Ausgabe 11 · April 2010

Diesen Artikel als PDF

Der Kern des Leders(attels)

von Rainer Mai

Vorbemerkung: Natürlich hat Juliane Neuß recht: Ich schreibe hier eigentlich nur für Männer. Auch wenn ich Mädels kenne, die mit ihren Ledersätteln zurechtzukommen scheinen.

Ledersattel? – Wie uncool!

Kernledersättel sind nur was für Retrofans. Sauschwer, saugen sich voll, färben auf schicke weiße Hosen ab, von der lahmen Opa-Optik nicht zu reden. Früher waren sie ja noch adäquat, Opa hatte eben nur die primitive Möglichkeit, ein Stück Leder in einem Stahlgestell aufzuhängen. Aber das ist längst überholt: Ergonomisch geformte Kunststoffschalensättel, z. T. sogar aus Carbon, sinnvoll gepolstert, sind Stand der Technik. Opas olles Lederzeug taugt nur noch zur Komplettierung historischer Fahrräder im Museum.

Das sind die gängigen Standardargumente gegen Ledersättel. Sie klingen plausibel. In der Tat haben Kernledersättel gegenüber Plastiksätteln einige empfindliche Nachteile – denen nur drei winzige Vorteile entgegenstehen: Sie sind verschleißfester und robuster (kein Sattelbezug, der bei Beschädigung aufreißt). Und sie sind die einzigen Sättel, auf denen ich lange beschwerdefrei sitzen kann, bisher bis zu 17 Stunden pro Tag (Fahrzeit ohne Pausen).

Ich möchte erstens gut sitzen, zweitens schmerzarm, drittens will ich unterwegs nicht an meinen Hintern denken, erst dann kommt der Rest. Über die Optik lässt sich eh streiten (mir gefallen Ledersättel), und helle Hosen müssen beim Radfahren nicht sein. Aber auch das geht, wie ich als früherer jahrelanger Träger kreischend pastellfarbener Lycrabüxen berichten kann: Natürlich wird die Sitzfläche im Lauf der Zeit grau, aber das sieht man einem Radfahrer in Aktion schließlich nicht an. Aber auch wenn man abgestiegen ist, zeigt man anderen Leuten ja nicht seinen Hintern. Das tut man nicht. Sowas ist nur unter Seglern üblich (»mooning«, Meinungsäußerung), ansonsten gilt es als unfein ;o)

Bild 1: Gut eingefahrener, nicht mehr brandneuer Sattel, der leider unter Fettmangel leidet
Von: Peter de Leuw

Verschiedene Nutzerprofile – verschiedene Sättel

Natürlich ist mir klar, dass für einige Einsatzzwecke die Nachteile überwiegen. Sportfahrräder (Rennräder, MTBs) werden meist nur wenige Stunden bewegt, und je sportlicher der Einsatz, desto unwichtiger die Sitzqualität, weil die Tretkraft den Hintern entlastet. Auch für Alltagsräder, die auf eher kurzen Strecken gefahren werden und oft im Regen stehen, ist ein Ledersattel keine sinnvolle Wahl. Mein Stadtrad hat keinen Ledersattel und wird wohl auch nie einen bekommen.

Wirklich vorteilhaft ist ein Ledersattel nur bei langen Fahrzeiten und großen Sitzlasten, also niedrigen durchschnittlichen Tretkräften – typisch für »unsportliche« Fahrweise sowie »Schnell-, Leicht- und Rundtreten«. Wer schneller tritt, verringert seine Tretkraft sozusagen quadratisch: Einerseits durch den niedrigeren Gang (geringere Last, Leistung wird »aus der Geschwindigkeit geholt«), andererseits ist der schnellere Tritt auch runder, verteilt das Antriebsmoment also über einen größeren Kurbelwinkel, was bei gleicher Leistung die (vertikalen) Spitzenkräfte nochmals verringert.

Beide Effekte führen zu deutlichen fahrerspezifischen Streuungen der Tretkraft und damit der Sitzkraft. Dazu habe ich vor 25 Jahren mal einfache Versuche durchgeführt: Mehrere Testfahrer sollten bei ihrem Fahrrad den passenden Gang einlegen, um ampelsprintmäßig möglichst zügig anzufahren. Ein Helfer legte ihnen im Stand bei waagerecht stehender Kurbel eine mechanische Personenwaage zwischen Fuß und Pedal und verfolgte die Anzeige der ersten Viertelumdrehung der Kurbel. Es wurde also nicht wirklich losgefahren, es ging nur um die Kräfte beim ersten Antritt. Das Ergebnis war frappierend: Während manche Testpersonen (deren Radfahrkondition teils ähnlich und teils schlechter als meine war) mit 60–70 kg voll reinhämmerten, schaffte ich nur etwa 10 kg – natürlich in einem viel kleineren Gang.

Diese Zahlen sind natürlich nicht aussagekräftig für das Bergauffahren und noch weniger für das Rollen in der Ebene. Es lässt sich aber erahnen, dass der individuelle Tret- und Schaltstil einen deutlichen Einfluss auf die sattelentlastende Tretkraft hat, und damit auf die Anforderungen an den Sattel. Extremfälle z. B. kurzes Flachland-Straßenrennen – minimale Abstützung, Sattel ist eher eine Wegkippsicherung – und schnelltretender Reiseradler mit mäßiger Kondition und fast aufrechter Sitzhaltung, der auf einer tagesfüllenden Etappe seine Kräfte schont und den Sattel ununterbrochen als stark belastetes Sitzmöbel nutzt.

Ich gehöre eindeutig zum zweiten Extrem. Wie klein meine typischen Tretkräfte sind, zeigt sich auch an meinem Umgang mit Shimano-SPD-Klickpedalen: Auch bei minimierter Federvorspannung reicht selbst bergauf die normale Antrittskraft meist nicht zum Einklicken aus; ich muss mir regelrecht (für den ökonomischen Vortrieb nutzlose) Gewalt antun, um reinzukommen. Meine Standard-Abhilfe: Ich entferne die Hälfte der Federn. Statt zwei pro Seite habe ich dann nur noch eine und damit die Einklickkraft auf etwa die Hälfte des serienmäßigen Minimums reduziert. Das funktioniert befriedigend, auch wenn es gerne noch weniger sein dürfte. Bei Gelegenheit werde ich mal testhalber zwei Federn an den Schleifstein halten …

Fazit: Tendenziell kommen Sportler, Schwertreter und Kurzstreckenfahrer gut mit einfachen Sätteln zurecht, die nicht unbedingt passen müssen. Dagegen erfordern lange Sitzzeiten und kleinere Tretkräfte (geringe Leistung, Schnelltreten) einen Sattel, auf dem man dauerhaft gut sitzen kann. Dass Reiseräder die mit Abstand höchste Ledersattelquote haben, ist also nicht bloß Tradition und Retro-Mode, sondern technisch vernünftig.

