Ausgabe 29 · Oktober 2019
Diesen Artikel als PDF
Radentscheid Bamberg – aus Sicht eines Betroffenen
Als der Radentscheid Bamberg vor rund dreieinhalb Jahren seine Arbeit aufnahm, hatten alle Protagonisten auf einen deutlichen Schub in der öffentlichen Debatte gehofft. Tatsächlich gelang den Aktiven, unerwartet groß und häufig in den Medien erwähnt zu werden. Die Ehrlichkeit gebietet den Blick auf die Rahmenbedingungen: Die etablierten ökologisch ausgerichteten Verbände hielten sich in der Vergangenheit mit verkehrspolitischer Öffentlichkeitsarbeit mehr als zurück. Einige hatten nicht die Kapazitäten, andere waren gar nicht zum Thema aktiv. Es gab aber auch den Fall, dass der Wert der Medienpräsenz nicht erkannt, entsprechendes Handeln trotz Anregungen aus der Mitgliedschaft strikt verweigert wurde.
Der Radentscheid hatte, so der offensichtliche Eindruck, Kapazitäten und Mittel in der Hinterhand, die Außenstehenden nicht bekannt waren.
Ausgangssituation
Die kreisfreie Stadt Bamberg, knapp 80.000 Einwohner, weist eine maximale Ausdehnung von weniger als 12 km auf. Die Bergstadt, links der Regnitz gelegen, ist topographisch anspruchsvoll, während Insel- (zwischen den Flussarmen) sowie Gartenstadt (rechte Flussseite) weitgehend flach sind.
Soweit die Nachbargemeinden im Landkreis Bamberg über das Straßennetz
angebunden sind, ist die Situation für Radfahrer schwierig. Die
überwiegend benutzungspflichtigen Radwege sind meist zu schmal (teils als
gemeinsame Geh- und Zweirichtungsradwege unter 1 m), vielfach in
schlechtem Zustand, an Knotenpunkten gefährlich geführt und lassen oft
ausreichende seitliche Sicherheitsräume vermissen. Auf den wenigen
straßenunabhängigen Verbindungswegen ist auf den Winterdienst kein
Verlass. Bei Baumaßnahmen werden sie meist ohne Umleitungsbeschilderung,
manchmal sogar unnötig, gesperrt.
Der Bamberger modal split hat sich, städtischen Angaben zu Folge, zwischen 1997 und 2015 wie folgt verändert:
- Kraftfahrzeuge: von 43 % auf 40 % (entspricht einem Rückgang von 7 % bezogen auf den Ausgangswert)
- öPNV: von 13 % auf 10 % (Rückgang von 23 %)
- Gehen: von 24 % auf 20 % (Rückgang von 17 %)
- Fahrrad: von 20 % auf 30 % (Zunahme um 50 %)
Die Zunahme des Radverkehrsanteils stammt also zu mehr als zwei Dritteln aus dem Schwund bei den (potentiellen) Partnern im Umweltverbund. Angesichts der steigenden Bevölkerungszahl ist kaum anzunehmen, dass der Rückgang des Kfz Anteils mit einer Verringerung des Autoverkehrs einhergeht. Die Kapazität des städtischen Straßennetzes gibt nicht mehr her, sodass das steigende Verkehrsaufkommen anders abgewickelt werden muss.
Die Stadtwerke Bamberg verringern alljährlich das Busangebot und haben dies sogar schon mit dem Klimaschutz (weniger Bus-Kilometer = weniger Treibstoffverbrauch) begründet. Dazu steigen die – vom Verkehrsverbund vorgegebenen – Fahrpreise ebenso regelmäßig. Die Fahrradmitnahme, ebenfalls eine Vorgabe des Verbunds, akzeptieren sie nur zähneknirschend, was das Fahrpersonal gelegentlich deutlich zum Ausdruck bringt. Es kam schon – in Tagesrandlage – zur Mitnahmeverweigerung, obgleich nur rund zehn Fahrgäste mitfuhren und weder ein weiteres Fahrrad noch Rollstuhl oder Kinderwagen zu transportieren waren. Er entscheide, wann genügend Platz sei, ließ der Fahrer verlauten.
Fahrradstellplätze an Haltestellen haben Seltenheitswert. Weder Stadtwerke noch Stadtverwaltung oder kommunalpolitische Mehrheit wollen einen Bedarf sehen.
