Ausgabe 1 · April 2006
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Nabendynamos im Labortest
1996 beschäftigte sich die Zeitschrift Pro Velo als eine der ersten intensiver mit Nabendynamos. Damals gab es nur ein paar kleine Anbieter und Shimano war gerade erst mit dem preislich interessanten aber technisch nicht überzeugenden HB-NX10 auf dem Markt gekommen. Insgesamt waren Nabendynamos nur Fahrrad-Enthusiasten bekannt und selbst viele Fahrradhändler hatten noch keinen von nahem gesehen. Der durchschnittliche Radler hätte nie darüber nachgedacht, so viel Geld in einen Dynamo zu investieren.
Nabendynamos – eine Erfolgsgeschichte
Heute hat sich die Situation grundlegend gewandelt: Cityräder ohne Nabendynamos sind bald die Ausnahme. Selbst Discounter und Baumärkte bieten wie selbstverständlich Fahrräder mit Nabendynamos an. Was vor Jahren als Spinnerei abgetan wurde, gilt heute als allgemein akzeptiertes Qualitätsmerkmal, das für Zuverlässigkeit, Leichtlauf und Komfort steht. Die zwischenzeitlich aufgekommen »High-End«-Reibraddynamos haben sich hingegen nicht durchgesetzt, was sowohl am Preis als auch am schlechten Ruf von Reibraddynamos liegen mag.
Der Markt wird heute klar von Shimano mit seinem soliden Modell HB-NX30 und dessen vielfältigen Varianten dominiert. Die mechanischen Probleme des Vorläufers HB-NX10 infolge der zu weichen Achse sowie dessen exzessiven Leerlaufverluste wurden beseitigt. Neu ist der DH-3N70, der mit besseren Lagern und noch geringeren Verlusten beworben wird. Von den alten Konkurrenten sind die Getriebe-Nabendynamos fast verschwunden: BISY hat vor Jahren Konkurs angemeldet und Renak brachte es bislang nie auf nennenswerte Stückzahlen. Schmidt Maschinenbau überarbeitete im Jahr 2000 den SON und genießt damit nach wie vor einen hervorragenden Ruf – wenn auch bei hohem Preis.
Den SON gibt es in den meisten Varianten (Speichenlochzahl, Farbe, Scheibenbremsoption), insbesondere schon immer in einer speziell auf die kleinen Laufräder an Falt- und Liegerädern optimierten Version. Noch als Prototyp präsentiert wird der schmale SON XS, der sich für die schmalen Gabeln in Brompton oder Dahon Falträdern eignet. Ein neues Phänomen sind Nabendynamos von kleinen Fernost-Herstellern, die das Design des Shimano HB-NX30 kopieren und durch sehr niedrigen Preis vor allem bei »Kampfpreis«-Cityrädern der Discounter zu finden sind. Den größten Marktanteil dürfte hier der Importeur Büchel haben.
Um die vielen neuen Entwicklungen einschätzen zu können, soll der hier vorgestellte Test alle wesentlichen aktuellen Modelle bezüglich ihrer elektrischen und mechanischen Eigenschaften vergleichen. Getestet wurden je 3 Exemplare eines Naben-Typs mit Ausnahme des Büchel KB95 und des SON XS Prototyps, von denen je nur ein Exemplar verfügbar war. Alle Dynamos wurden vermessen. Präsentiert werden hier die Ergebnisse des jeweils »mittleren« Exemplars, um einzelne Ausreißer nicht berücksichtigen zu müssen.
Testaufbau
Zentrales Element des Prüfaufbaus ist eine kleine Drehbank Hommel UWG1 mit variabler Drehzahlregelung über einen Frequenzumrichter. Die Nabendynamos werden am Speichenflansch in einem 4-Backen-Futter gespannt oder an einer passend gedrehten Adapterscheibe auf der Planscheibe der Maschine befestigt. Am zugänglichen Achsende wird ein Hebelarm (1 m lang, 40 × 10 mm2) mit zentrischer Bohrung befestigt.
In 471 mm Abstand von der Naben-Achse stützt sich der Hebel auf eine Laborwaage Kern 440-47. Zwei an den beiden Enden des Hebels befestigte Stahlgewichte machen das System träger gegen Schwingungen infolge der Rastmomente der Generatoren. Gemessen werden Spannung und Frequenz im Leerlauf, an einem 12,1 Ohm 50 Watt Widerstand, an 24 Ohm und im Kurzschlussfall (0,1 Ohm). Hierzu werden ein kalibriertes Echteffektiv-Voltmeter Metrahit 29s sowie ein Voltcraft GDM705 verwendet.