Bild 2: B17 Narrow an meinem Reiserad, nach ca. 10.000 km. Bereits der dritte, die Vorgänger starben an Gestellbrüchen.

Besitz-Erfahrungen

Die diversen schnell und wartungsfrei verschrotteten Dreigangräder meiner Kinder- und Jugendzeit (Marken »Rixe« und »Peugeot«, die mein Onkel, damals Fahrradhändler und zuständig für den permanenten Nachschub, führte) hatten »Wittkop«-Sättel. Deren dünne, flexible Kunstdecke lag auf vielen dünnen Längszugfedern, deren Enden vorne und hinten am Sattelgestell eingehängt waren. Die Dinger waren hässlich und natürlich relativ breit. Mit ihnen kam ich problemlos zurecht – kein Kunststück allerdings, die typischen Fahrstrecken waren erst wenige Kilometer, später maximal 40, und unter 20 Jahren weiß man eh noch nicht, was ergonomische Beschwerden sind.

Als ich nach einer kurzen Motorfetischphase wieder mit dem Radfahren begann, nutzte ich Sperrmüll- und Fundbüro-Räder. Die Sitzpositionen waren hollandradähnlich aufrecht – zwangsweise, weil die verfügbaren Rahmen für meine 1,85 m viel zu klein waren. Immerhin hatte ich mittlerweile gelernt, dass man mit gestreckten Beinen treten muss. Die Anpassung jedes »neuen« Rads begann also mit dem Kauf einer passenden Klapprad-Sattelstütze – und meistens endete sie auch mit dieser Maßnahme.

Die Fahrleistungen wuchsen. Mit einem betagten Dreigang-Damenrad bin ich immerhin etwa 7.000 km gefahren, darunter eine 3.000-km-Tour über die Alpen nach Norditalien und dann bis in die tunesische Sahara, mit 30 kg Gepäck und bis zum Ermüdungsbruch des Rahmens, der netterweise erst pünktlich bei der Rückkehr auftrat. Der 50-er Rahmen war so kurz, dass ich bei jedem Tritt den Lenker hin- und herdrehen musste, damit das Knie daran vorbeikam.

Die Sättel der Maschinen waren die, die zufällig drauf waren bzw. die ich in einfachen Moped- und Fahrradläden kaufen konnte. Zum Teil die beschriebene Zugfeder-Bauart, aber auch Hartschaumsättel (Oberteil aus einem Stück, kein Bezug), die meist schmäler ausfielen. Mit letzteren kam ich besser zurecht. Solche Unterschiede konnte ich nun wahrnehmen: Mit 25 Jahren, Tagesstrecken von durchschnittlich 100, gelegentlich über 150 km und einem Körpergewicht um 65 kg (heute sind es 30 mehr) hatte ich bereits eine Ahnung, was Sitzbeschwerden sind. Ich erinnere mich an zwei Sorten von Sätteln: Auf den einen konnte ich passabel sitzen, sie schnürten mir aber auf Dauer die Blutversorgung des Fortpflanzungsorgans ab, bei den anderen war es tendenziell umgekehrt. Dieses Phänomen konnte ich mir damals nicht erklären. Mehr dazu unten unter »Einstellung« …

Die in dieser Phase benutzten (billigen) Kunststoffsättel hatten einen Nachteil, den ich sehr ärgerlich fand: Sie hielten, unabhängig von der Bauart, im Durchschnitt nur etwa 3.000 km, bis sich der Bezug auflöste (Zugfedersättel) oder die Verankerung der Decke am Gestell ausbrach (Hartschaumsättel). Damals habe ich meinen Rädern zwar nie eine neue Kette spendiert, aber das Wechseln des Verschleißteils Sattel war eine Routineübung, und mehrfach musste ich unterwegs neue Sättel kaufen, um die Tour fortsetzen zu können.

Um eine (billige) Bauart habe ich allerdings einen Bogen gemacht: Die damals üblichen einfachen Rennsättel mit massiver, aber relativ dünner und unten offenen Weichkunststoffschale, ohne Polsterung oder Bezug. Die habe ich gar nicht erst probiert, weil sie mir auf den ersten Blick zu unbequem erschienen. Erst ein Jahrzehnt später fiel mir auf, dass ich sie doch hätte testen sollen – angesichts der Exponate eines Freunds, der die Decken solcher (mittlerweile historischen) Sättel dünner schliff, womit sie den Eigenschaften einer Ledersattel-Hängematte nahe kamen.

Bild 3: Der »Hero« auf dem Weg durch Afrika …

Der erste Ledersattel: Nur für masochistische Helden

Mit einer der besagten Gurken bin ich durch Afrika gefahren. Das war für meine damaligen Verhältnisse schon was Besseres: Dreigangrad mit stabilem »Herren«-Rahmen, Höhe 53 (kam also den von mir benötigten etwa 60 cm schon recht nahe), allerdings in ziemlich vergammeltem Zustand. Das komplettierte ich mit den jeweils besten Teilen von zwei anderen Schrotträdern, unter anderem dem geschwungenen Lenker und weit ausladenen Vorbau eines »Halbrenners«. Das war meine erste Maschine, die eine 45°-Oberkörperhaltung ermöglichte, die war richtig schnell ;o). Sie wurde mit schwerem Gepäck über tausende Kilometer Wellblechpisten geknüppelt, unterwegs mit bescheidenen lokalen Mitteln repariert, dabei radikal umgebaut, und kam mit diversen geschweißten Dauerbrüchen (zwei am Rahmen, zwei am Lenker, ca. sechs an den Gepäckträgern) nach 20.000 km wohlbehalten in Kapstadt an.

Bild 4: … und 25 Jahre später, davon ein Jahrzehnt im Regen – misshandelt vom heutigen Besitzer (dem FZ-Layouter)
Von: Jürgen Buss

Aber schon nach wenigen hundert Kilometern versagte mal wieder der Sattel – Hartschaum, Gestellbefestigung an der Decke ausgebrochen. Immerhin hatte ich das Glück, mit dem kaputten Sattel zur nächsten Oase nur etwa 50 km fahren zu müssen und nicht (was mir auch hätte passieren können) 600. Auf dem dortigen Markt standen drei Modelle zur Auswahl: zwei Plastiksättel und ein Kernledersattel der vermutlich indischen Marke Hero, Modell »Breitarsch«. Das Ungetüm war das mit Abstand größte, schwerste und teuerste Modell im Angebot. Dennoch entschied ich mich für den »Helden« und investierte ohne große Verhandlungen umgerechnet 12 Mark dafür. Ich hatte die Nase voll von den kurzlebigen Plastiksätteln und wollte nun endlich einen haltbaren haben.

Der Hero, offenbar eine Kopie des (immer noch erhältlichen) Brooks B33, hielt dieses Versprechen: Bis zur Ausmusterung des Fahrrads lange nach der Tour hat er etwa 30.000 km erlebt. Allerdings war er alles andere als bequem, jedenfalls für Besitzer, die nicht den Sitzknochenabstand eines Sumo-Ringers haben. Die enorme Reibung darauf steigerte übrigens meinen Hosenbodenverschleiß drastisch, eine weitere unangenehme Eigenschaft exorbitant breiter Sättel, unabhängig vom Material.

