Fahrradzukunft

Ausgabe 42 · Dezember 2025

Umgangssprachlicher Unsinn und Ungenauigkeiten bei Begriffen der Fahrradtechnik – Teil 2

von Juliane Neuß

Nachdem der erste Teil dieses Themas viel Freude und viele Reaktionen hervorgerufen hat, möchte ich die Ergebnisse der Zuschriften in diesem Teil vertiefen.

Bild 1: Geht es um die Steuer oder um Radtechnik? (KI-generiert)

Als erstes wurde ich auf den Steuersatz hingewiesen. Für die meisten wäre das eine Zahl, die von der Finanzbehörde herausgegeben wird. In der Fahrradtechnik soll er das Lenkkopflager beschreiben. Dieses wird wiederum gern auch als »Steuerlager« beschrieben, was zu der Vermutung führte, dass es sich genauso um die Schlafstätte eines Finanzbeamten handeln könne.

Den Ursprung des Begriffs wird man wohl nicht mehr ergründen können. Gehört ganz klar in die Kategorie »historisch gewachsen und allgemein gebräuchlich«. Vielleicht ist »Lenkkopflager« auch einfach zu lang.

Bild 2: Sprachliche Genauigkeit vermeidet Missverständnisse beim Fahrradhändler. (KI-generiert)

Sehr ungenau werden auch die Begriffe Ritzel und Zahnkranz verwendet. Mutmaßlich ist das Ritzel ein Einzelkämpfer auf einer Nabe und der Zahnkranz eher das Rudel im Zusammenhang mit einer Kettenschaltung. Das passt zu dem Begriff Zahnkranzabnehmer (Kettenschaltungswerkzeug) und zu dem Begriff »Ritzelsatz«, wenn man eigentlich eine größere Anzahl Ritzel in einer Zahnkranzkassette meint. Entbehrt nicht einer gewissen Logik.

Dramatischer ist es, wenn Kunden die Begriffe Ritzel und Kettenblatt durcheinanderschmeißen. Denn Probleme am Ritzel sind deutlich andere als Probleme am Kettenblatt, zumal, wenn es sich auch noch auf die Schaltungsteile bezieht. Da muss man am Telefon erst mal genau herausfinden, ob sich der Kunde in Tretlagernähe befindet oder doch auf Höhe der Hinterradachse.

Bild 3: That’s what we call oversized. (KI-generiert)

Der Begriff Oversize (für Rahmengröße oder Rohrdurchmesser) wurde auch kritisiert. Der Kommentator würde lieber ein »correct size« sehen, da Übermaß immer etwas sehr nach nicht passend klänge. Möglicherweise ist das unsere vorschnelle freie Im-Kopf-Übersetzung, die uns da einen Streich spielt. Vielleicht sehen das englische Muttersprachler anders. Es könnte natürlich auch aus einem sprachlichen Gigantismus von Marketing und Werbeleuten stammen, die mit »over« immer das Maximum des Möglichen verstehen wollen.

Bild 4: Es gibt definitiv zu viele Verkehrszeichen, aber wenn es eins zu viel geben müsste, dann wäre es die Fahrradautobahn

Aus einer ganz anderen Ecke, gar nicht so sehr technikverbunden, stammt ein weiterer Begriff, auf den ich hingewiesen wurde: Fahrradautobahn für Radschnellweg. Da stellen sich jedem Radverkehrsaktivisten die Nackenhaare auf. Man könnte diese autozentrierte Sichtweise scharf kritisieren, hätte sich nicht der Begriff »Autobahn« schon längst verselbstständigt (Beispiel: Datenautobahn). Mittlerweile steht er für schnelles, ungehindertes Vorankommen (mit den üblichen bekannten Einschränkungen). Wenn ich jetzt anfangen würde, auch noch den Journalisten-Sprech im Bereich Fahrrad aufzugreifen, müsste ich eine ganze Ausgabe der Fahrradzukunft dafür reservieren. Wie die Wortwahl das Meinungsbild beeinflusst, ist noch mal ein ganz anderes Thema. Schon vor 30 Jahren hat uns der Verantwortliche der ADFC-Radwelt (damals noch »aktiv radfahren«), Karl-Ludwig Kelber, darauf hingewiesen, dass wir in Radfahrberichten nicht von »strampelnden Pedalrittern« sprechen sollen.

Bild 5: Echtes Schutzblech vs. Plastikvariante (KI-generiert)

Eine andere historisch gewachsene Bezeichnung sind die Schutzbleche am Rad, die schon lange vorwiegend aus Kunststoff hergestellt werden. Schutzbleche aus »Blech« (eigentlich natürlich aus Alublech oder Stahlblech) gibt es zwar immer noch, manche sind sogar ausgesprochen schön, aber der Nachteil war, dass sie, einmal verformt, nicht wieder in ihre ursprüngliche Form zurückfanden. Der Ausdruck »Blech« wird auch gern für Eisenwerkstoffe verwendet, obwohl es sich nur um eine bestimmte Verarbeitungsform handelt, nämlich flach und im Verhältnis zur Größe relativ dünn. Der Stahlwerker nennt auch eine 20 mm dicke Stahlplatte noch »Blech«, wenn sie nur groß genug ist.

Bild 6: Ein Kettenschutz schützt nicht die Kette. (KI-generiert)

Ähnlich gelagert, wie das Schutzblech »eigentlich ein Radschützer« ist, ist der Kettenschutz. Beide schützen nicht Rad oder Kette, sondern den Radfahrer vor der Verschmutzung, die von Kette oder Rad ausgehen. Beim Kettenschutz gibt es noch die sinnvolle Variante des Vollkettenschutzes, der tatsächlich die Kette vor den äußeren Einflüssen schützt und die Lebensdauer der Kette verlängert. Der offene »Flügel« des einflügligen Kettenschutzes verhindert nur, dass der Stoff des Hosenbeins in die Kette gerät.

Wer noch mehr Spaß am »Haarspalten« hat, kann ja mal anfangen, die englischen fahrradtechnischen Begriffe wortwörtlich zu übersetzen. Einiges dürfte deutlicher sein (mudguard), anderes genauso zum Schmunzeln anregen (bottom bracket oder ahead-set).

Zur Autorin

Juliane Neuß, von Beruf Technische Assistentin für Metallographie und Werkstoffkunde. Ihre Berufung: Fahrradergonomie und Fahrräder für kleinwüchsige Menschen. Betreibt seit 1998 die Firma Junik-Spezialfahrräder, hat sechs Jahre lang die Filiale eines Fahrradladens in Hamburg geleitet und viele Jahre den Techtalk in der ADFC-Radwelt geschrieben. Sie ist seit 2016 Inhaberin der »Fahrradschmiede 2.0« in Clausthal-Zellerfeld, ihrem Heimatort, und hat dort auch eine Brompton-Spezialwerkstatt.