiben, wenn von seiner soliden Ausbildung berichtet wird: »Nach
ebenso sorgfältiger wie harter Vorbereitung, die ihn vom Amboss zum
Hauptbuch, von der technischen Hochschule zur tiefgründigen Erfassung des
Bankwesens führte, findet Geheimrat Sachs in seinem einzigen Sohn einen
seiner Verantwortung bewussten Mitstreiter, der vom Vater neben der
ernsten, auf Arbeit eingestellten Lebensauffassung auch den sportlichen
Geist geerbt hat und als Automobilrennfahrer bereits achtbare Proben
seines Könnens und seiner Unerschrockenheit abgelegt hat.« Bei Wilfried
Rott klingt das dann doch etwas anders: Im Ersten Weltkrieg habe es häufig
Turbulenzen um den jungen Leutnant gegeben, so dass der Vater helfend
eingreifen musste. In der Weimarer Zeit sei Willy in erster Linie seinen
Vergnügungen an Rennbahnen und Boxringen nachgegangen, 1933 sei er in die
NSDAP eingetreten und später dann auch in die SS, was sicher für die
Geschäfte des Unternehmens nützlich war.
[Rott 2005]
Ein Unternehmen von der Größe wie Fichtel & Sachs benötigte
qualifizierte Arbeitskräfte, die schon früh in einer eigenen
Lehrwerkstatt, die unter der Leitung eines Ingenieurs und eines
Werkmeisters stand, ausgebildet wurden. 1920 erhielten mehr als 100
Lehrlinge diese theoretische und praktische Ausbildung in Räumen mit
eigener Schlosserei und Schmiedewerkstätten, Dreherei, Fräserei etc.. Als
leitende Mitarbeiter im kaufmännischen wie im technischen Bereich wurden
1924 Namen wie Naumann, Winkler, Schlegelmilch, Eichmüller und Wünschner
genannt, 1920 im Jubiläumsbericht war neben Direktor Naumann noch Direktor
Josef Kuhn abgebildet, der 1924 nicht mehr erwähnt wird. 1933 vertrat
Direktor Wilhelm Wittig Fichtel & Sachs im Vorstand des Vereins
Deutscher Fahrrad-Industrieller e. V. und als Beisitzer im Vorstand des
Verbandes Deutscher Fahrradteile-Fabrikanten. Ernst Sachs selbst war
Mitglied in mehr als 15 Aufsichtsräten und »gehört dem Vorstand des
Reichsverbandes der Automobilindustrie an, deren eifrigster Förderer er
seit seinem Bestehen ist.«
Im Zweiten Weltkrieg verdiente Fichtel & Sachs wieder gut als
Rüstungsproduzent, und verlegte sich angesichts der Motorisierung in den
späten fünfziger Jahre noch stärker auf die Produktion von Autozubehör,
blieb aber dennoch nach wie vor eines der größten Unternehmer der
Fahrradteileindustrie. 1987 verkaufte die Familie Sachs das Unternehmen an
Mannesmann. 1997 kam es dann zum Verkauf der Produktion von
Fahrradkomponenten an das US-amerikanische Unternehmen SRAM (Chicago,
Nijkerk/NL, Taiching/Taiwan). Zunächst ging die Produktion der Naben und
Schaltungen in Schweinfurt weiter. Ab 2010 kam es dann aber zu einer
schrittweisen Verlagerung nach Asien.
3. Der Beitrag von Fichtel & Sachs zur Fahrradtechnik
Man kann Sachs nicht im eigentlichen Sinne als »Erfinder« bezeichnen, was
seine Bedeutung nicht mindert. Denn oft sind es nicht die Erfinder, die
ideenreichen Tüftler, die die technische Entwicklung voran bringen: Ideen
müssen in gebrauchstüchtige Konstruktionen umgesetzt werden, die einen
Markt finden. Die Fahrradgeschichte ist voll von Erfindungen, die nie oder
erst Jahre später von auch kaufmännisch versierten Unternehmern realisiert
wurden. Es gab schon seit längerem Versuche mit Kugellagern, nachdem der
französische Hauptmann Morin 1831 den großen Unterschied zwischen
gleitender und rollender Reibung dargelegt hat. Rauck/Volke/Paturi
berichten gar von einem ersten Kugellagerpatent für Wagenachsen in England
schon im Jahre 1794. vgl.
