Ausgabe 8 · März 2009
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Bringt Familienleben ohne Auto weniger Lebensqualität?
Allgemeine Betrachtungen und konkrete Beispiele einer Jungfamilie aus dem Großraum Wien
Einstieg
»Na warte nur, bis du Kinder hast.«
So oder so ähnlich lautete die Antwort, die wir früher oft auf die allzu selbstbewusst vorgetragene Einstellung, das eigene Leben autofrei gestalten zu wollen, erhielten.
Landläufig scheint die Meinung vorzuherrschen, dass Familienleben ein Automobil im eigenen Besitz bedingt. Wir können das nicht nur im vermeintlichen allgemeinen Bild der Gesellschaft wahrnehmen, sondern beobachten es auch im direkten sozialen Umfeld. Wenig überraschend, wird doch durch die medialen Einflüsse oftmals suggeriert, dass das Auto ein Familienmitglied ist. Mutter, Vater, zwei Kinder und ein geräumiges Auto – und fertig ist das Familienglück.
Wie ist es also zu unserer Autofreiheit gekommen? An und für sich bedarf es für ein autofreies Leben nicht zwangsweise einer bewussten Entscheidung. Für Ulrike, die bis zu ihrem 29. Lebensjahr in Wien mit seinem sehr guten ÖV-Netz wohnte, kam dies »von selbst«.
Tadej aber wohnt seit jeher in der Kleinstadt Baden, die viele regionale Verknüpfungen zu öffentlich schwer oder gar nicht erreichbaren Zielen hat (Sporthallen in Nachbarorten, Freunde in Landgemeinden, etc.). Daher bedurfte es bei Tadej eines Willensaktes, sich anders als Gleichaltrige mit Anfang zwanzig kein Auto anzuschaffen und den Verlockungen, die »das erste eigene Auto« verspricht, nicht nachzugeben. Der Start des Selbstversuches der Autofreiheit erfolgte für Tadej im Jahr 1998. Dieser bewusste Verzicht ersparte die spätere Überwindung, es wieder loszuwerden.
Wenn man einmal autofrei lebt, bietet sich die Analogie zur Mechanik an: Diese besagt, dass der Losbrechwiderstand aus der Ruhe größer ist (ca. um den Faktor 2 bei Stahl auf Stahl) als der auf die Bewegung folgende Rollwiderstand [Krapfenbauer et al. 1993].
Es blieb nicht bei einem zeitlichen begrenzten Selbstversuch wie in Dorothea Kocsis’ Erfahrungsbericht über ihr einjähriges Autofrei-Projekt [Kocsis 2007]. Vielmehr glitt das Vorhaben mit einer Übergangsphase von vielleicht zwei Jahren endgültig hinein in die Autofreiheit.
Erleichtert wurde dies durch das zunehmende Vorleben der bewussten Nutzung des PKW durch die jeweiligen Eltern.
Wir würden unsere Form der Autofreiheit von »auto lite« [Alvord 2000] abgeleitet als »very auto lite« bezeichnen. Wir besitzen kein Auto und benutzen auch keines regelmäßig, nutzen aber in seltenen Fällen eines – als Rückfallebene.
Alltag
Unser Alltag spielt sich in Baden bei Wien ab. Ca. 25 Kilometer südlich von Wien liegt es am westlichen Rand des Wiener Beckens. Nach Osten hin Flachland, nach Westen hin das Hügelland des auslaufenden Wienerwaldes bzw. der beginnenden Voralpen.
Mit seinen gut 24.500 Einwohnern hat die Stadt momentan ca. 10 Prozent Fahrradanteil am Modal Split [Herry et al. 2007a] [Statistik Austria 2002]. Das ist zwar im internationalen Vergleich nicht allzu viel (7 Prozent in Österreich gesamt [CIMA 2007]), doch konnte durch einige bewusstseinsbildende Aktionen in der Region während der letzten Jahre auch subjektiv ein leichtes Ansteigen wahrgenommen werden.
Beide sind wir Arbeitspendler zwischen Baden und Wien und benützen dafür den Öffentlichen Regionalverkehr (zwei Bahnlinien stehen hier zur Auswahl). Tadej fährt je nach Witterungslage, Radverfügbarkeit und Terminverpflichtungen (Da am Dienstort keine Duschmöglichkeit gegeben ist, kommt im Fall von Meetings und dgl. eine Radfahrt nicht in Frage.) auch mehrmals die Woche mit dem Rad die ca. 28 Kilometer nach Wien.
