Ausgabe 14 · April 2012
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Helmpflicht für mehr Sicherheit?
Während in den letzten zehn Jahren die Anzahl der Unfälle mit Verletzten deutschlandweit rückläufig ist, hat die Anzahl der Radunfälle mit Personenschaden in diesem Zeitraum zugenommen. Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit des Radverkehrs sind daher unumgänglich, um zu vermeiden, dass die politisch auch gewünschte Entwicklung zunehmenden Radverkehrs von einer steigenden Anzahl Verletzter und Getöteter begleitet wird. Dazu gehören insbesondere sichere Wege und Straßen für Radfahrer und eine Veränderung im Verhalten aller Verkehrsteilnehmer. Aber auch das Tragen eines Fahrradhelms kann die Verletzungsfolgen reduzieren.
Im Jahr 2010 verunglückten in Deutschland mehr als 65.000 Radfahrer im Straßenverkehr. 381 Radfahrer wurden dabei getötet und über 12.000 schwer verletzt. Vor allem Senioren sind auf dem Rad besonders gefährdet. Mehr als die Hälfte der getöteten Radfahrer waren 65 Jahre und älter.
Wie viele Unfälle mit verletzten Radfahrernn Deutschland tatsächlich geschehen, ist aber unbekannt. In den Statistiken finden sich nur die polizeilich registrierten Unfälle. Eine gemeinsame Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV), des Universitätsklinikums Münster und der Polizei Münster hat jedoch gezeigt, dass nur etwa jeder dritte Unfall, bei dem ein Radfahrer so verletzt wurde, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste, polizeilich registriert wurde. Und die tatsächliche Dunkelziffer liegt noch wesentlich höher, da wohl nur die wenigsten Radfahrer, die sich bei einem Sturz leichte Prellungen oder Schürfwunden zuziehen, ein Krankenhaus aufsuchen.
Der demographische Wandel, der steigende Radverkehrsanteil und die zunehmende Anzahl elektrisch unterstützter Fahrräder werden zukünftig zu mehr Radverkehr, einer höheren Kilometerleistung, mehr Senioren im Radverkehr und zu höheren Geschwindigkeiten im Radverkehr führen. Eigentlich eine gute und politisch gewollte Entwicklung. Als Folge ist aber eine Zunahme verunglückter Radfahrer zu erwarten, wenn nicht geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit des Radverkehrs getroffen werden.
Häufig spielen mangelhafte Radwege eine wesentliche Rolle beim Unfallhergang. Besonders ausgeprägt ist der hohe Anteil schwerer Radverkehrsunfälle an Ampelkreuzungen und Einmündungen sowie auf zu schmalen Radwegen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich immer mehr Autos und immer mehr Radfahrer eine veraltete und knapp dimensionierte Infrastruktur teilen müssen, die den Sicherheitsanforderungen bei der heutigen Belastung oftmals nicht mehr gerecht werden kann. Aber auch Fehlverhalten aller Verkehrsteilnehmer führt immer wieder zu schweren Unfällen. Besonders problematisch sind Autofahrer, die ohne auf Radfahrer zu achten abbiegen, aber auch Radfahrer, die ohne sich des Risikos bewusst zu sein auf Geh- oder Radwegen in die falsche Richtung fahren.