[Rauck 1979]
Schon die aus England nach Deutschland gebrachten Hochräder, die Vorbilder
für die ersten deutschen Fahrradproduktionen, waren mit Kugellagern
ausgestattet. Diese waren aber vielfach noch recht schwer. Das erste
Kugellager, das dann zur Gründung von Fichtel & Sachs führte, war mit
vier Kugelreihen ausgestattet und zwar auf jeder Seite zwei. Die Konusse
waren ein- bzw. verstellbar. Im Laufe der Entwicklung stellte sich heraus,
»daß bei entsprechender Anordnung und unter Verwendung bestgeeigneter
Materialien eine Kugelreihe auf jeder Seite genügte.« Das war die
Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg der Schweinfurter
Präzisions-Naben.
Das Problem der starren Naben, bei Bergabfahrten ständig mittreten zu
müssen oder durch Wegnahme der Füße von den Pedalen die Kontrolle über das
Rad zu verlieren, wurde mit dem Freilauf angegangen. Die Erfindung ist,
folgt man dem Radmarktredakteur Hans Heinrich Dienstbach, auf das Jahr
1788 und zwar bei einem Dampfschiffantrieb zu datieren. vgl.
[Dienstbach 1929]
Bei Landfahrzeugen findet sich der Freilauf ab etwa 1830 bei den damaligen
Dampfwagen. Der erste Freilauf für das Fahrrad soll nach Dienstbach von
Franzosen erfunden worden sein: Alfonse Phetéman und Adrien Barberon
ließen unter der Nummer 2626 im Jahre 1869 ein entsprechendes Patent
eintragen. Es folgten 1870 Patente in England; 1879 wird für Doubleday und
Humber eine Freilaufvorrichtung für Dreiräder patentiert. Ein Schwede soll
im Jahre 1880 als erster Rollen in seinem Freilauf verwendet haben.
Dienstbach bringt noch eine Fülle von Details, die ich hier nicht
wiedergeben kann. Er erwähnt auch eine Freilaufform von C. M. Linley aus
dem Jahre 1884. Dann heißt es: »Nun setzte aber auch eine Hochkonjunktur
konstruktiver Tätigkeiten auf diesem Gebiete ein. Fast alle europäischen
Fahrradfabriken wandten sich diesem Konstruktionsdetail zu, und wir finden
nunmehr in den Jahren bis 1900 alle möglichen und unmöglichen
Freilaufausführungen, die meist entweder auf dem Sperrklinken- oder auf
dem Rollensystem basieren.« Interessanterweise wird in dem ganzen, sehr
ausführlichen Aufsatz, der auch die Entwicklung der Rücktrittbremse
behandelt, Fichtel & Sachs an keiner Stelle erwähnt. Kurz wird vom
Aufkommen der deutschen Freilaufnabe mit eingebauter Rücktrittbremse
gesprochen, die wegen ihrer Zuverlässigkeit dem sogenannten Doppelfreilauf
von Juhel überlegen war, »so dass die Juhel’sche und ähnliche
Konstruktionen die Konkurrenz der von vornherein präzise und verlässlich
arbeitenden Torpedonabe nicht auszuhalten vermochte.«
Wiederum finden wir Sachs nicht als Erfinder, aber als perfekten
Konstrukteur. Sachs präsentierte seine Freilaufnabe 1898 als erster
deutscher Hersteller auf einer Ausstellung in England. Von den damaligen
Radsportlern wurde der Freilauf aber noch mit großer Skepsis betrachtet,
weil er nicht mehr die Möglichkeit bot, durch »Gegentreten« die
Geschwindigkeit zu regulieren – die bis dahin zur Verfügung stehenden
Bremsen waren noch ziemlich unvollkommen. Deshalb bot Sachs zwei Jahre
später mit seiner Weiterentwicklung die Möglichkeit, zwischen starrem
Zahnkranz und Freilauf zu wechseln. Wie eine Anzeige im »Radmarkt« als
»höchst wichtige Neuheit« mitteilte, wurde diese Freilaufnabe mit
»Nabeninnenbremse« angeboten, die aber noch nicht die spätere
Rücktrittbremse der Torpedonabe war. Zum Ein- und Ausschalten des
Freilaufs musste man absteigen und eine Sperrklinke betätigen. Beim
nächstjährigen Modell konnte dieser Umschaltvorgang mit einer Zugschnur,
die von der Nabe am Rahmen entlang zum Lenker geführt wurde, erfolgen.