Aus Frequenz f, Polzahl n des Generators, Hebellänge l = 0,471 m und auf
der Waage angezeigtem Gewicht m berechnet sich die Antriebsleistung des
Nabendynamos zu:
Mit Widerstand R und Effektiv-Spannung U kann daraus der Wirkungsgrad des
Nabendynamos ermittelt werden:
Frequenz, Spannung und Widerstand lassen sich mit den verwendeten Messgeräten mit hoher Genauigkeit ( besser als 1 %) ermitteln. Auch die Waage kann im hier genutzten Bereich von 10–200 g dank 0,1 g Auflösung theoretisch besser als 1 % Genauigkeit messen. Als praktisches Problem ergibt sich aber, dass durch leicht ungenaue Einspannung, unrunder Lauf der Nabe, Rastmomente und Eigenschwingungen des nur begrenzt steifen Systems Schwingungen induziert werden, die den Anzeigewert um bis zu ± 10 % schwanken lässt, was eine händische Mittelwertbildung erforderlich macht. Von bis zu 2 % Fehler bei der Messung der Stützkraft ist daher auszugehen.
Bewertung der Messergebnisse
Besonders neugierig erwartet wurden die Daten des Sport-Nabendynamo DH-3N70 von Shimano. Die in der Werbung genannten »70 Prozent leichteren Lauf bei ausgeschaltetem Licht« gegenüber dem HB-NX32 konnten wir bestätigen.
Damit hat Shimano gegenüber dem SON aufgeholt, aber das Modell aus Tübingen bleibt nach wie vor bei Wirkungsgrad, Leerlaufverlusten und Gewicht auf dem Spitzenplatz der getriebelosen Nabendynamos. Sowohl SON28 als auch Shimano DH-3N70 können getrost auch an schnellen Fahrrädern eingesetzt werden ohne hierbei unangemessen hohe Verluste zu verursachen.
Der Spannungsverlauf der Shimano-Generatoren erscheint etwas günstiger als der des SON, da bei langsamer Fahrt etwas mehr, bei schneller Fahrt etwas weniger Leistung zur Verfügung steht. Allerdings sollte dies nicht überbewertet werden, da die Spannung in viel größerem Maße durch die angeschlossenen Leuchten (Standlichtelektronik, Begrenzerdioden, gealterte Glühlampen) bestimmt wird.
Der Nabendynamo von Büchel schneidet insbesondere bei den Leerlaufverlusten als schwergängigstes Testmuster ab. Für Schnellfahrer oder in kleinen Laufrädern ist er deshalb keine gute Wahl. Reduzieren lassen sich die Verluste, indem man den Generator bei Tageslicht nicht mit offenem Stromkreis sondern kurzgeschlossen betreibt. Dies ist auch beim HB-NX32 sinnvoll.
Als einziger Nabendynamo mit (abschaltbarem) Getriebe im Test glänzt der Enparlite 2 erwartungsgemäß mit leichtem Lauf im ausgeschaltetem Zustand, eingeschaltet läuft er aber etwas schwerer als die getriebelose Konkurrenz. Er wird sich deshalb in erster Linie für Nutzer anbieten, die nur selten im Dunkeln unterwegs sind, trotzdem aber eine witterungsunabhängige und elegante Lösung bevorzugen.
Der Betrieb einer »Doppelscheinwerfer«-Anlage mit zwei in Reihe geschalteten Scheinwerfern ist für Schnellfahrer oder bei kleinen Laufrädern mit SON28, HB-NX32 und DH-3N70 gleichermaßen möglich. Ohne weitere leistungssteigernde Tricks lassen sich ab etwa 25 km/h im 28″-Rad zwei 3W Lichtanlagen mit Nennspannung versorgen.
Die kleinen Laufräder in den meisten Falt-, Lasten- und Liegerädern
erreichen bei gleicher Fahrgeschwindigkeit deutlich höhere Drehzahlen als
28″-Räder. Ein Nabendynamo im 20″-Rad liefert schon bei 10 km/h die
elektrische Leistung, die im 28″-Rad erst bei 14 km/h zur Verfügung steht.
Was sich als Vorteil bei langsamer Fahrt erweist, bringt aber Nachteile
bei schnellem Tempo:
Man bewegt sich oft im Bereich hoher Spannungen, was die Lebensdauer der
Lampen reduziert. Leerlaufverluste und Wirkungsgrad liegen ungünstiger.
