Ausgabe 38 · Juni 2024

Dienstrad statt Dienstwagen

Mit dem Faltrad unterwegs im Außendienst

von Conrad Gutekunst

Im Bonner Verlagshaus Gutekunst gibt es keine Dienstautos. Dafür eine Fahrradflotte. Seit 14 Jahren schwingen sich Inhaber Conrad Gutekunst und seine Belegschaft auf den Sattel und in den Zug, um Kunden und Kundinnen zu besuchen. Das zeigt: Ein Business komplett autofrei zu führen ist möglich. Und es bringt mehr Vorteile, als man denkt.

Hinter dem Verlagshaus Gutekunst verbirgt sich ein 10-köpfiges Team, das Post- und Grußkarten entwickelt und vertreibt. Gegründet wurde der Verlag 2005 von Conrad Gutekunst, der nicht nur die Karten klimafreundlich produzieren lässt, sondern auch die Mobilität des Verlags nachhaltig aufgestellt hat. An Messen teilnehmen, zu Veranstaltungen reisen oder Vertriebstouren fahren: Was andere mit dem Auto machen, erledigen die Bonner komplett mit Fahrrad und Bahn. In der Karten-Verlagsbranche gelten sie als unkonventionell. Egal wo sie auftauchen, sie haben immer ein Faltrad im Schlepptau.

Vertrieb mit dem Rad

Haupteinsatzbereich des Rades ist der Vertrieb. Mehrmals im Jahr macht sich das 5-köpfige Außendienstteam auf den Weg durch Deutschland und teils durch Luxemburg und Österreich, um Kunden zu besuchen. In den Ladengeschäften der Kundschaft angekommen, kontrolliert es die Karten-Verkaufsständer und tauscht saisonale Karten aus. Um die Fahrten zu organisieren, wurde das Vertriebsgebiet in Tourenbereiche eingeteilt. Jedes Vertriebsmitglied ist meist über mehrere Tage in einem bestimmten Tourenbereich unterwegs. Danach schwirren sie wieder in Bonn ein und brechen nach 1- oder 2-tägiger Verschnaufpause zum nächsten Tourenbereich auf. Im Jahr legen die Außendienstler so insgesamt 7.500 km mit ihren Falträdern zurück. Am Stück geradelt wäre das eine Strecke vom Unternehmenssitz in Bonn bis zum Taj Mahal in Indien.

Bild 1: Das Verlagsteam im Außeneinsatz

Kannste knicken: mit dem Faltrad in den Zug

Falträder sind dabei alternativlos. Sie lassen sich auf ein handliches Maß zusammenklappen und dürfen sogar im ICE kostenlos und ohne Reservierung mitfahren. Auch im Regionalverkehr, wo das Reisen mit Fahrrad kaum planbar ist, muss sich das Bonner Team keine Gedanken machen: Mit seinen auf Gepäckmaß gefalteten Rädern kann es sich auch in überfüllte Züge quetschen, während andere Radfahrer draußen bleiben müssen. Wenn die Vertriebler ab Zielbahnhof wieder in die Pedale treten, dann mit reiner Muskelkraft, ohne die Hilfe von E-Motoren. Das hat mehrere Gründe: Elektrofalträder sind anfälliger für Schäden und weniger umweltfreundlich als normale Räder. Ein weiteres Argument gegen E-Bikes ist für Conrad Gutekunst ihr Gewicht: »Elektroräder bringen zwar körperliche Entlastung während des Fahrens, wir müssen unsere Räder am Bahnhof aber viel rumtragen und dafür sind sie einfach zu schwer.«

Natürlich wäre auch ein Vertrieb nur mit der Bahn denkbar gewesen. Doch ohne Fahrrad sei das Tagespensum nicht zu schaffen, wie Conrad Gutekunst erklärt: »Wenn wir von einem Termin rauskommen, fährt ja nicht direkt ein Bus oder eine S-Bahn vor der Tür ab. Das heißt, wir müssten erst mal bis zur nächsten Haltestelle laufen, um weiterzukommen. Und das zigmal am Tag. In ländlicheren Gegenden würden wir vielleicht sogar den ganzen Weg zum Bahnhof zurücklaufen müssen. Das alles kostet sehr viel Zeit. Mit dem Rad sind wir viel schneller und flexibler unterwegs.«