Diese Nabe wurde als »Schlager der Saison« 1901 in einer Anzeige
angepriesen. 1903 schließlich wurde das langjährige Erfolgsmodell, die
»Torpedo« Freilaufnabe herausgebracht. Die Datierung des eigentlichen
Entwicklungsabschlusses für diese Nabe ist aus den vorliegenden
Materialien nicht genau vorzunehmen. In den meisten Texten ist plötzlich
die Torpedonabe geboren. Rauck/Volke/Paturi sprechen vage von »um 1900«.
Diese Rücktrittbremsnabe war kleiner und optisch ansprechender als viele
andere auf dem Markt. Damit sie weicher bremste, wurde der Stahlmantel
beim Modell 1903 mit einer Rille versehen, in die ein Messingstreifen
eingelegt wurde.
1905 folgte dann eine Nabe mit zwei Übersetzungen, die aber keine völlige
Eigenentwicklung darstellt, sondern sich als Lizenz einer als Deutsches
Reichspatent 131486 von den Wanderer Werken (vorm. Winklhofer & Jaenicke, A.-G. Schönau bei Chemnitz) geschützten Nabe entpuppte. Diese
wurde allerdings von Sachs weiterentwickelt. Dass es sich bei der Torpedo
mit Doppelübersetzung um eine Lizenznahme handelt, ergibt sich im
Zusammenhang mit einem patentrechtlichen Prozess, der 1909 begann und 1912
dazu führte, dass im »Radmarkt« das Urteil als Werbeanzeige der
Wanderer-Werke veröffentlicht wurde. Darin wird Sturmey-Archer Gears Ltd.,
Nottingham, verboten »Fahrradnaben mit Freilaufkupplung, Rücktrittbremse
und Planetenräderwechselgetriebe für dreifache Uebersetzung nach Patent
209020 in Deutschland feilzuhalten oder zu vertreiben oder ohne die
Zustimmung der Klägerin als Inhaberin des Patents 131486 an deutschen
Fabrikanten Lizenzen zur Fabrikation […] zu erteilen.«
Ausdrücklich erklärten die Wanderer-Werke in einer weiteren Anzeige einige
Wochen später, dass Fichtel & Sachs von diesem Vertriebsverbot nicht
betroffen sei, »da diese Firma bereits seit sieben Jahren
Haupt-Licenznehmerin unseres D.R.P. 131486« ist. Und Fichtel & Sachs
ergänzt in der gleichen Anzeige, dass die von ihnen unter Lizenz
fabrizierten Mehrfach-Übersetzungen außerdem noch unter dem Schutz
besonderer ihnen gehöriger Patente stehen, deren Verletzung sie
gegebenenfalls gesondert verfolgen werden. Die Sturmey-Archer Nabe mit
drei Übersetzungen, Freilauf und Rücktrittbremse wurde noch 1911 mit »die
älteste, weitverbreitetste und zuverlässigste von allen« geworben – was
wohl auch stimmt, geht doch das erste Patent nach Rauck u.a. auf das Jahr
1902 zurück. Der »Radmarkt« widmete 1904 in einem Übersichtsartikel über
die neuesten englischen Modelle von auswechselbaren Übersetzungen dieser
Nabe, neben den Naben von BSA, Villiers Co, Eadie Mfg. Co Ltd. und
anderen, einen breiten Raum. Über eine Doppelübersetzung der Wanderer
Werke wurde erst 1905 berichtet. Rauck u.a. datieren die
Mehrfachübersetzung von Wanderer auf das Jahr 1907, schreiben ihr aber
keine größere Bedeutung zu. Dass die Mehrfachnaben von Fichtel & Sachs
Lizenzprodukte waren, wird nicht angesprochen. Dass die Sturmey Archer
Mehrfachnabe durch Gerichtsbeschluss vom Deutschen Markt verbannt war,
diente sicher Fichtel & Sachs, prägte dessen Ruf als »Erfinder« der
Mehrgangnabe und förderte den Inlandsumsatz dieser Produkte. Aber noch
lange blieb in Deutschland die Ausstattung der alltäglich gebrauchten
Fahrräder mit einer Mehrgangnabenschaltung eher die Seltenheit. 1932
