Ausgabe 11 · April 2010

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Tandem-Starrgabel für Scheibenbremsen

von Heiner Schuchard

1 Zielsetzungen

Warum sollte man sich Gedanken über etwas machen, das es landauf, landab zu kaufen gibt und funktioniert?

Nun, ganz einfach, weil das Bessere selbst Gutes zum Mittelmaß macht. Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die mit einer Scheibenbremse ausgerüstete Starrgabel unseres Tandems.

Bild 1

Rahmen und Gabel des Tandems wurden – mit Abweichungen – nach meinen Vorgaben gefertigt. Die Gabel jedoch erfüllt meine Erwartungen an dieses Bauteil nicht, auch nicht, nachdem ich ihre Erstausführung reklamiert hatte und die neu angefertigte Gabel eingebaut war. Auf der sich anschließenden Suche nach einer Alternative musste ich erfahren, dass Hersteller kaum Interesse und Bereitschaft erkennen ließen, sich ernsthaft mit der optimalen Konstruktion einer Tandemgabel auseinanderzusetzen. Die Gründe für diese Einstellung? Eine Starrgabel für ein Tandem, dazu noch mit Sonderwünschen? Die wenigsten kennen sich mit Tandems aus. Da bringt Verkaufen doch so viel mehr in die Kasse als das schwierige Bemühen um konstruktive Qualität, die in der Regel vom Käufer nicht einmal erkannt wird. Es lohnt nicht. Und lästige Phantasten, die mit Ihren Spinnereien von der Umsatz bringenden Arbeit abhalten, gibt es ohnehin schon zu viele.

In gut zwei Jahren und über eine Strecke von knapp 8.000 Tandem-Kilometern haben wir festgestellt, dass wir weiter gerne auf eine Federgabel und auf den damit einhergehenden Aufwand verzichten. Die Glättung unserer Wege mit Hilfe der 57-559er-Bereifung reicht uns voll aus. Erhöhten Aufwand (gleich erhöhte Kosten, erhöhtes Gewicht, vermehrten Pflegeaufwand und größeres Geht-Kaputt-Risiko) will ich nur dann, wenn er mir so viel mehr bringt, dass er die einhergehenden Nachteile mehr als aufwiegt.
Es geht also um eine neue Starrgabel hoher konstruktiver Qualität für unser Tandem. Prinzipiell aber gelten die hier erläuterten Zusammenhänge auch für Gabeln an Sonderbauten wie Rikschas und Transporträdern, für Federgabeln und für Gabeln an Solo-Rädern.

Das Ziel dieses Artikels ist es, die nach unserer Erfahrung vorhandenen Schwachpunkte bestehender Tandemgabel-Konstruktionen zu beschreiben und ein Konzept für eine besser geeignete Gabel zu entwickeln. Mit Blick auf die Hersteller wünsche ich mir, dass wenigstens einer unter ihnen die Chance ergreift, sich der hier dargestellten Überlegungen und Berechnungen zu bedienen und sie in seine Produktion oder zumindest in eine Kleinserie einfließen zu lassen. Tandemfahrer wären mit der Produktion einer solchen neuen Gabel weniger stark den Unwägbarkeiten und Kosten einer custom-made Einzelanfertigung ausgesetzt und könnten hoffen, dass eine solche neu konzipierte Gabel vor der Auslieferung an den Kunden einem Mindestmaß an Tests und Bewährung in der Praxis unterworfen wurde. Für eine Kleinserie wäre die Prüfung der Gabel, z. B. durch das EFBE, anzustreben.

Manche der hier dargestellten Überlegungen und Berechnungen mögen trotz besten Willens noch unklar oder gar fragwürdig erscheinen. Andere Rad- und Tandemfahrer haben sich vielleicht auch schon mit diesem Thema auseinander gesetzt und eigene Ideen dazu entwickelt? Es käme mir sehr gelegen, solches z. B. auf der Mailing-Liste tandem-fahren.de zur Sprache zu bringen, zu klären und ggf. in das hier präsentierte Konzept einfließen zu lassen. Zusammenfassende Berichte dieser Diskussion könnten dann wiederum in Folgenummern der »Fahrradzukunft« erscheinen.

Ein weiteres Ziel ist, dass sich über tandem-fahren.de eine Gruppe von Leuten zusammenfinden könnte, die ernsthaft am Bau einer verbesserten und in Kleinserie relativ kostengünstig zu produzierenden Gabel interessiert ist und als Auftraggeber auftritt. Interessierte und innovationsbereite Hersteller sind dort gleichfalls sehr willkommen.

Lesen Sie, gerne auch von hinten beginnend. Ich will informieren, aber niemand sollte sich genötigt sehen, sich durch all das hier Gesagte durchzuarbeiten!

2 Konstruktive Erfordernisse

Die Bremse eines Fahrrades bestimmt in erheblichem Maß die Anforderungen an die Stabilität der Gabel. Deshalb muss eine Gabel immer im Zusammenhang mit der an ihr betriebenen Bremse betrachtet werden. Zum Konzept einer mit Scheibenbremse ausgestatteten Tandem-Starrgabel seien zunächst die Anforderungen definiert, die Gabel und Bremse zu erfüllen haben:

  • Die Dimensionierung der Gabel muss für die Belastungen eines Reise-Tandems ausgelegt sein. Cannondale hat seine Tandems, auch die mit Scheibenbremsen, nach Handbuch-Angaben für eine Zuladung von 261 kg freigegeben. Im Hinblick darauf, dass das hier zu entwickelnde Konzept auch für schwerere Tandem-Teams geeignet sein soll, sollte die Gabel für ein Gesamtgewicht von 280 kg ausgelegt sein.
  • Für die Gabel-Dimensionierung ist zu beachten, dass ein Tandem beim Bremsen auf Grund der günstigeren Schwerpunktlage auch bei griffiger Fahrbahn bis zum Blockieren des Vorderrades abgebremst werden kann. Ich setze voraus, dass die Bremskraft der Vorderradbremse eine solche Vollbremsung erlaubt. Nach Santana-Angaben sind die Belastungen einer Tandemgabel etwa 3 bis 5 Mal höher als die beim Solo-Rad. Diese Angabe entspricht eigenen Berechnungen. Zu schwach dimensionierte Gabeln können bei hoher Beanspruchung – selbst wenn sie nicht völlig versagen – die Straßenlage eines Tandems durch sich aufschaukelnde Schwingungen gefährlich destabilisieren.
  • Bei Abfahrten im Gebirge haben Tandem-Bremsen wesentlich mehr Energie umzuwandeln als die Bremsen eines Solo-Rades. Das Fahrzeuggewicht des Tandems ist etwa doppelt so hoch wie das eines Solos, und die Bremswirkung des Fahrtwindes ist im Verhältnis deutlich geringer. Die Bremsen am Tandem sollten deshalb nicht nur besonders kraftvoll, sondern auch außerordentlich standfest sein.
  • Bei der Felgenbremse droht bei Überschreitung der Belastbarkeit mit Überhitzung der Felge ein Platzen des Schlauchs mit unter Umständen schwerwiegenden Folgen. Bei der Scheibenbremse (mit Stahlflex-Leitung zur Verhinderung des Abschmelzens der Hydraulikleitung) kündigt sich die Überlastung durch Fading an, und man hat Zeit, zu reagieren und ein völliges Versagen zu verhindern. Selbst beim Versagen der Bremse bleibt das Tandem lenkbar. Dass Vorder- und Hinterradbremse gleichzeitig versagen, ist eher unwahrscheinlich. Eine zusätzliche Notfall-Felgenbremse, die auch als sehr praktische Parkbremse zu verwenden ist, stellt eine weitere Sicherheits-Option dar.
  • Besondere Aufmerksamkeit ist aus eigener Erfahrung den Symmetrieeigenschaften einer Gabel bezüglich ihrer Belastungen und Verformungen zu zollen. Die Konstruktion soll unter normalen Fahrbedingungen, aber auch unter den extremen Bedingungen der Vollbremsung ein sicheres Fahrverhalten des Tandems und ein Nichtverwinden der Gabel gewährleisten.
  • Die Vorstellung, eine Bremsscheibe im Lauf der Zeit zu verschleißen, gefällt mir besser, als die, eine Felge solcherart zu verbrauchen und austauschen zu müssen. Vielleicht gibt es irgendwann einmal 2,6 mm dicke Bremsscheiben, die die Standzeit der Bremsscheibe verdreifachen würde. Das Mehrgewicht von ca. 60 g/Scheibe wäre zu verkraften.
  • Die Kosten von Tandemteilen und -zubehör sind zumindest ideell nur in halber Höhe der realen Rechnungsbeträge anzurechnen. Auf Grund des verhältnismäßig geringen Stückzahl-Bedarfs tandemspezifischer Bauteile sind für diese vergleichsweise hohe Preise mehr oder weniger unvermeidlich. Wenn immer das möglich ist, soll deshalb auf tandemspezifische Teile zugunsten von kostengünstigeren Serienteilen verzichtet werden.

3 Anforderungskatalog

3.1 Gabel-Maße, -Eigenschaften, -Ausstattungen

Design und Hauptabmessungen Unicrown, für 26″-Räder
Durchmesser Gabelschaft, verstärkt, ggf. auch für andere Durchmesser: 1 1/2″
Durchmesser alternativer Gabelschaft, »tapered« 1 1/2″/1 1/8″
Schaftlänge ≥ 290 mm
Reifendurchlauf-Breite, mit ausreichend Platz für Bereifung bis 60-559 bzw. 2,35 × 26″ mit 65-mm-Schutzblech ≥ 70 mm
Gabel-Versatz, Maß der z. Z. eingebauten Gabel 53 mm
Abstand von Auflage des unteren Steuerlagers bis Vorderradachse (Einbauhöhe) 420 mm
Einspannbreite 100 mm
Durchmesser Schnellspanner-Achse 5 mm

3.2 Bremssattel-Adapter

Für adapterlose, möglichst starre Montage der Bremszange für 8″-Scheiben (203 mm Ø) ist ein Post-Mount-8″-Anschuss vorzusehen. Mit Adapter sollen ggf. auch größere Bremsscheiben bis zu 10″ (254 mm) Durchmesser montiert werden können.

Begründungen:

  • Postmount ist steifer als IS 2000 und bietet eine bessere Ableitung der Bremswärme vom Sattel in die Gabel.
  • 203-mm-Bremsscheiben können bezüglich der damit erreichbaren Bremskraft auch für Tandems als noch ausreichend betrachtet werden. Größere Scheiben aber ergeben eine höhere Dauer-Standfestigkeit bei Abfahrten im Gebirge, ohne dass damit höhere Anforderungen an die Stabilität der Gabel gestellt werden.

Ein IS-2000-Anschluss, soll gewählt werden, wenn dieser wegen der zu verwendenden Bremszange erforderlich ist oder falls er technisch sehr viel einfacher realisiert werden kann als der Postmount-Anschluss. Der Anschluss soll so positioniert sein, dass für eine 203-mm-Bremsscheibe kein Adapter erforderlich ist.
Für IS 2000 mit Direktmontage für 8″-Bremsscheiben besteht keine Norm, solche Anschlüsse werden jedoch gebaut (z. B. bei der 8″-Gabel Fox 40 IS). Durch die 8″-Positionierung wird die Hebelwirkung der Bremszange auf den Adapter verringert, die Zange erhält einen stabileren Sitz.

3.3 Ausstattungen

  • Ösenpaar zur Befestigung der Schutzblech-Streben
  • Durchgehende Gewindehülsen zur Montage von Lowrider-Gepäckträgern
  • Einschraub-Gewinde zur Montage zusätzlicher Canti-Sockel
  • Bremsleitungs-Führungen
  • Ausfallenden schräg nach vorne/unten gerichtet, sodass die Vorderrad-Achse durch das Bremsmoment nicht aus den Ausfallenden gehebelt werden kann.
  • Auf Empfehlung des Fahrradsachverständigen Rainer Mai sollte eine Gabel so dimensioniert sein, dass sich bei Überlastung der untere Teil des Gabelholms nach hinten verbiegt, bevor gravierendere Schäden eintreten.
  • Eine solche Beschädigung ist kaum zu übersehen und man kann reagieren.
    Ein solches Überlastungs-Verhalten kann durch Verwendung verjüngter und/oder konifizierter Gabelholme erreicht werden (siehe Kapitel »Grafische Darstellungen«).

3.4 Asymmetrische Gabelgeometrie

Abhängig von der zu verwendenden Vorderrad-Nabe soll die Gabel so gestaltet sein, dass das Vorderrad symmetrisch eingespeicht werden kann. In der Regel heißt das, dass die Achslagerung asymmetrisch nach links versetzt ist, weil auf der linken Seite Platz für die dort liegende Bremse benötigt wird und die symmetrisch eingespeichte Felge trotzdem mittig durch die Gabel laufen soll.

Die Asymmetrie der Gabel erlaubt symmetrisch stehende Speichen des Vorderrades. Symmetrisch stehende Speichen ergeben im Vergleich zu asymmetrisch stehenden ein deutlich stabileres Laufrad, das (wie die Gabel) beim Tandem sehr viel höheren Kräften zu widerstehen hat als beim Solo-Rad.

Eine asymmetrische Einspeichung im Verhältnis 22 zu 30 (wie es bei der SON 28 Disc-Nabe gegeben ist) ergibt bei konstanter Mindestspannung der weniger steil stehenden Speichen eine um 36 % erhöhte Spannung der steiler stehenden Speichen. Bei anderen Naben ist dieses Verhältnis häufig noch wesentlich ungünstiger.