Momentan sind wir beide in Elternteilzeit (»Teilzeitkarenz«), haben somit (stark) reduzierte Arbeitsausmaße.
Neben den Arbeitswegen, hauptsächlich zum Bahnhof, verwenden wir im Alltag fast täglich das Fahrrad für:
- den Einkauf von Lebensmitteln, Verbrauchsgütern und Gebrauchsgegenständen bis zu einer Größe von etwa 75 mal 45 cm (Ladefläche des Lastenanhängers);
- Wege in den Garten;
- sportliche Zwecke.
Zum Vergleich: Der Anteil der Personen in der Region Niederösterreich Süd, die das Fahrrad gelegentlich zum Einkauf verwenden, beträgt ca. 30 Prozent und die dabei zurückgelegten durchschnittliche Rad-Wegstrecke zum bevorzugten Einkaufsziel 1,3 Kilometer [CIMA 2007].
Mit ähnlicher Methodik wie bei der später folgenden Abschätzung der Automobil-Notwendigkeit ergeben sich folgende Jahreskilometerleistungen mit dem Fahrrad im Alltag als unterer Grenzwert. Darin enthalten ist ein unterer Mittelwert für Radsport:
- für Ulrike 857 km/a und
- für Tadej 3.169 km/a.
Die durchschnittliche Fahrrad-Jahreskilometerleistung in Österreich von 162 Kilometern überbieten wir somit leicht.
Für die Bewerkstelligung des Alltags ist – vor allem seit der Geburt unseres Sohnes Marjan –ein gehöriges Ausmaß an Mobilitätslogistik erforderlich.
Einerseits verlangt die Benutzung von sowohl ÖV als auch Rad die Einholung von Vorab-Informationen wie z. B. zum generellen Fahrplanangebot, Abweichungen davon oder zur Wetterentwicklung. Nun sind wir keine Schönwetterradler, jedoch ist die ca. eineinhalbstündige Fahrt nach Wien z. B. bei Regen kein Vergnügen – der Umstieg auf die Bundesbahn in solchen Fällen ziemlich verlockend. Die Fahrplankerndaten sind, einmal aufbereitet, aufgrund des dauernden Gebrauchs schnell verinnerlicht.
Andererseits ergeben sich komplexe Mobilitätsketten mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln, Zeiten, Örtlichkeiten und Hilfsmitteln. Dazu zwei Beispiele:
Jeden Montag verbringt Marjan bei Ulrikes Eltern in Wien, weil Ulrike und Tadej arbeiten. Solange es nicht eisig kalt ist, fahren wir mit den Fahrrädern (Marjan im Kindersitz) zum Bahnhof. Die Räder werden an den überdachten Fahrradabstellplätzen abgesperrt und weiter geht’s mit dem Zug Richtung Wien. An der Haltestelle Liesing wartet schon Ulrikes Mutter beim vordersten Waggon, um Marjan entgegen zu nehmen. Sie hat einen Buggy mitgebracht, weil Marjan den halbstündigen Fußmarsch zu ihr nach Hause noch nicht (oder nur sehr langsam) zu Fuß bewältigt. Am Abend holt Tadej Marjan mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ab. Da aber Tadejs Bahnhofs-Fahrrad keinen Kindersitz hat (ein altes Damenrad mit fest montiertem Gepäckträgerkorb), legen Vater und Sohn das letzte Stück vom Bahnhof nach Hause mit der Straßenbahn (»Badner Bahn«) zurück. Tadejs wenig kostbare »Bahnhofs-Gurke« übernachtet fest versperrt am Bahnhof und kommt einfach beim nächsten Nachhauseweg mit.
Ulrike will gemeinsam mit Marjan und einer Freundin, die aus Wien zu Besuch kommt, in den Garten und anschließend ins Badener Strandbad fahren. Die Erreichbarkeit mit dem Bus wäre gegeben, ist aber wenig komfortabel (große Intervalle, wenig Flexibilität). Deshalb packt Ulrike das Faltrad mit sämtlichen Badeutensilien in den Lastenanhänger, Marjan kommt in den Kindersitz. 10 Minuten Fahrt zum Bahnhof. Dort wird die Freundin abgeholt, das Faltrad ausgeladen und so geht’s mit beiden Rädern zuerst in den Garten und anschließend ins Strandbad.