Nachhaltig? Dann auch bitte ohne Auto

Warum das Verlagshaus komplett aufs Auto verzichtet, hat ideelle Gründe. Conrad Gutekunst hat sein Business nachhaltig aufgezogen: Alle Karten werden in einer ökozertifizierten Druckerei gedruckt und sind klimaneutral. Das Verlagshaus läuft mit 100 % Ökostrom, im Büro im ersten Stock arbeiten sie mit Second-Hand-Geräten und im Keller wird Verpackungsfüllmaterial aus aussortierten Altkartons selbst gemacht. Nur bei der Mobilität hakte es noch. Eigene Dienstwagen hatte das Unternehmen zwar nie, aber für Messebesuche und Vertriebstouren wurden Autos gemietet. Für Conrad Gutekunst hat das irgendwann nicht mehr gepasst: »Ich habe gedacht: Wir sind im Bereich Nachhaltigkeit so gut aufgestellt, fahren aber mit dem Auto durch die Gegend. Das muss auch ohne gehen.« Da er auch privat keinen Pkw besitzt und seinen Alltag mit dem Rad bestreitet, erschien ihm die Idee, das auch geschäftlich durchzuziehen, nicht ganz abwegig. »Irgendwann bin ich ins Büro gekommen und hatte ein Faltrad unter dem Arm und habe gesagt: Das ist unser neues Dienstfahrzeug.«

So was geht nicht über Nacht

Die Umstellung auf 100 % autofrei verlief fließend. Erst mal hat Conrad Gutekunst den Vertrieb per Rad selbst ausprobiert – auch, um zu demonstrieren, dass es kein Ding der Unmöglichkeit ist. »Ich habe nie gesagt: Freunde, es regnet und es schneit gerade, es ist heute nicht mein Tag, sondern gerade dann war ich auch mit dem Rad unterwegs, um zu zeigen, dass es geht.« Nach und nach haben er und sein Team mehrere Faltradmodelle »on tour« getestet und zunehmend Gefallen an der neuen Mobilität gefunden. Nur ein Mitarbeiter konnte sich während der Probefahrten nicht für das Radleben begeistern und hat das Verlagshaus verlassen.

Für alles gibt es eine Lösung

Bromptons haben sich für die Vertriebler und Vertrieblerinnen in der Testphase als beste Variante erwiesen. Was jetzt noch gelöst werden musste, war der Materialtransport. Mit dem Mietwagen konnte man die Sachen zu Messen transportieren und bei den Vertriebsfahrten saisonale Austauschware in den Kofferraum packen. Aber wohin damit auf dem Rad? Also wurden auch Frachtanhänger getestet und ein faltbarer Anhänger entwickelt. In Kombination mit der Bahn haben sich die Anhänger allerdings als nicht praktikabel erwiesen. Eine andere Lösung hatte das Team schnell parat: Es schickt Messematerial per klimaneutralem Paketdienst vor und lässt saisonale Austauschware in den Geschäften der Kundschaft vom Kurier abholen. Fahrradanhänger stehen trotzdem in der Garage. Für kurze Strecken ohne Bahn sind sie ideal, etwa, um gebrauchte Kartons in der Bonner Innenstadt einzusammeln, die dann für den Kartenversand genutzt werden.

Bild 2: Dienstradausstattung

Wartung und Reparaturen

Falträder haben ihre Vorteile, konstruktionsbedingt aber auch ihre Schwachstellen. So verschleißen etwa Reifen und Felgen schneller als bei normalen Straßenrädern und müssen regelmäßig ausgetauscht werden. Zum Glück ist noch niemandem aus dem Team plötzlich eine Felge durchgebremst und auch sonst gab es auf den Fahrten keine Pannen. Wartung und Reparaturen werden in der eigenen kleinen Werkstatt oder vom lokalen Fahrradhändler durchgeführt. Aber nicht immer ist das möglich. Wenn die Falträder zum Beispiel neue Lagerbuchsen oder Gangschaltungen brauchen, müssen sie in eine spezialisierte Brompton-Werkstatt geschickt werden.

