Ausgabe 27 · Dezember 2018

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Der alltägliche Fahrradwahnsinn in New York

von Thomas Stoerk

21:55 Der Vorabend: Mentale Planung der Route

Um wie viel Uhr sollte ich morgen aufstehen? Im Gegensatz zu den Massen bemitleidenswerter Subway-Pendler bin ich als Radler mit einem relativ planbaren Arbeitsweg beglückt. Schwalbes Marathon Plus sei Dank.

Ich wohne in New York. Neben dem geschäftigen Stadtzentrum auf der Halbinsel Manhattan besteht New York aus den Stadtteilen Brooklyn und Queens auf der Ostseite des East Rivers, sowie der Bronx, die sich ans nördliche Ende Manhattans anschließt. Schließlich, etwas abgelegen, vervollständigt die Insel Staten Island im Süden in der Nähe der Freiheitstatue die Stadt.

Bild 1: Übersicht NYC
Bild 2: Zoom für meinen Arbeitsweg

Meine Wohnung liegt in Williamsburg in Brooklyn. Meine erste Anschaffung zum Umzug nach New York war ein wunderschönes orange-schwarzes Faltrad von Brompton aus London. Bromptons sind teuer in der Anschaffung, mit über 12 kg keine Leichtgewichte und verwenden teils archaisch anmutende Komponenten. Aber die Zuverlässigkeit ist spitze, das Fahrgefühl angenehm spritzig und der Service fantastisch. Das Faltrad ist seither mein täglicher Begleiter in New York und ich bin sehr zufrieden damit.

Jeden Morgen führt mich mein Arbeitsweg aus Williamsburg in Brooklyn über die Williamsburg Bridge nach Manhattan und durch die Lower East Side hoch bis nach Gramercy im Norden von Union Square. Die Distanz meines Arbeitswegs ist 6,7 km, 4.2 Meilen in der hiesigen Rechnung oder auch 0,2 Stücke Pizza laut meiner App. Etwa 30 Minuten brauche ich mit dem Fahrrad von meiner Wohnungstür bis zu meinem Schreibtisch. Ein Privileg, dass sich schmerzhaft in meiner Miete niederschlägt. Doch anstatt aufs Fahrradfahren zu verzichten wohne ich lieber in einer Einzimmerwohnung.

09:01 Aufbruch von daheim

Nach dem Frühstück geht es los. Während ich im Sommer ob des beinahe tropischen Klimas noch mit luftigem Oberteil und kurzen Hosen fahren konnte ist es nun im Winter kälter. Bevor ich das Rad in der Wohnung auseinanderfalte führt der erste Blick daher zur App: Sollte ich besser die Regengarnitur anziehen? Der Blick aus dem Fenster ist hier manchmal trügerisch, denn Manhattan und Brooklyn haben leicht unterschiedliche Mikroklimas und manchmal ist Brooklyn wolkenfrei während es auf der anderen Flussseite in Manhattan regnet. Nach Jahren mit schlechten Regenhosen habe ich mir hier eine Regenhose der Marke »Showerspass« aus Portland in Oregon gekauft und bin rundum begeistert. Der Regenschutz ist selbst nach Stunden noch perfekt und die Hose ist so atmungsaktiv, dass man sie selbst für lange Radtouren den ganzen Tag tragen kann. Auch die Haltbarkeit überzeugt.

09:03 Vorbei an der Subwaystation

Vor dem Haus fahre ich die ersten Meter entgegen der Einbahnstraße. Kurz vor der Haltestelle Bedford Avenue biege ich dann ab und lasse die Subway-Pendler hinter mir. Apropos Subway: Im Gegensatz zu London ist New York Fahrrädern gegenüber großzügig. Selbst normale Fahrräder dürfen überall und zu jeder Uhrzeit kostenlos in der Subway mitgenommen werden. Natürlich ist für diese pragmatische Lösung Augenmaß gefragt. Zur Hauptverkehrszeit passen noch nicht einmal alle Pendler in die Züge - und Fahrräder natürlich ebenso wenig.