4 Datensammlung Tandem-Gabeln

Fahrrad- und Tandem-Hersteller veröffentlichen zu Werbezwecken gerne ausgewählte Daten zu ihren Produkten. Versucht man jedoch, weitere Einzelheiten in Erfahrung zu bringen, herrscht in der Regel absolute Funkstille. Nur in sehr wenigen Einzelfällen ist es mir durch beharrliches Nachfragen gelungen, weitere Einzelheiten zu erfahren. Die Anzahl der Leerstellen und Fragezeichen in der Auflistung der Daten darf als Maß der Auskunftsfreudigkeit des Herstellers bewertet werden.

Trotzdem habe ich versucht, einen groben Überblick über Tandemgabel-Konstruktionen zu erstellen. Die Idee dahinter war, aus dem Vergleich dieser Produkte Bewertungs- und Qualitätsmaßstäbe ableiten zu können. Auch wenn das nur sehr eingeschränkt gelingen konnte, ergeben sich interessante Vergleiche.

Hersteller und/oder Händler »Luftpumpe«-Gabel, Hersteller unbekannt Cannondale Cannondale German Moehren Cycles Pedalpower Santana Schauff Tout Terrain Caribou, Anbieter: Velotraum
Land Deutschland USA USA Deutschland Deutschland USA Deutschland Deutschland Taiwan
Design »Retro«- oder »Schulter«-Design Unicrown, für Felgenbremsen Unicrown, für Scheibenbremse Retro, wie bei Gleiss Unicrown, Tandem-Gabel für Schnellspanner Unicrown Unicrown Unicrown Unicrown
Schaftdurchmesser 1 1/2″ 1 1/8″ 1 1/8″ unten 37,7 mm
oben 31,8 mm
1 1/2″ 1 1/8″ 1 1/8″
Schaftmaterial CrMo CrMo Aluminium CroMo CroMo CrMo CrMo CrMo CrMo
Schaftwandstärke 1,5 mm unten 1,6 mm
oben 2,0 mm
Holmdurchmesser 31,8 mm oval: 36×28 mm oval: 36,5×27 mm oval: 41×28 mm oval oval: 35×28 mm
Holmmaterial CrMo CrMo Aluminium CrMo CroMo CroMo CrMo CroMo
Holmwandstärke 2,0 mm 1,2 mm
Bauhöhe 420 mm 420 mm 425 mm 420 mm 425 mm
Versatz nach vorne 53 mm
Versatz nach links für symmetrisch stehende Speichen 4 mm
Scheibenbrems-Adapter IS-2000 (6″ Ø) keiner IS-2000 keiner IS-2000 bis 203 mm Ø und Cantisockel IS-2000 bis 203 mm Ø und Cantisockel
Achstyp Standard Standard Steckachse 20 mm Standard Standard Standard
Achsklemmbreite 100 mm 100 mm 110 mm 100 mm 100 mm 100 mm
Ausstattung Lowrider-Ösen – nicht durchgehend, Schutzblech-Ösen, Lampen-Öse, Bremsleitungs-Führungen, Canti-Sockel.
Gewicht ca. 1,6 kg 1,43 kg 1,25 kg 1,35 kg
Preis Gabel wurde zusammen mit dem Rahmen berechnet 84 € 149 € 99 €
Sonstiges »Gleiss«-Rohrsatz mit runden, weder verjüngten noch konifizierten Gabelscheiden, produktionstechnisch vorteilhaft, aber gewichtsbezogen und sicherheits-technisch nachteilig. Die Gabel bietet nicht die von Rainer Mai für den Fall der Überlastung gewünschte »Sollbiegestelle« in der Nähe der Bremssattelhalterung. Canti-Gabel (ohne Scheibenbrems-Adapter) SI Fatty Ultrastrong Disc Fork, (bis 261 kg für Fahrer und Gepäck nach Handbuch-Angabe). Cannondale/Europe sagt, dass Tandem-Gabeln nicht einzeln, sondern nur mit einem Tandem geliefert werden können. Über einen Cannondale-Händler sollte da aber ranzukommen sein. Tandem Disc-Gabel, durchgehende Lowrider-Gewindeösen Lehnen den Bau einer Steckachsen-Starrgabel wegen ausgelasteter Kapazitäten ab, geben keine Gabel-Daten bekannt. Santana propagiert Carbon-Gabeln, weil diese wesentlich leichter und stabiler seien. Für Scheibenbremsen sind jedoch auch diese nicht einsetzbar, da man bei Santana die Wärmebelastung im Tandem-Betrieb für Carbon-Gabeln als zu hoch einschätzt Mit Tandemzulassung, auch für Scheibenbremse bis 203 mm Ø. Jan Schauff hat zugesagt, mir eine 1 1/2″-CrMo-Tandem-Gabel für eine Doppelscheibenbremse herstellen zu lassen. »Steelfork« und »Straitfork« mit verstärkter linker Gabelscheide, aber keine Tandemzulassung. Einziger mir bekannter Hersteller, der an Scheibenbremsen angepassten, versärkten linken Holm baut. Getestet nach neuer EN-MTB-Norm, Mit Tandemzulassung (aber max. Ges.-Gewicht nur 200 kg), auch für Scheibenbremse bis 203 mm
Beurteilung Die Gabel hat eine für Bremsbelastungen nicht ausreichende Verwindungs-Steifigkeit. Die Position der Bremsscheibe zwischen den Bremsbelägen verändert sich beim Bremsen, die Bremsbeläge stellen sich auf diese Position ein und einer der Beläge schleift an der Scheibe, nachdem die Bremse freigegeben wird. Folglich nutzen sich die Beläge unterschiedlich stark ab. Der Effekt des dauernden Schleifens kann mit maximal angeknalltem Schnellspanner vermieden werden. Dirk Bettge: »Sehr schöne Konstruktion, gerade richtig für den Einsatzzweck.« Jens Kühne fährt ein Cannondale Road Tandem (Teamgewicht nahe 200 kg). Seine Cannondale Disc Gabel ist nach Herstellerangabe aus Aluminium gefertigt. Er hat vorn und hinten Scheibenbremsen und ist sehr zufrieden damit, ist mit diesem Tandem aber noch keine Gebirgsabfahrten gefahren. Die Bremsanlage hat sich bislang aber schon an kurzen Gefällen mit ca. 12 % bis in den Stillstand bewährt. Die Erfahrungen beschränken sich auf ca. 1.300 km in 1 1/2 Jahren. Florian Doll aus Lübeck fährt, nachdem seine Federgabel zu Bruch gegangen ist, ein Tandem mit der wohl einzig je von Pedalpower gebauten custom-made Steckachsen-Starrgabel und ist sehr zufrieden damit. 2005 hat ihn diese Gabel 325 € gekostet. Sauber durchdachte und auf Festigkeit und Gewicht optimierte Konstruktion, aber für Scheibenbremsen nicht geeignet. Mängel sind mir nicht bekannt.

5 Anfragen

Meine Anfragen an Händler und Hersteller bezüglich der Herstellung einer Tandem-Starrgabel hatte ich vor meinen Berechnungen zur Belastung der Gabelholme gestellt. Ich war damals noch der Überzeugung, mit einer geometrisch wie stabilitätsbezogen asymmetrischen Gabel für eine Einscheibenbremse die am besten geeignete Konstruktion zu erhalten. So war eine der geforderten Eigenschaften die geometrische Asymmetrie. Das mag so manchen Hersteller neben den Anforderungen nach einem 1.5″-Schaft und nach Steckachse abgeschreckt haben.