Und er wurde später noch unbequemer: Nachdem ich nach ein paar tausend Kilometern den Fehler gemacht hatte, ihn zu fetten, längte sich die Decke, was zu einem nur leichten Durchhang führte – der allerdings ausreichte, sie auf den sehr nah darunter laufenden Längsdrähten des Obergestells aufliegen zu lassen. Im vorderen Sitzbereich saß ich nun auf diesen Drähten, was richtig wehtat. Nachspannen half nur kurzfristig, die Decke längte sich schnell weiter und lag bald wieder auf. Hätte ich ihn doch bloß nie gefettet! Zunächst behalf ich mir mit dazwischengelegtem LKW-Felgenband (sehr dickes Gummi, ca. 1 cm). Aber auch das verteilte den Druck nicht ausreichend. Schließlich ließ ich eine Art Gitterkuppel aus passend zurechtgebogenen Flachstahlstücken auf das Obergestell schweißen, wieder mit Gummiunterlage. Auf diesem Gerippe habe ich seither gesessen, bei Tagesetappen bis 225 km.

Bild 5: Hero-Unterseite: Zu hohe, drückende Oberdrähte und eingeschweißtes Hilfsgerippe. Die Seitenlappen sind für die Fotos zusammengebunden, weil sich die zerweichte, ungefahrene Decke mittlerweile »entrollt« hat.
Von: Jürgen Buss

Man muss schon ein Held sein, um sich das anzutun. Das fiel mir erst nach der Tour richtig auf: Wenn ich das Rad eine Weile nicht benutzt hatte, tat der Hero-untrainierte Hintern schon nach zwei Minuten heftig weh. Nicht empfehlenswert jedenfalls, dieser Sattel ist, auch für Sumo-Ringer, eine Fehlkonstruktion.

Das Ende meiner Besitzerfahrungen ist schnell erzählt: Danach baute ich mein erstes richtiges Fahrrad zusammen, ein Reiserad mit handverlesenen Komponenten, Sattel: Brooks B17 Standard. Damit war ich lange glücklich, bis ich angelegentlich eines Gestellbruchs auf den etwas schmaleren B17 Narrow umsattelte, mit dem ich noch glücklicher wurde, am One-for-All-Reise-und Alltagsrad. Später legte ich mir ein Stadtrad und zwei Mountainbikes zu. Zum MTB schien mir ein Ledersattel schlecht zu passen, weil er kaum geschützt Nässe und – beim obligatorischen Hinlegen, weil ohne Parkstütze – Matsch ausgesetzt ist. Innerhalb weniger Jahre habe ich ein Arsenal verschiedener Plastiksättel aktueller Bauart (Kunststoffschale, schaumstoffgepolstert und mit Kunstleder oder Lycra-Gewebe bespannt bzw. beklebt) ausprobiert: schmale, breitere, mittelweiche, harte, verschiedene Formen … es half alles nichts, spätestens nach drei Sitzstunden begann mein Hintern zu meckern. Die verblüffend einfache Lösung hieß (ja? – richtig geraten): B17 Standard. Seitdem fahre ich auch lange MTB-Tagestouren bis 120 km problemlos.

In den letzten 23 Jahren bin ich etwa 160.000 km B17 N und S gefahren, und keine 20.000 auf Plastiksätteln, davon allein 13.000 mit dem Stadtrad (unkritische Kurzstrecken). Dabei habe ich einiges an Erkenntnissen gewonnen, die ich euch nicht vorenthalten möchte, auch wenn manche alten Hasen, die mit den damaligen Rennledersätteln aufgewachsen sind, davon wohl wesentlich mehr verstehen als ich Newbie.

Funktion: Hängematte versus feste Schale

Der Sattel darf nicht drücken. Deshalb muss er die Gewichtskraft des Besitzers gleichmäßig auf eine große Fläche verteilen. Ein Schalensattel, ob nun gepolstert oder nicht, kann dies leisten – vorausgesetzt, die Schale passt zufällig perfekt. Dieser Zufall ist selten gegeben. Der Nutzer muss sich also entweder mit einem mehr oder weniger brauchbaren Kompromiss abfinden oder sich eine teure Maßanfertigung bauen lassen.

Beim Ledersattel dagegen wirkt die vorne und hinten flexibel aufgehängte Lederdecke wie eine Hängematte, die sich der Form des Besitzers elastisch (und mit der Zeit auch plastisch) anpasst. Damit wird auf Anhieb eine relativ gute Druckverteilung erreicht, unter zwei Voraussetzungen: Das Leder ist flexibel, wurde also entsprechend vorbehandelt (siehe unten). Und die Sattelbreite stimmt ungefähr, passend zum Sitzknochenabstand, der Körperhaltung und dem typischen Krafteinsatz des Fahrers.

Die Druckverteilung, im Neuzustand nie optimal, verbessert sich beim Einfahren. Das Leder dehnt sich, die Hängematte hängt in der Mitte etwas weiter durch und lokale Druckstellen geben nach; insbesondere an den Sitzknochen, die charakterstische Eindrücke im hinteren Bereich der Decke hinterlassen.

Die Hängematte funktioniert allerdings nur, wenn sie frei »flexen« kann – beispielsweise daran erkennbar, dass sie sichtbar nachgibt, wenn man in der Mitte mit einem Finger draufdrückt. Es gibt zwei gängige Methoden, diese Nachgiebigkeit zu behindern und die Funktion des Sattels deutlich zu verschlechtern:

Man spannt den Sattel fest nach (und weil er sich dann schnell dehnt, immer wieder). Oder man bindet die Sitzlappen unten mit einer Schnur zusammen. Manche Sättel, etwa der Brooks Flyer S Aged, werden sogar schon mit diesem denkwürdigen Zubehör geliefert. Ich habe beides gründlich ausprobiert und kann davon nur abraten: Die behinderte nicht-mehr-Hängematte wird hart und unkomfortabel, und das harte Nachspannen hat weitere Nachteile, auf die ich noch zu sprechen komme.

Ein häufiges Motiv für diese Hängematten-Blockiermaßnahmen ist der Umstand, dass die Sitzlappen in der Mitte beim Einfahren auseinandergehen und dann heftig an den Innenseiten der Oberschenkel reiben können. Dagegen gibt es zwei Abhilfen, die bei mir erfolgreich waren: Entweder man probiert mal einen schmaleren Sattel (in meinem Fall: B17 Narrow statt B17 Standard) oder man schneidet einfach alles weg, was stört, siehe »Tuning«.

