Ausgabe 13 · April 2011

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Dänemark – ein Vorzeigeland für Fahrradfahrer?

von Alexander Priesemann

Wer den Mythos, der Dänemark als Wunderland für Radfahrer umgibt, verstehen will, muss sich einiges vor Augen führen: Dänemark ist zweigeteilt, hier Kopenhagen als Metropolregion mit ca. ein Viertel der dänischen Bevölkerung und dort der große Rest des Landes mit 3 Großstädten zwischen 100.000 bis 230.000 Einwohnern und einem ansonsten weitgehend kleinstädtisch geprägten Land. Das Land ist im allgemeinen flach, die höchste Erhebung mit ihren 180 Metern ringt den großen skandinavischen Nachbarn im Norden nur ein mitleidiges Grinsen ab. Autos sind seit ihrer Einführung ein teures Vergnügen. Durch das generell hohe Einkommensniveau sind sie zwar, wie in allen anderen westlichen Ländern auch, zum Allgemeingut geworden, Autos kosten aber in etwa das Doppelte wie in Deutschland. Ein fabrikneuer VW Golf Bluemotion kostet für einen dänischen Autokäufer etwa 40.000 €, während dieser in Deutschland ab ca. 22.000 € zu haben ist. Dieser Unterschied kommt vor allem durch hohe Abgaben und Steuern zustande.

Bild 1. Von: Cycling Embassy of Denmark

Mit diesem Wissen im Hinterkopf ist es nicht überraschend, dass Dänemark seine Sonderstellung als Radfahrerparadies mittlerweile sogar per »Cycling Embassy« (»Fahrradambassade«) international zu vermarkten versucht. Für viele Dänen ist es ganz normal, sich auf dem Weg zur Arbeit aufs Rad zu schwingen. Es gibt (fast) keine Dünkel, die gegen den Gebrauch des Rades statt des Autos stehen. Die Durchschnittsfamilie ist mit einem Hauskredit finanziell vorbelastet, zwei Autos im täglichen Einsatz finanziell meist nicht zu stemmen. Schon gar nicht in Kopenhagen! Hier ist Wohnen sehr teuer, Parkplätze rar und die Bedingungen für Radler äußerst gut. Man geht z. B. davon aus, dass es in ca. der Hälfte aller Stadtviertel im Großraum Kopenhagen für eine Normalverdienerfamilie unmöglich ist, ein Haus durchschnittlicher Größe zu finanzieren. Und das trotz eines hohen Wohneigentumanteils von 51 % in Dänemark und eines generell hohen Einkommensniveaus.

Radfahren in der Hauptstadt

Es wird – in Kopenhagen – so viel geradelt, dass Radler mit Handzeichen Stoppen und Abbiegen anzeigen müssen, um nicht für totales Chaos auf den Radwegen zu sorgen. Diesen Zeichenkodex lernt jeder schnell, der neu nach Kopenhagen kommt und sich auf das Cykel (Rad) schwingt. Die Stadtverwaltung ist momentan dabei, Fahrradautobahnen zu planen, die über mehrere Kilometer durch die grünen Korridore der Stadt in Richtung Stadtzentrum geführt werden. Diese sollen per Ampelregelung Vorrang vor den kreuzenden Straßen bekommen. Außerdem ist man momentan dabei, eine der zentralen Straßen der Stadt, die Nørrebrogade, auf mehreren hundert Metern so umzubauen, dass sich neben Fußgängern und Radfahrern nur noch Linienbusse auf ihr bewegen dürfen. Ein Familienleben ohne Auto ist in Kopenhagen ziemlich gewöhnlich, und u. a. deshalb kommen die bekannten Lasten-/Familienräder von der Firma Nihola auch aus Kopenhagen. Große seriöse Tageszeitungen bringen Vergleichstests dieser in Dänemark als Christiania-Cykel bekannten Familienkutschen auf 3 Rädern. Fahrräder sind in Kopenhagen allerorten und wenn ein großer Autohersteller der Meinung ist, dass seine Autos wahnsinnig saubere Abgase produzieren, dann produziert er fast selbstverständlich einen Reklamefilm in Kopenhagen, wo die Radlermassen ganz begeistert diesem achso sauberen Vehikel hinterherradeln.

Aber auch in den anderen größeren Städten des Landes tut sich etwas. In Odense, der Universitätsstadt auf Fünen, hat man an den Einfahrtsstraßen Zählsäulen montiert, die via Display die Anzahl der bisher passierten Radfahrer anzeigt. Am Übergang zur Fußgängerzone hat man Parkboxen für Fahrräder aufgestellt und bietet kostenloses Luftpumpen an. Auch Århus und Aalborg denken über die Fahrradautobahnen nach.

Bild 2. Von: Vi cykler til arbejde

In der Provinz

Abgesehen von diesen schillernden Oasen des Radlerdaseins ist Radfahren in Dänemark heutzutage mehr Schein als Sein. Umwelt- und verkehrspolitisch zehrt Dänemark seit einiger Zeit von seinem Status als Vorzeigeland, welches es sich in den 60er und 70er Jahren erworben hat. Mit dem Regierungswechsel vor 10 Jahren sind Umweltthemen in den Hintergrund der politischen Debatte gedrängt worden. Auch in der Verkehrspolitik wird dem Straßenverkehr höchste Priorität eingeräumt. Die Staatsbahn wurde über Jahrzehnte vernachlässigt und auch das Fahrrad als Verkehrsmittel als unbedeutend eingestuft. Erst in den letzten 2 Jahren wurde eine millionenschwere »Cykelpulje« (gleich Fahrradtopf, im fiskalischen Sinne) eingerichtet, mit der die Sanierung und der weitere Ausbau von Radwegen gefördert werden soll. Abgesehen vom politischen Desinteresse sind die Städte entlang der ostjütländischen Küste, die den Großteil der mittleren Städte darstellen, mit einigen satten Steigungen gesegnet. Die Lage der Innenstädte am Ende der Fjorde (deutsch: Förden) und die spätere Suburbanisierung auf den Flächen oberhalb der Talränder führen zu kurzen und schmerzhaften Anstiegen (meist auf dem Weg nach Hause). Das bedingt recht geringe Fahrradnutzung in Städten wie Vejle, Kolding, Horsens und Randers. Århus bildet hier als größere Universitätsstadt mit knappem Wohnungsangebot und hohen Wohnkosten eine Ausnahme.