Überhaupt hat New York, nachdem die Stadt erst relativ spät auf den Fahrradzug aufgesprungen ist, in wenigen Jahren ein respektables öffentliches Verleihsystem für Fahrräder eingeführt. Für einen Jahresbeitrag von $ 169 kann man jeweils 45 Minuten kostenlos von einer Station zur nächsten Fahren. Die Mitgliederzahlen liegen bei über 260.000 und besonders bei guten Wetter wird der Service gerne genutzt - neue Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass die Anzahl der Radler mit sinkender Temperatur und insbesondere mit Niederschlag in Nordamerikas Großstädten rapide abnimmt.

Laut New York Times gab es 2017 im Schnitt 450.000 Fahrten mit dem Fahrrad pro Tag, knapp dreimal so viele wie noch 2006. Erstaunlicherweise entfallen nur 20 % der Fahrten auf den Arbeitsweg. Denn die allermeisten New Yorker nehmen nach wie vor den öffentlichen Nahverkehr, insbesondere die chronisch überlastete und unterrenovierte Subway. Die Fahrten sind mit $ 2.75 billig, und anders als in Deutschland nicht nach Zonen getrennt. Da die reicheren Menschen in der Innenstadt wohnen subventioniert das Subwaysystem dadurch die ärmeren Bürgerinnen und Bürger in den weiter entfernt gelegenen Vierteln.

09:09 Die Williamsburg-Brücke

Zwischen Brooklyn und Manhattan gibt es drei überirdische Verbindungen: die Manhattan Bridge, die Brooklyn Bridge und eben die Williamsburg Bridge, die auf meinem täglichen Radweg liegt. Daneben gibt es einige Subwaytunnel unter dem East River hindurch. Wie auch die Brücken sind diese Tunnel oft über 100 Jahre alt und einige davon dringend reparaturbedürftig. Als die Williamsburg Bridge im Jahr 1903 eröffnet wurde, bestand der Großteil des Verkehrs noch aus Zügen und Trolleys. Das änderte sich mit der Motorisierung und der Verbreitung des Privatautos in den USA - und Privatautos lasten die Brücke immer mehr aus. Erst eine Generalüberholung im Jahr 1992 fügte der Brücke einen Fahrradweg hinzu. Inzwischen ist die Williamsburg Bridge einer der meistbefahrenen Radwege der USA mit über 5.000 Radlern pro Tag. Die meisten Brücken New Yorks erlauben inzwischen Radfahrer, oft allerdings nur am Rand, mit zu wenig Platz oder nur zu bestimmten Uhrzeiten (als Maßnahme zur Befriedung von Anwohnern).

Bild 3–4: Radweg an der Williamsburg Bridge

09:10 Die Meditationsphase auf der Brücke

Die Williamsburg Bridge ist auf meinem relativ flachen Radweg der einzige steile Teil. 264-mal über die Williamsburg Bridge entspricht einer Besteigung des Mount Everest (und ja, dies wurde letztes Jahr von einem Verrückten an einem Tag unternommen). Das Tolle an der Williamsburg Bridge ist die Abwesenheit von Verkehr, Kreuzungen und Schlaglöchern und so werden die Minuten auf der Brücke immer zur Meditationsphase. Ein Übriges trägt die atemberaubende Aussicht auf die oft in Wolken gehüllten Hochhäuser in Midtown dazu bei.

Bild 5: Panorama Midtown

Und so schweifen meine Gedanken zurück zum langen Winter. Im Gegensatz zu Barcelona und London hat New York City echte vier Jahreszeiten. Der Sommer ist tropisch und der Winter voller Schnee und Kälte, diese Jahr fünf Monate lang. Und es kann durchaus ernst werden: Einer meiner Freunde arbeitet als Fahrradkurier in der Essensauslieferung und an einem besonders kalt-nassen Tag hat er sich an einem Zeh Frostbeulen zugezogen. Zum Glück kam es nicht zur Amputation. Jetzt versucht er eine Gewerkschaft zu gründen, um die Rechte der Arbeitnehmer in der Lieferbranche zumindest auf ein Minimum zu heben - ein harter Kampf.

Besonders hart sind Schnee und Eis jedoch für das Material: Ab ca. 0 Grad Celsius fror mir regelmäßig die Vorderbremse am Brompton fest, meist auf der schnellen Abfahrt im eisigen Mikroklima der Williamsburg Bridge. Selbst die Nabenschaltung fror mir einmal ein. Die wahre Herausforderung sind jedoch die unglaublichen Mengen an aggressivem Salz von November bis April. Ich habe das Fahrrad schon mal mit in die Dusche nehmen müssen und nach Ende des Winters habe ich den Antrieb komplett erneuert, mit neuer Kette, Kettenblatt, Ritzeln und sogar den kleinen Ritzeln im Kettenspanner des Brompton. Jetzt läuft alles wieder wie neu.