Bild 6: Älteres Tuningprodukt von Wolfram Fischer, noch mit sehr breitem Schlitz

Schlitz im Kleid

Es gibt eine historische Sonderform, die neuerdings wieder en vogue ist: Der längs geschlitzte Sattel, in dessen Rücken eine mehr oder weniger breite Öffnung geschnitten ist. Typische Vertreter sind der Brooks (B17 S) Imperial und das relativ neue US-Produkt Selle An-Atomica (Details als PDF).

Davon verspricht man sich, wenn ich das richtig verstanden habe, einerseits eine Entlastung des Dammbereichs (vorne) und andererseits eine größere dynamische Flexibilität: Die Decke soll den Lastverschiebungen während der Tretbewegung folgen.

Der Imperial ist sehr simpler Vertreter dieser Bauart: Man hat einfach in die Decke eines normalen Sattels eine Öffnung reingeschnitten und die Kanten verrundet. Und weil die verbliebenen, nun relativ labilen Seitenlappen dazu neigen, beim Besitzen auseinanderzugehen (»Eierklemmer«), hat man sie unten zusammengebunden. Eine katastrophale Lösung: Auf der kleineren belasteten Fläche nimmt der Druck unvermeidbar zu, und das Zusammenbinden macht aus den Seitenlappen quasi zwei Hochkant-Längsträger, deren Kanten ins Fleisch schneiden.

Raffinierter ist der Selle An-Atomica, der mit einer zweiten eingeklebten Lederschicht verstärkt ist, die dem seitlichen Ausbiegen entgegenwirkt. Ob und wie der Sattel im Sinne der Herstellerwerbung, die ihn als Ei des Columbus anpreist, funktioniert, kann ich nicht beurteilen. Eine unverbindliche Testfahrt (ohne Kauf) wäre er mir schon wert.

Ein Freund von mir, Wolfram Fischer, alias Bikefish, modifiziert seit längerem Brooks-Sättel mit verschiedenen Schlitzformen. Ein frühes Produkt dieser Experimentalserie (B17 S, Bild 6) habe ich eine Weile am MTB getestet, unter anderem auf einer langen Sommer-Tagestour. Die Performance war akzeptabel, vor allem war er im mittleren Bereich schön weich und dynamisch anpassungsfähig, aber letztlich schlechter als ein eingefahrener oder gut vorbehandelter neuer Sattel des desselben Typs: Nach längerer Sitzzeit drückten mich die großzügig gerundeten Innenkanten. Dort ist der Sitzdruck unvermeidbar am größten, vermutlich kommt noch ein Scheuereffekt dazu.

Wolframs neuere Tuningsättel haben einen schmaleren Schlitz mit flacher gefasten Kanten (Bild 7). Das soll besser funktionieren, habe ich aber noch nicht ausprobiert.

Bild 7: Neuerer Fischer-Tuning-Sattel
Von: Wolfram Fischer

Aber vermutlich bin ich kein guter Testfahrer für dieses Prinzip, weil ich mit meinen serienmäßigen Brooks-Sätteln auch bei sehr langen Fahrzeiten keine wirklichen Probleme im Dammbereich habe und die bessere dynamische Anpassung zwar angenehm finde, aber nicht wirklich brauche. Jedenfalls möchte ich keinen, der insofern Probleme mit passenden und korrekt justierten Ledersätteln Probleme hat, von Kauf- oder Eigenumbau-Experimenten abhalten – dann bitte in Fahrradzukunft berichten.

Breite

Wie gesagt muss die Breite zum Fahrer, der Sitzhaltung, aber auch zum Krafteinsatz passen. In meinem Fall bedeutet das, dass ich zwei Lieblingssättel habe: Den B17 S (Standard) und B17 N (Narrow). Meine Standards sind 170 bis 175 mm breit, die Narrows 152. Die Bauart und die Breite vorne sind gleich, beide Typen sind ungespannt zwischen 28 und 29 cm lang. Nicht über die Abweichungen von den Herstellerangaben wundern: Das sind Messwerte von gebrauchten Sätteln in der realen Welt, und es geht schließlich um Produkte aus einem Land, dessen Maschinenbau traditionell besondere Probleme mit Toleranzen hat (und mit metrischen Maßen sowieso ;o).

Die Breiten unterscheiden sich also nur um rund 2 Zentimeter. Das klingt nach nicht viel, aber der praktische Unterschied ist beträchtlich: Beim Narrow brauche ich die fünf- bis zehnfache Einfahrzeit, um ähnliche Einfahrspuren zu erzeugen (kleine Dehnrunzeln und Sitzknocheneindrücke) und das Eingefahrensein entsprechend zu fühlen. Bei einem schmaleren Sattel ist also das Einfahren und vor allem gute Vorbehandlung (siehe unten) wichtiger als bei einem breiteren.

Den Narrow fahre ich am Reiserad, bei dem ich eine für meine bescheidenen Verhältnisse relativ sportliche Sitzposition einnehme. Vor allem wenn ich den Randonneur (Rennlenkerbauart) unten greife, passt er mir spürbar besser als der B17 Standard, der an meinen Mountainbikes montiert ist, welche ich etwas aufrechter fahre.

Der zusätzliche Einfluss des Tretkrafteinsatzes fiel mir bei einer ADFC-Tour auf. Ich leite gelegentlich »2-Sterne-Touren« mit wenig radfahrgeübten Teilnehmern. Sie sind eher kurz und flach, es gibt viele Stopps und Langsamfahrperioden, und das typische maximale Rolltempo in der Ebene liegt bei nur 16 bis 18 km/h. Nachdem ich eine Reihe dieser Touren problemlos mit B17 Standards absolviert hatte, fuhr ich mal zufällig eine mit einem mittlerweile gut eingefahrenen Narrow – mit demselben Fahrrad und identischen Sattel- und Lenkereinstellungen, wohlgemerkt. Plötzlich tat mir der Hintern weh. Der trockene Kommentar eines mitfahrenden erfahrenen Rennradlers: »Du hast hier ja auch keinen Druck auf’m Pedal.« Seither fahre ich solche Leerlauf-Events wieder problemfrei – auf breiteren Sätteln.

Einstellung

Das folgende gilt für alle Sättel. Eigentlich sind das triviale Basisinformationen, aber weil das oft falsch gemacht wird …

Die Basics also: Sattelstützenauszug so, dass im unteren Kurbeltotpunkt und Ferse auf dem Pedal das Bein gestreckt ist. Je nach individueller Präferenz können es auch wenige Zentimeter mehr sein (ausprobieren). Waagerechte Sattelposition nach Knielot einstellen (Lot sollte bei waagerecht nach vorn stehender Kurbel durch die Pedalachse laufen), Sattelhöhe nachkontrollieren. Erst dann den Lenker passend ausrichten (Höhe und Griffwinkel, Vorbaulänge). Fertig – das weiß ja jeder …

Nein, noch nicht fertig. Der Sattelwinkel wird oft vernachlässigt. Er sollte fein einstellbar sein. Die historischen Klemmkloben sind viel zu grob gerastert, viele Patentsattelstützen ebenfalls. Also stufenlos winkelverstellbare oder fein gerasterte Sattelstütze. Um Änderungen wieder rückgängig machen zu können, kann man sich z. B. die Zahl der eingreifenden Feinrasten merken oder einfach von hinten über den Sattel peilen und sehen, wo man im Lenkerbereich rauskommt – bei Sattelüberhöhung ggf. einen Gegenstand mit bekannter Höhe drauflegend.

