Ausgabe 31 · März 2021
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Pack ma’s – drei Systeme von Fahrradtaschen im Vergleich
Irgendwie muss das Zeug ja mit: Zelt, Schlafsack, Socken. Oder Joghurt, Brot und diese 5 kg Lauch, weil der grad so günstig ist. Oder die Sachen für Schule, Uni, Job … Klar, man kann sich Plastiksäcke an den Lenker hängen, einen Korb auf das Hinterteil des Rades schrauben oder alles in circa elf selbst genähten Mini-Bags gleichmäßig über sein Bike verteilen. Rucksack in allen möglichen Dimensionen geht auch. Und es gibt auch die ganz große Lösung: Lastenrad!
Anklicken. Abklicken. Dranlassen.
Oder aber man nimmt einfach Packtaschen. Diese kleinen Kofferräume zum Anklicken. Und wieder Abklicken (oder zum immer Dranlassen). Und jetzt denkt jeder: Ortlieb! Wasserdicht, praktisch!
Ja, stimmt schon. Der Marktführer! Ein Fall für die Monopolkommission des Radlkartellamts! Was nicht heißen soll, dass die Taschen schlecht sind.
Drei verschiedene Systeme
Ich aber hab drei verschiedene Radtaschensysteme. Es gibt sicher effizientere Methoden, sein Kapital einzusetzen, aber die transportieren meinen Kram nicht. Und ich hab ja auch mehr als ein Rad. Das ist ein Grund für die drei Taschensets. Die anderen Gründe sind wahrscheinlich irgendwelche evolutionären Überbleibsel aus unserer Vorgeschichte als Jäger und Sammler.
Egal, ich hab eben drei verschiedene Taschensysteme, die ich unterschiedlich nutze. Das ist so eine Art permanenter Vergleichstest im Alltag und auf Reisen. Strikt subjektiv und daher wirklich nützlich für Radler, die vor schwierigen Kaufentscheidungen stehen.
Am Anfang waren Ortliebs
Angefangen hat der Test mit Ortliebs. Das waren die Ersten. Und schlecht sind die ja nicht. Die anderen sind aber anders …
Ortliebs, das sind meistens Back-Roller Classic. Auch bei mir, klassisch eben. 20 l pro Tasche, 950 g Leergewicht. Die Daten hab ich aus dem Internet abgeschrieben, weil ich keine so präzise Waage habe und nicht weiß, wie man das Volumen einer Tasche mit Rollverschluss bestimmt. Wann ist die voll? Einmal rollen, zweimal rollen?
Die Ortlieb-Taschen sind aus Planenmaterial. Meine haben noch das alte Quick-Lock-Befestigungssystem, man braucht also einen Inbusschlüssel, um die Taschen an verschiedene Räder anzupassen. Die neueren Modelle funktionieren ohne Werkzeug, und das ist eine feine Sache, find ich. Man kann die beiden oberen Haken mit kleinen Reduzierhülsen problemlos an verschiedene Durchmesser der Gepäckträger anpassen. Der untere Halter ist frei drehbar und kann verschoben werden. Falls man einen Gepäckträger hat, kann man die Taschen ohne Probleme sicher montieren.
Kein Griff dran …
Abnehmen geht schnell und sicher, Dranklicken auch. Zum Abnehmen zieht man am Bügel, der die Sicherung der Haken am Gepäckträger öffnet. Und schon hat man die Tasche in der Hand. Praktisch, aber ich hab hier immer ein ungutes Gefühl: Man trägt die Tasche am Schließmechanismus. Das sollte man nicht tun, es ergibt sich aber im Alltag so. Und diese Mechanik ist kein ausreichend solider Tragegriff, wenn die Tasche voll beladen ist.
Besser wäre es, die Taschen oben am Rollverschluss zusammenzuklicken und dort zu tragen. Oder man macht es, wie Ortlieb sich das wohl vorstellt: Die Tasche wird mit dem Tragegurt via der Befestigung an der Front geschlossen, dann wird der kleine Gurt über die Oberseite gezogen und man hat einen sicheren Tragegriff. Prima auf Radreisen, aber mal eben beim Einkaufen etwas umständlich.