berichtet der oben schon in einem anderen Zusammenhang zitierte Dienstbach
im »Radmarkt« (ohne die Patentauseinandersetzung von 1909–1912
anzusprechen) von der weiten Verbreitung der Sturmey Acher Dreigangnabe in
England. Sie wird damit begründet, dass dort »immer noch mehr Substanz im
Bürgerstande erhalten ist, als in den meisten von Inflationen jeden Grades
heimgesuchten Festlandvölkern«, so dass man in der Lage sei, für eine
doppelte oder dreifache Übersetzung ein oder zwei Pfund mehr auszugeben.
In Deutschland werde zwar die Doppelübersetzung recht gut absetzt. Aber
die dreigängige Hinterradnabe, von der Fichtel & Sachs doch »eine sehr
brauchbare Angelegenheit entwickelt« habe, die zwar etwas schwerer ist,
sei »teuer, wenigstens nach der Einstellung und Kaufkraft unserer
Radfahrerschaft …«
Bild 2: Zweigang-Nabe mit Rücktrittbremse von Sachs
Nach der Doppel-Torpedo sollte entsprechend einer Anzeige im »Radmarkt«
1912 die »Universal-Torpedo« mit vier Geschwindigkeiten, Freilauf und
Rücktrittbremse» wie «eine Bombe» wirken. Die «Universal-Torpedo»
gestattete eine Erhöhung der direkten Übersetzung um 30 % und zwei
Verminderungen um 25 und 40 %. «Die jüngere Generation ist wirklich zu
beneiden. Sie braucht nicht mehr zu schieben, wie wir Alten es machen
mussten,» schrieb «Der Radmarkt» in seiner großen Marktübersicht «Das
Fahrradmodell 1914 und sein Zubehör». Aber diese Viergangnabe war wohl
keine «Bombe», kein großer Erfolg. Nur noch vage kann sich Otto Lüders in
seinem Beitrag «Zum Problem der Zwei- und Dreigang-Schaltung» erinnern,
wenn er im «Radmarkt» 1935 schreibt: «Früher gab es sogar eine derartige
Freilaufrücktrittbremsnabe mit vier Übersetzungen …». Auch er beklagt,
dass die Mehrgangnaben «im Publikum viel zu wenig bekannt» seien und
deshalb auch nicht verlangt würden. Störend seien auch das höhere Gewicht
und der höhere Preis. Im Beitrag anlässlich des Jubiläums von Fichtel & Sachs 1920 wird die Torpedo Universal nicht mehr erwähnt, nur die
Doppelübersetzung. Im Artikel über «Geheimrat Sachs» aus dem Jahr 1924
hingegen wurde die «Universal-Torpedo-Nabe» als Gipfelleistung auf dem
Gebiet der Mehrfachnaben bezeichnet und es wird darauf hingewiesen, dass
«eine Freilaufnabe mit Rücktrittbremse und drei Übersetzungen geschaffen»
wurde, die «zurzeit in Vorbereitung ist, und demnächst auf dem Markt
erscheinen wird.» Wann dann die Dreigangnabe wirklich in größeren
Stückzahlen auf den Markt kam, ist aus meinen Materialien nicht präzise zu
bestimmen. Aber es muss wohl noch einige Jahre gedauert haben, denn in dem
Artikel über Neuheiten im englischen Fahrradbau aus dem Jahre 1932 spricht
der Radmarktautor davon, dass Fichtel & Sachs «gerade» eine brauchbare
Schaltung entwickelt hat, die aber noch nicht in großen Stückzahlen
verkauft werde. Fest steht, dass die Dreigang nach dem Zweiten Weltkrieg
in Deutschland lange zur Standardausrüstung vieler Tourenräder gehörte und
auch nicht von anderen Mehrgangnabenschaltungen wie z. B. der
Fünfgangnabenschaltung «Pentasport» (1984) oder der «Super 7» (1993) von
Fichtel & Sachs verdrängt werden konnte. 1934 brachte Fichtel & Sachs übrigens auch eine dreifache Kettenschaltung in Verbindung mit der
Torpedo-Rücktrittnabe heraus.