Schutzwirkung des Fahrradhelms
So gesund Radfahren auch ist, so hoch ist die Wahrscheinlichkeit, sich bei einem Sturz oder Unfall zu verletzen – und sie steigt mit zunehmendem Alter an. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass immer wieder eine Helmpflicht für Radfahrer gefordert wird, um die Folgen eines Sturzes zu reduzieren. Unbestritten ist, dass ein Fahrradhelm, vorausgesetzt er ist richtig aufgesetzt, passt und entspricht den gültigen Normen (DIN 33954 bzw. DIN EN 1078, SNEL- und/oder ANSI, EC oder GS), bei bestimmten Stürzen bestimmte Verletzungen vermeiden oder deren Schwere mindern kann. Die Studie der UDV hat gezeigt, dass jeder vierte im Krankenhaus behandelte Radfahrer am Kopf verletzt war. Auch wenn ein Fahrradhelm nur relativ geringe Kräfte abfangen kann, schützt er doch in vielen Fällen vor schwereren Verletzungen. Derzeit wird durch die UDV eine Studie durchgeführt, die klären soll, ob die heutigen Fahrradhelme ausreichend sind, die bei Unfällen auftretende Kräfte abzufangen und welche Verbesserungen erforderlich sind, um den Schutz weiter zu verbessern.
Offene juristische und haftungsrechtliche Fragen
Derzeit bestehen offene juristische und haftungsrechtliche Fragen, die vor Einführung einer Helmpflicht zu beantworten sind. Dazu gehört die Frage, wie eine Helmpflicht überwacht und Verstöße geahndet werden können. Der Überwachungsaufwand wäre bei der Vielzahl der mit dem Rad zurückgelegten Kurzstrecken sicher enorm. Und ob das Nichtbeachten der Helmpflicht z. B. bei Kindern überhaupt geahndet werden kann, erscheint derzeit fraglich.
Ein weiteres zurzeit ungelöstes Problem ist die Frage, ob Radfahrer, die die Helmpflicht nicht beachten, im Falle eines Unfalls eine Mitschuld an ihren Verletzungen tragen bzw. über Gutachten nachweisen müssen, ob der Helm die Verletzungsschwere reduziert hätte.
Um verfassungsgemäß zu sein, müsste eine Helmpflicht den Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen. Es wäre zu überprüfen, ob die Helmpflicht zur gewünschten Reduzierung der Schwere von Radverkehrsunfällen geeignet, erforderlich und angemessen ist.
Hohe Helmtragequote auch ohne Pflicht
Internationale Vergleiche und Studien zeigen, dass auch ohne gesetzliche Fahrradhelmpflicht eine hohe Helmtragequote erzielt werden kann. In der Schweiz tragen bereits 40 % aller Radfahrer freiwillig einen Fahrradhelm. Bei den Kindern bis zu 14 Jahren sind es bereits 67 %.
Die vielfach in die Diskussionen eingebrachte Angst, dass eine Helmpflicht zu einem deutlich geringeren Radverkehrsaufkommen führen wird, ist bei genauer Betrachtung der unterschiedlichen Studien nicht begründet; auch wenn sicherlich einige Gelegenheitsfahrer von der Helmpflicht abgeschreckt würden.
Fazit
Wie auch immer die unterschiedlichen Studien zu Kopfverletzungen bei Radfahrern und zur Wirkung von Fahrradhelmen ausgelegt werden können, ist eine Tatsache unumstößlich:
Die UDV empfiehlt daher jedem Radfahrer, einen Helm zu tragen. Das freiwillige Tragen eines Fahrradhelms sollte daher intensiv gefördert und beworben werden. Ob jedoch eine Helmpflicht eingeführt werden soll oder nicht, ist letztlich eine politische Entscheidung. Hier sind auch die derzeit offenen juristischen und haftungsrechtlichen Fragen zu lösen.
Um die Anzahl der Radverkehrsunfälle insgesamt zu reduzieren, sind aber insbesondere infrastrukturelle Maßnahmen zur sicheren Führung des Radverkehrs im Straßenraum erforderlich. Zudem sollten sowohl kommunikative Maßnahmen als auch verstärkte Überwachungsmaßnahmen zur Verbesserung des Verkehrsklimas und der allgemeinen Regelakzeptanz durchgeführt werden.
Zum Autor
Jörg Ortlepp, Diplom-Ingenieur Bauingenieurwesen, ist Leiter des Fachbereichs Verkehrsinfrastruktur der Unfallforschung der Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. in Berlin.