Ausgabe 7 · Dezember 2008
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Leitra und Flevobike Versatile – 2 Velomobile im Alltagsvergleich
oder: Eine velomobile Zukunft muss nicht utopisch sein
Seit meinem 3. Lebensjahr fahre ich Fahrrad, seit nunmehr 13 Jahren Velomobil. Einen Führerschein habe nicht gemacht. Täglich lege ich 50 Kilometer auf dem Weg zur Arbeit und nach Hause zurück. Ich möchte in diesem Artikel die von mir gefahren Velomobile Leitra und Versatile gegenüberstellen. Beide stellen sehr unterschiedliche Fahrzeugkonzepte dar, wobei ich potentielle Velomobilhersteller zu einer Synthese dieser Konzepte anregen möchte.
Velomobile sind auf den ersten Blick mit Anschaffungspreisen zwischen 5.000 und 8.000 € recht teure Geräte, wobei sich diese Preise bei den ständig steigenden Rohstoff-, Energie- und Mobilitätspreisen schnell relativieren. Velomobilfahren macht Spass und hält fit.
Doch nun zu den Velomobilen im Detail:
Leitra
Bei der Leitra handelt es sich eigentlich um ein Dreirad, in dessen Rahmen
eine Verkleidung eingehängt wird bzw. angeschraubt wird. Die 3 Räder sind
über Blattfedern aus Kohlefaserverbundwerkstoff mit dem Stahlrahmen
verbunden. Diese Konstruktion hat Vor-und Nachteile:
Die Verkleidung lässt sich ohne viel Aufwand mit wenigen Handgriffen
abnehmen, sodass man auch mit dem nackten Trike fahren kann. Ein kleiner
Nachteil ergibt sich dadurch, dass die »lockere« Bauweise zum Klappern
neigt.
Allerdings kann man die Geräuschentwicklung gut mit Dämmmaterial minimieren. Die komplette Konstruktion bestehend aus GFK-Haube, Stahlrahmen und Alu-Sturzbügel bietet nicht nur optimalen Wetterschutz, sondern ist ebenso sicherheitstechnisch eine sehr gute Einheit. Dies konnte ich selber bei einem Unfall am eigenen Leibe erleben: So musste ich bei einer rasanten Fahrt bergab plötzlich einem einscherenden Pkw ausweichen und bremste währen einer schnellen Ausweichlenkbewegung, sodass die Leitra auf die Seite kippte und ich quer über die Straße schlidderte.
Bis auf einige Lackschäden und geringe Einrisse in der Haube hatte ich keine weiteren Schäden oder gar körperliche Verletzungen zu beklagen. Durch die abnehmbaren Verkleidungsteile sind auch alle Funktionsbereiche des Dreirades gut zu erreichen, was bei Reifenpannen besonders zählt. Allerdings hatte ich während der letzten 35.000 Kilometer nur eine einzige Panne, dank Schwalbe Marathon Plus!
Auch der ergonomische Sitz der Leitra lässt sich mit einem Handgriff herausnehmen, was als zusätzlicher Diebstahlschutz dienen kann.
Die Leitra ist ein sehr wendiges Velomobil, was sich besonders im Stadtverkehr bezahlt macht.
Das allgemeine Fahrverhalten hat sich über die Jahre deutlich stabilisiert. Hier war die Einführung von Achsschenkeln mit Lenkroll-Radius-Null sowie die serienmäßige Hinterradfederung mit optionalen Mikrodämpfern sehr effektiv. Wegen ihres kurzen Radstandes neigt die Leitra allerdings etwas zum Kippeln, was mit den genannten Dämpfern allerdings nur noch minimal ist.
Die große Stärke der Leitra ist neben dem sehr niedrigen Gesamtgewicht von knapp über 30 Kilogramm ihr kompletter Wetterschutz , der durch das integrierte, geniale Be- und Entlüftungssystem beim Fahren stets gut funktioniert. Durch Scheibenwischer und Scheibenbelüftung hat man stets gute Sicht und ist im Gesicht vor herum fliegenden Partikeln, Insekten oder Niederschlag geschützt.
Einzig bei gefrierendem Regen, Niesel oder Nebel gefriert es außen und zum Teil innen auf der Scheibe. Durch kurzes Handauflegen von innen kann man während der Fahrt das Eis zum Schmelzen bringen, sodass es sich mit dem Wischer zumindest ausschnittsweise entfernen lässt.Obwohl die Leitra im vorderen Teil unten offen ist, was einen bequemen, ebenerdigen Einstieg ermöglicht, bleibt man trocken, ausgenommen bei extremem Schlagregen, der dann vom Asphalt reflektiert wird.
