Ausgabe 14 · April 2012

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Helmpflicht? Nein Danke!

von Ervin Peters

Von: fun.sdinet.de

Eine Helmpflicht ist, insbesondere als Sonderbehandlung für Radfahrer, nicht notwendig, da das Kopfverletzungsrisiko von Radfahrern sich nicht von dem von Fußgängern und Autofahrern unterscheidet. Radfahrer unterliegen auch insgesamt keinem höheren Risiko als z. B. Autofahrer. Für diese, also Autofahrer und Fußgänger, wird aber keine Helmpflicht gefordert, bzw. Forderungen danach werden belächelt [1] oder als »abstrus« abgetan.

Die Regelung wäre dann sinnvoll, wenn Helme signifikant die Verletzungssituation von an Unfällen beteiligten Radfahrern vermindern würde. An dieser Stelle gehen Meinungen und wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse allerdings drastisch auseinander.

Bezüglich der Unfallhäufigkeit gibt es Hinweise darauf, dass sie durch Risikokompensationsverhalten steigen kann, bezüglich der Unfallschwere ist der Mittelwert der Aussagen, dass sie durch das Tragen von geeigneten Helmen in der Gesamtpopulation leicht gesenkt werden kann.

Möllmann hat in seiner Dissertation über GIDAS-Daten z. B. nicht den erwarteten Zusammenhang zwischen Verletzungsschwere und Helmtragen gefunden, während Thompson, Rivara, Thompson zu der Aussage kommen, dass fast jeder Radfahrer unverletzt bliebe, wenn er einen Helm trüge [2]. Das findet sich dann auch in den aktuell häufig zitierten Cochrane-Studien [3][4] wieder, deren Autoren auch Thompson, Rivara, Thompson sind. Rogers stellte eine Steigerung der Todesrate bei Radfahrern mit steigender Helmtragequote fest und das britische Department of Transport kommt wie auch andere aktuellere Auswertungen zu dem Schluss, dass es eine leichte Verschiebung der Unfallschwere hin zu geringeren Schweregraden gibt.

Vielfalt der Untersuchungsergebnisse

Die Vielfalt der Untersuchungsergebnisse und auch die vielen sich deutlich unterscheidenden Risiken, die in den Studien für Radfahrer festgestellt werden, weisen darauf hin, dass es andere Randbedingungen gibt, die für Sicherheit von Radfahrern sehr viel wichtiger sind.

Sie ist ebenfalls ein Hinweis darauf, dass die geringere Unfallschwere im Bereich des Schutzbereiches des Helmes durch eine höhere Unfallschwere an anderen Bereichen des Körpers oder einer höheren Unfallwahrscheinlichkeit kompensiert wird.

Risiko-Homöostase

Ein Mechanismus ist unter dem Begriff Risiko-Homöostase bekannt, was sich konkret darin äußern kann, dass Helmträger sich, geschützt fühlend, risikoreicher bewegen. Dazu gehört aber auch die Steigerung der zugemuteten Gefährdung gegenüber Anderen, die als geschützt oder kompetent wahrgenommen werden [5] [6].

Mit der Steigerung der Helmtragequote oder einer Helmpflicht besteht damit eine Wahrscheinlichkeit, dass die Interaktion im öffentlichen Raum rabiater und gefährdungsreicher wird.

Helmpflicht als Radfahrverhinderungsmaßnahme

Je mehr Radfahrer es gibt, je mehr Radfahrer gesehen werden, desto mehr wird mit ihnen gerechnet und desto mehr werden sie im öffentlichen Raum akzeptiert. In Folge wird mit ihnen angemessen, d. h. gefährdungsärmer, interagiert. Länder mit hohem Radverkehrsanteil haben ein niedriges Risiko, traditionell auf das Auto setzende Länder mit geringem Radverkehrsanteil ein höheres Risiko.

Von: roble.net

Weil jetzt aber einige Menschen sagen: »Wenn das Radfahren so gefährlich ist, dass ich einen Helm tragen muss, dann lass ich es ganz«, ist zu erwarten, dass der Radverkehrsanteil sinkt oder nicht in dem Maße steigt, wie es für eine menschenwürdige und umweltfreundliche Mobilität der Zukunft sinnvoll ist. Damit gehen auch die ganzen, mit der Zunahme des Radfahrens einhergehenden positiven Effekte, insbesondere die der Verringerung der Gesundheitskosten, der Umweltverschmutzung und der Gewinn an Lebenszeit, verloren. Es steigt das Risiko, im öffentlichen Raum durch die Zunahme des motorisierten Verkehrs mit frustrierten (Stau) und unausgeglichenen (mangelnde Bewegung) Fahrern in schweren, schnellen, damit auch gefährlicheren Fahrzeugen.

Rückgang des Radverkehrs

Zu erwarten ist auch ein Rückgang des Radverkehrs aufgrund der Tatsache, dass die Leichtigkeit der Inbetriebnahme des Rades erschwert wird, Stichworte: Frisurkompatibilität, Ablagemöglich des Helmes etc. Radfahren wäre aufwändiger. Genau wie ein Auto leicht zu nutzen ist, weil es vor der Tür steht, ist das Rad dann nicht leicht zu nutzen, weil man sich ja erst ausrüsten muss.

Das wird als einer der Hauptgründe angesehen, weswegen Mofas aus dem Verkehr weitgehend verschwunden sind und motorisierte Zweiräder ebenfalls nur eine marginale Rolle im Alltagsverkehr spielen.