Klingt kompliziert und umständlich? Ja und nein. Ein bisschen Planung ist schon nötig, dafür gehören die Wege selbst schon zur Unternehmung dazu: Im Zug nach Wien ist genug Zeit, um mit Marjan zu spielen und zu plaudern. Die gemeinsame Radfahrt mit der Freundin ins Strandbad macht Spaß und steigert die Vorfreude aufs kühle Wasser. Es geht also nicht nur darum Entfernungen zu überwinden, sondern auch um die Befindlichkeit währenddessen.
Und schenkt man den nicht enden wollenden Ausführungen vieler Mitmenschen über die Sorgen und die Bürden des Autobesitzes Glauben, ersparen wir uns damit eine Menge Nerven und noch mehr Geld:
Benzinpreis erreicht einen neuen Rekord? – Das kratzt uns nicht, Muskelkraft ist billig.
Parkplatzprobleme beim Einkauf am Samstag in der Badener Innenstadt? – Lächerlich, auch mit Anhänger findet ein Fahrrad einen Stellplatz in der Fußgängerzone.
»Schon wieder ein neues Auto fällig. Wer soll das bezahlen?« – Da sparen wir uns ja ein kleines Vermögen und für ein gutes Fahrrad reicht’s allemal noch.
Strafmandate, Versicherungen, Staus – die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Jedes Mal, wenn Arbeitskollegen und Bekannte die Klagelieder anstimmen, loben wir uns unseren unbeschwerten und fröhlichen Alltag ohne Auto.
Nicht-Alltag
Aus dem Normbereich des Alltags stechen die nicht-alltäglichen Anwendungen hervor.
- Urlaub [Brezina et al. 2008] und Ausflüge per Fahrrad.
- Reisen zu Zielen in nicht unmittelbarer Entfernung zu Bahnhaltepunkten stellen durch die Mitnahme des Faltrades lediglich einen geringfügigen Mehraufwand dar. Wenn das Kind mitkommt, wird statt des Faltrads Ulrikes Fahrrad mit Kindersitz im Zug mitgenommen. Das bewährte »Bike & Ride« modifiziert sich somit zu einem »Bike, Ride & Bike again«.
- Lastentransporte. Mittelschwere Transporte (bis ca. 30 Kilogramm) lassen sich mittels Lastenanhänger komfortabel, wenn doch manchmal ein wenig gewöhnungsbedürftig erledigen. So haben wir anlässlich Marjans zweiten Geburtstags für den Freundes- und Verwandtenkreise ein Gartenfest ausgerichtet. Der Verpflegungseinkauf und -transport zum Garten erfolgte großteils per Lastenanhänger. Pflanzen beim Gärtner und Baumaterialien (z. B. Metallsteher für den Garten) in den Nachbarortschaften einkaufen und antransportieren, stellen ebenso leicht zu bewältigende Aufgaben dar wie wie der Abtransport von Abfällen ins stadtperiphär liegende Altstoffsammelzentrum (Bild 2 und Bild 3).
Rückfallebenen
Der PKW stellt für uns eine notwendige Rückfallebene dar, wie sie bei einer kraftfahrzeugorientierten Siedlungsstruktur gelegentlich erforderlich ist. Es gibt in unserer Lebensgestaltung natürlich Wege, wo ein KFZ wirklich praktisch ist. Jedoch ist das Ausmaß der Wege, für die wir ein Auto verwenden, kein allzu großes. Wir wollen das hier einmal überschlagen:
Für eine personenspezifische, durchschnittliche Normalwoche (Mo. bis Fr.) in warmer und kalter Jahreszeit sowie durchschnittliche freie Tage (Sa., So., Urlaubstage) wird die Anzahl der Wege ermittelt. Diese wird multipliziert mit der jeweiligen Anzahl an Tagen und ergibt:
- für Ulrike 2,65 Wege/d (968 Wege/a) und
- für Tadej 3,70 Wege/d (1352 Wege/a) (Die signifikant höhere Anzahl für Tadej ist großteils den extern konsumierten Mittagsmahlzeiten am Arbeitsort zuzuordnen.)