Bild 6–7: Winter

09:14 Ankunft in Manhattan

Die Williamsburg Bridge endet jäh auf einer Verkehrsinsel inmitten einer sechsspurigen Straße. Ich bin jetzt in Manhattan, der Halbinsel um die sich das Leben in New York City dreht. Nun heißt es mich durch ein paar Nebenstraßen bis zum Radweg durchzuschlagen.

Gerade im Sommer gibt es viele Fahrradpendler und die Stadt hat langsam nachgezogen: Auf der 1st Avenue nach Norden sowie der 2nd Avenue nach Süden gibt es seit Kurzem einen vom Hauptverkehr durch parkende Autos abgetrennten Radweg. Weitere Radwege dieser Art gibt es auf einer kleinen Anzahl anderer Avenues - das sind die Straßen in Manhattan, die in Nord-Süd-Richtung verlaufen sowie an den beiden Rändern Manhattans am Wasser. Die meisten Radwege in New York sind jedoch lediglich farbige Markierungen auf dem Asphalt und Räder und Autos teilen sich den gleichen Platz. Der geschützte Radweg auf der Westseite hat letztes Jahr traurige Weltberühmtheit erreicht, als dieser Ziel eines Anschlags wurde bei dem acht Menschen starben. Seither stehen an allen Zugängen des Radwegs schwere Betonsperren, die es Kraftfahrzeugen unmöglich machen auf den Radweg zu gelangen.

Doch zurück zum Radweg auf der 1st Avenue, dem Hauptteil meiner morgendlichen Strecke. Zwar ist das Konzept gut, doch es hapert an der Ausführung. Die Qualität des Belages entspricht dem Manhattandurchschnitt: Jede Straße ist ein über mehr als hundert Jahre entstandenes Flickwerk. Oft wird etwas aufgebohrt, zugeschüttet, verändert. Und das hinterlässt Schlaglöcher, Spurrillen, und andere unvorhersehbare Gefahren. Zum Beispiel die Dampfschlote: Unter ganz Manhattan verläuft ein Dampfnetzwerk, das an vielerlei Stellen so undicht ist, dass große Mengen an heißem Dampf austreten. Geflickt wird das Netzwerk nicht - stattdessen stehen in Manhattan immer mal wieder zwei Meter hohe dampfende Verkehrshütchen auf der Straße. Oft auch mitten im Hauptverkehr. Auch der Boden sinkt manchmal einfach ab. Auf dem Fahrradstreifen neben meinem Büro gab es urplötzlich ein Loch, das sicherlich über 20 cm in die Tiefe geht. Doch es ist klar, dass der Radweg nicht besser sein kann als der Rest der bröckelnden Infrastruktur in Manhattan. So bleibt das Radeln immer spannend, besonders mit meinen kleinen 16-Zoll-Rädern.

Weit schlimmer wiegt das Abbiegeproblem. Manhattan ist wie ein Schachbrett aufgeteilt und nach jedem zweiten Block biegen die Autofahrer der 1st Avenue quer über den Radweg nach links ab. Soweit, so bekannt. An einigen Stellen hat New York das Problem mit einer Linksabbiegeampel für Autofahrer gelöst, wobei zuerst die Fahrräder geradeaus fahren und dann die Autofahrer direkt danach nach links abbiegen können. An den meisten Stellen ist dies jedoch nicht der Fall, und winzige Schilder weisen stattdessen darauf hin, dass Fahrradfahrer Vorfahrt haben. Beachtet oder gar von der Polizei kontrolliert wird die Vorfahrtregel jedoch nicht. Ganz im Gegenteil, die Polizei selbst nimmt mir des Öfteren die Vorfahrt und scheint die Vorfahrtsregel auch selbst gar nicht zu kennen. An meinem ersten Tag in New York wurde ich denn auch direkt von einem Linksabbieger angefahren, allerdings nur mit Schrittgeschwindigkeit und ohne Schaden. Ich habe daraus gelernt Linksabbieger schon im Vorfeld zu vermeiden und sie rechts auf der Autospur zu überholen. Dennoch sehe ich jeden Morgen mindestens 10 ziemlich knappe Situationen bei anderen Radlerinnen und Radlern.