Am Rande sei bemerkt, dass die technische Umsetzung des Konzepts Helm aufgrund der Notwendigkeit, sie unter hoher körperlichen Belastung tragen zu können, dürftig ist. Weit weg von den Standards und mechanischen Eigenschaften, wie sie z. B. Integralhelme, die von Downhillern und Kraftradfahrern verwendet werden, bieten.

In New South Wales, Australien, ging, nach der Einführung der Helmpflicht, der Anteil radfahrender Schüler auf unter die Hälfte zurück.

Der erwartete Rückgang des Radverkehrs ist der Hauptgrund, weswegen sich viele (Verkehrs-)Interessenverbände für das Tragen eines Radfahrerhelms aussprechen, aber gegen eine Helmpflicht.

Ablenkung von wirkungsvollen Maßnahmen

Sekundäre Unfallprävention (Unfallfolgenminderung), besonders wenn sie sich nur auf eine partielle Unfallschwereverhinderung konzentriert, lenkt von notwendigen primären Unfallpräventionsmaßnahmen (Unfallvermeidung) ab.

Bekannt ist seit mindestens 40 Jahren, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen als Unfallvermeidungsmaßnahme, z. B. Tempo 30/70/100, geeignet sind, die Unfallschwere, insbesondere externer Unfallbeteiligter wie Radfahrer und Fußgänger, aber auch die Unfallhäufigkeit, drastisch zu senken.

Die Menschen, die die Initiativen zur Helmpflicht vorantreiben, setzen auf eine Pflicht zur geringen Verminderung der Folgen der Fremdgefährdung. Dies anstatt wirkungsvolle Maßnahmen zur Reduktion der ursächlichen Fremdgefährdung mit ähnlicher Vehemenz voranzutreiben. In manchen Fällen gibt es Äußerungen, die erkennen lassen, dass sie wirksame Maßnahmen zur Verkehrssicherheit, insbesondere Einschränkungen des gefährdenden Kfz-Verkehrs, nicht wollen. Das erscheint mir bedenklich.

Fremdgefährdung und Eigengefährdung

Auch wird gern eine Verpflichtung zum Selbstschutz konstruiert, um eine Handlungsnotwendigkeit für den Gesetzgeber nahezulegen.

Laut Grundgesetz gibt es ein Recht auf Unversehrtheit, keine Pflicht. Man darf aufgrund der individuellen Handlungsfreiheit das Risiko, welches man sich selbst zumutet, in sehr viel weiterem Maße bestimmen, als das Risiko, das man anderen durch sein Verhalten zumutet. Das Risiko, das man anderen zumuten darf, ist beschränkt aus dem Recht auf Unversehrtheit der Anderen.

Fazit

Damit ist eine Helmpflicht oder ein ausufernder sozialer Druck zum Helmtragen ein weitgehend wirkungsloses Mittel zur Unfallfolgenvermeidung, deren zu erwartende unmittelbaren, mittelbaren und langfristigen Folgen die möglichen positiven Effekte einer wahrscheinlich leichten Unfallschwereverminderung oder Unfallschwereverlagerung kompensieren.

Es liegt daher nahe anzunehmen, dass die sekundäre Unfallpräventention zur Vermeidung wirkungsvoller primärer Unfallpräventionsmaßnahmen, wie z. B. Geschwindigkeitsbeschränkungen, Helmpflicht für Autofahrer, Wiederholungen der Fahrerlaubnisuntersuchungen und -tests, betrieben wird, die vom Potenzial und der Wirkung sehr viel eher geeignet sind, Leben und Unversehrtheit von weit mehr Menschen zu schützen.

Zum Autor

Ervin Peters, geb. 1965, geschieden, Sohn, ist freischaffender Daten- und Informationsklempner, das heißt, macht alles was mit IT zu tun hat, bevorzugt Linux und andere OpenSource Software. Im Werdegang angerechnet werden: Abitur, Zivildienst, abgebrochenes Physik Studium (25 %), Verkaufsleiter, abgebrochenes Bauingenieurstudium (75 %), autodidaktiktische IT Bildung, Aktivitäten in Radverkehrspolitk (ADFC, HPV – seit 1988). Seit 1991 Jahren Liegeradfahrer, seit 2006 Jahren vermehrt dickschädeliger, in der Mitte der Fahrsspur fahrender Alltagsradfahrer ohne Helm, mit gelegentlich mehr als 10.000 km/Jahr. Regelmäßig anzutreffen in de.rec.fahrrad und auch auf den interresanten Maillinglisten des HPV und von Ulli Horlacher rad-licht@tandem-fahren.de

Anmerkungen

  1. Ein »Hinterbänkler« habe dies im Thüringer Landtag vorgeschlagen und wurde ausgelacht (Quelle: Kommentar in der TLZ).
  2. Das erste Mal in der Seattle Studie 1989, und dann wiederkehrend.
  3. »Helmets for preventing head and facial injuries in bicyclists (Review)«, Thompson DC, Rivara F, Thompson R , The Cochrane Library 2009, Issue 1, Published by John Wiley & Sons, Ltd.
  4. »Bicycle helmet legislation for the uptake of helmet use and prevention of head injuries (Review)«, Macpherson A, Spinks A , The Cochrane Library 2010, Issue 6, Published by John Wiley & Sons, Ltd.
  5. Eine Äußerung einer Hirnchirugin mir gegenüber: »Ich überhole dich immer mit besonders großem Abstand, weil du keinen Helm trägst«
  6. Mit der Verfügbarkeit von Lawinenrucksäcken bei den Skiverleihern stieg deutlich die Zahl der Skifahrer, die sich in lawinengefährdete Bereiche abseits der Pisten begaben um dort Ski zu laufen.