Ab 1964 gab es, besonders für die damals als Autozubehör konzipierten
Klappräder, eine Zweigangschaltung, die durch Zurücktreten geschaltet
wurde.
Wegen des Schaltkomforts und der Möglichkeit, einen brauchbaren
Kettenschutz montieren zu können, fanden die Kombinationen von
Mehrgangnabe mit Kettenschaltung (2 mal 6, 3 mal 7, 3 mal 8, 3 mal 9), die
es seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab, viele Anhänger
und werden heute von SRAM als «Dual Drive» weiterhin gebaut.
Auch wenig bekannt ist, dass Fichtel & Sachs schon um 1930 eine
«Vorderrad-Innenbacken-Bremse» auf den Markt brachte, für die es «von
Seiten des Publikums eine rege Nachfrage» gegeben haben soll. Für Autos
und Motorräder gab es Bremsen diesen Typs schon länger. In Deutschland sei
die Konstruktion einer guten Bremse für das Vorderrad lange vernachlässigt
worden, weil sich die Torpedonabe mit Rücktritt schnell durchgesetzt hat.
In anderen Ländern wie England und Frankreich setzte sich die
Rücktrittbremse hingegen bis heute kaum durch. Dennoch sprechen Rauck u.a.
davon, dass erst 1937 in den USA und in Europa Trommelbremsen für
Fahrräder gebaut wurden. Ob es sich bei der Fichtel & Sachs
Vorderrad-Innenbacken-Bremse um eine selbständige Eigenentwicklung
handelte oder vielleicht um einen Nachbau von ähnlichen Bremsen in den
USA, ist schwer zu sagen. Die Bremse wird mit einem Bowdenzug betätigt,
was auf ausländische Vorbilder schließen lässt. Der Autor des Berichtes
über diese Bremse in «Radmarkt» hält von Bowdenzügen am Fahrrad wenig:
«Bowdenzüge sehen am Fahrrad nicht schön aus. Obwohl sie für das Motorrad
unerläßlich geworden sind, glaube ich, daß man für das Fahrrad das feste
Gestänge vorzieht.» Er schlägt eine Kombination von Gestänge und Bowdenzug
vor. Die Vorderradtrommelbremse hat sich nicht durchgesetzt, obwohl sie im
Gegensatz zu Felgenbremsen auch bei Regen gut verzögert.
Als letztes Produkt von Fichtel & Sachs möchte ich den 1937 auf den
Markt gekommenen und sehr erfolgreichen leichten Fahrradmotor «Saxonette»
nennen, der in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine
Renaissance erlebte als Hilfsmotor besonders für ältere Fahrerinnen und
Fahrer. Leider wurde dieser Motor nicht weiter entwickelt und kann sich
heute gegenüber Elektroantrieben nicht behaupten.