Absagen erhielt ich von Stefano Agresti, Fahrradies/Kiel (Rainer Jansen), Werner Juchem, Pedalpower (Timo Behrendt) und Velotraum (Stefan Stiener).

Rudolf Pallesen von der Fa. Norwid schrieb, dass er eine »superstabile« Gabel mit 1 1/8″-Schaft anbieten könne und schlug einen Reduktionssteuersatz – wie bei CoMotion verwendet (siehe unten) – vor.

Ob der Schaft der Norwid-Gabel die dann für gleiche Biegefestigkeit erforderliche Wandstärke von 4 mm und vergleichsweise etwa doppeltes Gewicht hat? (Der 1 1/2″-Gabelschaft hat 1,5 mm Wandstärke, der Schaftdurchmesser geht in dritter Potenz in die Biegefestigkeits-Berechnung ein.)

Jan Schauff von der Fa. Schauff (Remagen), der sich gelegentlich auf tandem-fahren.de zu Wort meldet, bietet die bei neueren Schauff-Tandem-Modellen serienmäßige 1 1/2″-Schaft-Gabel für Standard-Achse und mit an die Doppelscheibenbremse angepassten IS 2000-Adaptern an. Ein Lichtblick!

Oliver Römer von Tout Terrain hat mir einen Kontakt zu seinem Rahmenbauer Kai Bendixen vermittelt. Dieser zeigte sich sehr aufgeschlossen gegenüber meinem symetrischen Konzept und hat sich interessiert gezeigt, ggf, eine Kleinserie einer Tandem-Gabel aufzulegen.

CoMotion (USA) hatte ich angefragt, weil sie ab 2010 bei einigen Tandems 1 1/2″-Steuersätze verwenden. Sie können jedoch nur 1 1/8″-CroMo-Gabeln liefern für Reifenbreiten bis maximal 1,9″ Breite, das aber auch für Quints (5-Platz-»Tandems«): Sie kombinieren die 1 1/2″-Steuersätze mit 1 1/8″-Gabelschäften. Also ordentlich dick nur für das Aussehen? Dafür dann viel Material wenig optimal eingesetzt?

Keine Antwort erhielt ich von Radwelt Apolda und Germans Cycles, Heidelberg.

Zusammenfassung Datensammlung und Anfragen:

Die hier vorliegenden Daten erlauben es nicht, ein schlüssiges Konzept für eine verbesserte Gabelkonstruktion zu entwickeln. Die Daten sind lückenhaft und die Beurteilungskriterien sind nicht quantifizierbar. Um den Ursachen für die Unzulänglichkeiten meiner Gabel auf die Spur zu kommen, habe ich Berechnungen der real auftretenden Belastungen durchgeführt Die Ergebnisse erlauben mir eine wesentlich fundiertere Beurteilung einer Gabelkonstruktion. Das hat dazu geführt, dass ich meine vorherige Vorstellung von einer geeigneten Tandemgabel wesentlich korrigiert habe.

6 Berechnungen

Zunächst ist zu berechnen, welche Gewichts- und Bremskräfte bei einer Vollbremsung auf eine Gabel einwirken. Die Gewichtskraft ist durch Wiegen festzustellen. Die Lage des Schwerpunkts im Verhältnis zu den Reifen-Aufstandspunkten ist ausschlaggebend dafür, welcher Anteil des Gewichts beim Bremsen auf das Vorderrad und damit auf die Gabel übertragen wird. Sie ist deshalb ebenfalls zu berechnen. Die Schwerpunkt-Position wird aus der geschätzten Lage von Einzelschwerpunkten und den zugehörigen Teilgewichten berechnet. Von der Gewichtskraft am Vorderrad und dem Reibkoeffizienten zwischen Fahrbahn und Reifen ist dann wieder abhängig, welche Bremskraft über das Vorderrad auf die Fahrbahn übertragen werden kann. Die Summe von Gewichts- und Bremskraft sowie die Übertragung des Bremsmoments vom Vorderrad auf den Fahrradrahmen ergeben die maximale Belastung der Gabel.

Zur vereinfachten Durchführung solcher Berechnungen habe ich eine Excel-Tabelle entwickelt, mit der sehr schnell verschiedenste Daten in Abhängigkeit von mehreren Variablen berechnet werden können.

Die einzugebenden Variablen sind:

  • Gewichtskraft und Schwerpunkt-Positionen von Tandem, Fahrern und Gepäck
  • Radstand des Fahrzeugs
  • Reibkoeffiziente zwischen Fahrbahn und Reifen
  • die Position von Gabelkopf und unterem Steuerlager der Gabel

Abhängig von diesen Variablen werden berechnet:

  • die Position des Gesamtschwerpunktes des Fahrzeugs
  • die dynamische Gewichtsverlagerung auf das Vorderrad
  • die maximal mögliche Bremskraft am Vorderrad
  • die Höhe der Bremsverzögerung
  • die maximale Biegebelastung des rechten und des linken Holms am Gabelkopf einer Gabel mit Einscheibenbremse
  • die maximale Biegebelastung des Gabelschaftes in Höhe des unteren Steuerlagers

Es wird zusätzlich angezeigt, ob bei den gewählten Randbedingungen die Gefahr eines Überschlags besteht. In diesem Fall wird die Bremskraft auf den Maximalwert einer unfallfreien Bremsbetätigung begrenzt. Die Höhe der Bremskraft wird ansonsten nur durch die geometrischen und gewichtsmäßigen Voraussetzungen sowie den gewählten Reibkoeffizienten begrenzt.

Die Tabelle habe ich entwickelt, um maximale Beanspruchungen schnell und einfach berechnen zu können. Es wird deshalb immer die maximal möglichen Bremsverzögerung zugrunde gelegt. Da diese Maximalwerte auch vom Radstand und Reibkoeffizienten abhängig sind, kann man diese so festlegen (manipulieren), dass auch Berechnungen zu Bremskräften oder Bremsverzögerungen einer bestimmten Größe durchgeführt werden können.

Bei allen hier angestellten Berechnungen bleibt die Bremsleistung der Hinterradbremse außer Betracht. Es geht um Vollbremsungen und die dabei auftretenden Belastungen. Die Hinterradbremse aber ist bei einer Vollbremsung wegen der auftretenden dynamischen Gewichtsverlagerung weitgehend wirkungslos.

Die Abbildung unten stellt das Tandem-Modell dar, anhand dessen ich meine Berechnungen vorgenommen habe. Die in der Skizze eingetragenen Abmessungen sind Randbedingungen der angeführten Ergebnisse. In der Excel-Berechnung können auch diese verändert werden.

