Ausgabe 19 · Dezember 2014
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Erfahrungen mit der Zweigangnabe »Automatix« von SRAM
In meinem Artikel Zweigangfreuden in Heft 15 der Fahrradzukunft habe ich meiner Freude Ausdruck verliehen, dass es von der amerikanischen Firma SRAM seit Herbst 2011 eine Neuauflage der alten Zweigang-Automatik-Nabe der Firma Sachs aus den 70er-Jahren gibt.
Allerdings blieb es in diesem Artikel bei einem Überblick über das Angebot von 2-Gang-Getrieben und bei allgemeinen Hinweisen zur deren optimaler Konfiguration. Mittlerweile habe ich einige Praxiserfahrungen mit »Doublespeed« gesammelt, über die und ihre Konsequenzen ich hier berichten möchte.
Das Testobjekt
Als Erfahrungsträger und Testrad diente mir ein klassisches Peugeot-Rennrad aus den 80er Jahren, das u.a. mit neuen Laufrädern ausgestattet wurde.
Das für insgesamt ca. 130 € neu erworbene Hinterrad verfügt über eine Automatix (36-Loch-Version, UPE knapp 80 €) in der Freilauf-Variante, also ohne Rücktrittbremse. Das Fahrrad ist Rennrad-typisch mit schmalen 23er-Mänteln bereift.
Es gibt inzwischen auch andere Versionen der Nabe mit Rücktrittsbremse, für Scheiben- oder Rollenbremse.
Beim Umbau meines Rennrades habe ich alle aus- und eingebauten Komponenten gewogen. Als Fazit zeigte sich, dass der Umbau eines Rennrades
- zum Singlespeed-Rad etwa 800 g Gewicht spart und
- zum Doublespeed-Rad davon etwa die Hälfte durch das höhere Nabengewicht aufzehrt (bei einer Nabe ohne Rücktrittbremse).
Mithin verbleibt gegenüber einem Rennrad mit klassischer 2-Blatt-Kettenschaltung eine Gewichtsminderung von ca. 400 g beim Doublespeed-Rad mit Automatix. Damit wiegt das Testrad knapp 11 kg und fällt unter die Trainingsrad-Befreiungen der StVZO.
Allgemeine Erfahrungen
Die Automatix arbeitet geräuschfrei. Es gibt keine Laufgeräusche, nur ein feines Klicken im 2. Gang, vielen wohlbekannt als das typische »Torpedo«-Klicken. Bei Erschütterungen gibt es ab und zu ein leichtes, helles Klappern aus der Nabe; dies scheint üblich zu sein, da auch andere Nutzer davon berichten.
Die Schaltvorgänge erfolgen verzögerungsfrei und ohne Leerlauf, mit sofortigem Kraftfluss im jeweils neuen Gang.
- Beim Hochschalten ist der Schaltpunkt geschwindigkeitsabhängig und nicht beeinflussbar. Allerdings können Erschütterungen den Schaltvorgang beschleunigen. Auf Fahrbahnen mit Unebenheiten erfolgt das Hochschalten dann manchmal früher, also bei geringerer Geschwindigkeit, insbesondere wenn man wegen der Unebenheit den Kurbeldruck vermindert. Selten springt die Schaltung danach auch wieder in den 1. Gang zurück. Aber daran gewöhnt man sich nach kurzer Zeit. Möglicherweise wird diese Unzulänglichkeit durch meine harten Rennradreifen verstärkt.
- Beim Herunterschalten, das ebenfalls geschwindigkeitsabhängig erfolgt, kann man den Schaltpunkt geringfügig beeinflussen: Wenn sich die Geschwindigkeit im 2. Gang vermindert – z. B. bei Beginn einer Steigung – kann man entweder durch kurzes Entlasten der Kurbel das Herunterschalten auslösen oder durch kräftiges Weitertreten den 2. Gang beibehalten und damit sozusagen untertourig fahren. Damit kann man wunderbar einfach den Gangwechsel bei Anstiegen gezielt vornehmen.
Das Anfahren aus dem Stand erfolgt natürlich immer im 1. Gang. Dies ist ein deutlicher Vorteil gegenüber manuellen 2-Gang-Naben, bei denen man nie weiß, welcher Gang beim Anfahren eingelegt ist.