Eine waagerechte Grundstellung ist selten ganz verkehrt, aber auch selten wirklich optimal. Wird der Sattel nach hinten geneigt, werden die Arme und Sitzknochen entlastet und man kann besser freihändig fahren, aber der Druck im Dammbereich nimmt zu, und damit die Wahrscheinlichkeit männlicher Durchblutungsstörungen. Wer den Sattel nach vorne neigt, entlastet den Dammbereich, muss aber größere Arm-Stützkräfte aufbringen, um nicht nach vorne vom Sattel zu rutschen. Es muss also ein individueller Kompromiss gefunden werden, was nur durch Experimentieren auf langen Fahrten möglich ist, mit griffbereitem Inbusschlüssel natürlich.

Schon sehr kleine Winkeländerung (gefühlt: Bruchteile eines Grads) können sich spürbar auswirken. Ich komme zurück zu der oben geschilderten Erfahrung meiner Studentenzeit, dass verschiedene Sättel tendenziell entweder vorne oder hinten drückten: Rückblickend lag das wohl gar nicht an den Sätteln, sondern an den verschiedenen Winkeln, die sich, je nach Gestellform, bei der Befestigung mit den billigen, grobwinkligen Stahlkloben zufällig ergeben hatten.

Noch ein Wort zu Sattelstützen: Manche (meist billige) Patentstützen bauen für schmale oder gar mittelbreite Ledersättel zu breit. Wenn die Lappen der Lederdecke an der oberen Klemmschale reiben, also dort Scheuerspuren hinterlassen, sollte man sich eine schmaler bauende Stütze zulegen oder wenigstens einen Teil des im Weg stehenden Metalls abtragen. Letzteres aber nur mit Bedacht und natürlich auf eigenes Risiko, es geht schließlich um ein sicherheitsrelevantes belastetes Bauteil.

Federung

Es gibt drei marktübliche Bauarten: ungefedert, hinten gefedert und zusätzlich vorne gefedert. Letztere, siehe B33 und »Hero«, klammere ich hier mal aus, weil indiskutabel – schwer und wabbelig, außerdem ist eine Federung vorn nicht wirklich notwendig.

Bild 8: Hier wurde das Leder durchbohrt, um die Federbolzen gegen metrische Schrauben zu tauschen.
Von: Peter de Leuw

»Ungefederte« Sättel sind nicht ganz ungefedert. Die waagerecht verlaufenden Gestelldrähte geben auf Bodenunebenheiten spürbar nach, vor allem hinten, wo die Hauptlast wirkt. Sensible Gemüter und Nutzer dünner Hochdruckreifen spüren sogar den Unterschied zwischen verschiedenen Längspositionen. Weil die elastische Durchbiegung (hinten) kubisch von der freien Länge der Drähte abhängt, wirkt sich hier bereits ein Unterschied von einem Zentimeter signifikant aus.

Aber dieser minimale Komfort ist natürlich nicht vergleichbar mit gefederten Sätteln, die mehrere Zentimeter relativ weichen Federweg bieten. Allerdings kommt mir kein gefederter Sattel der marktüblichen Bauart – zwei Schraubenfedern oder Elastomerpuffer außen unter dem hinteren Querblech – ans Rad. Als ich begann, mich für Ledersättel zu interessieren, war ich nämlich bereits Schnelltreter. Für mich sind 110 Umdrehungen pro Minute eine normale Dauerdrehzahl, kurzzeitig (etwa beim Erklimmen einer überschaubaren Rampe mit Traktionsproblemen) kurbele ich auch oft um 130. Das Einfachprinzip hat den Nachteil, dass der Sattel hinten seitlich schwimmt und sich beim Treten um seine Längsachse hin- und herdreht – ein unerwünschter Nebeneffekt, denn zur Federung trägt er nichts bei. Das erzeugt bei mir nicht nur ein etwas wabbeliges, unsympatisches Sitzgefühl, sondern auch Eigenresonanzen: Der hinten herumwackelnde Sattel schwingt sich beim Schnelltreten gern auf und bringt mich aus dem Rhythmus. Und das ist noch viel unangenehmer als die allgemeine Schwammigkeit.

Trotzdem hätte ich gern einen hinten gefederten Sattel – aber eben einen, der nicht kippt und wackelt. Das ist an sich einfach realisierbar und war früher bei Mopedsätteln üblich: Das Gestell ist als Schwinge ausgebildet, Gelenk vorn, eine Zentralfeder aus Stahl oder Gummi. Das fällt tendenziell zwar etwas schwerer aus als ein Oioing-Sattel (mein Spitzname für die besagten Wabbelfederungen), lässt sich aber, etwa mit Aluprofilen, auch gewichtsoptimiert bauen. Wer so etwas mal – als vernünftigen Fahrradsattel, also nicht »hero«mäßig breit – sieht, sei es nun ein Eigenbau oder ein Serienprodukt, sage mir bitte sofort Bescheid.

Einfahren und Pflege

Vor dem Einfahren kommt das Fetten. Das Fett macht das Leder flexibel und schützt es vor Umwelteinflüssen, vor allem dem schädlichen Vollsaugen mit Wasser.

Das Fetten sollte gründlich geschehen, möglichst längere Zeit vor dem ersten Einsatz. Weil ich ein großer Sattelgestellzerbrecher bin, bin ich ohnehin gewohnt, Ledersättel auf Vorrat zu kaufen und vorbereitet griffbereit ins Regal zu legen. Die Unterseite des neuen Sattels wird gründlich mit Fett bestrichen, an den schwer zugänglichen Stellen mithilfe einer alten Zahnbürste, die Oberseite bekommt dagegen nur einen Hauch ab, den ich nach ein paar Stunden glanzpoliere. Das war der erste Streich, dann wird der Sattel ein paar Tage, Wochen oder Monate weggelegt.

Erst dann, meistens kurz vor der Montage, wenn das Fett längst »verschwunden« ist, kommt die zweite Schicht drauf. Das Leder saugt dann schon deutlich weniger Fett, wird aber wieder unten dick beschichtet. Sobald diese Schicht wieder »weg« ist, also der Sattel unten nicht mehr klebrig ist, wird nachgefettet – ohne Demontage, ich baue nur die Stütze aus, um zu sehen, was ich tue. Das wird dann im Lauf der Zeit noch ein paarmal wiederholt, nach Bedarf und in wachsenden Abständen, zum Beispiel nach 200, 1.000 und 5.000 km.