Die ausführliche Version meiner Veröffentlichung enthält u. a. eine ausführliche Darstellung der angewandten Berechnungsmethoden und die Entwicklung der verwendeten Formeln. Zum Nachvollzug der Berechnungen werden nicht mehr als die Kenntnis der vier Grundrechenarten, der korrekte Umgang mit Formeln und Wille und Energie, das Dargestellte zu verstehen, vorausgesetzt.

6.1 Berechnung der Position des Gesamtschwerpunktes

Die Berechnungswerte für die Längsposition des Gesamtschwerpunkts erfolgt nach der Formel:

s(ges) = ∑F(y) ∙ s(x) / ∑F(y)

s(ges) = –2.982 Nm / –2.800 N

s(ges) = 1,065 m

Bild 2

In gleicher Weise ergibt sich die Höhe des Gesamtschwerpunkts über der Fahrbahn aus den Höhen der Einzelschwerpunkte.

h(ges) = ∑F(x) ∙ h(y) / ∑F(x)

h(ges) = –2.367 Nm / –2.800 N

h(ges) = 0,915 m

Die Verteilung der statischen Kräfte (Reibbeiwert auf 0 gesetzt) auf Vorder- und Hinterrad ergibt sich entsprechend zu:

F(VRst) = 1.192 N

F(HRst) = 1.608 N

6.2 Dynamische Belastung am Vorderrad

Mit Hilfe der Schwerpunktlage lässt sich nun die dynamische Belastung am Vorderrad, abhängig von der maximal möglichen Bremsverzögerung, berechnen. In der Skizze unten sind die zu berücksichtigenden Kräfte eingezeichnet.

Bild 3

Die Formel zur Berechnung der Größe der auf das Vorderrad verlagerten Gewichtskraft:

F(VRmax) = G (d – s) / (d – h)

Mit

G = 2.800 N
d = 1,855 m
h = 0,915 m
s = 1,065 m

folgt:

F(VR) = 2.800 N ∙ 0,840

F(VR) = 2.353 N

Das entspricht 84 % der Gesamt-Gewichtskraft des Tandems.

Dieses Ergebnis bedeutet, dass nach den angenommenen Voraussetzungen bei einer Vollbremsung das Vorderrad mit 2.353 N und das Hinterrad mit nur noch 447 N auf die Fahrbahn gedrückt wird. Die Rechnung zeigt, dass mit dem Bremsvorgang eine dynamische Verlagerung der Gewichtskraft in Höhe von 1.061 N vom Hinter- auf das Vorderrad einhergeht.

Legt man jedoch bei sonst gleichen Randbedingungen einen Reibbeiwert von 1,1645 zugrunde, beginnt bei einer Vollbremsung die Bremskraft die Gewichtskraft zu überwiegen, das Gesamtgewicht des Tandems verlagert sich komplett auf das Vorderrad, und es verbleibt ein Drehmoment, das ein Überschlagen des Fahrzeugs bewirkt. Am Gabelschaft wird dabei eine Biegebelastung von 1.786 Nm wirksam. Wie weitere Berechnungen gezeigt haben, kann man auch bei einem Reibbeiwert von 1 – entgegen landläufiger Meinung – mit unserem Beispiel-Tandem einen Salto vollführen. Dazu muss man das Tandem nur vom Gepäck befreien. Der Salto funktioniert auch noch mit leichteren Mannschaften, z. B. mit einem Captain von 75 und einem Stoker von 65 kg.

Für die nun folgenden Berechnungen der Biegebeanspruchungen an der Gabel wird eine Vorderrad-Belastung von 90 % der Gesamt-Gewichtskraft zugrunde gelegt, also 2.520 N.

7 Berechnung der Biegebelastungen

Berechnung der Belastung der Gabelholme einer mit einer Einscheibenbremse ausgerüsteten Tandem-Starrgabel bei Vollbremsung

Die Besonderheit von Trommel- und konventionellen Scheibenbremsgabeln gegenüber Felgenbremsgabeln ist die, dass sich die auf die Gabel wirkenden Belastungen unterschiedlich auf die Holme der Gabel verteilen. Ein Holm der Gabel, in der Regel der linke, hat nicht nur je eine Hälfte der zuvor berechneten Gewichts- und Bremsbelastungen zu tragen, er hat zusätzlich und allein das Bremsmoment, durch das erst die Bremswirkung entsteht, vom Vorderrad auf den Tandem-Rahmen zu übertragen. Bei der Felgenbremse verteilt sich auch dieses Moment gleichmäßig auf beide Holme. Will man sich ein Bild über die Belastungen an einer Einscheibenbremsen-Gabel verschaffen, muss also auch berechnet werden, wie groß die allein auf den linken Holm wirkenden, zusätzlichen Belastungen sind.

7.1 Vorgaben

Zur Berechnung der auftretenden Biegemomente gehe ich von den Voraussetzungen der vorangegangenen Berechnungen aus.

7.2 Zur Methode der Berechnung

Die methodische Vorgehensweise der Berechnung wird in der erwähnten Langfassung ausführlich erläutert. Hier aber werden nur die Skizzen zur Berechnung und die Berechnungsergebnisse dargestellt.

7.3 Kräfte und Momente am Vorderrad

Bild 4
Bremsscheibenkraft, die von der Bremsscheibe auf den auf der Gabel montierten Bremszylinder übertragen wird 9.520 N
Senkrecht auf die Vorderrad-Achse wirkende Kraft 2.520 N
Waagerecht auf die Vorderrad-Achse wirkende Kraft 2.520 N

7.4 Biegemomente an den Gabelholmen

Bild 5

Aus den Angaben der oben links dargestellten Skizze ergibt sich, dass, verursacht durch die Gewichts- und Bremskräfte, auf jeden Holm der Gabel eine Biegebeanspruchung von je 202 Nm am Gabelkopf wirkt.

Aus der oben rechts dargestellten Skizze ergibt sich, dass, resultierend aus der Übertragung des Bremsmomentes, der linke Holm zusätzlich mit einem Biegemoment von 857 Nm belastet wird.

M(gesamter rechter Holm) = 203 Nm

M(gesamter linker Holm) = 857 Nm + 202 Nm = 1.059 Nm.

Die Biegebeanspruchungen der beiden Holme unterscheiden sich also um 857 Nm. Das Verhältnis dieser unterschiedlichen Belastungen zueinander ergibt einen Faktor von:
1058 / 202 = 5,3.

Belastungsverhältnis: 5,3

Der linke Gabelholm wird 5,3-fach höher belastet als der rechte Holm.

Diese unterschiedliche Biegebelastung bewirkt ein Verdrehen der Gabelholme. Dieses Verdrehen bedeutet nicht, dass man daraus resultierend ein Lenkmoment am Lenker spürt, denn es ergibt sich kein Reaktionsmoment außerhalb des Gabel-Systems. Es bedeutet aber, dass der Gabel-Rahmen, bestehend aus Gabelkopf, Holmen und Vorderradachse, zu einem windschiefen Viereck verzogen wird. Die daraus resultierende Abweichung des Vorderrades von der Fahrtrichtung korrigiert der Fahrer des Rades automatisch und von ihm selbst unbemerkt, ebenso wie er dies ständig zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts während der normalen Fahrt tut.