Dem gegenübergestellt wird die geschätzte Anzahl der Autofahrten bzw. -mitfahrten laut 1. Die Werte sind eher großzügig geschätzt und können daher als oberer Wert gesehen werden. Es ist daraus ersichtlich, dass der Anteil der Wege, die tatsächlich mit dem PKW durchgeführt wird, mit 2,0 – 3,0 % sehr klein ist. Die Anschaffung und Vorhaltung eines PKW für einen einstelligen Anteil an der Gesamtwegezahl erscheint uns weder logistisch noch kostenmäßig sinnvoll.
Anlass | Anzahl der Wege | |
---|---|---|
Ulrike | Tadej | |
Besuch bei Großvater im Weinviertel | 4 | 2 |
Ausflug mit Auto im Sommer | 4 | 4 |
Ausflug mit Auto im Winter | 4 | 4 |
Einkauf von sperrigen Artikeln | 4 | 4 |
Transport von Mauer nach Baden | 6 | 4 |
Witterungs-/entfernungsbedingte Ausfahrt | 4 | 4 |
Fahrt zu Sportveranstaltungen | - | 6 |
Taxifahrt (spät abends oder Anschluss verpasst) | 3 | - |
Anzahl der Autowege/Jahr | 29 | 28 |
Anzahl der Wege/Jahr | 968 | 1352 |
Anteil Autowege an Wegen | 3,00 % | 2,07 % |
Zu unseren eigenen Auto-Wegen sind noch knapp 20 Servicewege der Eltern zu erwähnen (Lieferung von sperrigen Gegenständen, Holen/Bringen von Marjan sowie jeweils die Retourniert von oben genannten »Transport von Mauer nach Baden«). Da diese Wege jedoch nicht zur Grundgesamtheit unserer eigenen Wege zählen, wurden sie in der Abschätzung oben nicht mit eingerechnet.
Aus 1 lässt sich schon entnehmen, dass die Praktikabilität des PKW auf zwei Rückfallebenen zum Tragen kommt:
- Stufe 1 sind die Fälle einer vorhersehbaren Nutzung. Dies wird momentan durch die Mitbenutzung des Eltern-PKW bewerkstelligt, da ein Elternpaar im gleichen Ort wohnt. Falls in Zukunft die Nutzung dieses »Großfamilien-Autos« nicht mehr möglich sein sollte, kann auf das österreichweite Car-Sharing-System zurückgegriffen werden, das auch am hiesigen Bahnhof einen Standpunkt hat.
- Stufe 2 sind die unvorhersehbaren Fälle, also wenn wegen eines verspäteten Zuges ein Busanschluss verpasst wird oder wenn Ulrike doch länger als geplant bei einer Feier bleibt und dann, um den letzten Zug nach Baden zu erwischen, ein Taxi innerhalb Wiens nehmen muss. Nicht dazu gerechnet werden dringende Fahrten ins Krankenhaus bei Krankheiten oder Verletzungen. Für solche Notfälle steht österreichweit ein Rettungsdienst zur Verfügung.
Kostenaspekte
Die Ausgaben für Mobilität sind für uns, nach den ökologischen Gründen, ein wesentlicher Punkt, warum wir »very auto lite« leben.
Die Haushaltsabrechnung von 2008 ergibt Ausgaben für ÖV-Mobilität für den gesamten Haushalt von 2.400 €, was monatlichen Kosten von 200 € entspricht.
Um eine Einordnung des Ausmaßes unserer Mobilitätskosten vornehmen zu können, haben wir in unserem Bekanntenkreis eine unvollständige und nicht repräsentative Umfrage zu den monatlich erwachsenden Kosten der KFZ-Haltung gemacht. Das Ergebnis zeigt Bild 4.
Die Finanzierungskosten für den Kauf des KFZ haben wir nicht erhoben, Ausnahme ist der graue Referenzwert für SR, der die Monats-Leasingraten für den Vergleich enthält. Es ist zu beachten, dass zu den genannten laufenden KFZ-Kosten noch die Kosten für allfällige ÖV-Zeit- und Einzel-Karten hinzukommen.
Unsere monatlichen Kosten belaufen sich knapp unter dem von der Statistik Austria für 2005 angegebenen Wert von 206 € [8]. Askontiert mit den Verbraucherpreisindex 2005 entspricht das einem Wert von 221 € für Jänner 2009 [Statistik Austria 2008] [Statistik Austria 2009].
