Ausgabe 1 · April 2006
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Rase-Rudis Routen-Report Nr. 1
Jüngst hatte Rudi die letzte Inbus-Schraube identifiziert und das Projekt »Führungsventilator an der hinteren Federschwinge« zum Erfolg gebracht, zumindest optisch. Hinter das Geheimnis der Funktion würde er auf den langen Abfahrten aus der Südstadt ins Zentrum schon kommen, dessen war Rudi sich so sicher wie die Stütze im Sattelrohr.
Vor wenigen Monaten erst hatte er auf der Abfahrt zum Biergarten gleich drei Bikes gleicher Kategorie wie sein »Phullas 2006 RST« gesehen, mit diesem geilen Equipment getunt waren. Schlagartig war ihm klar geworden, dass er der Szene eine Nachrüstung schuldig war. Als Rudi die Typen später in beneidenswertem Outfit beim Hefe-Weizen im Biergarten wiedersah, war er sogar völlig gegen seine Gewohnheiten versucht gewesen, nach der Herkunft des mysteriösen Zubehörs zu fragen. Aber das Risiko, als unwissender Biker niederer Kategorie belächelt werden zu können, vertrieb ihn dann doch an das andere Ende der Theke.
Vor drei Wochen nun hatte er ihn in einem kleinen, aber edlen Laden blitzen gesehen. In pink-eloxiert war er sogar gegen einen nicht unerheblichen Aufpreis zu haben. Kurzentschlossen vergewaltigte er sein Girokonto mittels Kreditkarte und der Montage an seinen »Phullas« stand nichts mehr im Wege …
Wie unjüngst bereits erwähnt, war das Projekt »Führungsventilator an der hinteren Federschwinge« von der Montage- in die Testphase fortgeschritten. Rudi stand oberhalb der Abfahrt, sein entschlossener Blick ruhte dort unten auf der Kreuzung Ludwig-Erhardt-Straße. Er bereitete sich mental auf die mögliche Begegnung mit dem regelmäßigen ALDI-Laster vor.
Das Klicken der SPD-Pedale löste in Rudi eine Erregung aus, die er schon in seiner Kindheit verspürt hatte. Auf seine Frage »Wie wär’s mit einem Ausritt, Phullas..?« spürte er dieses ungestüme Zittern in den Grip-Shiftern.
Saugend und schmatzend verband sich Rudis ultrageile Gel-Polster-Hose mit dem neuwertig gebliebenen Flite-Sattel. Der Tanz um die Gullydeckel konnte beginnen …
Kurz vor dem Stop-Schild an der Ludwig-Erhardt-Straße verkündete das akustische Signal seines Tempographen das Erreichen der empfohlenen Mindestgeschwindigkeit von 40 km/h für diesen Pistenabschnitt. Linker Hand begann sich der gefürchtete Schlund zu öffnen, aus dem gewöhnlich die ALDI-Laster kamen. Wie oft hatte Rudi sie beobachtet, die gepflegten Sattelzüge der beiden Unternehmer-Brüder, die die Segnungen der Marktwirtschaft selbst in Haushalte brachten, die noch das Existenzminimum anstrebten.
Im Scheitel der berüchtigten Begegnungsstätte verwandelte sich Rudis gespanntes Beobachten in ein breites, hämisches Grinsen: Der 113er Scania mit dem 3-achsigen Auflieger hatte sich nicht unweit von ihm im Getümmel des ortsüblichen Kampf-Parkens verfangen.
Mit geübtem Druck auf den Mode-Knopf holte sich Rudi LED-mäßig den Ortsplan auf das Display seines Navigations-Terminals. Laut Aussage des Terminals, waren in den nächsten Sekunden keine Querstraßen zu erwarten, selbst wenn er die Geschwindigkeit auf 50 km/h steigern würde. Letzteres würde zwar den ganzen Rudi fordern, zumal sein Trainingsstand sich derzeit umgekehrt zu seinem Taillenumfang entwickelte, aber bei einem durchschnittlichen Gefälle von 8 % in diesem Streckenabschnitt war Beschleunigung durchaus noch möglich. Wenn nur das Deo bis zur Zieleinfahrt am Biergarten-Parkplatz hielt …
Schwer und langsam, offenbar aber fest entschlossen, wieder an der stoßweisen Promenade ins Geschäftszentrum teilzunehmen, schob die antrazith-metallische Limousine aus der 7er-Reihe ihr schon fast erotisches Hinterteil aus der eleganten Doppelgarage mit Scharzwald-Walmdach.
In dem Fahrzeug schimpfte Hans-Günther Kleinhans, Alleinimporteur von geräuschlosem Kinderzwieback, leise vor sich hin. Seine Frau war wieder mit dem Fahrzeug gefahren. Das war eigentlich weiter nicht schlimm, wäre nicht soeben jenes Generalproblem ihrer nunmehr 12 Jahre währenden Ehe wieder evident geworden: Kleinhans’ Gattin war eine gutaussehende Frau im besten Alter. Er liebte sie immer noch genauso wie das nicht unerhebliche Vermögen, das sie in seine Import-GmbH gesteckt hatte.
Woran er sich aber nie gewöhnen würde, war die Tatsache, dass sie etwa einen Kopf größer war als er und sie nie daran dachte, beim Aussteigen den Fahrersitz wieder nach vorne zu stellen. Den verstellten Sitz mittels elektrischer Hilfsmittel wieder an seine Anatomie anzupassen, fiel im schwer. Wäre dies nicht das weithin sichtbare Eingeständnis seiner Kleinheit?
Im Laufe seiner Ehe hatte er daher die Gelenkigkeit einer Ballettschülerin entwickelt, um in diesen Fällen das Bremspedal mit den Fußspitzen erreichen zu können. Mit der einen Hand das Handy am Ohr haltend, mit dem anderen Auge die Fernbedienung für das Garagentor suchend, ging Herrn Kleinhans unmerklich der Kontakt mit Bremspedal verloren, was wiederum ein Gefühl der Freiheit in den verklemmten Bremsbacken der Limousine auslöste.
Zeitgleich und ortsnah musste Rudi seine Gedanken vom geplagten Deo auf die Piste umschalten, da sich vor ihm plötzlich eine fette, glänzende Rollsplitt-Decke zu räkeln begann …