7.5 Belastungen bei mittelgroßen Bremskräften

Zur Beantwortung dieser Frage habe ich durchgerechnet, welche Biegebelastungen an den Holmen bei einer Bremsbeschleunigung von einem Viertel der Erdbeschleunigung g auftritt. Wie schon zuvor wird auch hier nur mit der Vorderradbremse gebremst. Die Kraft, mit der das Tandem dann auf der Fahrbahn abgebremst wird, ist ein Viertel seiner Gewichtskraft, also 700 N und der Gewichtskraft-Anteil am Vorderrad sinkt auf 1.538 N. Der rechte Holm wird mit einem Moment von -21 Nm, also negativ, das heißt im Uhrzeigersinn belastet. Der linke Holm wird mit einem Moment von +217 Nm, also positiv, also im Gegenuhrzeigersinn belastet. Die Wirkung des Bremsmomentes, die Gabelholme zu verdrehen, wird hier noch sehr viel deutlicher sichtbar, auch wenn die Differenz in der absoluten Höhe der Biegebeanspruchungen geringer ist.

8 Grafische Darstellungen

Bild 6

Wir hatten gesehen, dass das Verhältnis der maximalen Biegebeanspruchung von linkem zu rechtem Holm 5,3 ist. Für die elastische Verformung der Gabelholme ist aber nicht nur dieser schon sehr hohe Wert, sondern auch der Verlauf der Biegebeanspruchung längs des Bauteils von Bedeutung. Auch dieser Verlauf unterscheidet sich wesentlich zwischen linkem und rechtem Holm, wie aus den oben dargestellten Momentenkennlinien ersichtlich ist. Das Verhältnis der Verformungen, dargestellt durch die grau markierten Flächen, liegt bei einem noch wesentlich höheren Faktor von 9:1.

Der linke Gabelholm einer Einscheibenbremse am Tandem wird bei einer Vollbremsung 9-fach stärker elastisch verformt als der rechte Holm.

Für die Gabel gibt es für dieses Verformungs-Verhältnis weitere, schwächende (z. B. durch die Kopplung über die Radachse) oder auch verstärkende (Verjüngung der Holme zur Achse hin) Einflüsse, die dieses Verhältnis jedoch nicht grundsätzlich ändern.

Zur Darstellung des Momentenverlaufs an einer Doppelscheiben-Gabel habe ich eine Widerstandsmomenten-Kennlinie einer Gabel für eine solche Bremse hinzugefügt (blaue Strich-Punkt-Linie in der vierten Skizze). Sie entspricht zur Radachse hin gleichmäßig verjüngten Holmen (nach links abfallender Verlauf). Die Verjüngung ist so angelegt, dass das Widerstandsmoment stärker abfällt als das Belastungsmoment des Holms. Das hat zur Folge, dass sich die Holme bei Überlastung der Gabel genau an der Stelle verbiegen werden, an der sich die Linien in der Zeichnung am nächsten kommen. Es ist der Montagepunkt des Bremssattels, so, wie der Fahrradsachverständige Rainer Mai das fordert. Es ist gleichzeitig erkennbar, dass seine Forderung mit weder verjüngten noch konifizierten Holmen (wie an der Gleiss/Luftpumpe-Gabel) nicht erfüllt werden kann. Die Gabel an meinem Tandem wird im Fall der Überlastung am Gabelkopf verbiegen oder brechen.

9 Bewertung der rechnerischen Ergebnisse

Jede noch so steif gebaute Gabel bildet ein elastisches System, bei dem einwirkende Kräfte elastische Verformungen hervorrufen.

Der linke Gabelholm einer mit einer Scheibenbremse ausgerüsteten Tandem-Gabel wird im Fall der Vollbremsung im Vergleich zum rechten Holm bezüglich der Biegung 5,3-fach höher belastet als der rechte. Die Durchbiegung steigt bei symmetrischer Bauweise der Gabelholme auf Grund des differierenden Drehmomentverlaufs am linken Holm auf den 9-fachen Wert der Verformung des rechten Holms Auch bei nicht so extremen, üblichen Bremsbelastungen wird auf die Gabelholme ein verwindendes Moment ausgeübt. Im Fall des Dahinrollens ohne Bremsung dagegen sind die Belastungen nach Richtung und Betrag rechts und links gleich.

Verringert werden kann die Verwindung einer Gabel beim Bremsvorgang durch unterschiedlich stark dimensionierte Gabelholme. Diese Korrektur kann jedoch nicht in einer solchen Weise realisiert werden, dass eine Verwindung bei unterschiedlich hohen Bremsverzögerungen nicht doch stattfindet.. Das heißt, die Gabel kann so ausgelegt werden, dass sie bei einer bestimmten Bremsverzögerung keine Verwindung erfährt, es ist aber nicht möglich, z. B. für ein b = 2,5 m/s2 (eine keineswegs extreme Bremsverzögerung), ein gleichartiges, elastisches Verhalten beider Holme zu erreichen, da die auf den rechten und linken Holm wirkenden Momente in entgegengesetzter Richtung wirken. Jede Verstärkung des linken Holmes einer Gabel beeinträchtigt ihr symmetrisches Verhalten im normalen Fahrbetrieb.

Die Berechnungen belegen, dass es technisch nicht möglich ist, eine zweiholmige Gabel für eine einseitig wirkende Bremse so zu bauen, dass sie allen Fahr- und Bremssituationen optimal angepasst ist.

Man mag einwenden, dass die relativen Unterschiede in der Belastung und in der Verformung der Gabelholme unerheblich sind, solange sich die absoluten Werte in tolerierbaren Grenzen halten. Dazu ist zu sagen, dass das sicherlich realisierbar ist, aber nur auf Kosten eines stark erhöhten Materialeinsatzes, den wir im Leichtfahrzeugbau eigentlich nicht so gerne tolerieren.

Die Erfahrungen mit der Gabel unseres Tandems haben gezeigt, dass die Verwindung der Gabel dazu führt, dass die Bremsscheibe aus der mittigen Position zwischen den Bremszylindern auswandert. Beim Bremsen zentrieren sich die selbstnachstellenden Bremszylinder auf die neue Position der Scheibe. Wird die Bremse freigegeben, wandert die Bremsscheibe in ihre ursprüngliche Position zurück und schleift dann an einem der Bremsbeläge.

Es konnte rechnerisch nachgewiesen werden, dass das Schleifen eines Bremsbelags auf die Verwindung der Gabelholme zurückzuführen ist.

Die Verwindung der Holme kann gemindert werden, indem der Achsspanner des Vorderrades extrem fest angezogen wird. Offensichtlich wird hierdurch das Gabel-Achse-System starrer.