Die Kosten für die alltagsrelevante Fahrradausrüstung wollen wir wie folgt abschätzen:
Anschaffungskosten Faltrad (ca. 1.300 €), Tadejs Reiserad (ca. 1.200 €), Ullis Reiserad (ca. 1.100 €), Kinderanhänger inkl. Zubehör (ca. 700 €), Lastenanhänger (ca. 180 €) und ca. 250 € für Packtaschen. Macht in Summe 4.730 €. Nehmen wir einen Abschreibungszeitraum von 10 Jahren an, das entspricht der unteren, zu erwartenden Lebensdauer qualitativer Radausrüstung, so ergibt sich eine Monatsbelastung von knapp 40 €. In der Haushaltsabrechnung 2008 machten die Ersatzteilausgaben 272 € aus, dazu rechnen wir jährlich ca. 100 € für fahrradspezifischen Kleidungskauf. Reparaturen und dergleichen fallen nicht an, da Tadej alle Reparaturen selbst durchführt. Macht 31 € pro Monat.
Das heißt, zu den 200 € pro Monat ÖV-Kosten von oben kommen noch 71 € pro Monat hinzu, die die Anschaffungskosten der Fahrradausrüstung und deren Einsetzbarkeit berücksichtigen. Mit 271 € pro Monat liegen wir deutlich unterhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten laut Bild 4 und Tabelle 2.
Für unseren Haushalt ergibt sich ein Anteil der Mobilitätskosten an den Haushaltsausgaben FMOB von 7,8 %, womit wir um knapp 10 Prozentpunkte unterhalb den Durchschnittsangaben laut Tabelle 2 zu liegen kommen.
Ausgabenentität | Jahr |
FMOB [1] [%] |
Wert [€/Mo] |
Quelle |
---|---|---|---|---|
Haushalt für Verkehr | 2004 | 16,1 | 409,00 | [Statistik Austria 2008] |
Haushalt (2 Erwachsene und 1 Kind) für Verkehr [2] | 2004 | 17,8 | 555,36 | [Statistik Austria 2008] |
Haushalt in Niederösterreich | 2004 | 17,2 | 452,36 | [Statistik Austria 2008] |
1 PKW | 2006 | - | 462,00 | [Herry et al. 2007b] |
|
Wir können zusammenfassen, dass die geringen Mobilitätskosten uns den Luxus ermöglichen, nicht voll arbeiten zu müssen und die Mütter- bzw. Väterteilzeit in Anspruch nehmen zu können.
Mobilitätsausstattung
Die Geburt unseres Sohnes Marjan und der Beginn der Kleingartenpacht hat unsere Fahrradausrüstung um einige Bestandteile anwachsen lassen, siehe Tabelle 3.
Nutzer | Rad (Anschaffung) | Anhänger-kupplung | Kindersitz | Gepäckträger | Korb | Packtaschen |
---|---|---|---|---|---|---|
Tadej | Rennrad (2002) | |||||
MTB (1998) | ||||||
Faltrad (2003) | mögl. | fix | ||||
Reiserad (2005) [1] | fix | fix | mögl. | mögl. | ||
Bahnhofsrad (gebraucht) [2] | mögl. | fix | ||||
Ulrike | Reise- und Alltagsrad (2005) | fix | mögl. | fix | mögl. [6] | mögl. |
Waffenrad (gebraucht) [5] | fix | mögl. | ||||
Haushalt | Kinderanhänger (2006) [3] | fix | ||||
Lastenanhänger (2008) [4] | fix | |||||
|
Rahmenbedingungen
Aus der eigenen Erfahrung leiten wir folgende Rahmenbedingungen zur Ermöglichung und Erleichterung autofreien Lebens ab:
-
Wohnsituation:
- Eine möglichst niveaufreie Unterbringung von Rädern und Radutensilien ist wünschens- und anstrebenswert, da sie den Initialaufwand zur Benützung wesentlich senkt. Je weniger Handlingaufwand, Tragen, Höhenunterschiede und Ecken beim Zugang zur Straße, umso besser. Leider steht diese Grundforderung oft im groben Gegensatz zur weithin praktizierten baulichen Umsetzung. Möglichst diebstahlssicher und witterungsgeschützt kommt auch noch dazu.
- Die Zwangsausstattung von neu erbauten oder renovierten Wohneinheiten mit mindestens einem KFZ-Abstellplatz durch die rigiden Bauordnungen der Länder stellt eine Erschwernis dar. Dieser KFZ-Stellplatz kann aus rechtlichen Gründen nicht anders genutzt werden und benachteiligt somit durch die Erhöhung der Baukosten und das Vorhandenseins eines unnötigen, nicht nutzbaren Stellplatzes Personen ohne eigenem Auto.