Die Schaltweise der Automatix ermöglicht nach kurzer Eingewöhnung ein sehr geschmeidiges Fahren. Dies gilt insbesondere im Vergleich zu manuell geschalteten 2-Gang-Naben, sog. Kick-Shift-oder Kick-Back-Naben: Die Beinbewegung bei der Beschleunigung wird nicht durch ein kurzes Zurückbewegen der Beine zum Schalten umgekehrt; dies empfinde ich bei manueller Schaltung als lästige Unterbrechung der Trittbewegung. Dieser Vorteil ist von Kettenschaltungen schon immer bekannt und wird durch die Automatikfunktion noch gesteigert.
Nach Herstellerangaben ist die Automatix mit einer Dauerschmierung versehen und »unter normalen Bedingungen wartungsfrei«. Mangels vollständiger Wasserdichtigkeit ist bei einer Reinigung wie üblich vom Einsatz eines Hochdruckreinigers abzusehen.
Übersetzungs-Erfahrungen
Bei der Wahl der Übersetzung wurde das serienmäßige Ritzel der Automatix mit 19 Zähnen beibehalten. Das kleinere Kettenblatt des hier als Testrad genutzten Rennrades bildet dazu den idealen Partner, bei mir mit 40 Zähnen. Die sich daraus ergebende Entfaltung – also die Länge der gefahrenen Strecke bei einer ganzen Pedalumdrehung – wird in folgender Grafik auf der linken Seite dargestellt.
Mit der bei mir eingesetzten Übersetzung ergibt sich ein Anfahrgang. Man fährt immer im nicht übersetzten 1. Gang an, also im Direktgang (1:1). Ab einem Tempo von etwa 17 km/h (gemäß Herstellerangaben, siehe unten) pedaliert man dann im 2. Gang weiter – mit einer Übersetzung von 1:1,37. Dies bedeutet einen relativ großen Übersetzungssprung. Nach meinem Geschmack könnte der Übersetzungssprung gerne etwas kleiner sein. Nichtsdestotrotz ist im flachen Köln diese Übersetzung für ein sportliches 28″-Rad eine gute Wahl, vorausgesetzt, dass das Normaltempo ein zügiges Tempo von 17 km/h oder mehr ist. Im Stadtverkehr, wenn man wegen (Ampel-)Stopps häufig beschleunigen muss, fährt sich die Automatix daher sehr angenehm.
Faustformel für die Wahl der Automatix-Übersetzung ist ein Zähne-Verhältnis von etwa 2:1 zwischen Kettenblatt und Ritzel, wenn man den 1. Gang als Anfahrgang nutzen möchte.
Dazu ist grundsätzlich ein eher kleines Kettenblatt erforderlich. Die Feinabstimmung lässt sich dann durch Austausch des mitgelieferten 19er Ritzels einfach und preiswert bewerkstelligen. Die mögliche Bandbreite für solche Anpassungen liegt laut Hersteller zwischen 15 und 21 Zähnen.
Handelsübliche Räder mit Automatix sind leider immer wieder völlig unpassend, nämlich zu lang übersetzt (z. B. normales 45/46er Kettenblatt und Automatix mit 19er Serien-Ritzel). Bei einer Probefahrt im Fachhandel oder bei einem Test (vgl. Radtouren-Magazin, November 2011: Übersetzung »für Kraftmeier«) fährt sich das Fahrrad dann sehr schwer, was vorschnell der 2-Gang-Nabe angelastet wird und als Verkaufsargument für aufwändigere und teurere Gangschaltungen genutzt wird.
Problem Schaltpunkt
Klar, die Schattenseite der Automatik ist, dass der Schaltpunkt nicht beeinflussbar ist. Eine manuelle Justierung der Automatix hinsichtlich des Schaltpunktes ist nicht möglich (jedenfalls nicht ohne Eingriff in die Nabe). Auch Änderungen an der Übersetzung des Fahrrades (also an Ritzel oder Kettenblatt) können ihn nicht verändern. Konstruktionsbedingt ist der Schaltpunkt durch die verbaute Fliehkraftkupplung an eine bestimmte Drehzahl des Laufrades und damit an die Geschwindigkeit des Fahrrades gebunden.