Rollverschluss – praktisch, aber nicht optimal
Der Rollverschluss ist praktisch und sehr wasserdicht, aber irgendwann ist das Gewebe vom vielen Rollen dann doch beschädigt. Das ist wahrscheinlich ein eher ästhetisches Problem dieser Taschen und es kommt nur bei echten Veteranen vor. Wie sich die neueren, leichteren »textiligeren« Folien der Sport-Roller- oder Bike-Packer-Serie in dieser Hinsicht verhalten, weiß ich nicht.
Das Planenmaterial ist stabil, es gibt aber für Notfälle auch Flicksets, die man auf langen Reisen dabeihaben sollte. Zur Erstversorgung tut’s aber auch Gewebeband. Bei den genannten Ortliebs aus dem leichteren, außen rauen Material geht das mit dem Gewebeband maximal von innen.
Dry-Bag mit Quick-Lock? Aus Plastik …
Die Taschen sind sehr wasserdicht, zumindest so lange noch keine Löcher drin sind. Das ist gut und schlecht: Regen bleibt draußen, Feuchtigkeit aber auch drinnen. Grad auf Radreisen kann das ein Problem sein, etwa wenn man feuchte Kleidung transportiert. Ein Vorteil des glatten Materials ist dagegen, dass man es leicht abwaschen kann. Nicht nur von außen, auch von innen, wenn zum Beispiel mal ein Joghurt ausläuft.
Und dann ist da noch die Sache mit dem Planen-Kunststoff. Verwendet werden meist Nylon- oder Polyestergewebe, die mit Polyurethan beschichtet sind. Es gibt aber auch noch PVC-Beschichtungen, grad bei den Back-Roller-Classic-Modellen. Bei beidseitiger Beschichtung entsteht der klassische »Planen-Look«. Wird nur eine Seite beschichtet, wird die Folie leichter und der »textile« Eindruck bleibt erhalten (bei den Sport-Packer-Taschen ist das sichtbare Trägergewebe Cordura, auch ein Nylongewebe).
Das ist alles sehr praktisch – aber die Haptik? Ist diese Tasche nicht einfach ein Dry-Bag mit Quick-Lock-Befestigung?
Exkurs mit Esel
Jetzt kommt eine kleine Abschweifung – der Exkurs zum Esel in Mittelitalien: Ich war mehrfach mit einem störrischen, aber gutmütigen Esel in den Abruzzen wandern. Laut Gebrauchsanweisung durfte er maximal 20 kg tragen. Das ist nix für ein Tier wie Nino, aber die 20 kg müssen ja irgendwo am Esel festgemacht werden. Die Lösung: Packtaschen, fast wie beim Fahrrad. In diesem Fall Taschen aus gewachster Baumwolle, fabriqué en France. Nino aß gern Disteln und marschierte quer durch Dornenhecken. Die Taschen mit ihm. Keine Risse, keine Löcher!
Wasserfest vs. wasserdicht
So kam das zweite Set Taschen ans Rad. Carradice, eine Manufaktur in England, stellt Taschen aus Cotton Duck her, gewachster Baumwolle. Und Duck ist hier keine Ente, sondern eine Ableitung aus dem Niederländischen »doek«, also Tuch. Ich hab das Modell Super C für vorne und hinten, die original Expedition Panniers. Und ich habe gelernt, was der Unterschied zwischen wasserdicht und wasserfest ist.
Die beiden hinteren Carradices wiegen laut Netz zusammen 2.236 g und es passen 54 l Zeug rein. Da ist ordentlich Platz drin! Kein Rollverschluss, sondern ein »normaler Deckel«, mit Gurten, dazu eine sehr große Außentasche, in die locker 1,5-l-Trinkflaschen passen. Diese Außentaschen haben ebenfalls einen Deckel mit Gurt und Schnalle.