Welche Verwindungen mit welchen Folgen bei einer Vollbremsung auftreten, haben wir selbst bisher nicht getestet. Falls andere Erfahrungen damit haben, wäre es schön, wenn sie darüber berichten könnten. Mir scheint es ratsam, bei unserer Gabel an solch einen Test sehr vorsichtig und zweckmäßigerweise erst zu einem Zeitpunkt, an dem die neu zu montierende Gabel auf der Werkbank liegt, heranzugehen.

Nachdem ich gerechnet habe, weiß ich, warum es an den Starrgabel-Santanas vorne keine Scheibenbremsen gibt.

Als Fazit bleibt:

Eine mit einer Scheibenbremse ausgestattete Fahrrad-Starrgabel üblicher Konstruktionsart ist eine technisch unzulängliche Lösung.

Für die Situation der Vollbremsung wäre ein erheblich verstärkter linker Holm zweckmäßig, für die »normale« Bremssituation hilft solch eine Verstärkung nur in eingeschränktem Maß. Für den normalen Fahrbetrieb ist sie nachteilig.

Um die systembedingt nicht vermeidbare Verwindung der Gabel in Grenzen zu halten, ist es zweckmäßig, den Rahmen um das Vorderrad, bestehend aus Gabelkopf, Holmen und Vorderrad-Achse, optimal verwindungssteif zu konstruieren. Zum Beispiel eine Steckachse möglichst großen Durchmessers mit beidseitig doppelt verschraubten »Haltefäusten« könnte das leisten. Das kostet allerdings Material und Gewicht.

Für alle für Einscheibenbremsen gebaute Gabeln ist darüber hinaus eine Anpassung an die asymmetrische Geometrie der Vorderradnabe vorteilhaft.

10 Tandemgabel-Alternativen

»Die Welt ist groß und Rettung lauert überall.«

Die Einscheibenbremse, konsequent asymmetrisch:

Ein Fahrrad ist mit Ausnahme des Kettenantriebs ein streng symmetrisch aufgebautes Fahrzeug. Diese Symmetrie wird durch eine Einscheiben-Bremse an der Vorderradgabel an einem dafür sehr sensiblen Bauteil verletzt. Ist man sich dessen bewusst, kann man sich auch dafür entscheiden, diese Symmetrieverletzung konsequent und durchkonstruiert beizubehalten.

Eine Starrgabel, die wie im Falle der Cannondale »Lefty« auf den rechten Holm – der im Extremfall ohnehin wenig zu tragen hat – gleich ganz verzichtet, wäre in diesem Sinne konsequent. Eine solche Konstruktion erfordert eine sehr biegesteife Radachse und eine ebensolche Verbindung zum Einbein-Holm. Man würde mit einer Einholm-Starrgabel Neuland auf dem Gebiet der Gabelkonstruktionen betreten. Ich habe mir sagen lassen, dass man mit einer Lefty-Gabel nicht freihändig fahren können soll. Nicht nur diese und die Frage, wie ich denn meine Lowrider-Gepäcktaschen befestigen soll, ist ungeklärt. Wer traut sich, das anzupacken?

Ich selbst halte die Wahl einer herkömmlichen Einscheibenbremse am Tandem, auch wegen des begrenzten Bremsleistungs-Angebots, für einen schlechten Kompromiss. Also bleibe ich symmetrisch.

Doch eine Felgenbremse?

Der Verzicht auf die Scheibenbremse zugunsten der symmetrisch arbeitenden, hydraulischen Felgenbremse ist eine von vielen Tandemteams genutzte Option. Schließlich haben auch alle meine Solo-Räder nicht zufällig Felgenbremsen. Beim Tandem jedoch sind die begrenzte Dauerbelastbarkeit dieses Bremssystems und die Folgen einer Überlastung zu bedenken. Ein unvorhergesehen eintretender Reifenplatzer durch überhitzte Felgen ist ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Auch die kurzzeitig erzielbare Bremskraft liegt unter der leistungsfähiger Scheibenbremsen.

Die Doppelscheibenbremse

Eine bezüglich der mechanischen Belastbarkeit der Gabel und der thermischen Standfestigkeit der Bremse nahezu optimal zu gestaltende scheibengebremste Tandem-Gabel könnte eine solche mit einer symmetrisch aufgebauten Doppelscheibenbremse sein.

Die bei der Einscheibenbremse auftretende maximale Biegebelastung des linken Gabelholms wird hier um ein Drittel reduziert und tritt immer als gleichmäßig auf beide Holme wirkende Belastung auf. Die thermische Belastbarkeit kann gegenüber einer Einscheibenbremse verdoppelt werden, ohne auf extrem große, teure und zum Schwingen neigende Scheiben ausweichen zu müssen. Eine Doppelscheibenbremse böte zudem die Möglichkeit, ein bisher im Fahrradbau nicht realisiertes Sicherheits-Feature einzuführen: Die Zweikreisbremse.

Man mag einwenden, dass eine Doppelscheibenbremse mit zwei 203-mm-Scheiben schwer ist und selbst am Tandem ein völlig überdimensioniertes Element darstellt. Rechnen wir hierzu ein letztes Mal nach:

Eine zusätzliche 203-mm-Bremsscheibe wiegt 200 g, ein Bremssattel der »Magura BIG« 150 g, die benötigte 2. Bremsleitung vielleicht 50 g. Die Gabel selbst kann wegen ihrer ausnahmslos symmetrisch erfolgenden Belastung leichter gebaut sein als die für eine Einscheiben-Bremse. Der gewichtsmäßige Preis: < 400 g, das sind 1,4 ‰ des Tandem-Gesamtgewichts!.

Zur Beurteilung der Höhe der Bremsleistung gehe ich von den von Magura angegebenen Leistungsdaten zur Gustav M-Scheibenbremse aus. Diese Scheibenbremse ist die kraftvollste im Magura-Fahrrad-Programm und sie ist tandemzugelassen. Magura gibt an, dass diese Bremse mit einer 210 mm großen Scheibe nach DIN 78100 mit 7,9 m/s2 verzögert (für das Solo-Rad ein theoretischer Rechenwert). Für das 280-kg-Tandem ergibt das eine Verzögerung von 2,8 m/s2. Die Gustav M mit Bremsscheibe wiegt ab 640 g. Rechnet man mögliche Einsparungen am Gabelgewicht der Doppelscheibengabel hinzu, kommt man zu einer annähernd gleichen Gewichtsbilanz für die Magura BIG Doppelscheibenbremse.

Das Tandem wäre am Vorderrad mit zwei Bremssätteln und zwei 203-mm-Scheiben auszurüsten. Die Magura BIG-Bremse, die sich hierzu anbietet ist weitgehend baugleich mit der Niederdruck-Version der Magura Julie, hat aber wegen der zwei Bremssättel einen größeren Geber-Zylinder und damit eine etwas ungünstigere Übersetzung. Nach DIN ergäbe sich eine berechnete Verzögerung von 12,03 m/s2. Bezogen auf das Tandem-Gesamtgewicht sind das dann noch 4,3 m/s2. Wenn das als überdimensioniert gilt, dann sind Magura-Scheibenbremsen für Solo-Fahrräder in jedem Fall überdimensioniert.