Eine Änderung der Übersetzung verändert daher ausschließlich die Trittfrequenz, nicht aber das Fahrtempo beim Schalten.
Dies bedeutet, dass bei einem gegebenen Fahrrad die Übersetzung nicht nur auf den Fahrer, sondern auch auf den Schaltpunkt abgestimmt werden sollte. Vor und nach dem nicht veränderbaren Hochschalten muss die Trittfrequenz »stimmen«. Wie dies bei meinem Testrad aussieht, zeigt folgende Grafik.
Vor dem Hochschalten liegt die Trittfrequenz meines Testrades im 1. Gang bei ca. 64 U/min und fällt danach im 2. Gang um 17 U/min auf ca. 47 U/min ab. Letzteres ist doch ein recht niedriger Wert. Damit die Trittfrequenz beim Hochschalten nicht unter 50 U/min fällt, überlege ich, die Übersetzung mit einem 20er Ritzel etwas zu verkürzen (s. Bild 3 oben rechte Seite); dies würde die Trittfrequenz um ca. 3 U/min erhöhen.
Die folgenden zwei Grafiken zeigen, welche Änderungen der Naben-Konfiguration grundsätzlich möglich sind:
Kleinere Übersetzungen (kleineres Kettenblatt oder größeres Ritzel) erhöhen die Trittfrequenz beim Schaltpunkt: Die schrägen Linien der Grafik wandern nach oben. Umgekehrt lassen größere Übersetzungen die Trittfrequenz absinken.
Kleinere Laufräder (als z. B. 28″) vermindern die Geschwindigkeit für den Schaltpunkt: Die senkrechte Linie der Grafik wandert nach links. Umgekehrt verschieben größere Laufräder den Schaltpunkt zu größeren Geschwindigkeiten.
Eine Änderung der Laufradgröße ist damit die einzige Möglichkeit, auf den Schaltpunkt einzuwirken. Der Hersteller SRAM gibt zum Schaltpunkt in Abhängigkeit von der Laufradgröße folgende Informationen (aus scheunenfun.de) an:
Laufrad-Größe | Geschwindigkeit [km/h] | |
---|---|---|
36 Speichenlöcher |
28 Speichenlöcher (»Klappradnabe«) |
|
20″ | ~12,0 | ~15,0 |
24″ | ~14,5 | ~18,0 |
26″ | ~16,0 | ~19,5 |
28″ | ~17,5 | ~21,0 |
Leider gibt es dazu keine Information hinsichtlich der Reifengröße. Dies wäre durchaus wichtig, da deren Einfluss auf die reale Laufradgröße (Außenmaß) vielfach unterschätzt wird. So hat z. B. ein 28″-Laufrad mit Rennradreifen (23er Breite wie mein Testrad) den gleichen Gesamtumfang wie ein 26″-Laufrad mit Big Apple-Reifen (54er Breite oder 2,1″, vgl. ritzelrechner.de)! Damit hätten beide denselben Schaltpunkt.
Diesbezüglich sind die Nutzervorlieben natürlich individuell; sie hängen insbesondere von der üblicherweise gefahrenen Geschwindigkeit ab – und die ist bei einem Lastenradfahrer anders – nämlich geringer – als bei einem Sportrad. Daraus ergeben sich folgende Überlegungen für den Einsatz der Automatix:
- Nach meinen Erfahrungen ist ein Schaltpunkt von ca. 18 km/h bei einer normalen bis sportlichen Fahrweise sinnvoll. Die Konfiguration der 36-Loch-Automatix mit einem 28″-Sportrad, die ich erprobt habe, erscheint mir daher stimmig.