Bild 9: Plastiktüte als Regenschutz – wirksam, preiswert und leicht ersetzbar

Mit Wärme lässt sich die Einziehzeit drastisch verringern. Pralle Sommersonne oder auf den Heizkörper legen bringt bereits viel, sodass die zweite Schicht schon nach wenigen Stunden nachgelegt werden kann. Andere bevorzugen den Backofen, der noch viel schneller ist. Diese Methode erscheint mir aber zu brachial, zumal ich schon einige so heißgefettete Sättel gesehen und zum Teil auch gefahren habe, die dermaßen übersättigt waren, dass sie hässlich matt-schmierig aussahen und nachhaltig an der Hose klebten. Wenn schon, dann besser bei moderaten Temperaturen, nicht über 50°C und ohne Strahlungswärme (Oberhitze).

Die ersten Einfahrfortschritte spürt und sieht man dann sehr bald. Dennoch dauert es ein paar tausend Kilometer, bis ein neuer Sattel richtig eingefahren ist. Auf den ersten paar hundert Kilometern ist es empfehlenswert, lange Fahrten vorsichtshalber zu meiden.

Das jedenfalls war mein Erfahrungsstand bis vor zwei Jahren. Dann hatte ich plötzlich das Problem, einen neuen B17 auf einem neuen Mountainbike zu montieren – am Abend vor der ersten längeren Tour des Jahres, bei bescheidener Rad- (und Sitz-) Kondition. Ich erinnerte mich an ein Foto, das ich anno dunnemals in einem Tour-Artikel von Christian Smolik gesehen hatte … Christian, wenn du das lesen solltest: Herzlichen Dank!

Das Foto zeigte einen satt fettbestrichenen Sattel, auf dessen (fettige) Sitzfläche ein Lappen gelegt war, und einen kleinen Kunststoffhammer, mit dem der Meister darauf einprügelte. Das tat ich nun meinem neuen, aber bereits einmal vorgefetteten B17 an. Nach etwa zwei Minuten Drescharbeit, insbesondere den Sitzknochen- und den Dammbereich bearbeitend, war ich erschöpft und brauchte eine kurze Pause. Das wiederholte ich dann noch ein paarmal, insgesamt etwa 10 Minuten Prügelei, verteilt über eine halbe Stunde. Diese Arbeit ist nicht angenehm, weil der Sattel heftig federt und den Hammer zurückwirft, ein Gefühl, als würde man mit einem Eisenhammer auf einen Vollgummiklotz einschlagen. Natürlich könnte man versuchen, etwas Hartes unterzulegen. Aber das wäre witzlos, weil das Leder dann nur zusammenquetscht statt eingebrochen würde.

Auf dem verprügelten Sattel verbrachte ich den Großteil des nächsten Tags. Lange Sitzintervalle bei relativ aufrechter Haltung, Gesamtsitzzeit etwa 8 Stunden – völlig beschwerdefrei. So weich wie nach der Prügelei war das Leder sonst erst jenseits von tausend Kilometern. Ein Jahr später hatte ich dasselbe Problem nochmal: Wieder ein neuer Sattel, diesmal sogar brandneu und gerade erst eingetroffen, und wieder am Vorabend einer langen Tour. Auch diesmal war die Prügelei ein voller Erfolg. Das Verfahren ist also definitiv zu empfehlen …

Ja, ich weiß, dass es auch ab Werk vorgefettete Sättel gibt, die Brooks als »Aged« bezeichnet. Aber das ist nur was für Weicheier, die Schweiß und ehrliche Handarbeit scheuen, Elektrobeiker also. Spaß beiseite: Ich habe neue und fast neue »Aged«-Sättel zwar nicht gefahren, aber bisweilen betastet, und war von der Flexibilität des Leders nicht gerade begeistert. Danke, das kann ich deutlich besser. Selbst wenn man nicht prügelt und nur fettet, ist das Ergebnis mindestens gleich gut. Hinzu kommt mein Misstrauen gegenüber dem »Aging«-Prozess: Ich weiß nicht, mit welchen Präparaten gearbeitet wurde, die möglicherweise das Eindringen des Fetts behindern, und auch nicht, was das »geagte« Leder ansonsten erlebt hat. Schließlich will der Verbraucher keinen gealterten Sattel (der zum Beispiel schneller rissig wird), sondern bloß einen »vorgesessenen«.

Natürlich kann man einen Sattel auch fettfrei einfahren. Aber das ist nicht zu empfehlen, weil es die Einfahrzeit erheblich verlängert und die »trockene« Nutzung die Entstehung (zwar harmloser, aber unansehnlicher) Minirisse beschleunigen dürfte. Außerdem hat das Leder dann keinen Nässeschutz; Vollsaugen beeinträchtigt die Lebensdauer und das Aussehen definitiv. Auch Schweiß wird leichter aufgenommen, samt dem darin enthaltenen Salz. Und ich habe den Eindruck, dass Leder Salze überhaupt nicht mag.

Übrigens ist auch zu diesem Thema einem Hersteller etwas Unsinniges einfallen: Die Firma Lepper möchte offenbar nicht, dass man ihre Sättel fettet – und klebt deshalb eine Textilschicht (oder ist das ein Folienmaterial?) auf die Unterseite. Ein Bekannter berichtete, dass fetten dennoch möglich ist: Man muss bloß die Matte und die Klebstoffreste entfernen … Aber solange es noch Hersteller gibt, die dieses originelle Feature nicht zu bieten haben, muss man sowas ja nicht kaufen.

Womit fetten?

Ich komme mit Brooks Proofide gut zurecht, weil ich den zähen, fast wachsartigen Zustand (wird erst bei Wärme dünnflüssig) optimal finde. Natürlich tut es auch ein beliebiges dünnes Lederfett, zum Beispiel im Motorradzubehör günstig angeboten. Aber die Vorstellung, dass sich die sinnvolle Restschicht auf der Sattelunterseite klebrig-schmierig anfühlt statt wachsig-trocken, finde ich nicht angenehm. Der Apothekenpreis für ein 40-Gramm-Döschen Proofide im Fachhandel ist zwar unerhört, dafür hält es bei mir etwa 10 Jahre, inklusive Erstbehandlung mehrerer Sättel.

Ein interessanter Stoff ist Lanolin (Schafswollfett, auch als Wollwachs bezeichnet), das zu erträglichen Preisen in Apotheken erhältlich ist. Man kann es bei der Erstfettung verwenden und damit das Einfahren deutlich beschleunigen. Es sollte aber nur sehr sparsam verwendet werden, als dünner erster Film, vorzugsweise an den belasteten Stellen des Leders, dann (zum Beispiel unmittelbar nach dem Einziehen) kommt nur noch Fett drauf. Großzügiger Lanolineinsatz sorgt nämlich dafür, dass sich das Leder auch nach der Einfahrzeit dehnt und dehnt und … und dadurch auf Dauer unbrauchbar wird. Auf die Oberseite sollte es überhaupt nicht gelangen, weil die Satteloberfläche dann dauerhaft milchig-matt wird. Ich habe es nie verwendet, aber manche Leute schwören darauf.