Im bundesweiten Fahrradklimatest, den der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) durchführt, schneidet Bamberg mit geringen Schwankungen knapp besser als ausreichend ab (um 3,8 [Anm: zuletzt in 2018: 3,88]). Die Note ist geschönt, weil die besseren Teilbewertungen auf Zuständen beruhen, welche die Stadt nicht beeinflussen kann – beispielsweise die überwiegend kurzen Wege. Nahezu keine Anlage für den fließenden Radverkehr entspricht auch nur annähernd den bautechnischen Regelwerken, von fragwürdigen bis unzulässigen Benutzungspflichten ganz abgesehen. Die Menschen radeln nicht wegen, sondern trotz der kommunalen Verkehrspolitik – bzw., weil die Alternativen noch unattraktiver sind. Zudem darf der Einfluß der Universität mit mehr als 13.000 Studierenden nicht unterschätzt werden.
Unzulässiges Parken auf Gehsteigen und Radverkehrsanlagen wird großzügig geduldet. Die Polizei kümmert sich ohnehin nicht darum, der städtische Parküberwachungsdienst ignoriert es gleichfalls. Überdies erfolgt auch die Anordnung des Gehwegparkens ohne Berücksichtigung der einschlägigen Vorgaben – von der Kommunalaufsicht (Bezirksregierung, Innenministerium) akzeptiert.
Umstrittene Thesen
Viele Thesen, die der Radentscheid Bamberg im Winter 2016/17 publizierte, klangen eingängig. Zu anderen aber kam deutliche Kritik auf, der sich – bei grundsätzlicher Unterstützung des Anliegens – auch der Bamberger VCD anschloss. Nach Intervention seiner örtlichen Mitglieder zog der FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland seine Unterstützung des Radentscheids zurück:
- Die über mehrere Jahrzehnte kritisierte Zwangstrennung des Radverkehrs mittels eigener Sonderwege wird wieder favorisiert. An allen Hauptstraßen sollen beidseitig »protected bike-lanes«, baulich gesicherte Radfahrstreifen, angelegt werden.
- Die Radverkehrsführung an Kreuzungen und Einmündungen soll vor der Fahrbahnquerung erst ein Stück in die Querstraße verschwenkt werden. Auch dies war lange von den Radverkehrsverbünden bekämpft worden.
- 4 m breite Radschnellwege sollen in alle Nachbargemeinden Bambergs führen. Eine Prüfung von Bedarf und Alternativen ist nicht vorgesehen.
- Nicht im Text, aber im Bild (formal nicht Bestandteil des angestrebten Bürgerentscheids, aber wichtiges Element der Öffentlichkeitsarbeit) waren im Internetauftritt verschiedene »Lösungen« dargestellt, die weder sicheren Radverkehr gewährleisten noch ausreichend Rücksicht auf Belange des Fußverkehrs nehmen.
Der Radentscheid verweigert(e) konsequent die Diskussion der umstrittenen
Punkte. Hinsichtlich der höheren Unfallgefahr bei separater
Radverkehrsführung, die 1997 zur Aufhebung der generellen
Radwegbenutzungspflicht geführt hatte, verwies er lediglich darauf, dass
Radfahrer die Trennung bevorzugen würden, da sie sich dann sicherer
fühlten.
Auch auf die Frage, wo in Bamberg denn überhaupt genug Platz verfügbar
wäre, gab er, abgesehen von der Nennung weniger einzelner Straßen, keine
Antwort. Immerhin wären je Fahrbahnseite bis zu 3,5 m erforderlich,
Minimum rund 2,8 m (2 m Fahrweg zzgl. seitlicher Sicherheitsräume). Ein
zusammenhängendes Netz ist angesichts der örtlichen Gegebenheiten
undenkbar.
Die Verschwenkung des geradeaus strebenden Radverkehrs in die einmündende Querstraße führt zur Irritation der Kraftfahrer, die irrtümlich ein Abbiegen vermuten, und stellt wegen des mehrfachen Wechsels der Fahrtrichtung hohe Anforderungen an die Radfahrer. Der Radentscheid Bamberg aber verweist u. a. auf das Fahrradland Niederlande. Doch dort ist es mitnichten sicherer zu radeln, nachzulesen beispielsweise beim ADFC Bottrop/Kirchhellen und in der mobilogisch!, der Zeitschrift des bundesweiten Arbeitskreises Verkehr + Umwelt [Anm: unter anderem in Ausgabe 1/19].