Um eine maximal mögliche Verzögerung zu erreichen, muss man selbst bei dieser außergewöhnlich starken Doppelscheibenbremse mit gut der doppelten der in der DIN vorgegebenen Kraft zupacken, ehe es zu quietschen beginnt und die Gabel ihre Stärke zu beweisen hat. Sie ist keineswegs überdimensioniert. Mit der Doppelbremse erhalten wir ohne merkbares Mehrgewicht eine angemessen höhere Bremskraft und Standfestigkeit. Das ist der Lohn der symmetrischen Konstruktionsweise.

Die Doppelscheibenbremse ist aus wirtschaftlichen und logistischen Gründen nicht ganz einfach zu realisieren. Spezialteile sind in der Regel teuer und im Reparaturfall fern der Heimat schwer oder gar nicht zu bekommen. Eine Gabel für eine Doppelscheibenbremse ist derzeit serienmäßig nicht verfügbar. Bei Naben und Bremsen ist das Angebot sehr begrenzt. Diese Probleme zu reduzieren ist eines der Ziele dieses Artikels.

11 Die neue Tandemgabel

Im Frühsommer könnte es so weit sein, dass die Doppelscheibe am Tandem montiert ist, an einer Doppelscheiben-SON-Nabe aus Tübingen, mit einer Magura-BIG- oder einer Gatorbrake-Doppelscheibenbremse und einer Schauff-Gabel.

Der Vorteil des Magura-BIG-Systems ist, dass es für dieses einen linken und einen spiegelbildlich gefertigten rechten Bremssattel und einen Handgriff zur Betätigung von zwei Bremssätteln gibt. Das passt zu einer Doppelscheibenbremse! Aber die BIG ist auch ein etwas in die Jahre gekommenes System, das von einer frühen Version der Niederdruck-Julie abgeleitet wurde. Letztere wurde 2009 durch die Julie HP (High Pressure) ersetzt. Am Niederdruck-System ist nachteilig, dass es größere Kolbendurchmesser an den Bremszylindern benötigt, die bei gleicher Länge eine schlechtere Führung im Zylinder haben oder aber bei größerer Länge höher aufbauen. Im Magura-Forum ist nachzulesen, dass insbesondere im Winter häufiger Kolbenklemmer an der LP-Julie aller Baujahre aufgetreten sind. Zeitweise wurden deswegen Julie-Bremssättel kostenfrei ersetzt. Ein Update der BIG auf ein Hochdruck-System ist bisher nicht vorgesehen, weil nach Magura-Auskunft die verkauften Stückzahlen das zur Zeit nicht hergeben. Trotz ihres Alters ist die BIG keineswegs preiswert zu haben. Man könnte auch anders entscheiden: »Wir machen die BIG-HP, damit die Umsätze in den grünen Bereich steigen. Und dazu bieten wir eine Nabe für eine Doppelscheibenbremse an.« Würde doch viel besser passen zu den »Passion People« aus Laichingen.

Kleine Geschichte dazu: Ein Lübecker Händler verlangte Astronomisches für die BIG: 162 € für eine Bremszange, 165 € für einen Bremsgriff. Inzwischen habe ich ein Angebot, dass diese Preise mehr als halbiert. Wirklich günstig ist das dann immer noch nicht. Aber Geduld hilft: Bei ebay wurden in letzter Zeit einige BIG Bremsen versteigert.

Bei Gatorbrake habe ich eine Vorderrad-Nabe für eine Doppelscheibenbremse gesehen. Sie haben dort auch eine gespiegelte 4-Kolben-Bremszange für die rechte Gabelseite und einen Bremsgriff zur Bedienung zweier Zangen im Programm. Die Systeme arbeiten wie bei Magura und Shimano mit Mineralöl. Die modernere Technik kann man dort vielleicht sogar zu günstigeren Preisen als bei Magura bekommen? Erste Antworten auf meine Email-Anfragen stimmen mich erwartungsvoll. Gerne würde ich das System an meinem Tandem testen.

Der Doppelscheiben-SON, den ich demnächst in Händen zu halten hoffe, wurde für eine nur noch selten und nur »antiquarisch« angebotene Sachs Powerdisc-Bremse konzipiert. Olaf Schultz hat einen solchen SON und solche Bremsen an der gefederten Vorderrad-Schwinge seines Liege-Tandems. Die Powerdisk hat wesentlich dickere Bremsscheiben als die heute üblichen 2-mm-Folien, die man im Nu wegwerfen darf, weil sie auf 1,7 mm heruntergebremst sind. Die dicken PowerDISC-Scheiben haben dann aber auch zur Folge, dass der Abstand der Speichenflansche zueinander nur noch 41 mm beträgt. Da werden, gemessen an 2-mm-Scheiben, 15 % Breite verschenkt und die Speichen stehen recht steil bei 26″- und 28″-Laufrädern.Sollte es zu einer Neuauflage dieses SONs kommen, könnte der dann wohl einen günstigeren Flanschabstand von 48mm aufweisen.

Es ist kein ganz einfacher Weg, zu einer Doppelscheibenbremse am Fahrrad zu kommen. Um überhaupt etwas zu erreichen, ist man auf Kontakte und das Entgegenkommen von Herstellern angewiesen. Ich schlage deshalb vor, dass sich alle, die neugierig geworden und ernsthaft an einer Doppelscheibenbremse interessiert sind, bei mir oder über die Mailingliste tandem-fahren.de melden. Wenn es erst einmal eine Gruppe von kaufwilligen Interessenten gibt, wird sich der eine oder andere Hersteller vielleicht doch überlegen, einzusteigen. Natürlich sind auch Hersteller und Händler, die die Perspektiven dieses Projekts erkennen und es unterstützen wollen, gern gesehene Teilnehmer. Zehn oder mehr Gabeln nach einem neuen, erfolgversprechenden Konzept zu bauen dürfte lohnender sein, als hin und wieder eine Einzel-Anfertigung durchzuziehen. Bei Schmidt in Tübingen und anderswo wird man das ähnlich sehen.

Danksagungen

Ich danke vor allem Harald Simon aus Bonn und Olaf Schultz aus Hamburg, die mit fachkundigen Hinweisen einen erheblichen Anteil an der Entstehung des Artikels hatten und natürlich auch allen anderen ungenannten Korrektur-Lesern.

Zum Autor

Heiner Schuchard fährt seit ca. 60 Jahren Rad, seit zwei Jahren Tandem und lebt in Lübeck, falls er nicht gerade mit seiner Frau auf Tour ist. Seine Erfahrungen mit dem Tandem waren ihm Anlass, die in früheren Jahren erworbenen Ingenieur-Kenntnisse zu reaktivieren, zu rechnen und ein Konzept einer verbesserten Tandem-Gabel mit dazu passender Bremse zu entwickeln. Für speziell Interessierte ist vom Autor eine Langfassung mit detaillierten Daten zu den Berechnungswegen und benutzten Formeln erhältlich: heiner.schuchard@arcor.de