Spannen

Das Spannen ist, wie auch das Fetten, eine Weltanschauungsfrage. Die zu erwartende Kritik am hier Gesagten bitte als Leserbriefe eintüten ;o)

Bild 10: Normaler Durchhang meines etwa 10.000 km alten, nie gespannten Reiseradsattels (B17 N). Mehr wird das nicht – wenn ich nicht den Fehler mache, zu spannen …

Meine Spannprozedur ist denkbar einfach: überhaupt nicht. Meinen ersten Brooks habe ich noch gespannt, und das nichtmal stark, aber eben immer mal wieder, und so letztlich kaputtgemacht. Er lebte nur etwa 20.000 km, dann hatte ich die Schnauze voll vom Wechseln gebrochener Spannschrauben.

Kleiner Exkurs in die technische Mechanik: Wenn ein absolut gerade gespanntes Seil mit einer (z. B. geringen) Querkraft belastet wird, erzeugt das eine unendliche Längskraft im Seil. Aber nur theoretisch, das Seil dehnt sich nämlich elastisch (oder auch plastisch) unter der Last und der kleine Knickwinkel an der Krafteinleitungsstelle reduziert die Seilkraft. Deshalb biegt sich jedes noch so straff waagerecht gespannte Seil schon durch sein Eigengewicht durch – und bereits eine kleine Querkraft (etwa ein Spatz, der sich auf eine Wäscheleine setzt) sorgt für eine weitere Absenkung. Die Wäscheleine hält das zwar locker aus, aber die Seilkraft bleibt wesentlich größer als das Gewicht des Spatzes.

Bild 11: Höllisch schief …

Daher hat die Hängematte eines Ledersattels, spätestens unter Last, immer einen Durchhang. Und das ist auch gut so, sonst würde das Leder reißen. Wer seinen Sattel spannt und den Durchhang beseitigt, beschert sich selbst nur ein unnötig hartes Sitzgefühl und schlechtere Druckverteilung – und der Satteldecke eine deutlich vergrößerte Längszugkraft. Das Leder dehnt sich dann natürlich schnell, es stellt quasi den technisch notwendigen Durchhang automatisch her. Wenn dem Spannfetischisten das nicht gefällt, schließt sich der Teufelskreis: spannen, dehnen, spannen, dehnen …

Die typischen Folgen, mal abgesehen vom suboptimalen Sitzkomfort: Spätestens, wenn sich der Sattel um einige Zentimeter gelängt hat, kommt es zu Schraubenbrüchen. Und die Neigung des Sattels zum Schiefziehen wächst deutlich. Die Bilder 11 und 12 zeigen so ein kaputtgespanntes, krummes Exemplar.

Also: Wenn der Sattel bequem bleiben und lange halten soll, möglichst gar nicht spannen, und falls doch, dann möglichst moderat.

Bild 12: … weil kaputtgespannt.

Defekte, Reparaturen und Tuning

Satteldecke zieht schief

Sattel nicht spannen, dann passiert das selten. Passiert es trotzdem, hat man ungleichmäßig gefettet oder schlicht Pech gehabt. Leder ist eben kein homogener Werkstoff.

Schraubenbruch

Phänomen: Dauerbruch durch schwellende Biegung, siehe Bild 14. Die traditionelle Spannkonstruktion mit biegebeaufschlagtem Gewinde ist nach den Maßstäben dem Maschinenbaus eine klassische Fehlkonstruktion. Das Problem hat allerdings nur, wer seinen Sattel spannt. Wenn man nicht spannt, reicht der Biegehebel nicht aus, sie zu zerstören.

Bild 13: Sammlung gebrochener Spannschrauben
Bild 14: Typischer Biegedauerbruch

Die Brooks-Gewindebolzen mit Zollgewinde sind zumindest auf Reisen nicht unbedingt leicht zu beschaffen. Also ist ein Ersatzbolzen in der Reise-Ersatzteilschachtel keine schlechte Idee. Man kann es sich aber einfacher machen und einen M8-Gewindebohrer durch die Sattelmutter jagen. Das geht ohne Vorbohren, man schneidet praktisch über Kreuz ein Zweitgewinde mit anderer Steigung hinein. Als Schraube kann man jede handelsübliche M8 nehmen, die lang genug ist. Schrauben der gängigen Festigkeitsstufe 8.8 (10.9 oder 12.9 wäre natürlich noch besser) haben bei mir sogar besser gehalten als der Original-Gewindebolzen. Nirosta ist wegen der geringen (Dauer-)Festigkeit nicht zu empfehlen.

Bild 15: Oben ein gebrochener zölliger Original-Gewindebolzen, darunter die metrische Reparaturlösung mit umgeschnittener Brooks-Mutter

Anordnung: Inbus- oder Sechskantkopf hinten, optimal mit langem Werkzeug von hinten gedreht, ansonsten (viel fummeliger) von unten. Schraube in die umgeschnittene Spannmutter eindrehen, dann eine Stoppmutter drauf. Das Gewindeende sollte nur etwa 2,5 mm aus der Stoppmutter herausragen. Dann weiterdrehen und spannen. Die Stoppmutter ersetzt den vorderen Anschlag des serienmäßigen Klemmbolzens, das Schraubenende setzt sich in die Bohrung der Blechhutze.

Bild 16: Fertig »montierte« M8-Umstrickschraube

Das kann man als Reparatur unterwegs machen, Gewindebohrer und Schraubstock gibt es in Werkstätten, Schraube und Mutter auch, ansonsten im Eisenwarenhandel. Oder prophylaktisch vor einer Radreise. Dann muss man im Bruchfall nur eine handelsübliche 8er Schraube nachkaufen und montieren.

Gestellbruch

Das ist ein wirklich ärgerliches Problem, dem ich die meisten Neuanschaffungen von Sätteln verdanke. Meine B17-Gestelle brachen zwischen 10.000 und 60.000 km, im Durchschnitt bei etwa 20.000 km an der hinteren Einspannung. Die Einsatzbedingungen sind allerdings auch denkbar ungünstig: Der Fahrer ist nicht der Leichteste, montiert seine Sättel weit hinten (Hebelweg), fährt gern ungefedert und zügig unebene Strecken und ist auch noch oft zu faul, dabei den Sattel zu entlasten.

Bild 17: Zwei B17-Gestelle, die nach dem Bruch »geschient« und noch einige tausend Kilometer gefahren wurden

Die Drähte sind einer schwellenden Biegebelastung ausgesetzt, die am hinteren Austritt der Klemmung in der Sattelstütze am größten ist. Die Materialbelastung vergrößert sich dort noch durch die Kerbwirkung der Einspannung (Steifigkeitssprung). Materialermüdung führt zum Dauerbruch: Anriss und schneller Rissfortschritt bis zum Restbruch. Ob und wann das geschieht, hängt von der Häufigkeit und Größe der Belastungen ab. Einzelne, hohe Lastspitzen (etwa beim Rumpeln durch ein übersehenes Schlagloch) wirken sich besonders schädlich aus.