- Für eine etwas kommodere Fahrweise als Alltagsfahrer in der Stadt, also im eher aufrechten Hollandrad-Modus, möglicherweise mit leichtem Gepäck oder Einkäufen, dürfte der Schaltpunkt bei 28″-Laufrädern zu hoch (also zu schnell) liegen. Ein Schaltpunkt von ca. 16 km/h wäre hier besser. Eine gebrauchstaugliche Konfiguration mit der Automatix (36-Loch-Version) wäre hier ein Fahrrad mit 26″-Laufrädern. Bei breiteren Reifen mit entsprechend größerer Federungswirkung würde vermutlich auch das erschütterungsbedingte Hochschalten vermindert werden. Vermutlich liegt hier der ideale Einsatzbereich der Automatix.
- Für ein Lastenrad oder bei Anhängerbetrieb liegen mir keine Erfahrungen vor. Gerade hier wäre der Einsatz einer 2-Gang-Automatik sehr komfortabel und sinnvoll – verbunden mit einer etwas kürzeren Gesamtübersetzung. Diese müsste aber mit einem frühen Schaltpunkt bei ca. 13 km/h kombiniert werden. Dieser Schaltpunkt lässt sich allerdings nur mit kleinen Laufrädern von 20–24″ realisieren, die bei solchen Fahrrädern nicht üblich sind. Daher kann für diesen Einsatzbereich die Automatix bei normalen Radgrößen nicht empfohlen werden; das Hochschalten würde viel zu spät bei einer eher selten erreichten Geschwindigkeit erfolgen. Eine manuelle Variante als Kick-Back-/Kick-Shift-Schaltung wäre in diesem Fall vorzuziehen.
- Beim Einsatz der Automatix in Klapp- oder Kinderrädern mit kleinen Laufrädern (28-Loch-Version) kommt es im wesentlichen auf die individuell bevorzugte Geschwindigkeit an. Ein eher kurz übersetztes und langsam gefahrenes 20″-Bootsfahrrad dürfte mit der Automatix gut bedient sein, der sportliche Brompton-Fahrer mit einer längeren Übersetzung wohl eher nicht: Die Nabe schaltet wegen der kleinen 16″-Laufräder des Brompton zu früh, also bei zu geringer Geschwindigkeit.
Bei 26″- und 28″-Laufrädern kann anstelle der üblichen 36-Loch-Nabe die 28-Loch-Nabenvariante (also die »Klappradnabe«) genutzt werden, da in dieser Laufradgröße alternativ auch die ansonsten bei kleineren Laufrädern üblichen 28-Lochfelgen verfügbar sind. Dies erlaubt es mittelbar, den Schaltpunkt um gut 3 km/h nach oben zu verschieben (gemäß Herstellerangaben, siehe oben) – eine Option für eine sportliche und schnelle Fahrweise. Die Trittfrequenz steigt entsprechend, wenn man nicht die Übersetzung anpasst, d. h. verlängert.
Nicht verschwiegen werden soll an dieser Stelle, dass ein individuelles Anpassen des Schaltpunktes durch einen – vom Hersteller nicht vorgesehenen – Eingriff in die Nabe versucht werden kann. Die Fliehgewichtsfeder der Fliehkraftkupplung ist dazu zu manipulieren; dieses Bauteil kann auf alten Ersatzteillisten des ehemaligen Herstellers Fichtel&Sachs gefunden werden (Listen siehe unten scheunenfun.de).
Fazit
Das genial einfache Prinzip der Automatix prädestiniert diese für eine Alltagsnutzung im flachen Gelände und in der Stadt. Bei richtiger Einpassung in die Fahrradkonzeption hinsichtlich Übersetzung und Laufradgröße ermöglicht sie ein komfortables, bei 28″-Rädern zugleich zügig-sportliches Gleiten. Sie bildet damit für viele Fahrräder eine souveräne und wartungsfreie Antriebsalternative.
Nachzutragen wäre noch: Für den Einsatz in E-Bikes gibt es diese Nabe neuerdings auch mit integriertem Hinterrad-Motor als »E-matic«, allerdings nur in Neurädern und nicht zum Nachrüsten. Aber das ist ein ganz anderes Thema.
Zum Autor
Stephan Rohn, 58 Jahre alt, Jurist, begeisterter Alltagsradfahrer aus Köln. »Ich fahre gerne mit dem Fahrrad zu Arbeit und habe das – solange es ging – auch jahrlang erfolgreich praktiziert.«