Ausgabe 31 · März 2021

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Sicherer Rad fahren und zu Fuß gehen – was ist dafür in europäischen Städten nötig?

von Ulrich Sander

Eine Zusammenfassung des Webinars zum gleichnamigen Thema, veranstaltet durch den Europäischen Verkehrssicherheitsrat (European Transport Safety Council, ETSC), vom 14. Oktober 2020.

Bild 1: Verbesserte Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger in Oslo.
Von: »Visit Norway«!

Der Europäische Verkehrssicherheitsrat (ETSC) ist eine regierungsunabhängige, nicht profitorientierte Organisation, die sich die Reduzierung von tödlichen und schweren Verletzungen im Straßenverkehr zum Ziel gesetzt hat. Jedes Jahr werden im Rahmen des »Safety Performance Index« (PIN)-Programms Veranstaltungen durchgeführt (und auch Berichte verfasst), die sich Aspekten der Verkehrssicherheit in der Europäischen Union (EU) widmen. Das PIN-Programm umfasst 32 Staaten: 27 Mitgliedsstaaten der EU, Israel, Norwegen, Republik Serbien, die Schweiz und das Vereinigte Königreich.

Das hier vorgestellte Event wurde aufgrund der Coronapandemie als Webinar durchgeführt.

Durch sowohl die Coronapandemie als auch die Herausforderungen des Klimawandels hat Europa einen starken Anstieg an Radfahrern und Fußgängern verzeichnen können. In Städten wie Brüssel oder London ist zum Beispiel der Anteil der Radfahrer und Fußgänger um 80 bzw. 100 % innerhalb des letzten Jahres angestiegen. Leider aber gelten beide Gruppen der Verkehrsteilnehmer als die am meisten verletzlichen: Sie machen ein Drittel aller im Straßenverkehr tödlich Verletzten in der EU aus.

Jenny Carson vom Europäischen Verkehrssicherheitsrat hat zum Thema »Wie sicher ist Zufußgehen und Radfahren in der EU?« Inhalte des ETSC-PIN-Berichts Nr. 38 vorgestellt: Jedes Jahr versterben 5.180 Fußgänger und 2.160 Radfahrer in der EU. Dies entspricht 21 bzw. 8 % aller tödlich verletzten Verkehrsteilnehmer. Innerhalb dieser Gruppen ist der Anteil der über 65-Jährigen signifikant hoch: 47 und 44 %. Zudem ist davon auszugehen, dass es eine große Anzahl an nicht registrierten Fällen gibt, da zum Beispiel gestürzte und daraufhin verstorbene Fußgänger nicht zu den Opfern von Verkehrsunfällen gezählt werden.

Zwischen 2010 und 2018 hat sich für fast jede Art von Verkehrsteilnehmern die Anzahl der tödlich Verletzten um ca. 20 % reduziert – außer für Radfahrer! Hier ist gegenüber 2010 keine Veränderung ersichtlich. Zudem ist der Anteil der schwer verletzten Radfahrer zwischen 2010 und 2018 um 28 % angestiegen. Hierzu ist anzumerken, dass es nur begrenzt Informationen zu der Exposition von Radfahrern im Verkehr gibt, d.h., inwieweit sich die Anzahl der Radfahrer und deren Kilometerleistung gegenüber 2010 verändert hat. Von den tödlich Verletzten waren 99 % der Fußgänger und 83 % der Radfahrer in eine Kollision mit einem motorisierten Fahrzeug verwickelt.

Der Europäische Verkehrssicherheitsrat spricht daher folgende Empfehlungen aus:

  • die Einführung von 30-km/h-Tempolimitzonen
  • eine Reduzierung des motorisierten Verkehrs gerade in städtischen Bereichen
  • sichere Querungsmöglichkeiten von Verkehrswegen, da gerade bei Querungen eine hohe Anzahl an Unfällen passiert
  • separierte Radwege und
  • eine verschärfte Kontrolle geltender Verkehrsregeln.

Matthew Baldwin, stellvertretender Direktor für Verkehrssicherheit und nachhaltige Mobilität, hat die Arbeit der Europäischen Kommission über sicheres Zufußgehen und Radfahren in der EU dargestellt: Circa 70 % der Bevölkerung der EU leben in Städten, bis 2035 wird mit bis zu 80 % gerechnet. Ebenso sind 70 % der tödlich verletzten Verkehrsteilnehmer in Städten entweder Fußgänger oder Radfahrer. Und gerade bei nachhaltiger Mobilität sind Radfahrer ein integraler Bestandteil. Die Gesundheit von Städten und deren Bewohner ist von der Reduzierung der Verkehrsbelastung abhängig. Je mehr sich die Anzahl der Radfahrer erhöht, desto sicherer wird der Straßenverkehr durch das Bewusstsein der Anwesenheit von Radfahrern. Radfahren und Zufußgehen können als aktive Mobilität auch aktiv Druck für mehr angepasste Infrastruktur erzeugen. Wichtig ist insbesondere die Separation von Fußgängern und Radfahrern vom motorisierten Verkehr, auch um das Gefühl von Sicherheit zu erzeugen und so weitere Personen zur aktiven Mobilität zu bewegen. Insbesondere sollte in Städten eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h umgesetzt werden.