Auch bei Sonnenschein bietet die komplette Haube guten Schutz vor
Sonnenbrand. Die Temperatur im Innern bleibt dank der seitlichen
Lüftungsklappen auch bei hochsommerlichen Temperaturen erträglich. Der
Gepäcktransport ist ebenso gut integriert:
Zwei geräumige Gepäckwannen seitlich unter bzw. hinter dem Fahrer sowie
eine wasserdichte Gepäckbox runden das Leitra-Konzept ab. Natürlich bietet
die Verkleidung neben Wetter-und Unfallschutz auch einen aerodynamischen
Vorteil.
Flevobike Versatile
Dieses stellt ein gänzlich anderes Konstruktionsprinzip dar und ist ein
typischer Vertreter des holländischen Alleweder-Typs:
Die drei Räder sind über Federelemente mit einer selbsttragenden
Karosserie (länglicher Kasten mit Sitz und Loch für den Ausblick)
verbunden.
Beim Versatile besonders hervorzuheben ist der komplett gekapselte Antriebsstrang, was bei Funktionsdefekten aber auch von Nachteil sein kann. Die Erreichbarkeit der Komponenten ist dann deutlich eingeschränkt, was aber auf lange Sicht durch den geringeren Wartungsaufwand wieder wettgemacht wird.
Da Kettenraum und Fahrerraum komplett getrennt sind, hat man keine Probleme mit Verschmierungen oder feinen Ölspritzern an der Kleidung. Im Gegensatz zur Leitra lässt sich der Versatile Sitz in Länge und Neigung verstellen. Der Einstieg ins Versatile ist etwas beschwerlicher als bei der Leitra, aber dank des recht großen Lukendeckels ohne besondere Akrobatik zu bewerkstelligen.
Das Versatile ist insgesamt schmaler als die Leitra, die Vorderräder stehen innerhalb des Fahrzeugkörpers und sind dadurch sicher weniger anfällig für Schäden bei Unfällen.
Insgesamt ist das Versatile leiser , da alle Teile fest miteinander verbunden sind.Durch den langen Radstand ist das Beschleunigungs- und Fahrverhalten des Versatile ruhiger als bei der Leitra, allerdings ist der Wendekreis deutlich größer, sodass man zuweilen hin und her rangieren muss.
Lenk- und Bremsverhalten sind beim Versatile subjektiv besser als bei der Leitra, die als etwas unruhig, d. h. schnell ansprechbar gilt. Doch trotz der genannten Vorteile habe ich mich nach 10.000 Kilometern vom Versatile getrennt.
Die wesentlichen Kritikpunkte sind folgende:
Zum damaligen Zeitpunkt war kein Dach bzw. funktionelles Visier lieferbar.
Das mittlerweile von Flevobike erhältliche Dach bietet keinen kompletten
Schutz und fliegt bei orkanartigen Böen z. B. weg! Trotz der
Kopf-draußen-Position fehlt eine einstellbare Belüftung für den Körper.
Bei Schlechtwetter-Fahrten entsteht eine zu große Temperaturdifferenz
zwischen Kopf und Körper, was von Nachteil sein kann. Letztendlich hat das
Versatile ein zu hohes Gesamtgewicht von ca. 41 Kilogramm versus 31 Kilogramm bei der Leitra!
Dies macht sich im östlichen Schleswig-Holstein schon bemerkbar, zumal sich der Entfaltungsbereich der eingebauten Rohloff-Nabe im Zwischengetriebe nach unten nicht beliebig erweitern lässt. Nun, in Holland ist es eben flach, das hatte ich bei den Probefahrten in Flevoland nicht genug bedacht.
Verbesserungsvorschläge
Während des alltäglichen Gebrauchs dieser beiden Velomobile (Leitra insgesamt über 250.000 Kilometer) kamen mir einige Ideen für Veränderungen/Erweiterungen:
Leitra:
- bessere Kapselung der Kette auch bei Kettenschaltung (bei Version mit Rohloff bereits umgesetzt)
- Standard-Elektronik (Beleuchtung/Blinker) auf LED-Basis
- Nabendynamo an Vorderrad
- optional Befestigungsmöglichkeit für Umlenkrolle am Rahmen bzw. Verzicht auf das Zwischengetriebe
- weitere Gewichtsoptimierung z. B. durch weitere Carbonteile,z. B. Tretlagerausleger, Achsschenkel
- Verbesserung der Aerodynamik durch optimierte Bodenkonstruktion im vorderen Bereich.
Versatile:
- festes Dach mit Scheibenbelüftung
- Körperbelüftung
- bessere Erreichbarkeit des Antriebsstranges z. B. von oben
- bessere Erreichbarkeit der Rohloffnabe für Ölwechsel, wie beim Greenbike
- Verlängerung der Heckpartie und Vergrößerung des Gepäckraumes
- Einbau hochwertiger Umlenkrollen, z. B. Terra Cycle
- Möglichkeiten zur Gewichtsreduktion finden
Zum Autor
Marco Gercke, Jahrgang 1962, verheiratet, 4 Kinder, Kinderarzt, Mensch ohne Kraftfahrzeugführerschein, Velomobilist aus Leidenschaft.