Die Befestigung am Rad ist ähnlich wie bei Ortlieb, die Sicherung der Taschen »nach oben« ist aber mit einem dritten Haken gelöst und nicht integriert. Alles ist gut verstellbar, aber mit Kreuzschlitz-Werkzeug. Die Montageschiene ist aus Metall, die Haken selber sind aus Kunststoff. Ich fand das stabil und simpel. Die Taschen lassen sich an einer stabilen Griffschlaufe am Deckel gut tragen, sehr solide. Genäht haben meine Taschen übrigens Sue und Pamela – steht drin …
Weil das Volumen der Super C so groß ist, hab ich sie an mein Rad geklickt und bin von München nach Palermo geradelt – ohne Lowrider vorn. Und es hat wenig geregnet – ich hatte Sorge, dass Baumwolltuch vielleicht doch nicht expeditionstauglich ist. Die Taschen sind schwarz, zumindest waren sie es, als ich in München los bin. In Palermo waren sie dunkelgrau. Schuld war nicht der Straßenstaub, sondern die Sonne des Südens: UV-stabil ist die schwarze Farbe nicht. Die Taschen haben jetzt Patina und sehen weit gereist aus.
Der Wassertest kam später
Gewachste Baumwolle ist ziemlich wasserdicht und saugt sich auch nicht voll wie eine alte Jeans. Die Nähte sind nicht »getaped«, sondern mit Baumwollfäden genäht. Wird es nass, quillt der Faden auf und schließt die Löcher. Die Taschen lassen sich also auch leicht reparieren.
Ich hab die Taschen auch in starkem Regen gefahren. Sie werden innen nicht nass, aber etwas klamm. Dafür trocknen sie schnell wieder, auch innen. Ich würde Sachen (Elektronik, Dokumente), die wirklich trocken bleiben müssen, in einen dünnen Plastiksack tun; der Rest bleibt auch bei Sauwetter ausreichend geschützt.
Nachwachsen …
Ich hab die Taschen nach mehreren Jahren Nutzung inzwischen einmal nachgewachst. Es gibt dafür bei Carradice Wachs, günstiger ist das Wachs für Barbour-Jacken.
Die Super C sind mit mir auch 2.000 km durch den Iran geradelt (und auch da regnet’s manchmal). Ich vermisse seither meinen Hausschlüssel … Die große Außentasche muss man zumachen, sonst fallen Sachen auf Schotterpisten raus. Verlieren kann man auch die »weiblichen« Teile der Schnallen, wenn man sie nicht schließt (Umnähen der Gurte hilft).
Eigentlich waren wir also glücklich miteinander, die Carradice-Taschen und ich. Doch dann kam mein Liegerad.
Ich hab eine hp Velotechnik Speedmachine mit einem Lowrider, die Taschen werden also unterhalb des Sitzes montiert. Das hab ich mit meinen Carradice-Taschen versucht. Ging nicht, sie sind zu groß und hängen zu tief – und schleifen in der Kurve. Die Ortliebs passen – klar, die passen immer, weil auch die Konstrukteure der Lowrider den Marktführer im Hinterkopf hatten. Aber ich wollte etwas mehr Platz haben und für die Reisen mit dem Lieger nur zwei Taschen verwenden.
Es gibt Liegeradtaschen: schön groß und schön teuer. Die passen an Liegeräder –, aber eben nur an die. Ich suchte also was anderes: »normale« Taschen, die »höher« hängen und etwas mehr Platz haben. Selbernähen steht schon auf meiner Liste, aber ziemlich weit unten …
Anderes aus Quebec. Vive la différence.
Deshalb hab ich’s erst mal mit der bekannten Suchmaschine versucht, und schon war ich in Kanada. Bei Arkel. Auch eine kleinere Manufaktur, dort und in den USA deutlich stärker verbreitet als hier. Die haben das Modell XM-45: 2,48 kg schwer und 45 l groß (pro Paar). Gedacht sind diese Arkels für Mountainbiker, die mit Gepäck durch den Dreck rasen. Die Taschen sind schmal und hoch, es gibt so mehr Platz für die Hacken. Und sie hängen weiter oben, weg vom Dreck. Passen also, wenn auch knapp, an mein Liegerad.
Diese Taschen sind auch sonst etwas anders. Auffällig sind zuerst die Spanngurte, die über Kreuz über das Cordura-Gewebe der Taschen gehen. Diese Taschen lassen sich sehr gut komprimieren und so variabel beladen. Obendrauf gibt es eine große Tasche mit Reißverschluss, seitlich noch eine. Diese Tasche wird ebenfalls von den Spanngurten umschlossen.