Der speziell für kleine Laufräder konzipierte SON20 und der für schmale
Faltradgabeln gestaltete SON XS Prototyp gleichen diese Effekte zum Teil
wieder aus, erreichen aber nicht ganz das Leichtlauf-Niveau, auf dem sich
SON28 und DH-3N70 in 28″-Rädern bewegen.
Die Daten des SON XS stehen hier ohnehin außer Konkurrenz. Schmidt Maschinenbau wird diesen Nabendynamo für schmale Faltradgabeln im Herbst 2004 in Serie gehen lassen. Wir testeten ein Vorserienmuster, das in seinem Äußeren und auch seinen elektromechanischen Daten noch weiter verbessert werden soll. Für die Faltradnutzung wichtig ist insbesondere das geringe Gewicht der Nabe, das sich beim XS erfreulicherweise in der Größenordnung mancher Seitenläufer samt Halterung und herkömmlicher Nabe bewegt.
Kriterien bei der Kaufentscheidung
Messdaten – wie die hier vorgestellten – sollten nicht das einzige Kriterium bei der Kaufentscheidung bilden. In der Alltags- und Reisenutzung sind Langlebigkeit und Robustheit sehr wichtige Faktoren, die sich leider schlecht im Labor ermitteln lassen. Hochwertige Lager und ein ausgeklügeltes Dichtungssystem sind bei Nabendynamos besonders wichtig, da man einen ggf. defekten Generator nicht so leicht ersetzen kann wie einen klassichen Reibraddynamo. Im Fall nie gänzlich auszuschließender Probleme spielen Garantie/Gewährleistung und deren Abwicklung eine entscheidende Rolle. Nicht vergessen sollte man auch, dass günstige Preise Ihren Grund oft in schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigsten Löhnen in Fernost haben.
Ausblick
Wie die Entwicklung bei Fahrraddynamos weitergehen wird, ist im Detail schwierig zu prognostizieren. Getriebelose Nabendynamos werden in nächster Zeit sicher noch an Marktanteil zulegen, weil sich neben ihrer Zuverlässigkeit auch der Komfort der oft damit kombinierten Lichtsensorautomatik immer weiter herumspricht. Reizvolle Zusatzanwendungen wie Speisung von elektrischen Schaltungen oder Ladegeräte für Mobiltelefone sowie Navigationsgeräte sind absehbar.
Danksagung
Dieser Test wurde möglich, weil uns die gewünschten Nabendynamos schnell und unkompliziert zur Verfügung gestellt wurden. Der Schweizer Fahrradteile-Versender VeloPlus sorgte für die Shimano-Modelle. Dr. Wangermann von Renak war bei den Messungen kritisch und helfend anwesend. Er brachte die Enparlite Getriebenabendynamos dabei direkt mit nach Hamburg. Schmidt Maschinenbau lieferte SON28, SON20 und den SON XS Prototyp. Bei Schmidt in Tübingen wurden die Messungen stichprobenartig am dortigen Schwungrad-Ausrollprüfstand verifiziert. Vielen Dank allen Unterstützern!
Übersicht über die getesteten Nabendynamos
Messungen für 28″-Laufrad mit 702 mm effektivem Durchmesser (Reifen 40-622)
Messungen für 20″-Laufrad mit 486 mm effektivem Durchmesser (Reifen 40-406)
Messungen für 28″-Laufrad an Doppel-Scheinwerfer oder Kurzschluß
Hintergrund
Der hier beschriebene Test fand 2004 in Hamburg in der Werkstatt von Olaf Schultz statt. Er war für die unmittelbare Veröffentlichung in Pro Velo vorgesehen, die seither aber nicht mehr erschienen ist. Da die getesteten Nabendynamos nach wie vor auf dem Markt sind, hat der Test nichts an Aktualität eingebüßt.
Zum Shimano DH-3N70 ist mittlerweile der DH-3N71 hinzugekommen, der sich aber unseren (späteren) Messungen nach, nicht signifikant in seinen Eigenschaften vom DH-3N70 unterscheidet. Der hier noch als Prototyp getestete SON XS ist mittlerweile in Produktion und wiegt 390g.
Zum Autor
Andreas Oehler(39) arbeitet als Maschinenbauingenieur beim Fahrradbeleuchtungshersteller Schmidt Maschinenbau. Ehrenamtlich leitet er den ADFC Fachausschuß Technik.