Bild 8–11: Radwege und das Abbiegeproblem

09:16 Transportation Alternatives

Glücklicherweise bin ich nicht der einzige Fahrradfreund in der Stadt. Transportation Alternatives, quasi New Yorks »Volksentscheid Fahrrad«, setzt sich für Fahrradverkehr ein. Der Verein wurde 1973 gegründet und umfasst immerhin 100.000 aktive Mitglieder und Unterstützer. Und politischer Druck ist dringend nötig: Über 20 Fahrradfahrer starben alleine 2017 durch Unfälle mit Autos. Selbst wenn die Schuldfrage klar ist werden diese Fälle oft nicht verfolgt oder nur mit minimalen Strafen belegt. Selbst ein Fahrer mit Vorstrafen, der zum Tatzeitpunkt vermutlich betrunken jemanden auf dem Radweg überfahren hatte und dann Fahrerflucht beging, wurde nicht verfolgt. Stattdessen reagiert die Polizei oft mit einer verstärkten Kontrolle von Fahrrädern in den Tagen nach dem Unfall. Neben Transportation Alternatives gibt es eine Initiative von Menschen, die an Orten tödlicher Fahrradunfälle sogenannte Geisterräder (»ghost bikes«) aufstellen. Das sind ausgediente Fahrräder, die komplett weiß gesprayt werden und so dauerhaft an den Unfall erinnern, oft auch mit einer Plakette. In den letzten 15 Jahren wurden über 150 Geisterräder auf den Straßen New Yorks ausgesetzt.

Bild 12: Ghost Bike

09:18 Vielfalt auf der 1st Avenue

Doch weiter geht es auf der 1st Avenue. Mein Weg führt mich durch Manhattans Stadtteil East Village. New Yorks Bevölkerung, und besonders diese Ecke, ist unglaublich durchmischt - man hört eine Vielzahl von Sprachen an allen Ecken und Enden. Spanisch ist schon beinahe offiziell und eine Vielzahl an Dienstleistern und öffentlichen Einrichtungen bieten Dienstleistungen auf Spanisch an. Ein Großteil der Bewohner im Süden von Williamsburg sind orthodoxe Juden, die mit althergebrachter Kleidung ihre Tradition pflegen und Jiddisch sprechen. Direkt neben Williamsburg ist das polnisch-stämmige Viertel Greenpoint, wo Polnisch so oft gesprochen wird wie Englisch.

Die Vielfalt der Stadt spiegelt sich auch in der Wahl der Fahrräder wieder. Im Vergleich zu Deutschland hat NYC eine unglaubliche Vielzahl an verschiedensten Fahrrädern und anderen Fortbewegungsmitteln. Im Vergleich zur deutschen Fahrradkultur, die oft zum einen Komplettrad neigt für alle Situationen neigt, haben viele Menschen hier mehrere Räder. Und im Gegensatz zum funktionalen Deutschen wird hier viel Wert auf Design gelegt, auf Ledersättel selbst für Fixies, auf Ungewöhnliches, Neues und auch Unsinniges wie Fatbikes mit Gepäckträger und Kindersitz.

Bild 13–16: Fahrräder in New York

09:21 Ich werde überholt

Eigentlich fahre ich recht schnell und Radler in New York eher langsam. Als ich nach London zog fühlte ich mich auf dem Radweg von der Geschwindigkeit meiner Mitradlerinnen und Mitradler her eher an die Tour de France erinnert als an städtisches Pendeln. Auch sind die Londoner vollkommen aufs Radeln eingestellt, komplett mit Radbekleidung und kunterbunten Jacken. In New York ist alles entspannter, jeder macht was er möchte. Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem Radweg ist langsamer und normalerweise überhole ich andere. Nun jedoch werde ich überholt. Und zwar von einem E-Bike. Anders als in Deutschland befinden sich E-Bikes in einer rechtlichen Grauzone. Sie werden meist zur Essensauslieferung genutzt und die Menschen in diesem Job sind oft Immigranten mit wenig Englischkenntnissen und auch meist nur lückenhaften Papieren. Viele Fürsprecher haben E-Bikes daher nicht, und die Stadt New York hat diese bis vor kurzem nicht nur verboten, sondern tatsächlich auch ab und an konfisziert. Nun scheint sich die Rechtslage etwas zu bewegen, hin zur deutschen Lösung die zwischen unterstützendem Antrieb und vollem Elektrofahren unterscheiden. Dennoch ist der Gesetzesrahmen vollkommen ungenügend, und E-Bikes daher noch kaum präsent im Stadtbild. Neben E-Bikes gibt es noch eine Anzahl schneller elektrischer Skateboards mit Lichtanlage, und auch motorisierte Einradsegways sieht man immer häufiger auf den Radwegen.

