Ausgabe 14 · April 2012
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Editorial
Kultur der Angst
Wir sind satt. Wir sind sicher. Wir leben so lang wie noch nie. Hat eine Gesellschaft dieses Stadium erreicht, beginnt sie damit, Ängste zu entwickeln. Ob SARS, die Schweinegrippe oder ein paar Keime auf Sprossen: winzige Risiken, die kaum jemanden treffen, werden hochgespielt. Wirkliche Gefahren wie Bewegungsarmut, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen – die häufigste Todesursache – stark begünstigt, verdrängen dagegen die meisten. Und dass die Autofahrt zum Flughafen öfter zum Tod führt als sämtliche Terroranschläge auf Flugzeuge zusammen, interessiert niemanden.
Auch der Fahrradhelm ist Ausdruck der Kultur der Angst. Wie sonst kann man auf die Idee kommen, dass gerade zu einer Tätigkeit, die regelmäßig ausgeübt zwanzig mal soviel Lebenszeit schenkt wie die gesamte Unfallgefahr ausmacht, ein besonderer Schutz nötig ist? Warum gerade beim Radfahren und nicht beim Zufußgehen, wobei jedes Jahr weit mehr Menschen bei Unfällen sterben? Und wieso soll dann gerade ein bisschen Schaumstoff helfen, dessen Wirksamkeit so zweifelhaft ist, dass es als Medikament nie zugelassen worden wäre? Aber Helme schüren Angst. Wo für Fahrradhelme geworben wurde, ist die Zahl der Radfahrer merklich zurückgegangen. Das ist nicht nur schade, sondern auch schädlich für das Klima und die Gesundheit der Menschen.
Es wurde Zeit für Fahrradzukunft, sich endlich dem Thema Fahrradhelm zu stellen. Wir wissen, dass wir damit irrationale Reaktionen heraufbeschwören könnten. Denn der Umgang mit Angst ist nicht rational. Wir versuchen es trotzdem: Wolfgang Strobl analysiert ein Stück der Irrationalität, indem er die Gefahren bei der Fortbewegung gegenüberstellt. Ingo Keck setzt sich mit der Wirksamkeit von Fahrradhelmen auseinander. Er versucht auch, eine Antwort darauf zu geben, wieso die bisherigen Untersuchungen sehr unterschiedliche Ergebnisse zeigen. Jörg Ortlepp stellt den Standpunkt der Unfallforschung der Versicherer (UDV) dar, die sich für Helme beim Radfahren ausspricht. Ervin Peters betrachtet kritisch das Thema Helmpflicht, das wiederholt als Forderung von Politikern durch die Medien kreist.
Zum Schluss noch eine Entschuldigung und gleichzeitig eine Beschuldigung. Entschuldigen möchten wir uns dafür, dass wir uns fast ein Jahr für diese Ausgabe der Fahrradzukunft Zeit gelassen haben. Die Ursachen sind vielfältig, u. a. private und berufliche Verpflichtungen. Auf der anderen Seite müssen wir auch feststellen, dass immer noch zu wenige Artikel an uns herangetragen werden. Wir möchten gerade keine Redaktion sein, die selbst Artikel schreibt. Sondern wir sehen Fahrradzukunft ausdrücklich als eine Zeitung, die von den Beiträgen der Leser getragen wird. Deswegen: Schreibt Artikel! Wir helfen gerne bei der Verfeinerung Eurer Ideen.
Eine spannende Lektüre wünscht für die gesamte Redaktion
Bernd Sluka.
Wunschliste – Eure Beiträge für die nächste Ausgabe
- Verkehrsthemen, etwa zum Dauerbrenner Radwege. Beispiel für ein noch wenig erforschtes, aber nicht unbrisantes Thema: Die Rolle des Benutzungszwangs bei der Finanzierung von Bau und Unterhalt.
- Technik, z. B. wegweisende Eigenbaulösungen aller Art, Erkenntnisse zum Verschleiß von Bauteilen, Transportlösungen, …
- Gerne auch mal was Lustiges …
Jobs – Garantiert ehrenamtlich – Betonung auf Ehre ;o)
- Bildredakteure: Findige Leute, die themenbezogene Bilder ausgraben und bei den Erzeugern die »Abdruckgenehmigung« einholen
- Bild-Macher – Kreative, die Wunschmotive erzeugen können: Sketche zeichnen; Fotografieren: Arrangierte Bilder oder/und dokumentarische Schnappschüsse; Fotomontage