Das Montagesystem ähnelt oben mit den beiden Haken Ortlieb, ist aber aus Metall. Die Halterung ist so konstruiert, dass sie mit allen üblichen Gepäckträger-Durchmessern funktioniert – ohne irgendwelche Zwischenhülsen. Sehr schlau.
Die untere Halterung ist leider etwas rudimentär: ein elastischer »Expander«-Gummi mit einem Metallhaken, an drei Positionen in einem Cordura-Band fixierbar. Das funktioniert gut – solange es unten am Gepäckträger oder erreichbar am Rad horizontale Teile gibt, in die man den Haken hängen kann. Die Halterungen bei Ortlieb und Carradice sind drehbar, so kann man auch vertikale Streben nutzen.
Mehr Koffer als Sack
Wirklich besonders – und besonders gut – ist an den Arkels aber was anderes: Man kommt besser an seinen Kram ran. Ein, wie ich finde, entscheidender Vorteil auf Radreisen. Da sind zum einen die Außentaschen, die immer leicht zugänglich sind. Aber die große Haupttasche öffnet sich nicht nur von oben wie ein Sack, sondern auch seitlich – wie ein Koffer! Das geht mit einem sehr soliden Reißverschluss. Eigentlich sind es zwei Reißverschlüsse, denn innen gibt es ein Inlett, das vor Nässe schützt, die durch das sehr solide Cordura-Material der Außenhülle kommen könnte.
Es ist also möglich, Dinge aus den Taschen zu holen, die irgendwo »ganz unten« vergraben sind, ohne alles auszupacken oder zumindest durchzuwühlen.
Ein Nebeneffekt dieser Konstruktion ist, dass man den Platz besser nutzen kann. Ein Paar »normale« Ortliebs hat 40 l Volumen, diese Arkels haben 45. Wenig Unterschied, aber man kann sie besser packen – und das merkt man.
Arkel hat ebenfalls das Modell GT 54, das dieses Packprinzip noch wesentlich ausgiebiger nutzt (die Taschen sind auch größer). Wer sein Zeug gut geordnet und zugänglich verpacken will, findet hier eine Lösung.
Das streng subjektive Testurteil
Und hier die garantiert subjektive Zusammenfassung meines jahrelangen Drei-System-Radltaschen-Tests! In alphabetischer Reihenfolge: (… einfach kurz hinter die Paywall und dann weiterlesen ;-) !)
Arkel XM-45/Classic-Touring-Panniers-Serie: Reisemeister!
Wer seine Sachen gut erreichbar und geordnet in soliden Taschen transportieren will, ist in Kanada richtig. Zu kompliziert zum Einkaufen und im Alltag, super auf Reisen. Merci!
Carradice Super C: unkaputtbar!
Und falls doch mal was ist, einfach nähen. Gut für Reise und Alltag. Wasserfest, nicht wasserdicht, was ein Vorteil ist. Wachstuch ist kein Plastik und sehr angenehm. Wenn das hier Eiskunstlauf wäre: sehr gute A-, exzellente B-Note. Thanks Sue! Thanks Pam!
Ortlieb Back-Roller Classic: der Standard!
An den Dingern kommt man so leicht nicht vorbei. Was nicht schlimm ist, denn das sind gute Taschen, die tun, was sie sollen. Rollverschluss oder lieber doch Deckel ist schwer zu entscheiden, der Marktführer hat beides im Programm. Aber Carradice-Taschen sind stabiler und nicht aus Plastik. Und bei Arkel kann man besser organisiert packen.
Full disclosure
Ich hab von Arkel nix gekriegt. Ich hab von Carradice nix gekriegt. Ich hab von Ortlieb nix gekriegt. Ich bedauere das …
Zum Autor
Volker Steger, von Beruf Wissenschaftsfotograf und -journalist, lebt mit diversen Fahrrädern in München und den italienischen Alpen. Motto: Es gibt keine zu steilen Berge – nur zu lange Gänge.