Wege in der freien Landschaft bedeuten immer schwerwiegende Eingriffe. Andererseits kann Radverkehr, substituiert er Kraftfahrzeuge, Umwelt und Natur schonen. Der Bau neuer Radschnellwege im Umfeld Bambergs erfordert daher sorgfältige Abwägung hinsichtlich Notwendigkeit, Ausbaustandards und möglicher Alternativen. Der Radentscheid Bamberg lehnt auch hierzu jegliche Diskussion ab.
Die Reaktionen der Radentscheid-Aktiven reichten von der vorstehend
beschriebenen Verweigerung über Abwiegelung (»das muss ja nicht so
umgesetzt werden«, »wir vertrauen der Stadtverwaltung, adäquate Lösungen
auszuarbeiten« – doch gerade die sicherheitskritischen Thesen wurden in
den Medien umso heftiger vertreten) bis hin zum Versuch, Kritiker zu
diskreditieren.
Unlautere Argumentation
Der Radentscheid gibt einen Newsletter heraus. An Hand zweier Ausgaben lässt sich aufzeigen, dass auf in der Sache einwandfreie Argumentation nicht wirklich Wert gelegt wird.
Newsletter 6 aus dem März 2017 stellt auf Seite 1 in reißerisch aufgemachter Grafik die Entwicklung der Zahl der (polizeilich erfassten) Radunfälle in der Stadt über vier Jahre (2012–2016: +42 %) dem Radverkehrsanteil von 2015 (30 %) gegenüber, obwohl diese Werte gar nicht vergleichbar sind. Dem Leser soll vermittelt werden, dass steigender Radverkehrsanteil, der indes gar nicht dargestellt ist, eine noch höhere Unfallzahl bewirkt – somit die seitens des Radentscheids geforderten Maßnahmen unabdingbar wären. Weder wird das Verkehrsaufkommen betrachtet noch fließen die vielen kontraproduktiven Maßnahmen der Stadt Bamberg oder Ergebnisse von Unfallanalysen ein.
Im Newsletter 10 (Mai 2017) wird der Stadt Bamberg vorgeworfen, durch
einen Kreuzungsumbau einen Unfallschwerpunkt geschaffen zu haben.
Tatsächlich aber wurde – die Fragwürdigkeit der Gesamtmaßnahme im
betreffenden Straßenzug ist unbestritten; der Bamberger ADFC aber hatte
nach Bekanntwerden der Pläne versäumt, den Kritikpunkten Gehör zu
verschaffen – die hier beschriebene Fahrbeziehung überhaupt nicht
verändert.
Obgleich der Radweg hier, abgesehen vom angeordneten Zweirichtungsverkehr
und dem viel zu schmalen Gehwegrest (über weite Strecken unter 1 m breit),
»idealtypisch« verläuft (parallel zur Fahrbahn ohne Sichthindernisse),
bildet er schon seit vielen Jahren einen Unfallschwerpunkt. Genau das ist
der Kern der Kritik an separater Führung neben der Fahrbahn: Die Radler
bewegen sich außerhalb des bewussten Wahrnehmungsbereichs der Kraftfahrer.
Der im selben Newsletter noch einmal präsentierte Alternativvorschlag des Radentscheids verschärfte die Situation nur weiter. Denn der dann erforderliche Richtungswechsel erweckte leicht den Eindruck, der Radfahrer wollte selbst abbiegen. Nur eine Kreuzung vorher liegt diese Situation vor, ebenfalls mit Unfallhäufung.
Wirkungsloser Ratsbeschluss
Ungeachtet aller Kritik wurde die Zahl der für die Durchführung des
angestrebten Bürgerentscheids erforderlichen Unterschriften weit
übertroffen. Schließlich dürften sich die wenigsten Unterzeichner vertieft
mit der Materie befasst haben. Dass die Bamberger Verkehrspolitik sich
trotz hohen Fahrradanteils am modal split ändern muss, ist überdies
unstrittig. In Erwartung des abzusehenden Abstimmungserfolgs entschloss
sich der Stadtrat im Januar 2018, die aus Sicht der Stadtverwaltung
juristisch einwandfreien Thesen zu übernehmen. Drei fielen dabei heraus.
