Ausgabe 14 · April 2012

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Gelesen

»Goodbye Auto – Ein Leben ohne Führerschein« von Carsten Otte

Rezensent: Markus Schüttler

Carsten Otte:
Goodbye Auto – Ein Leben ohne Führerschein.
München: Goldmann, 2009.
352 Seiten.
ISBN 9783442155569.
8,95 €.

Liest man den Titel dieses Werkes, hat man sehr schnell eine Einschätzung, um was für eine Sorte von Literatur es sich hier handelt. Ein Buch, das die bevorzugte Nutzung des Automobils als Verkehrsmittel in Frage stellt. Nach näherer Betrachtung des Einbands verstärkt sich diese Einschätzung nochmals deutlich. Ein Buch, das sich mit einem der technisch höchst geschätzten Objekte innerhalb industrialisierter Gesellschaften beschäftigt und gleichzeitig mit einem seit Jahren differenziert diskutierten ohnehin.

Gerade in einer Zeit, in der die Umwelt den politischen, wie auch den gesamtgesellschaftlichen Diskurs durchzieht, ein sehr populäres Thema und somit auch eine gute Zeit, solch ein Buch zu veröffentlichen bzw. zu verkaufen. Dies will ich dem Autor aber nicht unterstellen und selbst wenn, dann ist solch ein Buch immer noch thematisch wertvoller, als manch anderes literarisches Produkt, das irgendwelche Bestsellerlisten schmückt.

Aber nun zum Inhalt dieses Werkes. Vorab als Info: Dies ist kein fahrradspezifisches oder »human powered« spezifisches Werk, sondern es handelt sich um ein Werk, das die differenzierten Möglichkeiten der Mobilität andeutungsweise behandelt. Der Titel suggeriert zwei unterschiedliche Grundannahmen. Zum Ersten die subjektive Absage an das Auto als individuelles, motorisiertes Fortbewegungsmittel, und zweitens die Annahme des Ausklangs einer Epoche, die großflächig von der Industrialisierung und hier in erster Linie des motorisierten Individualverkehrs, geprägt war.

Nimmt man nun einen äußeren, oberflächigen, ersten Blick auf diesen Beitrag des Autors Carsten Otte vor, gehen tendenziell beide Grundannahmen in diesem Buch auf. Allerdings stellt die erste Grundannahme keine völlige Loslösung von dieser Mobilitätsart bzw. -struktur dar, sondern nur eine rein subjektiv handelnde: Der Autor selbst lenkt kein Auto, sondern er lässt fahren. Wie der Untertitel schon sagt, besitzt der Autor keinen Führerschein. Interessant an diesem wahrscheinlich seltenen Phänomen ist, dass durch die gesellschaftliche Konditionierung des letzten Jahrhunderts, gerade durch Industrialisierung bzw. Technisierung unseres Lebensalltags, der Erwerb des Kfz-Führerscheins ein Synonym für die Autonomie des Subjekts bzw. die Erlangung der individuellen Freiheit oder Reife darstellte, zumindest zu Anfang in geschlechtsspezifischer Hinsicht, was sich aber durch die historische Entwicklung des letzten Jahrhunderts stellenweise veränderte.

Sehr früh in diesem Buch wird deutlich, dass das vom Autor bevorzugte Konzept der Fortbewegung die differenzierte Fortbewegung darstellt, also eine Nutzung unterschiedlicher Fortbewegungsmittel. Hierzu gehören neben alternativen Verkehrsmitteln auch ÖPNV, MIV (Motorisierter IndividualVerkehr) und Fernverkehr (z. B. Flugzeug). So erzählt der Autor zum Einen seine subjektiven Erlebnisse, als führerscheinloses, männliches Individuum innerhalb der bundesrepuplikanischen Gesellschaft der letzten vierzig Jahre auf autobiographische Art. Zum Anderen versucht er verschiedene Indikatoren bzw. Phänomene innerhalb der bundesrepuplikanischen Gesellschaft aufzuzeigen, die zwangsläufig das aktuelle theoretische wie auch praktische Konstrukt Auto in seiner jetzigen Form als Auslaufmodell identifizieren. Die Lektüre dieses Buches hat latente Züge einer Kritik an der Mobilitätsstruktur innerhalb der bundesrepublikanischen Gesellschaft und deren Auswirkung auf die Umwelt, was allerdings der eigenen Beschreibung des Autors und seiner persönlichen Nutzung von Mobilitätsstrukturen diametral gegenüber steht. d. h. der Autor selbst bestreitet sein führerscheinloses Leben, als Beifahrer bzw. Mitfahrer, was mit dem Titel in einem plakativen Disput steht.

