Ausgabe 9 · Oktober 2009

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Kurze Geschichte des Hilfsmotors

von Jürgen Buss

Die Idee, dem Fahrrad einen Motor anzuschrauben, ist nicht neu. Schon das erste richtig fahrbare Motorrad war 1897 in Frankreich ein Fahrrad mit Hilfsmotor über dem Vorderrad. Von da aus entwickelte sich das Motorrad immer weiter vom Fahrrad weg, aber immer wieder tauchten Hilfsmotor-Konstruktionen auf.

Bild 1: Anzeige von 1899 für das Motorfahrrad Werner, das erste wirklich fahrfähige Motorrad

Nach dem Krieg kam der erste Boom der Einfach-Motorisierung. In den 20er Jahren versuchten viele – kleine Hinterhofschlosser und große Firmen – die Motorisierung erschwinglich zu machen, und der Weg dahin schien günstig über Anschraubmotoren an die schon vorhandenen Fahrwerke zu gehen. Die bekanntesten Firmen sind DKW, NSU und Opel, um nur einige zu nennen. Die Ideenvielfalt brachte zum Teil Einfachst-Motoren, zum Teil aufwändige Konstruktionen zu Tage die an fast allen Stellen des Fahrrades befestigt wurden: Über dem Vorderrad, über oder neben dem Hinterrad, vor dem Tretlager oder im Rahmendreieck, im Vorder- oder Hinterrad eingespeicht, und auch motorisierte Schiebeanhänger oder »Beiwagen« wurden gebaut und unters Volk gebracht.

Geschichte wiederholt sich …

Der nächste Hilfsmotor-Boom kam dann nach dem nächsten Krieg, als wieder billige und sparsame Transportmittel gebraucht wurden. Fast alle waren Zweitakter mit 30–60 cm3 Hubraum und etwa 1,5 l Verbrauch auf 100 km. Und wieder gab es die Motoren für alle Stellen des Fahrrades.

Bild 2: Der Rex-Hilfsmotor mit einer an die Speichen geschraubten Keilriemenscheibe

Am weitesten verbreitet waren der »Rex«, der vor dem Lenker saß und mit einem Keilriemen das Vorderrad antrieb, und vor Allem der »schnelle Nürnberger« von Victoria, ein neben dem Hinterrad angebauter Kraftzwerg, der dies über eine Kette antrieb.

Bild 3: Victoria-Motor mit Kettenantrieb zum Hinterrad

Und natürlich gab es auch Motoren mit Reibrollen-Antrieb wie z. B. das »Panther Baby« über dem Vorderrad oder vor dem Tretlager den berüchtigten »Lohmann«, einen winzigen Motor mit gerade mal 18 cm3.

Bild 4: Der Lohmann – ein winziger Selbstzünder und mit 10.000 Umdrehungen pro Minute eine echte Nervensäge …
Bild 5: Von wegen Schnapsglasklasse – gerade mal 18 cm3 Hubraum reichen für 30 km/h

Dieser hatte als technische Besonderheit keine Zündung, sondern brachte über eine enorm hohe Verdichtung den Kraftstoff zum Explodieren. Der Fahrer hatte einen Drehgriff für den Vergaser und einen, mit dem er die Verdichtung stufenlos verstellen konnte, und wenn der Lohmann ansprang, schaffte er es immerhin mit einem Höllenlärm bis zu 30 km/h – bei einem Verbrauch von gerade mal 0,75 l/100 km.

Aber die Zeit der Hilfsmotoren war bald wieder abgelaufen, die ersten Mopeds mit kräftigeren Rahmen lösten schnell die überforderten Fahrradrahmen mit Minimotor ab …

Das Fahrrad mit Hilfsmotor war ein aus der Not geborenes Fahrzeug, das für viele den Einstieg in die Motorisierung brachte – und führte über das Motorrad und Kleinstwagen zum Auto.

In den 70er Jahren schaffte dann das Motorrad den Sprung vom Nutzfahrzeug des kleinen Mannes zum Freizeitgerät, man fuhr nicht mehr weil man musste, sondern weil man es wollte. Und nun erlebt das Fahrrad mit Hilfsmotor diesen Aufschwung. Durch die Entwicklung immer besserer Akkus und Motoren wird der Elektro-Hilfsmotor von Jahr zu Jahr beliebter, und unzählige Konstruktionen bevölkern wieder die Straßen – wie damals vor 90 Jahren …

Und wie fährt sich sowas nun?

Die meisten Kilometer habe ich mit dem Rex zurückgelegt, damals an einem »Adler« von 1935 mit 28er Rädern, und das fährt sich … vor Allem wackelig.
Erst mal ein paar Meter strampeln, dann den Motor einkuppeln und ordentlich Gas geben. Die mögliche Geschwindigkeit richtet sich natürlich danach, ob man mittritt oder sich nur schieben lässt – aber spätestens am Berg gibt es keine Wahl, hier ist treten angesagt. Aber der Motor sorgt dafür, daß es Bergauf etwa so leicht geht wie ohne Motor in der Ebene (mit einem schweren Rad ohne Schaltung …). Dabei merkt man jederzeit den hohen Schwerpunkt des kleinen zappelnden Nasenwärmers und wie sich das eigentlich überforderte Rad biegt und windet – bis man langsamer werden möchte und nun alle Aufmerksamkeit dem Gummiklotz gilt, der über eine Stange auf das Vorderrad gedrückt wird … hoffentlich funktioniert wenigstens der Rücktritt ;o)

Literatur

  • Christian Ehlers: Stottervelos Straßenflitzer
    Moby Dick Verlag 1987, ISBN 3-922843-32-8
  • Manfred Nabinger: Hilfsmotoren, Stadtrutscher und Mopedträume
    Podszun 2003, ISBN 3-86133-320-1
  • Manfred Nabinger: Deutsche Fahrrad Hilfsmotoren der vierziger und fünfziger Jahre
    Podszun 2008, ISBN 978-3-86133-494-1

Zum Autor

Jürgen Buss, Baujahr 67, ist Alltagszweiradfahrer, selten ohne Motor unterwegs, und beschäftigt sich schon seit frühester Jugend vor Allem mit historischen Fahrzeugen.