Den geäußerten Kommentaren war jedoch überdeutlich zu entnehmen
gewesen:
Inhaltlich gab es keine Mehrheit. Offenbar überwog die Hoffnung, die
Angelegenheit werde sich von selbst totlaufen, wenn die Umsetzung nur
ausreichend verzögert werde – nicht zuletzt über den finanziellen Hebel.
Die Stadt Bamberg fuhr währenddessen ungehindert fort, verschiedene Maßnahmen im Radverkehr umzusetzen, die jeglichem bautechnischen Regelwerk Hohn sprechen: Radfahr- und sogenannte »Schutzstreifen«, überwiegend untermaßig dimensioniert (selbst an überbreiten Fahrbahnen) und teils ohne seitliche Sicherheitsräume, ansonsten mit unzureichenden. Was nützt also mehr Geld im Haushalt, wenn es falsch ausgegeben wird?
Ein (!) Parkplatz wurde im letzten Sommer zu mehreren Fahrradstellplätzen umgewidmet (in der Stadt herrscht großer Mangel an Radabstellmöglichkeiten, während in den Parkhäusern nahezu immer etwas für Pkw frei ist). Zwei benachbarte Tempo-30-Sackgassen (für Rad- und Fußverkehr durchgängig) in Wohngebieten wurden in Fahrradstraßen umgewandelt – was an der praktischen Situation NICHTS ändert. Die Aktionen boten dem wenig fahrradfreundlich gesonnenen Oberbürgermeister, dem Vernehmen nach mit dem Dienstwagen heranchauffiert, schöne Schlagzeilen in den Medien – und das war’s.
Vor Kurzem wurden noch weitere Fahrradstraßen in einem bahnhofsnahen Quartier ausgewiesen. Auch hier bedeutet diese Maßnahme keine faktische Veränderung der Verkehrssituation. Teilweise bestehende, jeweils auf eine Fahrtrichtung beschränkte Durchfahrverbote für Kraftfahrzeuge werden regelmäßig ignoriert, nicht zuletzt von Taxifahrern.
Ende der Zusammenarbeit
Anfang November des vergangenen Jahres kam ohne Vorwarnung der Knall – in der Sache wenig überraschend, in der Form aber unerwartet. Der Radentscheid verkündet öffentlich: Die Kooperation mit der Stadt Bamberg werde beendet, es gehe nichts voran. Selbst Insider zeigten sich überrumpelt.
Erinnerte schon der Umgang der Radentscheider mit Kritikern aus dem Kreis der Verkehrsaktiven sehr an Parteien im Wahlkampfmodus, wurde aus der Politik heraus der unverhohlene Vorwurf laut: Hier werde eigentlich »nur« der Kommunalwahlkampf vorbereitet. Dass zwischendurch der führende Kopf des Radentscheids in der lokalen Presse als möglicher künftiger Oberbürgermeisterkandidat seiner Partei, deren Kreisvorstand er angehört, genannt worden war, wird diese Vermutung schwerlich entkräften können.
Was bedeutet die Entwicklung für Bamberg?
Über mehr als zwei Jahre war die ökologische Verkehrsarbeit durch den Radentscheid gebunden, wurde die Arbeit an konkreten Problemen ebenso eingeschränkt wie die argumentative Debatte. Sie wurde durch Schlagzeilen und -worte verdrängt. Der Ratsbeschluss zur Übernahme der Radentscheidforderungen wird, das belegen bereits etliche Äußerungen verschiedener Mitglieder des Gremiums, nur selten reale, das Verkehrsmittel Fahrrad tatsächlich fördernde Maßnahmen zur Folge haben. Die öffentliche Auseinandersetzung um die Unfallträchtigkeit der städtischen Maßnahmen war ausgeblendet und wird nur schwer wieder aufzunehmen sein.
Letztlich hat der Radentscheid bis auf einige Schlagzeilen nichts bewirkt, vielmehr die vorhandenen – leider viel zu geringen – Aktivitäten zurückgeworfen. Geblieben ist, wenn nicht gar der Wahlkampfvorwurf zutreffen sollte, eine Phase der Selbstverwirklichung der Initiatoren.
Zum Autor
Wolfgang Bönig lebt in Bamberg und engagiert sich dort in unterschiedlicher Weise in der verkehrspolitischen Debatte in Stadt und Landkreis.