Genauso schnell wie mit dem Auto – nur ohne Abgase

Während es auf Tour mit dem Rad meist wie geschmiert läuft, hakt es manchmal auf der Schiene. Verspätete Züge, Zugausfälle oder gar Bahnstreiks können den Tourenplan durcheinanderwirbeln. Dann heißt es, entweder am Bahnsteig kurzfristig umplanen, im Bahnhofsbistro einen Kaffee trinken oder – bei Streik – die Tour unterbrechen oder komplett verschieben. Selbst wenn alles glatt läuft, sind die Außendienstler von der Bahntaktung abhängig. Außerhalb der Städte fahren Züge meist nur im Stundentakt. Wenn sie nach 40 Minuten von einem Termin rauskommen, müssen sie 20 Minuten auf den nächsten Zug warten, während ein Autofahrer direkt weiterdüsen könnte. Doch die Wartezeit holen sie im Stadtverkehr dank Faltrad wieder raus; da sind sie dem Pkw meist überlegen. »Unterm Strich«, fasst Conrad Gutekunst zusammen, »erreichen wir die gleiche Frequenz und Schnelligkeit wie ein Vertriebler mit dem Auto.« Beim Klimaschutz hingegen ist das Bonner Vertriebsteam nicht zu toppen. Im Vergleich zum Vertrieb mit dem Pkw konnte es die vertriebsbedingten CO2-Emissionen um 90 % senken und erspart der Atmosphäre damit jedes Jahr 33 t CO2.

Urlaubsfeeling inklusive

So motivierend dieses Ergebnis auch ist: »Natürlich gebe es immer wieder mal Momente, wo es Überwindung koste, auf den Sattel zu steigen«, gibt Conrad Gutekunst zu. Wenn es wie aus Eimern schüttet, die Straßen glatt sind und eisiger Fahrtwind ins Gesicht klatscht: Klar sitzt da niemand gern auf dem Rad. Es anders zu machen kann sich das Verlagsteam trotzdem nicht mehr vorstellen. Denn mit Rad und Bahn mobil zu sein hat etwas ganz Besonderes, das Conrad Gutekunst so auf den Punkt bringt: »Für mich ist diese Art zu reisen der Inbegriff größtmöglicher Freiheit.« Nicht in einer Blechbüchse im Stau zu sitzen, eine Stadt näher und anders zu erleben, spontan dort anzuhalten, wo es gerade schön ist. Freiheit ist auch, entspannt im Zug zu sitzen, ein Nickerchen zu machen oder ein Buch zu lesen. Ein Hauch von Urlaubsfeeling schwingt meistens mit – vor allem dann, wenn die Außendienstler abseits des lärmenden Verkehrs durch die Landschaft radeln. Wenn ihre Routen nicht sowieso schon durch ruhigere Landstriche und auf abgelegene Radwege führen, dann machen sie auch mal, wenn keine dringenden Termine mehr anstehen, einen Abstecher. Dann geht es bei Spätsommerwetter durch die wechselnde Landschaft an den Ausläufern des Schwarzwaldes entlang, in Oberbayern durch duftende Rapsfelder mit Blick auf die Berge oder durch das Taubertal an malerischen Kulissen vorbei. »Andere machen da Urlaub, wo wir arbeiten. Was gibt es Besseres?«, fragt Conrad Gutekunst. Da fällt uns tatsächlich wenig ein.

Zum Autor

Der 54-jährige Conrad Gutekunst ist studierter Agrarökonom und leitet heute einen nachhaltigen Verlag für Post- und Grußkarten. Mit dem autofreien Vertriebskonzept hat sein Verlagshaus 2022 den DB Climate Mobility Challenge Award gewonnen.