Bild 17: Delivery Bike

09:27 Sollte ich mal wieder zu David?

Ich fahre an der East 13th Street vorbei. Dort befindet sich einer der authentischsten New Yorker Läden überhaupt: bfold von David Lam. Davids winziger Laden ist unter eine Treppe gequetscht und führt ein ausgesuchtes Sortiment an Falträdern von Marken, die den folgenden Kriterien genügen: die Qualität der Produkte muss stimmen, der Support vom Hersteller muss funktionieren und Teile und Räder schnell verfügbar sein. Und dies schaffen nur wenige Hersteller: Neben Bromptons führt David Falträder von Bike Friday, günstigere Räder von Dahon, das im deutschen Raum bekannte Birdy, sowie von Strida, welche sich jedoch in der Stadt bisher nicht durchgesetzt haben. David ist absoluter Experte zum Thema Falträder und mit Herzblut dabei. Für Reparaturen kann ich mich vollkommen auf ihn verlassen. Auch seine Kundschaft ist enthusiastisch: Einer seiner Kunden hat sich in Eigenarbeit eine elektrische Version des Brompton erbaut, mit einer Boschbatterie in der vorderen Fahrradtasche und sogar mit Wattmessung an den Pedalen. David kommt ursprünglich aus Taiwan, und als ich im erzähle, dass ich zu Luftverschmutzung in China arbeite erzählt er mir vom sauren Regen seiner Kindheit in Taiwan. Regelmäßig fraß dieser Regen ganze Regenschirme auf und falls man diesen vergessen hatte, auch gerne direkt die Bekleidung.

09:30 Ein Privatpark mitten in New York

Ich biege ab auf die East 21st Street. Nach dem Irrenhaus mit den Linksabbiegern auf der 1st Avenue ist die gemütliche East 21st Street die Ruhe pur. Auf den letzten Metern fahre ich gar an einem Park vorbei. Und zwar an einem Privatpark: der Gramercy Park ist ein wunderschöner kleiner Park in der Größe zweier Hausblocks in einer der teuersten Gegenden der Welt. Doch er ist abgeschlossen, nur Schlüsselinhaber haben Zugang zum Park. Und diese Schlüssel sind streng limitiert und als Normalmensch gibt es nur eine Möglichkeit, Zugang zu erhalten: Es gibt ein Hotel, in dem schon Bob Marley genächtigt hat, gegenüber des Parks. Als Gast darf man den Park betreten.

09:34 Ankunft

Ich falte das Fahrrad noch auf der Straße. Ich arbeite zwar bei einer Umweltorganisation, doch die Büros sind nur gemietet. Wie gewohnt werde ich vom Receptionist mit einem bösen Blick beäugt: Selbst mein koffergroßes Faltrad sieht er nicht gerne in seinem Gebäude. Heute scheint seine Abneigung größer als gewöhnlich zu sein und so schickt er mich und mein Faltrad wieder hinaus, zum Lastenaufzug auf der Rückseite des Gebäudes. Das Gebäude ist von 1915 und der Lastenaufzug noch original mit Personal, das den Fahrstuhl von Hand steuert. Nun geht es doch nach oben.

Ich rolle das Rad aus dem Aufzug neben meinen Schreibtisch.

Der Arbeitstag kann beginnen.

Bild 18: Brompton neben Schreibtisch

Zum Autor

Thomas Stoerk hat in Barcelona und London in Umweltökonomie promoviert. Er arbeitet beim Environmental Defense Fund, einer Umwelt-NGO mit Hauptsitz in New York. thomas.stoerk@gmx.de