Eine Sattel- oder Hinterradfederung mindert die schädlichen Spitzenlasten erheblich. Wirklich wirksam ist sie aber nur, wenn sie nicht durchschlägt, also hart genug ist bzw. ausreichend Federweg bietet, nicht »auf Block zu gehen«.

Natürlich könnten auch die Sattelhersteller einiges zur Erhöhung der Gestell-Lebensdauer tun, wenn sie es denn wollten. Gängige Sattelstützen passen zu Drahtdurchmessern um 7 mm. Die Drahtdurchmesser streuen um diverse Zehntelmillimeter. Brooks verwendet relativ dünne Drähte: an zwei verchromten B17 gemessen: 6,6 bis 6,7 mm (was nach 17/64 Zoll riecht ;o), andere Gestelle sind deutlich über 7 mm dick. Ein Rechenbeispiel zu den scheinbar geringen Unterschieden: Die Durchmesservergrößerung von 6,6 auf 7,3 mm reduziert die Materialspannung um 26 Prozent und steigert (leider) die Federhärte um 50 Prozent.

Auch beim Material gibt es deutliches Optimierungspotential: Ledersattelgestelle sind meistens aus besserem Baustahl; gehärtete bzw. vergütete Stähle (Beispiel CrMo) sind wesentlich belastbarer. Ein dermaßen verbessertes Gestell, möglichst eine Kombination aus besserem Werkstoff und größerem Durchmesser, wäre mir wegen der zu erwartenden mehrfachen Verlängerung des Sattellebens einen entsprechend höheren Preis wert.

Reparaturmöglichkeiten: Wenn (ja, wenn) es für den Sattel Ersatzgestelle gibt, erneuern – siehe unten, »Nachnieten«. Unterwegs kann man den Bruch umstandslos schienen, indem man das Gestell etwas noch vorne verschiebt, sodass die hintere Halbschalenklemmung der Sattelstütze die Bruchstelle sicher aufnimmt und abstützt. Wichtig dabei: Klemmung fest anziehen (bei M8-Einschrauben-Patenstützen ca. 25 Nm, also mit langem Hebel) und die Klemmung anfangs öfter kontrollieren und ggf. nachziehen. Damit kann man noch weit fahren.

Bild 18–19: Gestell-Bruchbilder. Die glitzernde Fläche rechts ist durch Reibung des geschient weiterbelasteten Drahts entstanden.

Schweißen ist zwar grundsätzlich möglich, aber handwerklich schwierig und damit als Notreparatur unterwegs nicht zu empfehlen. Ich habe das einmal getestet, in einer kroatischen Autowerkstatt. Mir war klar, dass nur das Durchschweißen des gesamten Drahtquerschnitts halten kann. Also ein keilförmiger V-Stoß, weil man nur von der Unterseite rankommt. Aber als ich noch dabei war, die Werkzeuge für die Vorbereitung (Flex, Feilen) zusammenzusuchen, hatte der Schweißer schon einen Apfel um die Bruchstelle gebraten – unbehandelt, samt Verchromung. Den Klumpen musste ich dann wieder wegarbeiten, um den Draht wieder klemmen zu können. Es verblieb also eine dünne Pfusch-Schweißung im unteren Umfangsbereich des Drahts, die, wenig überraschend, schon nach zwei Asphalt-Kilometern brach.

Sitzlappen biegen aus und scheuern

Die katastrophale Lösung: Sattel spannen – Folgen siehe oben. Die nachhaltigere: Man nehme ein sehr scharfes Messer (z. B. Skalpell) und schneide weg, was stört. Dann die Kante flach anschrägen, zum Beispiel mit Schleifklotz von Hand oder Skalpell. Eilige Gemüter nehmen für sowas die Flex ;o).

Zum Abstellen des Scheuerns tut es ein moderater Beschnitt (Bild 6). Radikalbeschnitt (Bild 7) verbessert zwar die dynamische Anpassung der Lederdecke und erzeugt ein traumhaft weiches, federndes Sitzgefühl, hat aber auch Nachteile: Schlechtere Seitenführung (seitliches Pendeln), schnellere und weitere Längung der stärker zugbelasteten Lederdecke, und der Sitzdruck kann zunehmen, weil die belastete Fläche kleiner wird.

Alternativ: Schmaleren Sattel probieren.

Nachnieten

Typische Anlässe: Erneuern eines gebrochenen Gestells, »Nachziehen« einer durch eifriges Spannen überlängten oder schiefgezogenen Decke (wird nach hinten gezogen, nach dem Nieten in neu gebohrten Löchern wird der Überstand passend abgeschnitten) oder schadhafte Nietung (Lederausriss, verlorener oder irreparabel lockerer Niet).

Bild 20: Links massiver Kupferniet aus dem Ledergeschäft mit (notwendiger) Stützscheibe, rechts zwei verkupferte Stahl-Hohlniete von Brooks

Es empfiehlt sich, nur hinten nachzunieten. Die Blechhutze vorn ist zu verwinkelt, um mit einfachen Mitteln die neuen Niete fest genug zu stauchen. Das Abbohren der alten Niete ist schnell erledigt, das Nieten selbst ist aufwendiger. Meine Erfahrung beschränkt sich auf drei Bauarten: Brooks-Stahlniete (verkupfert oder silbrig vernickelt) mit hohlem Schaft, massive Kupferniete und Alu-Blindniete.

Erstere sind leicht zu verarbeiten: Kopf flächig abstützen, Hohlschaft mit kegeligem Dorn aufspreizen und das aufgerissene Material plattklopfen. Kupferniete sind zwar standesgemäß, schön und mit großen Köpfen erhältlich (die man nach dem Nieten rundhämmern kann), sind aber schwer zu verarbeiten, weil sie große Stauchkräfte brauchen. Der Schaft ist meistens zu lang, muss also erstmal passend gekürzt werden. Der Niet kann nur halten, wenn er zentral gestaucht und nicht umgebogen wird. Blindniete wiederum sind kinderleicht zu verarbeiten und halten auch. In meinem legendären »Hero« zum Beispiel stecken einige. Aber hübsch sind sie nicht. Und ich bin der Meinung, dass neumodische Materialien wie Aluminium oder Nirosta an der Oberfläche eines Ledersattels sowieso nichts zu suchen haben. Die Integrität des historischen Designs muss schon respektiert werden.

Zum Autor

Rainer Mai, begeisterter Leser des »Lauterbrunnental Leaflet« und auch ansonsten sehr altmodisch, ist Fahrrad-Sachverständiger in Frankfurt am Main, Maschinenbauingenieur, Alltags- und Reiseradler, Mitgründer und Betreuer einer Selbsthilfewerkstatt, Mitinitiator der »AG Verflixtes Schutzblech«.