4. Abschließende Zusammenfassung
Industriegeschichtlich ist Fichtel & Sachs ein Beispiel für eine
erfolgreiche Spezialisierung auf wenige Produkte. Diese Spezialisierung
ermöglichte eine hohe Qualität, wodurch der Weg von der kleinen
Mechanikerwerkstatt zum international wirkenden Großunternehmen geebnet
wurde. Dadurch unterschied sich Fichtel & Sachs von den meisten
anderen größeren Unternehmen in der deutschen Fahrradbranche. Diese
produzierten überwiegend vollständige Räder. In den gleichen Firmen
wurden auch fast alle Teile außer Beleuchtung, Sätteln und Bereifung
selber entwickelt und hergestellt. Während aus dieser Produktion dann
auch einige Spezialteile (z. B. Naben der Wanderer-Werke vorm.
Winklhofer & Jänicke, Schönau bei Chemnitz oder der Neckarsulmer
Fahrzeugwerke) an andere Hersteller verkauft wurden, war der Weg bei
Fichtel & Sachs umgekehrt: Nach langjähriger Spezialisierung auf
ganz wenige Fahrradteile wurde das Unternehmen in einem bestimmten
Sektor Marktführer und übernahm 1960 mit Hercules (Nürnberg) und
Rabeneick (Brackwede) zwei traditionsreiche Fabriken, die vollständige
Fahrräder herstellten und dabei vorrangig Teile von Fichtel & Sachs
verbauten.
Bild 3: Nabenstempelung an einer Doppeltorpedo von 1953
Übrigens haben die besonders in den zwanziger Jahren sehr bekannten
«Torpedo Räder» (später verkaufte Karstadt unter diesem Namen Räder) mit
Fichtel & Sachs nichts zu tun. Der Name war offensichtlich nicht
geschützt. Die Torpedo Räder wurden von den Weilwerken GmbH, Frankfurt
Rödelheim hergestellt.
Fichtel & Sachs hat trotz eines zweiten Beins im Motor- und
Automobilteilebereich die Fahrradthematik nie aufgegeben, wie es andere
ehemalige Fahrradhersteller taten, sondern kontinuierlich an
Verbesserungen seiner Produkte für das Fahrrad gearbeitet.
Die Geschichte von Fichtel & Sachs ist nicht die Geschichte von
«Erfindungen» im eigentlichen Sinne. Die Leistung von Fichtel & Sachs ist nicht die ursprüngliche Idee zum Kugellager, zum Freilauf, zur
Rücktrittbremse oder zur Gangschaltung, um einige der Komponenten zu
nennen, von denen es vor den Modellen von Fichtel & Sachs schon
ältere Versionen gab. Aber von Fichtel & Sachs kam dann die
Konstruktion von wirklich brauchbaren Fahrradteilen, die Umsetzung
dieser Konzepte in einer modernen Industrieproduktion und die
Durchsetzung von Neuerungen auf dem Markt.
Zum Autor
Volker
Briese ist Professor für Politische Wissenschaft an der Universität
Paderborn und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der
Sozialgeschichte des Fahrrads und des Radfahrens.
Literatur
Büschenfeld 2011
Jürgen Büschenfeld: Die Pionierjahre. In: Radmarkt, 2011, Nr. 10. S. 74
Dienstbach 1929
Hans Heinrich Dienstbach: Die Entwicklung des Freilaufs. In: Radmarkt.
Bd. 2000, 1929. S. 25
Franke 1987
Jutta Franke: Illustrierte Fahrrad-Geschichte. Mit Beiträgen von Maria
Borgmann, Klaus Budzinski, Helmut Lindner, Otto Lührs, Christian Wegner.
Berlin, 1987 (Museum für Verkehr und Technik). S. 17
Rauck 1979
Max J. B. Rauck, Gerd Volke, Felix R. Paturi: Mit dem Rad durch zwei
Jahrhunderte. Das Fahrrad und seine Geschichte. Aarau/Stuttgart: AT
Verlag, 1988. S. 129