Fazit

Das Buch lässt sich leicht und amüsant lesen, was durch die einzelnen kurzen Kapitel unterstützt wird, die in einzelne Episoden aufgeteilt sind. Die einzelnen autobiographischen Episoden unterstreichen die nicht vorhandene Affinität des Autors zur Thematik Automobil (KFZ), was sich durch das gesamte Buch zieht. Seine persönliche Nutzung von unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln harmoniert nicht unbedingt mit seiner kritischen Haltung gegenüber dem Automobil. Was die Umwelteinflüsse anbelangt, ist seine CO2-Bilanz sicherlich nicht durchdacht genug, aber dies war wahrscheinlich auch nicht sein favorisiertes Anliegen. Wenn man dieses Werk nicht gelesen hat, ist das nicht unbedingt ein Nachteil. Wenn man an modernen, progressiven Mobilitätsstrukturen interessiert ist, gibt es bestimmt geeignetere Literatur als »Goodbye Auto«. Für lange Winterabende bzw. als Unterhaltungslektüre ist dieses Buch aber durch aus geeignet.

Zum Rezensenten

Markus Schüttler, geb. 1966, verheiratet, ein Sohn, ist Diplom-Soziologe und Erzieher aus Frankfurt am Main. Seit frühester Jugend begeisterter Alltags- und Reiseradler bzw. nutzt das Fahrrad als Hauptfortbewegungsmittel. Besonderes Interesse besteht an urbanen,
umweltschonenden Fortbewegungsmitteln und Mobilitätsstrukturen. Weitere Interessen bündeln sich in den Bereichen Open Source, Freifunk und allgemein in dem Grundrecht für freien Zugang zu Informations- und Kommunikationswerkzeugen.

Holt Gevatter Tod die ohne Licht?

Rezensentin: Carmen Hagemeister (die an allen Rädern ordentliches Licht hat)

Der Zweirad-Industrie-Verband behauptet: »Die Beleuchtung ist eine der bedeutendsten Fahrradkomponenten zur Erhöhung der Sicherheit«.

Wie relevant Fahrradbeleuchtung für Unfälle in Deutschland tatsächlich ist, zeigen die Daten des Statistischen Bundesamts, Fachserie 8, Reihe 7: Verkehrsunfälle 2009. [Anmerkung der Redaktion: Als der Artikel geschrieben wurde, war die Ausgabe 2009 aktuell. Mittlerweile sind auch die Daten von 2010 veröffentlicht worden. Die Aussagen des Artikels bleiben aber in jedem Jahr bestehen.]

2009 waren an den Unfällen mit Personenschaden insgesamt 82520 Radfahrer beteiligt (S. 127), bei denen 52794 Fehlverhalten registriert wurden (S. 242). Bei einem Unfall können von null bis zu drei Fehlverhalten pro Person registriert werden. Davon wurde bei 372 Radfahrern als »Fehlverhalten der Fahrzeugführer« das »Nichtbeachten der Beleuchtungsvorschrift« (S. 244) registriert. Von den 442 getöteten Radfahrern (S. 245) hatten 2 die Beleuchtungsvorschrift nicht beachtet (S. 247). Außerdem wurden bei den Unfällen mit Personenschaden bei 645 Fahrrädern bei den Fahrrädern Mängel an der Beleuchtung festgestellt, davon bei 4 Unfällen mit getöteten Radfahrern. Der Statistik ist nicht zu entnehmen, in wie vielen Fällen derselbe Fehler (ohne Licht darf man bei Dunkelheit nicht Rad fahren) sowohl als Fehlverhalten des Fahrzeugführers als auch als technischer Mangel registriert wurde. Es sind also höchstens 1017 Unfälle mit Personenschaden und 6 Unfälle mit getöteten Radfahrern, bei denen Beleuchtungsmängel mit als Unfallursache registriert wurden, also bei 1,2 % der Unfälle mit Personenschaden und 1,4 % der Unfälle mit getöteten Radfahrern.

Fehlverhalten der Fahrzeugführer werden bei allen Beteiligten von der Polizei registriert, wenn sie bemerkt werden. Ob sie mit unfallursächlich waren oder nicht, spielt hier keine Rolle; damit beschäftigt sich dann später gegebenenfalls ein Gericht.

Der entsprechende Bericht erscheint jedes Jahr etwa Mitte Juli mit denselben Tabellen und aktualisiertem erläuterndem Text. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht ebenfalls jährlich einen Bericht über Zweiradunfälle, der sehr interessant ist. Auch die Berichte einiger vergangener Jahre sind online verfügbar, kostenlos als PDF.

Zur Rezensentin

Carmen Hagemeister arbeitet an der TU Dresden in der Psychologie und liest u. a. Literatur mit politischen und planerischen Themen mit Fahrradbezug, die vielleicht auch für andere Fahrradzukunft-LeserInnen interessant ist.