-
Wohnumfeldinfrastruktur:
- Einkaufsmöglichkeiten für Güter des alltäglichen Bedarfs – vor allem Lebensmittel – sollten in fußläufiger Nähe gelegen sein. Denn an Tagen mit starkem Regen, Schneefall oder Glatteis sinkt die Lust, auf ein Fahrrad zu steigen. Wenn Fahrrad und Anhänger aus dem Keller geschleppt und mit klammen Fingern der Anhänger ans Fahrrad gekuppelt werden muss, das Kind dick eingemummelt angegurtet werden muss, fällt der Spaßfaktor rapide ab. In diesen Fällen ist es Fußmarsch mit Kind im Kinderwagen oder Buggy einfacher anzutreten. Noch mehr trifft das zu, wenn man ein Neugeborenes hat, das noch zu klein für Anhängerfahrten ist, oder wenn andere Kinder zu Besuch sind, für die die Radausstattung keine Plätze mehr bietet. Dann bleibt nur mehr der Weg zu Fuß ins Geschäft.
- Die Entfernung zu qualitativ hochwertigem ÖV (gemessen an Bedienungshäufigkeit und Betriebsdauer) sollte nicht zu groß sein. Ca. 15 Minuten Gehzeit scheinen uns eine Grenze der Erträglichkeit zu sein, vor allem unter dem Gesichtspunkt, Säuglinge im Kinderwagen oft schieben zu müssen.
-
Kopplung Rad und ÖV:
- Sichere und möglichst überdachte Fahrradabstellplätze an Bahnhofs- und Haltestellenanlagen sind eine Grundvoraussetzung, da weder ein nasser Kindersitz noch ein zu säuberndes, zugeschneites Fahrrad zur Freude am Radfahren beitragen. Bei Bahnhaltestellen ist das meistens auch gut gelöst. Bus-Haltestellen jedoch haben diesbezüglich noch einigen Aufholbedarf. In der Regel gibt es dort nämlich keine Radabstellplätze.
- Ein Faltrad kostet zwar in der Anschaffung augenscheinlich viel für »seine Größe«, ermöglicht aber in Kombination mit Schienen- und Straßen-ÖV einen wesentlich größeren Einsatzradius bei hoher Unabhängigkeit. Es kann gut, das heißt platz- und tarifsparend, mitgenommen werden.
-
ÖV-Ausrüstung:
- Kinderwagen/Rad und Bahn: In der Ostregion Österreichs sind die Mehrzweckabteile in Eisenbahnfahrzeugen mittlerweile sehr weit verbreitet. Das beinhaltet die zwei- und einstöckigen Wendezuggarnituren und die neuen Diesel-/Elektrotriebwägen. Leider wird aber manchmal (zu) wenig Platz angeboten, da in den Doppelstockgarnituren max. zwei Mehrzweckabteile zur Verfügung stehen. Eine Ausweitung nach deutschem bzw. schweizer Vorbild vom heute gesicherten einzigen Mehrzweckabteil im Steuerwagen auf mehrere Waggons im Verband wäre gut und manchmal auch bitter nötig.
- Kinderwagen/Rad und Bus: Während im städtischen Busverkehr die Mitnahme von Kinderwägen in Niederflurbussen gut funktioniert, gibt es im regionalen Busverkehr noch großen Aufholbedarf. Denn Hochflurbusse haben neben dem Hindernis der Stiegen teilweise nicht einmal einen Abstellplatz für einen Kinderwagen. Erst die neueren Busse mit Rollstuhlhebelift bieten auch Platz für Kinderwägen. Die Radmitnahme auf Bussen gestaltet sich im Regelfall als problematisch, ist aber aus unserer Sicht der direkten Betroffenheit nicht von hoher Priorität – vor allem nicht beim Stadtverkehr. Dennoch könnte für diese Gelegenheit eine Nachrüstung mit Front-/Heckgepäckträgern nach nordamerikanischem Vorbild einfach vorgenommen werden. Bei Überlandbussen wäre es wünschenswert, wenn vor allem auf touristischen Routen die Mitnahmemöglichkeiten in entsprechenden Anhängern oder im Gepäckraum deutlich erhöht würden.