Bild 3. Von: Cycling Embassy of Denmark

So mutet es vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklung im Bereich der Fahrradbeleuchtung fast absurd an, dass dänische Fahrradfahrer nicht zwingend mit autarkem, festen Licht unterwegs sein müssen, sondern Reflektoren hier und da und die – als dänische Erfindung – so beliebten Induktionsblinklichter vor dem Auge des Gesetzgebers absolut ausreichend sind. Diese, aus technischen Gründen auf Nabenhöhe angebrachten Blinkis, sind im Dunkeln von Autofahrern nur schwer auszumachen und geben keinerlei Licht zum Sehen. Das wirkt für mich als begeisterten Vollautomatik-LED-Benutzer absurd, illustriert aber den traditionell wenig technikaffinen »Zugang« zum Alltagsrad. Das Durchschnittsrad ist ein 7-Gang-Getriebenabenrad mit schlanken 28″-Reifen, serienmäßig ohne fest installierte Lichtanlage. Vielen genügt ein beiläufig aus dem Lenkerkorb heraushängender Leuchtpunkt und eine batteriegetriebene Rücklichtfunzel. Besonders in Kopenhagen ist der Raddiebstahl gang und gäbe. Fahrräder werden aus einer weit verbreiteten Vertrauensseligkeit nur sehr simpel bis gar nicht vor Diebstahl gesichert. Darüberhinaus setzen reichlich eingesetztes Tausalz und der Salzgehalt der oft feuchten Luft durch Korrosion allem Metallischem am Rad arg zu. Selbst die vermeintlich korrosionsfreien Materialien A2-Stahl und Aluminium oxidieren eifrig vor sich hin. All dieses bringt ein meist sehr nüchternes und pragmatisches Verhältnis zum Alltagsrad mit sich.

Bild 4. Von: Cycling Embassy of Denmark

Der Gesetzgeber

Etwas anderes, was mir als emanzipiertem – will heißen, ich leide nicht an Minderwertigkeitskomplexen gegenüber Autofahrern – Radfahrer auffällt, ist die passive Rolle, in die der dänische Gesetzgeber und die hiesigen Verkehrsplaner den Radfahrer zwingen. Die Radfahrspur wird konsequent von der Fahrbahn für Autos getrennt, beim Linksabbiegen an Ampelkreuzungen muss der Radfahrer erst geradeaus und danach mit dem von rechts kommenden Verkehr wiederum ampelgeregelt geradeaus fahren. Ergo: 1× links abbiegen = 2× auf Grün warten. Ähnliches beim Linksabbiegen aus dem laufenden Verkehr: Rechts anhalten, im Stehen über die Schulter gucken und bei freier Fahrt über die Fahrbahn. Nix da mit Arm raus halten und einfädeln. Das irritiert den motorisierten Verkehrsteilnehmer ganz gewaltig! Im schlimmsten Fall kommt noch der Politibetjente (Polizeibeamte) und spricht einem ein amtliches »Du-Du« aus. Diese auf größtmöglicher Sicherheit basierende Trennung von Fahrrädern und Autos basiert auf der aus den 70er Jahren geprägten Auffassung, dass hauptsächlich Schulkinder per Rad unterwegs sind. Das hat im Umkehrschluss zur Folge, dass jedes Wohnviertel Anrecht auf einen »sicheren Schulweg« hat, das heißt einen separat vom Autoverkehr geführten Radweg. Durch diese Politik entstanden fast flächendeckend in den Städten Wegenetze, die teilweise sogar per Tunnel die größeren Straßen queren. U. a. aufgrund der recht großzügigen Ausstattung mit Radwegen ist eine Verkehrsregel geschuldet, die deutschen Radlern in Dänemark immer wieder zu Konflikten mit anderen Radlern oder der Polizei führt: Es darf grundsätzlich nur auf dem rechtsseitigen Radweg geradelt werden.

Bild 5. Von: Cycling Embassy of Denmark

Zusammenfassung

Als Resümee bleibt wohl festzuhalten, wenn es denn berechtigte Kritik an den Verhältnissen für Radfahrer in Dänemark gibt, dann ist es wohl Kritik auf hohem Niveau. Deswegen gab es in dänischen Wahlkämpfen auch immer mal wieder (nicht ganz ernst gemeinte) Wahlversprechen über immerwährenden Rückenwind für Radfahrer. Großes Potential für technische Innovationen im Bereich Fahrradtechnik sind momentan aus Dänemark trotz (und vielleicht gerade wegen) der guten Ausgangslage für Radler nicht zu erwarten, da der Gesetzgeber keine Veränderungen im Bereich der Sicherheit vorgeschrieben hat und die Technikaffinität seitens der Radfahrer eher gering ist.

Zum Autor

Alexander Priesemann, Jahrgang 1974, Landschaftsarchitekt, trotz eines Ingenieurtitels technisch eher unbegabt, aber nicht uninteressiert. Begeisterter Touren- und Alltagsradler. Seit 2007 wohnhaft in Kolding/Dänemark. Räder: Patria Terra XXL, Trenga Rennrad.