Ausgabe 8 · März 2009
Diesen Artikel als PDF
Familien-Mobilität mit dem Pino
Der Entschluss
Eigentlich brauchten wir unseren Kadett schon seit Jahren nicht mehr. Jede kleine Reparatur hat den Kilometerpreis gleich in die Höhe schnellen lassen, denn wir fuhren weniger als 4000km im Jahr. So trennten wir uns nach 15 Jahren von ihm, nachdem wir ihm noch gewinnbringend einen TÜV verpasst haben.
Aber wie kann man nur! Mit Kindern braucht man doch ein Auto! Schon für den Notfall! Und der Alltag – Wocheneinkauf etc.? In der Werbung hieß es früher doch: »Aber ich brauch doch mein Waschmittel (Auto)!«. Schon vorneweg: Für den Notfall gibt es Taxis oder den Notarzt. Da ich dies noch schreiben schreiben kann, ist niemand verhungert und das liegt an folgendem Mobilitätskonzept:
Das Konzept
Wir wohnen in Tübingen. Fünf Minuten zur Bushaltestelle, wo der Bus meist halbstündig fährt. Auch vierjährige Kinder können vier Kilometer laufen. Man muss sich nur Zeit für sie nehmen. Dies ist eine gute Gelegenheit ihnen die Welt zu erklären und viel Spaß miteinander zu haben. Dann muss man die Kinder auch nicht mit dem Auto zur Frühförderung fahren. Und mit einem ordentlichen Einkaufswägelchen ist der halbe Wocheneinkauf nebenbei erledigt.
Falls wir ein Auto brauchen, was alle 2 Monate mal vorkommt, dann können wir unter 45 verschiedenen das richtige auswählen, denn Tübingen hat ein hervorragendes Carsharing. Und dann gibt es ja noch das Fahrrad. Zum Kindertransport hing bis dahin an meinem Tourenrad der Kinderanhänger »Ritschie« und da passten die Sanna (4) und der Linus (5) gerade noch rein.
Aber es wurde enger und der Kindersitz vorne zwischen den Beinen, der sich beim Einzeltransport sehr bewährt hatte, wurde auch zu eng. Also suchten wir eine Möglichkeit als Familie spontan und schnell innerstädtische Strecken zurücklegen zu können. Der Sitz vorne war zwar für den Erwachsenen etwas unbequem zum Radeln (O-Beine), aber die Kinder waren immer begeistert dabei, denn man konnte ihnen Dinge zeigen und sich mit ihnen unterhalten. So etwas brauchten wir, nur etwas bequemer und größer.
Das Pino
Irgendwo hatte ich das Tandem Pino von Hase gesehen. Dies schien die Anforderungen zu erfüllen: Als Erwachsener kann man in gewohnter Position radeln. Das Kind sitzt vorne und sieht alles. Man kann miteinander reden. Das Kind kann mittrampeln, muss aber nicht (Freilauf). Es sitzt so sicher, mit den Gurten festgeschnallt, die Handgriffe an den Seiten hochgestellt, dass es sogar bequem schlafen kann. Die (zusätzlichen Kinder-)Pedale wachsen mit (leicht verstellbar).Vorne kann auch ein Erwachsener sitzen, daher ist es nicht nur eine Anschaffung für die kurze Zeit, wo die Kinder klein sind. An Lowrider und Gepäckträger kann man vier Satteltaschen befestigen und den Ritschie kann man auch noch anhängen.
Damit ist selbst ein umfangreicher Wocheneinkauf mit Apfelsaftkästen zu erledigen. Beim Kaufpreis von 3.000–5.000 € schluckten wir erstmal, machten uns dann aber klar, dass die monatlichen Unterhaltskosten eines Auto (ca. 200 €) komplett fehlen. Dies hat sich bewahrheitet. Wir wählten die Rohloff-Nabenschaltung. Wenn man in der Stadt Tandemfahren will ein Muss. Denn das Anfahren im hohen Gang einer Kettenschaltung macht schon mit einem »kleinen Rad« keinen Spaß. Das Pino kurz hinten anheben geht auch nicht mit Kind vorn und hinten Gepäck.
Ein SON Nabendynamo kombiniert mit einem Scheinwerfer mit Sensorautomatik macht zuverlässig Licht. Der große Zweibeinständer sorgt für bequemes Auf- und Absteigen der Kinder. Auch kann man die Kinder mit Ständer mal sitzen lassen. Um die Tauglichkeit zu testen, kauften wir erstmal nur ein Pino. Dies überzeugte: Nach einem halben Jahr erwarben wir das zweite.
Die Erfahrungen
Unsere Erfahrungen nach gut drei Jahren und 4.000 Gesamtkilometer: Die Pinos tun einfach ihren Dienst. Die Erwartungen wurden voll erfüllt. Die Kinderpedale haben sich auch bewährt. Allerdings habe ich die Kettenführung etwas modifiziert.
Ein Umlenkrädchen (aus einer alten Kettenschaltung) hält die Kette am Gabelschaft niedrig, da mit Kinderpedalen oben kein Kettenschutz vorhanden ist. Für das Einstellen der Kette sollte man immer Werkzeug dabei haben, auch falls die vordere Kette mal abspringt. Für die kleinen Hände meiner Frau habe ich den Drehgriff für die Rohloff-Schaltung umgebaut, sodass er zwischen Daumen und Zeigefinger und nicht mit dem kleinen Finger gedreht wird.
Die Kinder sind begeistert, wenn sie mitfahren dürfen, ob in der Stadt oder auf längeren Radtouren. Sie sehen viel und sitzen dabei viel bequemer als die Eltern. Es ist schön mit der ganzen Familie auch Strecken mit dem Fahrrad zurücklegen zu können, die die Kinder auf eigenen Rädern wegen der Entfernung oder des Verkehrs nicht bewältigen könnten. Ein Tipp: Die Kinder müssen warm angezogen sein, denn sie bekommen den gesamten Fahrwind ab und der bläst noch in die Hosen unten rein. Bewährt haben sich Matschhosen und eine regendichte Jacke als Überzug.
Auch Handschuhe sind oft zu empfehlen, denn vorne wird meist nicht so hart gearbeitet, wie der Kapitän es sich manchmal wünscht. So ist es dem Erwachsenen oft noch warm, wenn vorne schon geschnattert wird. Am Berg ist die Zusatzleistung der Kinder aber inzwischen deutlich spürbar.
Ich stelle die Füße auch mal hoch und lasse den Linus treten. Das gibt immer einen Spaß,wenn er es dann merkt. Die sonst sehr gesprächige Sanna antwortete mal auf die Frage, warum sie so ruhig ist: »Ich beobachte den Wind!«
Zum Autor
Dipl. phys. Frank Heuser, Tübingen, Beruflich einer der wenigen Nabendynamomonteure Deutschlands, in der Freizeit Kreisvorsitzender des VCD-Tübingen, solo mit einem ATL (Alltagsliegerad) unterwegs.