Conclusio
Mit dem Ausstieg aus dem automobildominierten Leben geht eine Veränderung der Aktions- und Wahrnehmungsräume einher. Die durchs alltägliche Nutzen des Autos eingeprägte Überschätzung von Fußweg- und Radfahrdistanzen relativiert sich rasch, was zwingend zu einer Wiederentdeckung der Nähe mit ihren Besonderheiten und Flairs führt. Autobahnen, Shoppingzentren und Staus werden somit zu Exoten auf der eigenen »Mental Map«.
Bedeutet der Verzicht auf Autobesitz einen Verzicht in Bezug auf Lebensqualität?
Im Gegenteil! Er bedeutet eine Verlagerung der Schwerpunkte der Lebensführung, eine finanzielle Erleichterung und eine Stärkung der eigenen Logistik bei gleichzeitigem Einsatz verträglicher Technologien. Die eigene mentale Karte ändert sich. Die Abdeckung der Lebensgrundlagenfunktionen erfolgt ja nicht mehr autoaffin, sondern an die eigene Körperenergie gebunden. Die gesunde Distanz zum Artefakt PKW statt einer vereinnahmenden Nähe lässt einen auch tendenziell sorgsamer im Umgang bei Einkauf und Ressourcenverbrauch.
Im Vergleich zu beobachtbaren, samstagvormittäglichen Einkaufsquälereien und Gereiztheiten von Autofahrern/-innen um die Badener Innenstadt ist es sogar das pure Vergnügen.
So gesehen, betrachten wir ein Leben ohne Auto nicht als Entbehrung, sondern als Erleichterung (finanziell) und Bereicherung.
Zu den Autoren
Dipl.-Ing. Tadej Brezina; Jg. 1976; Studium des Bauingenieurwesens, Verkehrsplaner; Assistent und Dissertant an der TU Wien, Institut für Verkehrswissenschaften, Fachbereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik; Interessen: Fußgeher und Radverkehr in allen Erscheinungsformen, Hobby-Radsportler; tadej.brezina@ivv.tuwien.ac.at
Dipl.-Ing. Ulrike Brocza; Jg. 1977; Studium der Raumplanung an der TU Wien; Verkehrsplanerin bei einem österreichweiten Busunternehmen; Interessen: biologischer Gartenbau, regionale Wirtschaftskreise; ulli.brocza@gmx.net
Literatur
- Alvord 2000
- Katie Alvord: Divorce your Car – Ending the love affair with the automobile. Gabriola Island, Canada: New Society Publishers, 2000
- Brezina et al. 2008
- Tadej Brezina, Ulrike Brocza: Ostsee-Radtour mit Baby. »Jo geht denn des?«. In: Drahtesel, 2008. S. 10–11
- CIMA 2007
- CIMA: Nichtmotorisierter Einkauf in Niederösterreich – Untersuchung des Verhaltens, des Einkaufsvolumens sowie des Potenzials von nicht motorisierten Einzelhandelskunden. Ried im Innkreis, 2007. S. 74
- Herry et al. 2007a
- Max Herry, Markus Schuster: Erhebungen im Rahmen des Projektes Verkehrssparen Wienerwald 2003–2006. Im Auftrag der NÖ Landesregierung. Wien, 2007
- Herry et al. 2007b
- Max Herry, Norbert Sedlacek, Irene Steinacher: Verkehr in Zahlen – Österreich – Ausgabe 2007. Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (Hg.). Wien, 2007
- Kocsis 2007
- Dorothea Kocsis: Ohne Auto – Der Versuch das Leben am Land autofrei zu gestalten. In: Umwelt & Gesellschaft. Wien: Planet Verlag, 2007
- Krapfenbauer et al. 1993
- Robert Krapfenbauer, Ernst Sträussler: Bautabellen – Studienausgabe. Wien: Jugend & Volk Schulbuchverlag, 1993. S. 774
- Statistik Austria 2002
- Statistik Austria: Statistisches Jahrbuch Österreichischer Städte 2001. Bd. 2001, 2002, Wien: Statistik Austria und Österreichischer Städtebund
- Statistik Austria 2008
- Statistik Austria: Statistisches Jahrbuch Österreichs. Bd. 58, 2008, Wien
- Statistik Austria 2009
- Statistik Austria: Verbraucherpreisindizes – aktuelle Werte. 2009