Die Europäische Kommission hat dabei die folgenden Instrumente zur Hand: zum einen die gesetzlichen Anforderungen an die Sicherheit von Kraftfahrzeugen. War dies bisher maßgeblich auf die Sicherheit von Insassen begrenzt, so werden ab 2022 auch Anforderungen für den Schutz von Verkehrsteilnehmern außerhalb von Fahrzeugen gestellt. Regeln zur Sicherheit von Straßeninfrastruktur gelten bisher nicht für urbane Straßen. Dies soll aber im nächsten Jahr durch das »Urban Road Safety Package« geändert werden, welches die Vision Zero, die Nullvision, für Städte vorsieht. Entsprechend werden Richtlinien erarbeitet, wie nachhaltige Mobilität sicherer gestaltet werden kann. Zudem soll auch das Vertrauen in die öffentlichen Verkehrsmittel wieder hergestellt werden.

Im weiteren Verlauf des Webinars wurden die Arbeiten von zwei Städten vorgestellt, die die Sicherheit von Radfahrern und Fußgängern in den letzten Jahren maßgeblich verbessert haben: Oslo und Brüssel.

Für Oslo hat Ida Kongsrud, Leiterin der Abteilung Verkehrssicherheit in Oslo, das Konzept erklärt: Oslo hat 2019 erstmals keine tödlich verletzten Verkehrsteilnehmer registriert, somit also die Vision Zero erfüllt. Möglich wurde dies durch Maßnahmen, die über mehrere Jahre implementiert wurden. Dabei war die größte Herausforderung, wie der zur Verfügung stehende Platz für die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer am besten genutzt werden kann. Der größte Anteil an tödlichen Unfällen in Oslo hat zwischen Pkws und Radfahrern bzw. Fußgängern an Kreuzungen stattgefunden. Entsprechend wurden folgende Schritte in Oslo unternommen:

  • Geschwindigkeitsreduktion an 190 Stellen im Straßenverkehrsnetz
  • Verbesserung der Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger durch Reduzierung der Fahrbahnfläche für motorisierten Verkehr und entsprechende Erweiterung des zur Verfügung stehenden Raumes für ungeschützte Verkehrsteilnehmer
  • »Safe way to school«-Programm, also Sicherstellung, dass Kinder einen sicheren Schulweg haben
  • Separation der Radfahrer von anderen Verkehrsteilnehmern
  • deutliche Markierung von Radwegen und
  • deutlich erhöhte Parkgebühren sowie eine geringere Anzahl an Parkplätzen, um den motorisierten Verkehr in der Stadt zu reduzieren.
Bild 2: Radwege statt Fahrspuren in Brüssel.
Von: Bruxelles Mobilité

In Brüssel wurden laut Stefan Vendenhende, Ratgeber für die Ministerin für Verkehrssicherheit und Mobilität, ähnliche Maßnahmen eingeführt: Mit dem Projekt »Good Move« wurde Brüssel in Nachbarschaftsgebiete eingeteilt. Abhängig von der Lage der Gebiete wurde ein Zirkulationsplan erstellt, d.h., in mehr zum Zentrum gelegenen Nachbarschaften wird vermehrt auf aktive Mobilität gesetzt, um Transitverkehr zu vermeiden. Zudem gilt seit 1. Januar 2021 ein Tempolimit von 30 km/h in allen Straßen außer den Hauptverkehrsadern. Des Weiteren wurde auf bestimmten Straßen die zulässige Geschwindigkeit auf 20 km/h weiter reduziert (»slow streets«).

Während der Coronapandemie ist in Brüssel der Pkw-Verkehr um 65 bis 90 % gesunken. Gleichzeitig konnte eine substanzielle Verbesserung der Luftqualität und eine enorme Reduktion an Unfällen festgestellt werden. Fahrradunfälle sanken 2020 gegenüber dem Vorjahr um 65 %. Im Rahmen des Ergänzungsprojekts »Good Network« wurden Ampeln so umgestellt, dass Radfahrer und Fußgänger deutlich längere Grünphasen haben. Insgesamt wurden auf 40 km Länge Fahrspuren dem Pkw-Verkehr entnommen und als Radwege umgestaltet. Für motorisierten Verkehr wurden verschärfte Geschwindigkeitskontrollen eingeführt und an den Stadtgrenzen Park & Bike-Stationen eingerichtet.

Das Webinar ist online verfügbar. Es wurde in englischer Sprache durchgeführt und dauerte insgesamt 1:51 h.

Der ETSC-PIN-Bericht 38 ist ebenfalls online verfügbar.

Zum Autor

Ulrich Sander (Jg. 1971), promovierter Ingenieur, Verkehrssicherheitsforscher, Biomechaniker, Data Scientist. Zurzeit wohnhaft in Göteborg, Schweden. Nutzt (fast) ausschließlich Fahrrad und Füße zur Mobilität. Hat besonderes Interesse an Falträdern, speziell Brompton-Auf- und Umbauten, und ist zudem enthusiastischer Footbiker. Bevorzugtes Fahrradreiseziel: Norwegen.